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Kapitel 7

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elephantenhäute/ maroder kloster/ enzian in den hirnwindungen/ grimmscher blödsinn/ rrrrrrs und oiiiiiiiis und ssssss/ gottesarme wie blutwürste/ pferdeäpfel sammeln/ ein weib ist kein schiff/ das verwaiste schaf/ in romanischen bögen pinkeln/

Wölfflers Haus lag etwas abseits von der Straße. Eine sonderbare Mischung aus neubayrischem Bauernhaus Imitat und handgewerkelter Schrebergartenlaube, dekoriert mit zahllosen Überresten aus abgebrochenen Stadeln und Almhütten. Tonnenschwere Steintröge aus Viehtränken gehievt, zerfallenen Kuhställen entrissen, protzten neben den zerborstenen Stümpfen romanischer Säulen, die wohl aus einem maroden Kloster oder einem sanierungsbedürftigen Kirchenschiff entwendet worden waren.

Ein Grabstein, die Inschrift von der Zeit gelöscht, hatte sich unter einen Leiterwagen verirrt. Kutschen, deren Lackleder Bezüge von den Fährnissen der Jahre zerschunden waren wie die sonnengegerbten Häute der alten Frauen in der Kapelle, standen friedlich zur letzten Ausfahrt vereint in einer offenen Stallung. Ein Sammelsurium von Bruchstücken, Angedeutetem, Abgebrochenem, Umgestürztem, Platziertem und Deplatziertem war wahllos von einer herkulischen Sammelwut zusammengetragen worden, dessen Sinn allein in der Befriedigung der Obsession zu bestehen schien, alles auch nur etwas vom Alter aufgeraute entführen zu müssen. Das Sammelsurium war ja gefunden, abgeschwatzt, verhandelt, abgeluchst, ausgebuddelt, versteckt und klammheimlich wegtransportiert worden. Seilwinden, Traktoren, Sattelschlepper mit hunderten von Pferdestärken waren notwendig gewesen, um einige der tonnenschweren Stücke auch nur einige Zentimeter weit zu bewegen. »Der Mann muss ein Genie im Aufspüren, Feilschen und handwerklichem Erfindungsreichtum sein. Sonst hätte er nicht diesen Feiertagsanblick für einen Sammler anhäufen können«, fuhr es Paul durch den Kopf. Vor soviel geballter Kraft verblich »Friedas Dies und Das« zu einem kümmerlichen Kramladen. Kein Wunder, dass Alex hier sein großes Vorbild gefunden hatte, an dessen berserkerhaften Vitalität er wahrscheinlich nie würde heranreichen können.

Sie näherten sich vorsichtig dem Haus. Ein riesiger Schäferhund, hüfthoch, mit dem Kopf eines Kalbes, kam auf sie zugelaufen. Paul, der schon die Flucht ergreifen wollte, sah wie Alex stehenblieb und ein paar kaum verständliche bayrische Wortbrocken hervorbrachte. Er, der sonst von panischer Angst im Anblick eines Pinschers befallen wurde, und dessen Mutter einmal die Polizei gerufen hatte, weil ein winziger Dackel ihr den Hauseingang verstellte, fing an, diese Ausgeburt von Bissigkeit hinter den Ohren zu kraulen.

»Bongo ist harmlos. Das einzige, was du nicht machen darfst, ist, ihm den Rücken zuzukehren. Dann denkt er, du hast was geklaut und willst abhauen. Und Abhauen ist eine Todsünde in Wölfflers Reich«, klärte ihn Alex auf. Paul sah, wie Bongos Rute noch einmal in eine steife, unfreundliche Mittellage fuhr. Als er ihn trotzig anblickte, ging sie ganz langsam in ein freundliches Wedeln über. Aufatmen!

Das kurze Bellen des Hundes hatte das Haus geweckt. Von irgendwoher aus dem Haus kam eine Stimme. Bald darauf erschien ein massiger Mann in der Tür, sein Kopf in den Ausmaßen ähnlich dem des Hundes. Das Gesicht war von einem mächtigen, dunklen Bart eingerahmt, über den zwei Augen blickten, die bei aller maskulinen Grimmigkeit einen Anflug von Wohlwollen und hintangehaltener Pfiffigkeit nicht verbergen konnten.

»Wohin des Weges?« Oder eine ähnliche Floskel erwartete Paul jetzt.

