Читать книгу B'tong - Roland Platte - Страница 11

Оглавление

5.

Carsten läutet die große Schiffsglocke, die über dem meerblauen Gartenzaun hängt. Er bewegt den wuchtigen Klöppel schon eine ganze Weile hin und her. Der Klang gefällt ihm, hat ihm schon immer gefallen, seitdem er Andros kennengelernt hat. Andros ist – auch wenn in Deutschland aufgewachsen - griechischer Herkunft, daher das viele Blau in Garten und Haus: der Zaun, die Haustür, die Schlagläden. Wobei Carsten sich nicht sicher ist, ob Andros jemals Griechenland zu Augen bekommen hat.

Carsten gefällt es auch, mit dem Glockenläuten den Nachbarn von Andros ein wenig auf den Wecker zu fallen. Er fühlt sich wieder obenauf, er hat in seinem Labor am Schreibtisch eine Strategie ausgebrütet und ist sich jetzt sicher, den richtigen Plan für sein weiteres Vorgehen zu besitzen. Und diesen Plan will er sich von Andros absegnen lassen, da ja von Sybille eine Zusage anscheinend nicht zu erwarten ist. Und Andros ist ja Künstler, oder Philosoph, Carsten weiß es eigentlich gar nicht richtig. Manchmal sieht er Andros an einer Skulptur arbeiten, manchmal schreibt dieser aus Carstens Sicht unverständliche Artikel in irgendwelchen philosophischen oder literarischen Fachzeitschriften. Also ist er Schriftsteller, denkt sich Carsten. Im Grunde genommen ist es ihm eigentlich egal.

Andros besitzt auf jeden Fall die notwendige geistige Höhe, die Reichweite seiner Erfindung nachvollziehen zu können. Und das macht Andros zu einem richtigen Freund. Außerdem hat er ja Andros noch gar nichts von seiner bahnbrechenden Schöpfung erzählt. Am liebsten hätte er es in die ganze Welt hinausposaunt: "Ich, Carsten Krause, habe den Betonverflüssiger erfunden!" Aber jetzt muss er sich erst einmal an seinen Plan halten, und der sagt ihm, vorsichtig mit seiner neuen Erfindung und der Formel umzugehen. Am besten ist es wohl, dass es so wenig Leute wie möglich wissen, bis er den notwendigen Rückhalt, die erforderliche Finanzierung gefunden hat.

Endlich geht die – blaue - Haustür auf und es erscheint ein ungefähr 45-jähriger Mann mit schwarzgrauen zotteligen Haaren und mit einem schwarzgrauen zotteligen Bart. Er erblickt Carsten und schiebt sich und seinen fülligen Bauch aus der Haustür hinaus.

- Carsten, was soll denn dieses Gebimmel, hab' schon genug Ärger mit den Nachbarn.

- Andros, komm lass mich endlich rein, ich hoffe, du bist mal ausnahmsweise alleine.

Mit einem großen, altmodischen Schlüssel öffnet ihm Andros das Gartentor.

- Ich bin fast immer allein, das weißt du doch. Du bist ja aufgedreht, was ist denn los? Nicht mal am Sonntag hat man seine Ruhe.

Andros' Haus ähnelt im Grunde genommen eher einer größeren Gartenlaube eines Schrebergartens oder einem kleinen schwedischen Häuschen, nicht von der roten, sondern von der blass gelben Sorte mit viel Blau. Das Ganze umgeben von einem kleinen verwachsenen Garten, mit unzähligen Büschen und Sträuchern, aus denen hier und da eigenartig geformte Skulpturen hervorschauen. An das Häuschen angebaut, eine kleine Terrasse aus Holz mit zwei alten Ikea Stühlen und einem noch älteren Nierentischchen.

- Setz dich doch. Ein Bier?

Carsten, viel zu aufgedreht, läuft auf der Holzterrasse umher, bleibt endlich am Geländer stehen, die wärmende Abendsonne im Rücken.

