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Mühelose Wortbildung
ОглавлениеBeginnen möchte ich mit etwas Erfreulichem, mit einem Lob der deutschen Sprache. Ein großer Vorzug ist ihr Wortschatz. Bleiben wir einen Moment bei diesem Begriff, Wortschatz. Wir nennen unser Vokabular nicht umsonst so, auch wenn wir kaum an die eigentliche Bedeutung von Wortschatz denken. Die Metapher Schatz ist verblichen. Schade eigentlich. Der Romanist Hans-Martin Gauger führt sie uns vor Augen: „Zur Sprachkultur gehört auch und vor allem das ‚Gefühl‘ oder das erlebte Wissen, dass wir in unserer Sprache einen Reichtum vor oder eigentlich hinter uns, hinter unserem Sprechen nämlich, haben […].“1
Der deutsche Wortschatz ist sehr umfangreich. Bei den Standardwörterbüchern großer europäischer Sprachen liegt das Deutsche mit 200.000 Wörtern (im Großen Wörterbuch der deutschen Sprache des Duden) hinter dem Oxford English Dictionary mit 620.000 Wörtern (das allerdings die englische Sprache der letzten 1000 Jahre dokumentiert), aber vor dem französischen Grand Robert mit 100.000 Wörtern. Der Bericht zur Lage der deutschen Sprache aus dem Jahr 2013 ermittelte aus einem Korpus von Presseartikeln, Belletristik und wissenschaftlichen Texten eine deutlich höhere Zahl: 5,3 Millionen Wörter. Wenn man alle Sondersprachen und Wissenschaftssprachen hinzuzählt, dürften es noch einmal deutlich mehr sein; die Schätzungen gehen bis zu 30 Millionen.
Warum ist der deutsche Wortschatz so umfangreich? Wegen einer Besonderheit, die man nicht genug rühmen kann: die seiner fast unbegrenzten Kombinierbarkeit. Das Deutsche erlaubt es, ja lädt geradezu dazu ein, neue Wörter aus bestehenden zusammenzusetzen, und zwar so, dass man aus den zusammengesetzten Wörtern meist die neue Bedeutung gleich schon herauslesen kann. Man muss also nicht wie zum Beispiel im Spanischen erst einmal das aus dem Griechischen stammende Wort pediatra lernen, das keinerlei Beziehung zum romanischen Wortschatz hat, um zu wissen, dass es sich um einen Kinderarzt handelt; im Deutschen erkennt man aufgrund des Wissens um die Bedeutung von Arzt und Kind auf einen Blick die Bedeutung des neuen Begriffs Kinderarzt. Das mag dem einen oder anderen schlicht und naiv vorkommen. Die deutsche Wortbildung ist aber vor allem eines: leicht verständlich.
Und dann ist diese Mechanik des Kombinierens noch etwas anderes: leicht handhabbar und deshalb unglaublich produktiv. Hat man die Kombination von Kind und Arzt einmal gefunden, kann man alle anderen Bezeichnungen für die Arztberufe genauso konstruieren und verstehen: Frauenarzt, Zahnarzt, Tierarzt, ja sogar bis zum komplexen Hals-, Nasen-, Ohrenarzt reicht die Spannweite. Durch Kombinationen kann der deutsche Wortschatz aus vertrauten Elementen beliebig erweitert werden.