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Ausdrucksstärke durch feine Abtönung
ОглавлениеFrüher nannte man sie verächtlich „Füllwörter“: jene kleinen, unscheinbaren Wörter, von denen es immer wieder heißt, sie seien nur eine Verlegenheitslösung. Zum Beispiel denn. Wir verwenden es zunächst vor allem als Konjunktion, und zwar dann, wenn wir einen auf der Hand liegenden Grund anzeigen wollen: Die Wasserrohre sind geplatzt, denn es hat Frost gegeben.17 Aber wir können denn auch in einem ganz anderen Sinne gebrauchen: Wir sehen zum ersten Mal das Kind des neuen Nachbarn. Wie fragen wir nach seinem Namen? „Wie heißt Du?“ Das wäre ziemlich brüsk. Und so fragen wir: „Wie heißt du denn?“ Auf diese Weise ist die Frage vermittelnder, abgeschwächt, abgefedert. Wir fragen, aber wir entschuldigen uns zugleich ein wenig dafür, dass wir fragen. Es ist eine feine Zusatzbedeutung, die uns die deutsche Sprache da an die Hand gibt und die es uns erleichtert, unsere Mitteilungsabsicht auf den Anderen und auf den Mitteilungsinhalt abzustimmen. Man nennt diese kleinen Wörter deshalb auch „Abtönungspartikel“. Der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg nennt sie bewundernd „Zaunkönige im Pelz der Sprache“.18 Sie geben unserer Frage oder unserer Äußerung einen bestimmten Ton, sie helfen uns, nicht gleich mit einer kruden Behauptung oder mit der direkten Frage ins Haus zu fallen. Diese Abtönungspartikel haben keine gegenständliche Bedeutung, sondern sie haben eine kommunikative Funktion. Aber diese ist sehr nützlich. Glücklicherweise haben wir die kleinen Wörter zur Hand wie aber, auch, bloß, doch, eben, etwa, halt, ja, schon, vielleicht, wohl.19
„Mach’s halt!“, sagt der Vater zum Sohn, der zum dritten Mal der Aufforderung der Mutter nicht nachkommt, endlich sein Zimmer aufzuräumen. In diesem halt liegt etwas Kameradschaftliches. Es benennt einen guten Rat; ganz anders, als wenn der schlichte und grobe Befehl „mach’s!“ geäußert würde. Die kleinen Partikeln sorgen dafür, dass unsere Aussagen geschmeidiger werden: In dem Satz „Er weiß schon, was er tut“ hat das schon eine beschwichtigende Funktion. Das schon sagt uns: Komm, mach dir nicht solche Sorgen, hab‘ ein wenig Vertrauen, alles wird gut. Ohne das schon ist der Satz pure Behauptung. Das schon aber relativiert die Behauptung hin zu einer wohlwollenden Vermutung. Diese Abmilderung des Wahrheitsanspruchs macht die Aussage akzeptabler.
„Du weißt ja, dass ich das nicht mag“, sagt die Mutter zum Sohn, der gerade wieder einmal alle Türen offenstehen lässt. Und das kleine ja hebt die Bekanntheit der mütterlichen Aversion hervor. Eigentlich, so lässt die Mutter zwischen den Zeilen erkennen, müsste sie den Satz gar nicht mehr sagen, so genau weiß der Sohn, dass sein Verhalten unerwünscht ist. Aber sie sagt es zur Sicherheit doch, und das ja zeigt an, dass sie es nur tut, weil sonst wohl nichts fruchtet.
Ähnlich ist es mit mal in dem Satz: „Gib mir das mal.“ Das mal zeigt einen vertrauten Umgang an. Höflicher wäre gewiss „Könntest du mir das bitte geben?“ Aber wenn die Zeit drängt und die Sprache kurz ausfällt, rettet das mal die Verbindlichkeit der Ansprache. Noch ist es eine Bitte, die hier geäußert wird, und keine direkte Anweisung.
Ein schönes Beispiel für Abtönung ist auch das gell? des Bundespräsidenten Joachim Gauck beim Besuch des italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano im März 2013 in Berlin. Der damalige Oppositionsführer Peer Steinbrück hatte zuvor italienische Politiker als Clowns bezeichnet, was Napolitano unpassend fand. Dazu Gauck: „Manches kommentiert sich eben von selbst, gell?“. Diese dialektale Form des Fragens war überaus geschickt, denn dadurch wurde die vorherige kritische Äußerung zu einer leicht schelmischen Nebenbemerkung abgewandelt. Das Gauck‘sche gell? war auch insoweit auffällig, als der Bundespräsident bekanntlich keine Neigungen zu süddeutscher Sprachfärbung hat. Sein blitzschnelles Ausweichen in eine Abtönungspartikel, die anders als das förmliche nicht wahr? eine gewisse Gemütlichkeit ausstrahlt, zeugt von rhetorischer Meisterschaft. – Die Besonderheiten des Deutschen auch in diesem scheinbar nebensächlichen Kapitel erhellen sich im Kontrast mit anderen Sprachen. Das Französische beispielsweise verwendet solche Partikel viel seltener und hat auch weniger davon. Die Folge ist, dass bei einem Übersetzungsvergleich rund 60 Prozent der deutschen Abtönungspartikel im Französischen entfallen. Ich erinnere mich deutlich, wie ich in meinen ersten zwei Jahren in Frankreich nach Ausdrücken von Spontaneität und Abtönung in der wörtlichen Rede suchte und wie oft ich einsehen musste, dass es auf die deutsche Art im Französischen nicht ging.20
Die von Nicht-Muttersprachlern so empfundene Distanziertheit des Französischen führt der rebellische Sprachkritiker Claude Duneton übrigens auf eine künstliche Vornehmheit seiner Muttersprache zurück. Sie sei eine Sprache des Hofes, der Pariser Aristokratie, geprägt von kalten und mittelmäßigen Dichtern und erstarrt unter dem volksfernen Diktat logischer Strenge, grammatischer Starrheit und exzessiver Sprachreinigung.21 Diese ideologische Sicht ist gewiss überzogen und einseitig. Nicht zuletzt übersieht sie, dass in der französischen Sprache auch die große Revolution stattgefunden hat und dass dieser bedeutende sprachliche Werke, darunter auch die brillanten und zugleich höchst respektlosen eines Diderot, zugrundelagen. Aber vielleicht ist doch etwas an Dunetons Kritik und damit auch an der These, dass das Deutsche sich als Sprache des Bürgertums gegen das an deutschen Fürstenhöfen bevorzugte Französisch herausgebildet hat: als eine Sprache, die den reichen Ausdruck der Gefühle und Regungen eher fördert.