Читать книгу B'tong - Roland Platte - Страница 10

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4.

Die Kinder kommen laut schreiend an den Wohnzimmertisch gelaufen, wo Sybille konzentriert die Notendiktate ihrer Musikschüler korrigiert.

- Mama, Mama, Jako will mit den echten Holzkegeln spielen, aber dafür ist er doch noch zu klein.

- Das ist gar nicht wahr. Ich bin nicht zu klein. Ich bin fast genauso groß wie du, du coole Kuh.

- Siehst du, du bist doch zu klein. Das heißt gar nicht "coole" Kuh, wenn, dann heißt das "uncoole Kuh". Aber erstens sagt man das so nicht, sondern man sagt "dumme Kuh" und außerdem bin ich gar keine dumme Kuh. Aber du, du bist ein ganz kleiner, ganz dummer und ganz hässlicher Esel!

Sybille schaut von ihrer Arbeit auf und betrachtet ihre Kinder, die jetzt um den Tisch herumlaufen, die stichelnde Schwester vorneweg, verfolgt von ihrem aufgebrachten Bruder. Keines ihrer Kinder ist nach ihr gekommen. Bei beiden hat sich wohl das männliche Saatgut Carstens durchgesetzt. Heißblütig, geradlinig, unmittelbar. Eigentlich schade. Niemand ist so wie sie. Wenigstens nicht in ihrem Bekanntenkreis. Auch nicht unter ihren Freunden und soweit sie zurückdenken kann, hat sie in ihrem Leben eigentlich nie jemand getroffen, der so ist, wie sie selbst.

Das Eigenartige ist, das sie lange Zeit gar nicht wusste, wer sie war. Erst als sie im Gymnasium in ein Alter kam, in dem Jugendliche sich gegenseitig bewusst beobachten, miteinander kommunizieren, sich öffnen, da hatte man ihr gesagt, dass sie so ziemlich das eigenartigste Mädchen sei, das jemals auf diese Schule gegangen sei: Ein übergroßes Paar Augen, verbunden mit einem übergroßen Gehirn, das Ganze serviert mit einer Überdosis an Introvertiertheit.

- Mama!

Jana und Jako sind inzwischen stehengeblieben und rütteln ihre Mutter wach. Sie mögen es nicht, wenn Sybille 'steckenbleibt'. So nennen es die Kinder, wenn sie tagträumt oder auch einfach nur Löcher in die Luft schaut. Meistens hören sie dann von ganz allein zu streiten auf. Jana hat sogar einmal Carsten gebeichtet, dass Sie Angst habe, dass Mama eines Tages ganz 'steckenbleiben' würde. Hoffentlich bleibe ich eines Tages nicht wirklich stecken, seufzt Sybille.

- Jaaaa, was ist denn? Ihr wisst doch, dass ich zu tun habe. Bis morgen muss ich diese Arbeiten korrigiert haben. Wollt ihr nicht noch ein bisschen im Garten spielen?

- Nö. Wir haben Hunger. Wann kommt denn Papa wieder nach Hause? Habt ihr euch gestritten?

- Nein, ihr wisst doch, dass wir uns nie streiten.

- Ja, du nicht, aber Papa.

- Ja, dann streitet eben Papa alleine.

- Mama, kann man denn alleine streiten?

- Schluss jetzt, ihr spielt noch eine halbe Stunde und um 7 gibt es dann Abendessen, mit oder ohne Papa. Essen können wir ja alleine, oder nicht?

Sybille vertieft sich wieder in ihre Korrekturarbeit und muss sich wiederholt über einen Schüler ärgern, der sonst immer gute Arbeit geleistet hat. Einer ihrer Lieblingsschüler an der Musikschule. Sie liebt Schüler wie diesen, wenn diese nicht (nur) von einer ewig eintönigen Intuition getrieben werden, die zumeist nichts anderes als eine verzerrte Reproduktion der letzten Hits hervorbringt, sondern wenn Schüler Musik mit Intelligenz betrachten, und vielleicht sogar mit mathematischem Verständnis. Sie ist ohnehin der Ansicht, dass Musik mehr mit Mathematik als mit Intuition, Sinnlichkeit oder Gefühl zu tun hat. Oder anders ausgedrückt, wenn die mathematische Grundstruktur einer Komposition stimmt, dann kann das zuweilen Hochgefühle verursachen.

Plötzlich muss sie stocken. Der Schüler hat zwischen zwei Noten eine Art dicke Gurke gezeichnet. Oder sollte es einen Penis darstellen? Sie hält das Notenheft unter die Lampe. Eine zufällige Strichkombination oder ein männliches Geschlechtsteil? Zufall oder Provokation? Provokation oder ungezügeltes Verlangen eines jugendlichen Pubertierenden? Hat es im Unterricht irgendwelche Anzeichen, Vorläufer eines solchen Verhaltens gegeben?

Sie versucht sich die letzte Unterrichtsstunde zu vergegenwärtigen, kann sich aber an keinen auch noch so unscheinbaren Vorfall oder Blick oder sonst etwas erinnern. Ohne eine Entscheidung zu treffen, legt sie die Notenhefte beiseite und ruft Jana und Jako zum Abendessen in die Küche.

B'tong

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