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UNTERliebt, Herr Prehsler?
ОглавлениеJa, Herr Düringer. Das ist ein von mir erfundenes Wort. Es heißt nichts anderes, als dass viele von uns zu wenig Liebe bekommen, dass sie uns bewusst vorenthalten wird und dass wir mehr davon verdienen. Wir sind mehrheitlich Selbstwertflundern, die einen hohen Fremdwert haben. Irgendwie gehören die meisten von uns jemand anderem. Stellt sich die Frage: Wer hat uns so gemacht, wer ist dieser andere, und wem nutzt das?
Schließlich kamen wir alle als kleine Götter zur Welt, wenn ich Sie zitieren darf. Davon haben wir uns doch ziemlich weit entfernt. Darüber schreib’ ich übrigens gerade ein Buch.
Sie schreiben ein Buch, aha. Das ist lustig, ich schreibe nämlich auch gerade ein Buch. Wie wird Ihr Buch heißen?
Das klingt ein wenig nach einer Mischung aus technischem Fachbuch und Lebensratgeber. Was ist das für eine Formel, dieses
Ich rede sehr gerne über die Formel und das UNTERliebt-Sein. Ich schreib’ ja sogar drüber. Wie und von wem an unserem Selbstwert gebastelt wird, damit wir einen möglichst großen Fremdwert haben. Aber ich möchte Sie und Ihre Leserschaft nicht länger stören.
Nein, nein, Sie stören nicht. Aber wenn es uns, wie Sie meinen, grundsätzlich immer besser geht, wo kommt dann diese diffuse Traurigkeit her, Herr Prehsler? Meinetwegen diese große UNTERliebe. Können Sie das mir und meiner nackten Leserschaft, und vor allem, können Sie sich das selbst erklären?
Möglicherweise handelt es sich dabei um ein mathematisches Problem. Genau dafür hab’ ich ja meine Formel entwickelt. Lieber Leser, liebe Leserin – darf ich dir meine Formel vorstellen?
Sie sind oft beim IKEA, oder?
Wieso?
Sie duzen meine Leserschaft?
Ja. Sie nicht?
Nein.
Sie können ja beim Sie bleiben, wenn Sie diese Distanz brauchen. Also ich stelle dir, lieber Leser, liebe Leserin, kurz meine Todes- oder eben auch Lebensformel vor.
Setze in die folgende Gleichung deine Werte ein, wobei wir der Einfachheit halber LG mit zehn annehmen (das ist völlig willkürlich – für die, die jetzt zu überlegen angefangen haben, wieso 10?):
L steht übrigens für LIEBE.
Was hast du gedacht?
Und was hast du bei G, E und F vorzuschlagen?
Schreib ruhig deine Zahlen da rein, ist ja dein Buch!
Herr Düringer, ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn Ihre Leser in diesem Buch herumkritzeln.
Überhaupt nicht, aber wenn es möglich wäre, bitte nur mit Bleistift, falls jemand anderer dieses Buch sich von Ihnen ausborgen sollte. Aber was genau soll man hier eintragen, Herr Prehsler?
Wenn du dich selbst nicht sehr magst, dann setze zum Beispiel bei LE eine Zwei oder eine Drei ein (bei null oder eins bist du eh schon im psychischen Koma). Wenn du auch von anderen nicht sehr gemocht wirst – zum Beispiel von deinen Eltern oder deinen Kindern – sagen wir zum Beispiel nur im Ausmaß von 3, dann schaut deine persönliche Liebesgleichung zum Beispiel so aus:
10 = 2 + 3
Was natürlich mathematisch ein Schwachsinn ist. Und im Leben auch. Aber es trifft eine klare Aussage:
10 ≠ 5, und du bist um fünf unterliebt.
Du bist um fünf UNTERLIEBT !
Sag, gefällt dir das Wort? UNTERLIEBT? … Ich bin echt stolz drauf, dass ich es erfunden habe. Ist so richtig schön klar und einfach und so richtig ungut.
Weil dieses UNTERLIEBT-Sein nämlich ganz schön weh tut und auf den Selbstwert und damit auf die Lebensenergie geht!
Kein Mensch weiß wirklich, was Liebe ist.
Aber sie soll schön sein. Nein, sie IST schön!
Und kein Mensch kann diese Liebe gesamt-mathematisch wirklich definieren.
Aber eines sollte schon klar sein: Je geringer deine Eigenliebe ist, umso mehr Fremdliebe brauchst du. Und genau da werden wir alle in unterschiedlichem Ausmaß ausgehebelt, manipuliert und missbraucht.
Schauen wir uns die Logik in der Gleichung noch einmal an:
10 = sagen wir Eigenliebe 2, und dann bräuchtest du logischerweise Fremdliebe 8, damit du die notwendige Menge Liebe gesamt bekommst.
Leute, Leute – das ist die große Abhängigkeit ! Und das macht traurig!
Danke, Herr Prehsler, eine durchaus plausible Erklärung. Und davon handelt dann Ihr Buch?
Ja, und von Wertschöpfung durch Wertschätzung und wie man mit Liebe den Gewinn maximieren kann. Das geht allerdings oft zu Lasten unseres Glückes und tut uns nicht immer gut. Da ist dann halt ein anderer glücklich. Wie wir uns selbst und auch unsere Kinder rekonstruieren können und unter anderem auch, wieso »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« so ein gefährlicher Satz ist und ob Jesus das wirklich konsequent zu Ende gedacht hat.
Herr Düringer, ich darf mich bei Gelegenheit wieder zu Wort melden und mich in Ihr Buch einschreiben?
Wenn’s passt, gerne. Und schicken Sie mir eines Ihrer Bücher. Manches in Ihrem Buch klingt ja, als hätte ich es geschrieben.
Gleich und gleich gesellt sich eben gerne. Nicht dass wir jetzt gleich wären, aber ich glaube, dass Sie, Herr Düringer, und ich uns Ähnliches wünschen, uns Ähnliches antreibt und ich nebenbei auch manchmal als »weltfremd« wahrgenommen werde.