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Von Visionen, Innovationen und Zukunftsfähigkeit

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In der scheinbar durchrationalisierten Welt des betriebswirtschaftlich geprägten Imponierdeutschen muss nun doch auch Platz für Phantasie sein. Diesen Platz nimmt die Vision ein. Visionen waren einst die Gesichter, die Gott den Propheten eingab oder die Götter ausgesuchten Menschen. Was heute bleibt, sind Visionen für das Marktgeschehen: Visionen für das Marketing, für neue Produkte.

Wem die Strategie nicht genügt, der greift zur Vision. Sie hat den Vorzug, weit in die Zukunft reichen zu dürfen, ohne die Überprüfbarkeit einzufordern, die die Strategie im Schlepptau hat. Deshalb ist die Vision beliebt. Visionen sind im modernen Imponierdeutschen genialische Vorwegnahmen künftiger gesellschaftlicher Verhältnisse, möglichst unter Bezugnahme auf Gewinn- und Erfolgversprechen. Visionen sind deshalb grundsätzlich nicht negativer Art, sondern ausschließlich positiv besetzt. Ein Stichwortgeber der Zeit, der die Zukunft in düsteren Farben malte, erhielte wohl kaum das Etikett des Visionärs, im Unterschied etwa zu antiken Gestalten wie Teiresias oder Kassandra.

Das Imponierdeutsche an der Vision ist der Heiligenschein ohne Risiko. Während der Schamane durchaus auf unangenehme Weise für falsche Prognosen haftbar gemacht werden kann, kann sich der Visionär bei anders verlaufender Zukunft mit dem „Tentativen des Versuchs“ – wie ein neuhochdeutscher Pleonasmus lautet – herausreden. Die Vision ist letztlich eben doch nur von dieser Welt. So blieb von manchen Visionen der späten Neunzigerjahre wenig übrig, wie zum Beispiel vom Heilsversprechen der „Laptops im Schulranzen“, die ein „lebenslanges Lernen“ erleichtern würden.

Ein weiterer imponierdeutscher Leitbegriff ist die Innovation. Ursprünglich dem Bereich der Technik entliehen, bezeichnen Innovationen anstehende und berechtigte Veränderungen, die nicht von selbst geschehen, sondern aktiv (besser noch: proaktiv) herbeigeführt werden, gern übrigens auch von Visionären, die sich damit zu Agenten des Wandels mausern. Die Innovation versteht sich von selbst. Sie steht an, ob sie gefällt oder nicht. Mit ihr wird einem Naturgesetz Geltung verschafft. Sie nennt sich bewusst nicht Verbesserung. Denn damit müsste sie sagen, für wen. Ähnlich einer technischen Weiterentwicklung ist sie rein sachlich und versteht sich als sachgerecht. Innovationen haben sich daher auch nicht moralisch zu rechtfertigen. Im Gegenteil: Ihre quasi naturgesetzliche Autorität kann unter moralischem Diktat nur leiden. Gesellschaftliche Innovationen sind daher als strukturelle Notwendigkeiten zu verstehen. Der Innovator macht sich nur zum Werkzeug einer ohnehin und unabwendbar eintretenden Zukunft. Indem er ihr aber möglicherweise noch vor der Zeit zum Durchbruch verhilft, darf er einen Mitgestaltungsanspruch geltend machen. In jedem Falle aber ist er Wegbereiter einer höheren Gewalt, nämlich jener des Wandels, den wir freudig annehmen sollten, wenn wir uns nicht als Bedenkenträger oder Strukturreaktionäre selbst ins Abseits stellen wollen.

Diese dürre Geschichtsphilosophie, die in ihrem mechanistischen Denken kurioserweise an die unerbittliche und irrige Zwangsläufigkeit des Vulgärmarxismus denken lässt, läuft auf eine politisch und kulturell kaum zu beeinflussende Wettbewerbsgeschichte hinaus, in der vor allem die Innovationsbereitschaft des Einzelnen zählt. Neuerungen sind aus dieser Sicht grundsätzlich bestehenden Traditionen überlegen und verdienen den Vorzug vor Bewährtem, ohne sich rechtfertigen zu müssen.

Ihre Berechtigung leiten die Innovationen nicht aus dem Blick auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft ab, nämlich aus der Forderung nach Zukunftsfähigkeit. Dabei wird vergessen, dass wir uns prinzipiell auf eine Zukunft vorbereiten, die wir nicht kennen. Es gilt dennoch, sich fit für die Zukunft zu machen. Fitness in diesem Sinne bezeichnet nicht nur die Instandhaltung des Körpers, seine Optimierung, sondern auch die laufende Aktualisierung der Managementfähigkeiten. Zukunftsfähigkeit ist ein vermeintlich ideologiefreier Begriff, weil er keine konkrete Utopie verkörpert, sondern sich auf das Management gesellschaftlichen Überlebens konzentriert, mit der Wettbewerbsfähigkeit als Maßstab. Der Begriff breitet sich inzwischen in allen politischen Lagern aus, sodass er seinen sozialdarwinistischen Beiklang verliert und damit vollends sinnentleert ist.

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