Читать книгу B'tong - Roland Platte - Страница 18

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12.

Neonröhren leuchten schrill in allen Farben von den Decken und Wänden, hundertfach verdoppelt und verdreifacht von unzähligen Spiegeln, die der Kneipe einen hippen Look verleihen sollen. Aber noch lauter als das Licht ist die dröhnende Musik vermischt mit dem Geschrei der Kids, die brüllen müssen, um sich überhaupt verstehen zu können.

Andros liebt diese Kneipe nicht, aber Carsten hat ihm hier ein Date gegeben. Und wenn Carsten in dieser Verfassung ist, dann sollte man besser einfach das machen, worum er bittet oder klarer ausgedrückt, was er verlangt. Andros spielt mit dem Bierdeckel, ein bisschen nervös, denn er wartet schon eine ganze Weile. Er hat jetzt schon mehr als genug Zeit gehabt, sich die Jugendlichen anzuschauen, die im Vergleich zu seinen jungen Jahren sich doch um einiges gewandelt haben, wenigstens im äußerlichen Erscheinungsbild. Die Haare sind zwar wieder recht lang aber irgendwie sehr sorgfältig um den Schädel herum gekämmt, kaum einer trägt ein T-Shirt oder Hemd ohne Werbung, manche haben sogar noch irgendein Logo oder eine Aufschrift auf ihrer Kopfbedeckung.

Was aber vor allem angesagt scheint, sowohl bei den Mädchen als auch bei den Jungs, sind Tattoos. Anscheinend haben diese sich also gegenüber den Piercings behaupten können, denkt Andros und wischt sich nach einem kräftigen Schluck Bier den Schaum von den Lippen. Er hat nichts gegen Tattoos, warum auch. Für Schönheit soll man bekanntlich leiden. Das einzige was ihn daran stört, ist, dass diese Mode von der Rockerszene übernommen wurde, nachdem diese schon jahrelang blaue Totenschädel oder vollbusige Pin-ups auf ihren fetten Oberarmen und Bäuchen mit ihren stinkigen Harleys durch die Gegend gefahren hatte.

Was ihn aber gerade noch mehr beschäftigt, ist der Anblick der Mädchen. Highheels, Minirock oder enge Leggins, dazu Ausschnitte bis zum Gehtnichtmehr oder noch weiter.

Zu seiner Zeit, hätte er mit so einer Biene nicht das geringste Wort gewechselt. Damals war es Natürlichkeit, Gesundheit, Busenfreiheit, was ihn angemacht hatte.

Heute …gesteht er sich ein, heute bin ich ein alter sentimentaler Knacker und bereue, nie etwas mit so einer aufreizenden, jungen grell geschminkten Tussi zu tun gehabt zu haben. Obwohl, … war da nicht mal so ein Mädchen? Während er überlegt, schaut er sich die kurzen Hosen der Mädchen, ihre bunten Strumpfhosen, ihre scharfen Schuhe an. Er hätte einiges dafür gegeben, herauszufinden, was in ihren Köpfen vorgeht.

- Hier ist sie!

Carsten steht neben ihm und knallt stolz ein in Sichtfolie gehülltes Papier auf den Tresen.

- Was ist denn das?

- Na, die Patenturkunde, du Esel!

- Patenturkunde? Für was?

Andros ist noch dermaßen in seine Betrachtungen vertieft, dass er zunächst gar nicht versteht, was Carsten ihm da zeigt. Er bemerkt lediglich die gold-rote Umrandung und den deutschen Adler.

- Na, für was wohl? blafft ihn Carsten an.

Da fällt Andros der Groschen.

- Wie, so schnell geht das?

- Eilverfahren! Meinst du, ich lass mich von irgendwem überrunden? Bin ja nicht der Leo! Du auch noch eins? Er dreht sich zum Barkeeper und bestellt zwei Pils. Ist dir eigentlich aufgefallen, dass jedes Mal, wenn wir uns sehen, es etwas zu feiern gibt?

Der Junge hinterm Tresen stellt die beiden Biere auf der Urkunde ab.

- Sag mal, geht's dir noch gut?

Carsten beugt sich ungestüm über den Tresen und packt den jungen Mann am T-Shirt.

- Das machst du nicht noch einmal, kapiert? Das ist eine wertvolle Urkunde, du Idiot, die ist so viel wert, wie du, deine Eltern zusammen mit deren Großeltern in eurem ganzen Leben nicht zusammenstottern könnt. Da stellt man kein Bier drauf!

Andros ist aufgesprungen und versucht, Carsten zurückzuziehen.

- Lass doch den Jungen in Ruhe, Carsten, du spinnst ja. Woher soll der das denn wissen. Was kommst du auch damit her? So ein Schwachsinn!

Carsten lässt knurrend von dem Jungen ab, der ihm den Vogel zeigt, während er sich sein Hemd zurechtrückt. Carsten ergreift hastig die beiden Biere von der Folie und stellt sie vor sich und Andros.

- Weißt du was, die Urkunde hat sowieso keinen großen Wert. Die Beschreibung des Betonverflüssigers liegt jetzt dort im Amt und das ist es, worauf es ankommt.

- Sah gerade aber nicht so danach aus. Warum bist du denn so aggressiv? Was sollte das denn jetzt? Wolltest du den gerade verprügeln, oder was? Hast du dich denn mal umgeschaut hier. Wir sind die einzigen Mittvierziger hier, die einzigen Ollen. Ein Glück, dass es hier so laut ist und kaum jemand etwas gemerkt hat, sonst hätten die uns hier noch eine verpasst.

