Читать книгу B'tong - Roland Platte - Страница 9

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3.

Carsten hat genervt das Haus verlassen und ist zu seiner Firma gefahren.

Da es Sonntag ist, sind alle Arbeitsplätze verlassen, seine Schritte verhallen, als er die Gänge bis zu seinem Labor abläuft.

Mit gemischten Gefühlen betrachtet er seinen Experimentiertisch, auf dem unzählige Reagenzgläser, Kolben, Röhrchen zu einer unübersichtlichen Anlage aufgebaut sind, zusammengehalten von einem komplexen Stahlgestänge aus Halterungen und Schraubzangen. Hier und da ein Bunsenbrenner oder eine Mischanlage.

Dazwischen entdeckt er den kleinen Betonwürfel, auf dem er immer wieder aufs Neue mittels einer Pipette Tropfen verschiedener Lösungen geleert hatte, bis es endlich geklappt hat. Der Beweis für den Durchbruch ist das kleine Loch in dem Klötzchen.

Er nimmt den Würfel in die Hand, betrachtet ihn lächelnd, hebt ihn vors Auge und schaut durch das Loch aus dem Fenster in den Firmenpark.

Wieso kann Sybille sich nie für etwas begeistern? Hat sie denn überhaupt kein Feuer im Hintern? Warum ist sie bloß immer eine + - 0 Frau? Immer ruhig, immer verhalten, immer abwartend, immer ausgeglichen.

Er holt einen Glaskolben aus einem Schrank und füllt diesen bis zu einem Messstrich mit einer goldbraunen Lösung aus einer mit einem Totenkopf versehenen Flasche.

Nervig! Ok, er muss sich ja eingestehen, dass es genau diese Ruhe war, diese ruhige, ausgeglichene Erscheinung, die ihn anfangs an ihr so fasziniert hatte. Damals war sie neu in die 12.Klasse gekommen. Madonnenhaft schön war sie gewesen, mit langen, sehr langen blonden, strähnigen Haaren und einem ruhigen, fast ein bisschen streng wirkenden Blick, der noch verstärkt wurde durch die schmalen farblosen Lippen. Die meisten Jungs aus der Klasse hatten sich daher nicht so richtig an sie herangetraut oder in ihrer Anwesenheit nur irgendwelches dummes Zeugs gefaselt. Sogar die Mädchen hielten einen gewissen Abstand zu ihr, auch wenn man nicht sagen kann, dass Sybille nicht aufgenommen wurde in die Klassengemeinschaft. Sie hatte es sofort geschafft zur Klassensprecherin gewählt zu werden, und das nach nur einem Monat als neue Schülerin.

Carsten hatte damals gleich gesehen, dass sie intelligent war, und das liebte er an ihr von Anfang an. Ihre ruhige Art und ihre einsichtsvolle Anmut, was auch immer er darunter verstand. Als begabter und scharfsinniger Draufgänger hatte er es geschafft, sie "rumzukriegen", wie das damals hieß. Wohl hatte auch sie ein Faible für 'seine’ Intelligenz gehabt. Er hatte sie dann voll begehrt, hatte heftig um sie geworben, bis er sie endlich soweit hatte. Aber sie, was hatte sie eigentlich damals empfunden? Er wusste es damals schon nicht und weiß auch bis heute diese Frage nicht zu beantworten.

Carsten gibt sich einen Ruck und öffnet den Kühlschrank, holt einen Eiswürfel heraus und lässt ihn in den Glaskolben fallen.

Was er nie verstanden hat, ist, dass sie dann Musik studieren musste. Musik! Er hatte gedacht, dass sie etwas zusammen studieren würden. Chemie wie er, oder auch zu Physik wäre er bereit gewesen, oder Biochemie. Aber Musik?

Er hat nichts gegen Musik, in seinem Labor plärrt ja den ganzen Tag ein Radio mit einem Musiksender ohne Nachrichten.

Erst als sie schon fast ein halbes Jahr zusammen waren, hatte er rein zufällig auf einer Geburtstagsparty entdeckt, dass sie sich am Klavier gar nicht schlecht anstellte. Sie hatte in jazziger Improvisationstechnik ein Geburtstagsständchen hingelegt, das von allen Anwesenden laut beklatscht worden war. 'Stille Wasser sind tief, hatte er sich eingestehen müssen, gemischt mit der Vorahnung, dass sie vielleicht noch mehr Geheimnisse in sich trug. Und eines davon kam dann, als sie zum Studieren zusammen in eine WG zogen. Eines Morgens wurde er von hohen, luftigen Tönen geweckt. Er war laut schimpfend auf gesprungen und musste feststellen, dass Sybille am offenen Fenster stand und den frühen Septembermorgen mit einem frischen Lied auf der Querflöte begrüßte.

Aber warum nur kann sie n i e aus sich rauskommen?

In den 14 Jahren ihres Zusammenlebens war sie immer ruhig geblieben, mit ihm, mit den Kindern, wohl in der Schule, in der sie arbeitete, immer, sogar dann und gerade dann, wenn er einen Koller hat und sich über etwas tierisch aufregt, bleibt ihr Blick ruhig auf ihn gerichtet, beinahe ausdruckslos, abwartend. Es macht ihn wahnsinnig.

Und nun hat er DIE Erfindung des Jahrhunderts gemacht, und sie bleibt stoisch. Nicht zu fassen.

Carsten schwenkt den Eiswürfel in dem Glaskolben, hebt schließlich das Glas, setzt es an und nimmt einen tiefen Schluck von der goldbraunen Flüssigkeit. Genüsslich seufzend, lässt er sich in seinen Bürostuhl fallen.

Aber nun geht es ja darum, wichtige Schritte in die Wege zu leiten. Und dazu muss er jetzt allein sein. Deswegen ist er an diesem Sonntagmorgen ins Labor gefahren: um zu überlegen, mit einem guten Whiskey im Gaumen.

Ohne Kinderlärm, ohne Spielsachen im Wohnzimmer, aber vor allem ohne den stillen Blick seiner Frau.

B'tong

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