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Schöne Wortkombinationen
ОглавлениеNicht zu vergessen ist in der deutschen Wortbildung neben dem Vorzug ihrer Leichtigkeit die Schönheit vieler Wörter, die aus Kombinationen hervorgegangen sind und in ihrer Synthese oder Verschmelzung nicht nur eine Addition aus den Bedeutungsbestandteilen der beiden kombinierten Wörter bilden, sondern eine neue und sehr präzise Bedeutung schaffen. Meine beiden Lieblingswörter sind in ihrer Bedeutung gegensätzlich: anschmiegsam und unnahbar. Es sind regelrechte Sprachkunstwerke. Aus drei einfachen Wörtern ist anschmiegsam gebaut: im Wortkern das Verb sich anschmiegen, dann das Adjektivsuffix -sam, das es uns ermöglicht, ein Verb in ein Adjektiv umzuformen, und im Verb selbst die Vorsilbe -an, die die räumliche Nähe zwischen zwei Personen zusätzlich unterstreicht (im Gegensatz zu anderen denkbaren Vorsilben wie auf-, oder ab-). Anschmiegsam ist nicht nur in der Geste schön, die das Wort bezeichnet (bezeichnet ist hier nicht ganz richtig: Wir bezeichnen mit Wörtern eine geistige Vorstellung, nicht den Sachverhalt direkt), sondern auch im Klangbild. Und in dieser Parallelität wirkt das Wort besonders intensiv. Hinzu kommt die Abgrenzung in der Bedeutung gegenüber formverwandten Verben wie z. B. anlehnen). Anschmiegen ist eben nicht nur anlehnen, sondern es bringt eine größere Nähe, fast schon Intimität zum Ausdruck.
Das unscheinbare Wort unnahbar ist ein ebensolches Kunstwerk. Aus drei Elementen gebildet, bringt es uns eine ganze Vorstellungswelt vor Augen. Mit der Unnahbarkeit (das Substantiv ist im Deutschen auch gleich zur Hand) hat es eine schwierige Bewandtnis, denn einerseits will der Unnahbare nicht, dass sich ihm jemand nähert, und andererseits nimmt er sich selbst die Möglichkeit der Nähe anderer. Noch dazu kann es sein, dass der Betreffende nicht einmal willentlich unnahbar wirkt, sondern unwillkürlich und unabsichtlich. Ein so komplizierter Charakterzug steckt allein in jenen drei harmlosen Elementen, aus denen das Wort gebaut ist.
Es sind Zusammensetzungen dieser Art, die es im Deutschen möglich machen, so viele feine Unterschiede zu benennen und damit letztlich auch zu schaffen. Es sind sprachlich-geistige Schöpfungen, die wir in der Wortbildung hervorbringen. Sie sind keineswegs trivial, auch wenn sie uns so leicht fallen. Die Wortbildung ist ein elementarer Vorgang. Denn in den Wörtern erfahren wir die Welt, in ihnen bestimmen wir unsere Welt, und mit ihnen sprechen wir über unsere Welt.