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Vorwort
ОглавлениеDas Deutsche zählt unter den rund 6.000 Sprachen der Welt zu den wenigen überregional gesprochenen Sprachen. Es wurde aus dem Freiheitsgeist von Späthumanismus und Aufklärung im Widerstand gegen die französisch sprechenden Fürstenhöfe und gegen die lateinisch dominierten Wissenschaften zu einer verständlichen Sprache für alle Bürger ausgebaut. Unsere heutige deutsche Sprache mit Grammatik, Hochlautung und einem reichen Wortschatz von rund fünf Millionen Wörtern verdankt diesen Zustand weder einer rein naturwüchsigen Entwicklung noch einer staatlichen Verordnung, sondern einer beherzten sprachkultivierenden Arbeit engagierter Vorkämpfer. Es war ein langer und steiniger Weg dahin, immer wieder behindert durch Geringschätzung vor der eigenen Haustür.
Diese Geringschätzung ist auch heute wieder am Werk. Sie führt dazu, dass das Deutsche inzwischen in seinem Gebrauch eingeschränkt, mehr noch, verdrängt wird:
– Entscheidende gesellschaftliche Bereiche wie Wissenschaft, Wirtschaft und europäische Politik werden aus eigener Initiative zunehmend ans Englische abgegeben.
– Und wo noch deutsch gesprochen wird, ist es oft nicht besser bestellt. Zum führenden Jargon unserer Zeit ist ein aufgeblähtes und schwer verständliches Imponierdeutsch aus dem Bereich des Managements aufgestiegen. Es ist gekennzeichnet durch zusammengezimmerte Wortschöpfungen wie Investmentphilosophie oder intermodulare Potenziale.
– Das sprachliche Handwerk der unermüdlichen Gerechtigkeitssemantiker überzieht den öffentlichen Sprachgebrauch mit einer Kunstsprache. Es gebiert Wortungetüme wie StaatsanwältInnen oder Testamentsvollstreckende.
– Auch die Hallogesellschaft ist nicht untätig. Sie hat die Sprache mit ihrer bemühten Lockerheit und Schnöseligkeit beschädigt. Ein langgezogenes okee! markiert in diesem Jargon der Tiefenentspannung das höchste der Gefühle. Die Ursachen dieser Entwicklung sind tief in der westlichen Zivilisation verankert; es ist der Drang nach wirtschaftlicher Effizienz durch kulturelle Vereinheitlichung und Vereinfachung, hin zu einer niedrigschwelligen Massengesellschaft. Er schlägt in Deutschland sprachlich unmittelbar durch. Denn anders als in europäischen Nachbarländern wirkt hierzulande kaum ein widerspenstiges sprachliches Selbstbewusstsein den vereinheitlichenden und nivellierenden Einflüssen entgegen.
Das hat auch drastische Folgen für die Sprachbeherrschung: Sie ist in einem jämmerlichen Zustand. Deutschland leistet sich eine beängstigend hohe Quote von Analphabeten. Die Rechtschreibfertigkeit geht seit Jahren dramatisch zurück. Ein differenzierter Wortschatz kann auch in gymnasialen Oberstufen nicht mehr vorausgesetzt werden. Immer mehr Studienanfänger haben zudem große Lücken in der Kenntnis der deutschen Grammatik. Sprachlicher Ausdruck wird immer häufiger als Nebensache abgetan. Eine weitverbreitete Skepsis gegenüber Normen aller Art behindert die Verankerung der Sprachnorm. Die Beeinflussung der Schreibgewohnheiten durch die Mündlichkeit digitaler Spontanmedien tut das Ihre. Und – auch nach Jahrzehnten der Einwanderung ist das Deutsche als Sprache der Integration weder unstrittig noch verankert.
Große Teile der Sprachgemeinschaft aber haben sich an diese Mängel gewöhnt. Es herrscht ein durch Gleichgültigkeit gekennzeichneter sprachlicher Dämmerzustand.
Das birgt Risiken für die künftige Einsatzfähigkeit der deutschen Sprache. Wenn sie von dynamischen und prägenden Bereichen wie Wissenschaft, Wirtschaft und Politik abgeschnitten wird, versiegen wichtige Quellen ihrer Weiterentwicklung. Die damit verbundene Funktionseinschränkung droht zu einer Gefahr für den Status der deutschen Sprache zu werden. Teile der Eliten sind im Begriff, diesen Prozess aktiv zu fördern.
Soll die deutsche Sprache auch in Zukunft als voll ausgebaute Kultursprache verwendet werden können, oder will sich die Sprachgemeinschaft über kurz oder lang mit einer Alltags- oder Haussprache Deutsch zufriedengeben? Einer Debatte über dieses Medium unserer alten Kultur sollten wir nicht ausweichen. Die Sprachgemeinschaft – von den Liebhabern der deutschen Sprache über die Gleichgültigen bis hin zu den Verächtern – täte dabei gut daran, sich der Ausdrucksmöglichkeiten ihrer Sprache bewusst zu werden, ihrer Elastizität in Wortschatz und Satzbau, ihrer kulturellen Hervorbringungen und auch ihrer immer noch relativ starken Verbreitung – mit den Vorteilen, die diese mit sich bringt.
Dazu möchte ich mit dem vorliegenden Buch beitragen.
Frankfurt am Main, November 2015