Wölffler hingegen wandte sich Alex zu, ohne Paul länger zu mustern, und beide begannen, sich in einer ihm unverständlichen Sprache mit langrollenden »Rrrrrrr« und »Oiiiiiis« und kehlig die Stimmbänder strapazierenden Grunzlauten zu unterhalten. Das war kein Gespräch, das war ein Gewittergrollen, mit unvermittelt einbrechenden Lacheruptionen und plötzlichen Einschlägen von Schulterklopfen, die Alex trafen und ihn fast aus seinen Springer Stiefeln geworfen hätten. Wölfflers Unterarme, die zuweilen aus seinem grauen, ausgewaschenen Kittel herausfuhren, waren so muskulös wie der erhobene Arm Gottes in der Sixtinischen Kapelle und schwarzbehaart wie die eines Satansbraten.

Wölffler ging in seinen kleinen Laden zurück, der neben dem Hauseingang lag, und kam mit einer dunkelbraunen, irdenen Flasche und drei Schnapsgläsern wieder heraus. Er schenkte die Gläser so voll, dass ihm der Schnaps über die Finger lief. Gab beiden ein Glas, und ermunterte sie zu trinken. Pauls Einwände von ».... noch Autofahren müssen« und ».... zu früh am Morgen«, fegte er mit einer Handbewegung und der Bemerkung beiseite, ein solcher Enzian putze die Hirnwindungen frei und verschaffe einen klaren Blick, und den hätte er ja wohl bei soviel Stubenhockerei nötig, wenn das stimme, was Alex ihm gerade erzählt habe. Dann stieß er mit Paul an. Der spürte, wie der feurige Schluck die Schleimhäute seiner Speiseröhre hinunter brannte und sich des Magens bemächtigte. Allmählich, nachdem das erste Zischen und Dampfen in ihm abgeklungen waren, durchstrahlte ihn wie eine aufgehende Sonne von der Magenmitte her eine angenehme Wärme. Dieser aufkommende wohlige Zustand muss wohl ein Lächeln auf Pauls Gesicht gezaubert haben.

»Siehst du«, wieherte Wölffler, »es hat gewirkt. «

»Du kannst schon mal nach hinten ins Lager gehen und dir deinen Lieblingsschrank aussuchen. Wölffler zeigt mir noch ein paar neu erstandene Hafner Krüge mit Originallasur«, ergänzte Alex.

Arm in Arm verschwanden die beiden in dem kleinen Laden, und Paul, der sich von der lauthalsen Zwiesprache ausgeschlossen fühlte, ging etwas benommen hinter das Haus. Die Möbel waren in zwei lang gestreckten Schuppen untergebracht. Seine Augen gewöhnten sich an das dämmrige Licht, und er erkannte die Konturen von zahllosen Schränken, Tischen, Küchenkredenzen, riesigen ledernen Sofas mit Elefantenhäuten und unzähligen Stühlen. Die meisten der Weichholzmöbel waren abgebeizt, doch nicht weiter behandelt worden. Das Holz war vom Kratzen und Schaben mit dem Abziehmesser unter der scharfen Natronlauge aufgefasert, die Oberflächen filzig aufgeweicht. Wund sah das Holz aus und verletzt. Wieviel sklavische Arbeitsstunden es wohl gekostet haben mag, von diesem gewaltigen Haufen von Möbeln die Farbe zu entfernen?

»Sammeln und Beizen in diesen Mengen, das geht nicht zusammen. Wölffler muss Unmengen von Helfern um sich versammelt haben«, war Pauls erster Gedanke. Allmählich fand er seinen Weg durch den Wirrwarr. Hier musste er einen Glasaufsatz beiseiteschieben, dort über ein altes Sofa steigen, dessen Sprungfedern ihm entgegen wippten, als wollten sie ihn begrüßen. Paul sah wieder Wölfflers Gottesarme vor sich, wie sie das Sofa eigenhändig in den Schuppen stemmten. Ihm war nicht klar, ob Wölffler nur seine Sammelwut befriedigte oder noch retten wollte, was zu retten war. Vielleicht war es aber auch nur eine genuine Schläue gepaart mit einem guten Geschäftssinn, die ihn zu diesem Gewerbe getrieben hatten, denn bald würde jedes Stück eine Rarität darstellen, und die Aufkäufer der großen Kaufhäuser würden sich in Wölfflers Schuppen tummeln. In Paul stieg die Vision von Scharen smarter, in graues Flanell gekleideter junger Männer auf, die, nachdem sie ihre Visitenkarten vorne im Laden abgegeben hatten, den Schuppen bevölkerten. Die Möbel standen geschliffen und gewachst, wohl geordnet in Reihen, mit säuberlich ausgezeichneten Preisschildern versehen. Auf einigen Preisschildern klebte ein roter Punkt. Und Wölffler, in einen dunkelblauen Anzug gezwängt, der sich über seine Fleischesfülle spannte wie der Darm über eine gestopfte Blutwurst, nahm die Schecks entgegen. Die behaarten, kräftigen Hände waren fast vollständig von blütenweißen Manschetten bedeckt, die er mit Manschettenknöpfen aus Theresientalern zugesteckt hatte. Das Hemd stand meilenweit offen und erlaubte Einblick in ein Gestrüpp von wildsprossenden Brusthaaren. Natürlich fehlte in Pauls Vision nicht das obligatorische Goldkettchen am Hals mit dem Medaillon und dem eingravierten Namen. Paul konnte nicht erkennen, ob Wölffler lächelte, als die smarten jungen Männer um ihn herumtänzelten.