- Quatsch, die Kids doch nicht. Das sind doch alles noch Milchbubis.

- Mensch Carsten, manchmal hab‘ ich das Gefühl, ich kenn' dich nicht mehr. Also komm, lass uns anstoßen.

Carsten trinkt gierig fast das ganze Glas leer, Andros nippt am Rand.

- Wie hast du das alles nur so schnell hingekriegt. Ich meine, hast du schon den Betonwerken gekündigt? Bist du dir sicher, dass du da nicht ein bisschen zu ungeduldig vorgehst?

- Bei den Betonwerken bin ich raus, ich hab' denen noch schnell eine neue Lösung zusammengebraut, übrigens, ganz nebenbei gesagt, noch eine überragende Erfindung, und dann hab' ich dem Zelter meine Kündigung auf den Tisch geknallt. Mensch, du hättest sein Gesicht sehen sollen. Ich habe mich nämlich selbst fristlos entlassen!

- Geht das denn?

- Nö, hab' ich aber. Ich habe sämtliche noch anstehenden Urlaubstage einberechnet und so konnte ich als freier Mann die Betonwerke verlassen. Geil, oder nicht?

- Naja, ich weiß nicht.

- Ich weiß aber! Und deswegen wollte ich, dass wir uns hier treffen. Kannst du dich noch daran erinnern, als wir so alt waren, wie die Kids hier? Da hatten wir noch Träume, da wollten wir die Welt verändern, da wollten wir Atomkraftwerke lahmlegen, Tropenwälder schützen, mit dem Fahrrad in die Eifel fahren, Ökohäuser bauen, Biojoghurts essen und was weiß ich alles. Und was haben wir gemacht?

- Naja, ich war schon in vielen politischen Versammlungen und habe …

- Quatsch, wenn ich das schon höre: "ich war schon in vielen politischen Versammlungen…" und du bist wohl auch mit dem Aufkleber "Atomkraft - Nein Danke" herumgefahren, oder? Na super! Ich gratuliere! Weißt du was? Wir haben überhaupt nichts gemacht, weder du noch ich, noch Sybille noch sonst wer. Wir haben lediglich das große Maul aufgerissen, wir waren ALTERNATIV, ja klaaar! Und haben gescheite Bücher von gescheiten Leuten gelesen und dann darüber mit anderen gescheiten Leuten diskutiert. Alles Bio-Alternativ-Atom-Nein-Danke-Leute. Aber gehandelt, echt gehandelt, wer hat das schon? Weißt du, wie ich das nenne, was wir hatten? Ich sag's dir, das nenne ich eine "Einstellung". Wir hatten lediglich die ordnungsgemäße, coole Einstellung. Sonst nichts. Kein Handeln, keine Aktionen, kein Nichts. Gar Nichts.

Beflügelt von seiner Rede, nimmt er einen zu großen Schluck Bier und verschüttet die Hälfte über sein Hemd.

- Shit!

- Sag mal Carsten, seit wann bist du eigentlich so umweltbewusst?

- Na, war ich doch schon immer.

- Und deshalb hast du zunächst Bauingenieur und dann Chemie studiert? Wolltest wohl die Gesellschaft von innen renovieren?! Sozusagen der Weg durch die Instanzen der Chemie? Andros grinst ironisch.

- Aber das ist doch genau, was ich sage. Du machst Kunst und ich bin Ingenieur. Mit Kunst hat noch nie jemand die Welt verändert und als Ingenieur eigentlich auch nicht. Wir haben es noch nicht mal geschafft, unsere so großartige Weltanschauung den Kids zu übertragen, geschweige denn der so großartigen liberalen Gesellschaft.

- Weißt du, was ich denke?

- Nee, aber ich bin sicher, ich werde dich nicht davon abhalten können, es mir zu sagen. Also schieß schon los, ich höre. Carsten wendet sich an den jungen Mann hinter dem Tresen. Herr Ober, bitte noch ein, äh zwei Biere, aber diesmal nicht auf meine Papiere bitte!

- Ich denke, du suchst jetzt nur eine Rechtfertigung für ein neues Leben. Aber warum, das verstehe ich nicht. Du willst mit deiner Erfindung Geld machen, das darfst du doch auch.

- Mensch Andros, du liegst total daneben. Geld ist mir völlig egal. Man muss es nur haben. Ich möchte wirklich etwas für die Umwelt tun. Aber ich will damit auch groß rauskommen. Ich habe die Nase voll von meinem kleinen Leben, ich will der Nachwelt etwas hinterlassen, mein Name soll bei Wikipedia an erster Stelle stehen. "Carsten Krause hat mit seiner genialen Erfindung, dem Betonverflüssiger, der Menschheit einen großen Schritt in eine umweltbewusste Zukunft verschafft." So ungefähr soll es dann dastehen. Das hat doch Stil, oder nicht?

Andros schüttelt verzweifelt den Kopf.

- Du willst für einen Eintrag im Netz die Welt verändern? Mensch, Carsten, du hast sie ja nicht mehr alle! Ich glaube, der junge Barkeeper hat recht gehabt, die Biere auf deiner güldenen Patenturkunde abzustellen.

Carsten dreht sich zum Tresen und muss entgeistert feststellen, dass zwei frisch gezapfte Biergläser mit überlaufenden Schaumkronen auf der Urkunde stehen, dahinter an die Kaffeemaschine gelehnt, zwei frech winkende Kellner.

B'tong

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