- Hast du vielleicht 'ne Flasche Schampus? Es gibt was zu feiern, ganz groß zu feiern.

- Na, endlich mal jemand, der nicht rumjammert. Gratuliere!

Andros verschwindet wieder in seinem Häuschen und erscheint nach einer Weile mit einer Flasche Champagner in der Hand.

- Hier, zwar nicht kalt, aber immerhin frisch, du weißt ja, einen Kühlschrank hab' ich nicht.

Er entfernt sorgsam die Aluminiumkappe samt Drahtgeflecht vom Hals der Flasche und versucht den Korken zu ziehen. Ungeduldig entreißt ihm Carsten ihm die Flasche.

- Doch nicht so umständlich! Das muss zack zack gehen!

Er schüttelt die Flasche, ruckelt heftig an dem Korken, bis dieser im großen Bogen in den Garten fliegt, gefolgt von der zischenden, sprudelnden Flüssigkeit.

Lachend richtet Carsten die Flasche auf sein Gesicht, um den Strahl in seinen Mund zu lenken.

- Sag mal, hast du sie nicht mehr alle? Das ist eine echt gute Flasche und du schüttest die Hälfte in den Garten, und die andere in deinen Kragen. Mann! Jetzt musst du mir aber einen verdammt guten Grund für eine solche Aktion nennen, sonst gibt's Ärger, das sag' ich dir.

Carsten lässt von der Flasche ab und reicht sie Andros.

- Ok, ich werde dich nicht länger auf die Folter spannen. Also, ich habe dir doch erzählt, woran ich letztlich gearbeitet habe. Nein? Sicher nicht? OK, also die ganze Geschichte fängt so an: Wir haben Kunden, die wollen mit Beton komplizierte Formen erzeugen. Und da gibt es manchmal das Problem, dass die Betonmasse nicht bis in die letzte Ecke der Verschalung gelangt, trotz des Vibrators.

- Kenne das Problem, hab' das manchmal auch, allerdings nicht mit Beton, sondern mit Wachs, wenn ich meine Skulpturen gieße.

- Naja, Beton ist schon etwas anderes als Wachs… Und da sollte ich von meiner Firma aus ein Mittel finden, das den Beton bei Anmischung flüssiger gestaltet, ohne dass er seine Härte verliert. Damit man ihn dann über mehrere Meter hinweg bis ans Ende einer Verschalung pumpen kann, er sich dort ordentlich verteilt, ausbreitet und genau in der Form hart wird, die vom Architekten, beziehungsweise vom Ingenieur gefordert wird. Ohne Löcher, ohne Risse, ohne Beanstandungen.

- Ok, ist ja sehr interessant. Und das hast du geschafft?

- Nein, nicht ganz, nur den 1.Teil.

- Und darauf bist du jetzt stolz? Auf halbe Arbeit?

- Wenn du wüsstest. Ich habe ein Mittel erfunden, mit dem man Beton verflüssigen kann!

- Beton ist doch immer erst flüssig und wird dann fest.

- Ja richtig, aber mit meinem Betonverflüssiger wird er wieder flüssig, auch wenn er schon mal hart war!

- Verstehe, Andros überlegt eine Weile. Und jetzt liegt dir die Welt zu Füßen?

- Na klar! Stell dir mal vor, ich hab's eben schon versucht, Sybille zu erklären: du hast ein altes hässliches Gebäude aus den 70iger Jahren, meinen Betonverflüssiger drauf und was bleibt übrig? Sand, Kieselsteine, und die rostige Stahlstruktur, die man abschweißen kann. Alte Hochhäuser, die niemand mehr haben will. Betonverflüssiger, zack und weg damit.

Man braucht keine Sprengungen mehr, monatelanges Abbauen mit Presslufthammer, keine Gefahren, nichts mehr von alle dem. Einfach irre.

- Irre!