»Lipizzaner in der Zirkusarena«, Paul schüttelte verächtlich den Kopf. Er erwartete jeden Augenblick den Peitschenknall aus Wölfflers Hand. Der jedoch kassierte in aller Seelenruhe weiter die Schecks, und als die Pferdchen den Schuppen verließen, fegte er noch die Pferdeäpfel beiseite. Paul blickte etwas enttäuscht von seiner Vision auf. Zu abrupt offenbar, denn er lief vor einen Schrank, der sich ihm monströs in den Weg stellte. Gut zwei Meter hoch und in der Breite an die vier, war er aus dunklem Ebenholz gebaut. Der grün verglaste Aufsatz ruhte auf einem Unterbau, der in sechs zu Löwenköpfen geformten Füßen auslief. Ein Paul unerklärliches Gefühl von Bedrohung schien von diesem Schrank auszugehen. Waren es die auf der linken Seite geöffneten Türen des Aufsatzes, die ihn anklafften, oder war es die bedrückende Atmosphäre einer scheinheiligen, bürgerlichen Wohnzimmerkultur, die dieses Ungetüm mit muffigem Atem ausdünstete? Unvermittelt trat er gegen die mit Stollenreliefs versehene linke Tür des Unterschranks, die aus ihren Scharnieren flog, und im Inneren des Monstrums landete. Staub wirbelte auf. Ungerührt blieb das Ding in seiner majestätischen Einfalt stehen. Nach diesem Wutanfall fand sich Paul auf einem Stuhl wieder, dessen Geflecht an totaler Auszehrung litt. Er rieb seinen Fuß und dachte über den für ihn ungewöhnlichen Anflug von Extrovertiertheit nach. Alex kam herein und fragte ihn, ob er einen Schrank gefunden habe, der ihm zusage. »Du hast dich doch wohl nicht in den belgischen Riesen da verliebt? « Er deutete auf das schwarze Ungeheuer. Paul hätte diesen Begriff eher bei einem Kaninchenzüchter angesiedelt. Solche Gebilde seien im Moment in Belgien und in den Niederlanden preiswert zu bekommen, und Wölffler pflegte, wenn er denn nun gar nichts in den südlichen Gefilden fand, zuweilen auch zu einer verzweifelten Tour in den Norden aufzubrechen. Gegen einen Weichholz Brotschrank oder eine Kommode könnte er dann ein solches von protestantischer Wucht strotzendes Ungetüm eintauschen.

»Lass die Finger davon, dem ist kein Lächeln zu entlocken.« Alex drehte sich um und deutete auf einen zierlichen Allgäuer Schrank. »Schau dir den an, hat er nicht das Gesicht einer Jungfrau? Der schwungvoll abgerundete Giebel, die Türen geformt wie zwei Engelsflügel, als wollten sie gleich abheben und die Füße so zierlich, als würden sie in Lackschühchen stecken. Schau es dir an, ist es nicht heiter, dieses unschuldige Gesicht aus oberfränkischer Kiefer und der dagegen«, und er deutete auf den Belgier: » …. der ist der sterilen Phantasie einer flämischen Gouvernante entsprungen. Zu schade, dass vom Allgäuer die Bemalung abgebeizt ist. Sicherlich war er einmal mit Blumenranken in den Farben einer Frühlingswiese geschmückt«, und dann tänzelte Alex auf den Allgäuer zu, öffnete die Türen und nichtachtend der Tatsache, dass ihm Staub, Spinnengewebe und Fetzen von altem Zeitungspapier entgegenflogen, redete er von frisch gestärkten Linnen, blaubedruckten Schürzen und den heimlichen Seufzern der Jungfrauen, die einstmals Stück für Stück ihrer Aussteuer und Sehnsüchte in diesem Schrank deponiert hatten. Paul starrte Alex fasziniert an. »Diese plötzliche Ereiferung, diese Geziertheit, das Herumtänzeln. Entweder er bekommt Prozente von Wölffler, oder er ist doch schwul.« Ein Verdacht, der ihn schon seit dem ersten Anblick von Alex’ zarten Füßen verfolgte. Paul erfasste ein Gefühl großer Zuneigung zu diesem fast zwei Meter großen Mann. Alex lief hinaus und kam mit einem Metermaß zurück.

»Wie waren noch mal die Maße, die du vorgesehen hattest? Zwei Meter vierzig, mal ein Meter. Er hat den richtigen Schnitt. Er hat das Lächeln der Mutter Gottes im Kloster Andechs (Carl Orff, der Komponist der Carmina Burana, ist im Kloster Andechs bestattet. Anm. des Autors) und Wölffler wird dir einen guten Preis machen. «

Ohne auch nur den Anflug einer Einwendung vorbringen zu können, willigte Paul ein. Soviel Hingabe an ein Möbelstück und das Gefühl, diesen vor sich hinträumenden Allgäuer aus dem Schatten des belgischen Riesen befreien zu können, hatten ihn überzeugt. Sie waren gerade dabei, den Schrank aus dem Schuppen zu wuchten, da kam ihnen Wölffler entgegen. Er ging vorsichtig um den Schrank herum, wiegte seinen mächtigen Kopf wie ein überdimensionaler Weihnachtsmann und dann mit der flachen Hand auf die Rückwand schlagend, sagte er, als wolle er ein Pferd vorantreiben, ».... der Schrank bleibt hier.« Seine Reaktion kam so blitzartig aus dem Handgelenk gefahren, dass Paul und Alex einen Schritt zurücktraten. Alex fing sich als erster. Was denn los sei, und warum er das Ding nicht verkaufen wolle? Schließlich habe der Schrank die ganze Zeit im Schuppen gestanden und vor sich hingedöst. Er sollte ihnen einen guten Preis nennen und damit: »Basta! «

Paul hatte Alex etwas mehr Fingerspitzengefühl zugetraut, verstand aber, dass bei Wölffler eine solche Sprache angebracht war. Seinen Rippenstoß nahm dieser mit schulterzuckender Gleichgültigkeit hin. Umso verblüffter war Paul, als Wölffler sein gerade noch lautstarkes Organ in eine kaum wahrnehmbare Flüsterlage senkte. Sie sollten noch ein bisschen warten und vielleicht im Dunklen wiederkommen. Wölfflers Stimme erlosch nun nahezu ganz. Nur noch ein paar »Rrrrrrrrs« und »Oiiiiiiiis« und »Sssss« drangen an Pauls Ohr. Dann brach er vollends ab, als plötzlich hinter dem Schuppen eine offensichtlich weibliche Gestalt auftauchte, die sich mit watschelndem Gang auf den Schrank zubewegte, und sich vor ihm aufbaute. »Den nicht«, war alles, was aus ihrer Kurzatmigkeit herausbrach und nochmals, aber drohender, »…. den nicht. «

In einem Kittel, dessen Identität nur noch an einer Reihe von verwaist herumhängenden Knöpfen und in den Halsbereich verschlagenen, in Stücken zusammenhängenden Stoffresten auszumachen war, steckte ein offenbar weibliches Wesen von so abgrundtiefer Feistigkeit, dass Paul bei seinem Anblick ein Schwindelgefühl überkam. Er hatte den Eindruck, von diesem Berg aus Fleisch und Fett aufgesogen zu werden. Bei aller Hässlichkeit übte dieses Weib doch eine merkwürdige Faszination auf ihn aus, die er als sinnlich zu bezeichnen, sich nicht gewagt hätte. Da war ein Kopf, übergangslos aufgesetzt auf einen nach allen Richtungen wuchernden Leib. Kurz unterhalb der Schultern fingen zwei Brüste an, sich maßlos in die vordere Leibessphäre vorzudrängen. Die Brüste wurden von ihrem Bauch bei jedem Atemzug angehoben. Der waberte wie ein Schiffsrumpf bei hoher See in schlingerndem Auf und Ab. Jede dieser Atemböen rief Wellen von Fett hervor, die den ganzen Körper in ein ständiges Vibrieren versetzten. Paul konnte ihren Leibesumfang schwerlich mit einem Blick erfassen. Ihre Unförmigkeit, die jeglicher ästhetischen Konzession Hohn sprach, strahlte etwas Animalisches aus. Die maternale Leiblichkeit einer prallen Sau, die stoisch ihren Jungen die Zitzen hinhängt. Das Tierhafte wurde noch durch ihre Beine unterstrichen, die unter den Kittelfetzen hervor staksten. Die Schenkel waren von solch einer Fülle, dass Paul sich jede weitere Wahrnehmung verbat. In sinnloser Einfalt hatte sie ein paar Nylonstrümpfe darüber gezogen, durch deren Löcher sich handtellergroße Fettbürzel wölbten. Die Füße steckten in zwei kahnförmigen, zerfransten Gummilatschen, deren schiefergraue Farbe und zerschundener Zustand darauf schließen ließ, dass offensichtlich unzählige Laugengüsse ihre einstige Form in einen Zustand totaler Verwahrlosung reduziert hatten. Paul ahnte: »Dies war der Geist, der die Abbeizarbeit verrichtete, der den Schränken und Stühlen, den Truhen und Vitrinen ihren altersschwachen Lack entriss und sie bloß legte bis aufs Fleisch, dessen Verletzungen später nur mit größtem Aufwand und der Hingabe eines begeisterten Sammlers geheilt werden konnten.«