- Und bis jetzt musste ich mich immer schämen, bei den Betonwerken zu arbeiten, einer Zementfirma, die dazu beiträgt, unsere schönsten Landschaften platt zu walzen, Häusermeere zu errichten, alles Leben zu zerstören in diesem Land, auf unserer Erde. Und das in der Forschungsabteilung, damit sie alles noch besser, noch schneller und noch effizienter zubetonieren können.

- Naja, hat dir ja auch ganz schön was eingebracht bis jetzt.

- Hält sich stark in Grenzen, aber damit ist jetzt Schluss. Endlich habe ich einen Weg gefunden, auf der richtigen Seite zu stehen. Auf der Seite, wo dieser heillose Beton abgebaut wird.

- Du willst also die Erfindung für dich behalten und bei den Betonwerken kündigen.

- Woher weißt du das? Hat dich Sybille angerufen?

- Nein, aber das hast du doch gerade gesagt. Wenigstens kann man das deinen Worten entnehmen.

Carstens Freude steigert sich noch bei so viel Verständnis seitens Andros.

- Du hast es kapiert. Aber ich werde nicht nur den elenden Beton bekämpfen können, ich werde darüber hinaus auch noch steinreich werden!

- … und dir dann selbst ein Betonhaus bauen…

- Haha, sehr lustig. Nein, aus seltenem exotischem Holz, das ich speziell aus Brasilien kommen lasse, nachdem sie dort einen ganzen Urwald abgeholzt haben. Andros, ich bin doch nicht blöde. Komm, jetzt lass uns einen darauf trinken. Er nimmt die Champagnerflasche, setzt an und trinkt einen kräftigen Schluck, dann reicht er die Flasche Andros weiter, der es ihm gleichtut. Anschließend erhebt sich Andros und stellt sich ans Geländer, um im Garten auf seine Skulpturen zu blicken.

- Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass es keine einzige Erfindung geschafft hat, nur Positives zu bewirken? Dass eigentlich der Effekt eines Großteils von Erfindungen nach hinten losgegangen ist?

- Wie meinst du das?

- Na, wie ich es sage: Die meisten menschlichen Erfindungen bringen letztlich nur Ärger und Verdammnis.

- Na, du bist ja heute richtig gut drauf.

- Nein, mir geht es gut, glaub mir, ich bin ganz normal. Aber jetzt schau doch mal: die Erfindung des Kraftwagens: Zuerst alles super, dann unzählige Unfallopfer, endlose Straßennetze, Krach, Lärm, Gestank, kurz, das Auto hat uns die schlimmste Umweltkatastrophe überhaupt gebracht. Oder bleiben wir bei deinem Job: Beton! Beton hat eine Baugeschwindigkeit in die Wege gebracht, die nicht mehr zu bremsen ist. Die Erfindung ist so umwerfend, dass sie sich quasi verselbstständigt hat.

- Ja, aber genau dagegen kann ja mein Betonverflüssiger vorgehen. Er ist das Wundermittel!

- Denkst du?

- Ja klar!

- Weißt du, wer den Bauwahnsinn, den Betonwahnsinn überhaupt nur stoppen kann?

- Wer?

- Der Mensch! Aber solange der ein primitives egoistisches Gehirn hat, solange wird er alles machen, um eine ihm fremde Umwelt mit allen vorhandenen, möglichen Mitteln in seine Umwelt zu verwandeln. Und seine Umwelt ist eine andere als eine lebensfähige Umwelt.

- Ich kenne dich gar nicht so. Sonst hörst du immer fein zu und gibst interessante Ratschläge. Jetzt, wo ich einmal in meinem Leben etwas Interessantes erfunden habe und der Gesellschaft einen wertvollen Dienst erweisen könnte, kommst du mit so einer Weltuntergangs-Philosophie.

- Hm.

- Aber ich lass mich davon nicht unterkriegen, hörst du? Ich weiß jetzt, was ich machen muss. Und auch, wenn ich nur ein kleiner Goliath bin, ich werde es allen zeigen. Hoch lebe der Betonverflüssiger!!!

- David, Carsten, David!

- Was?

B'tong

Подняться наверх