Der Geist dünstete penetranten Soda Gestank aus.

»Den nicht«, und dann packte sie den Schrank mit ihren in rosafarbenen Gummihandschuhen steckenden Händen und schob ihn rücklings wie einen Betrunkenen, der aus der Kneipe bugsiert wird, in die Halle zurück. Wölffler, der kein Wort von sich gegeben hatte, ließ die Luft zwischen den Zähnen ab, was ihm das Aussehen eines wasserspeienden Zierbrunnen Löwen gab.

»Sie hat ihn vor zwei Monaten bearbeitet, und ausgerechnet den muss sie sich für ihre Küche aussuchen. Da stehen tausend andere Schränke herum. Aber nein, der erinnert sie an ihre Kindheit. Dass ich nicht lache, als wenn die jemals eine Kindheit gehabt hätte«, flüsterte er Alex und Paul zu, die versucht hatten, sich hinter dem Schrank zu verstecken. Wölffler schien verzweifelt darüber, dass ihm gerade ein gutes Geschäft durch die Lappen zu gehen drohte.

»Kommt im Dunklen noch einmal wieder, die hat einen festen Schlaf. Das Abbeißen macht saumüde. « Dann nahm er ein Stück Holz vom Boden auf und schleuderte es wie nach einem Hund, den man zum Apportieren auffordert, in die Richtung, in der sie davon gewatschelt war. »Ob sie verheiratet sind, weiß ich nicht«, sagte Alex zu Paul, dem er offenbar beim Verlassen des Hofes die Frage von den Augen abgelesen hatte. »Jedenfalls haben sie zusammen einen Stall voller Kinder.«

Paul und Alex rollten am Abend mit abgestelltem Motor und ausgeschalteten Scheinwerfern in den Hof. Wölffler wartete schon auf sie. Den Hund hielt er dicht bei Fuß. Da die Nacht sternklar war, und der Mond fast seine Vollendung erreicht hatte, konnten sie genug sehen. Der Allgäuer stand wie ein verwaistes Schaf, das sich von seiner Herde entfernt hatte, vor dem Scheunentor. Wölffler hatte ihn vorsorglich dorthin bugsiert. Alles andere war Routinesache von einer Viertelstunde. Ein Stapel Wolldecken wurde auf den Anhänger gelegt, eine Plastikplane um den Schrank gewickelt, der rücklings auf dem Anhänger zu liegen kam. Alex unterlegte zwei dicke Taue mit Wolldecken, um den Schrank beim Festzurren nicht zu verletzen. Nachdem ein Fünfhunderter den Besitzer gewechselt hatte, rumpelte der Wagen mit dem zierlichen Allgäuer gen Norden.

Paul erinnerte sich, dass Alex unterwegs auf der Autobahn mindestens zweimal um eine Pinkelpause gebeten hatte. Er sah Alex’ Silhouette am Parkplatzrand vor der fahlen Mondscheibe stehen. Sein Urinstrahl schlug einen romanischen Bogen im milchigen Licht. Sie erreichten um Mitternacht Pauls Haus. Da sie zu müde waren, um den Schrank noch abzuladen, ließen sie ihn unter der Plastikplane versteckt bis zum nächsten Morgen auf dem Anhänger liegen.

— Paul hatte lange unter dem Tisch ausgeharrt und auf den Allgäuer gestarrt. Langsam erhob er sich und ging zu dem Schrank hinüber, öffnete die Flügeltüren und legte die Toccata und Fuge in D Moll von J.S. Bach auf. Aus dem oberfränkischen Möbelstück klang die mächtige Orgelmusik zu Paul herüber. Quer vor dem Schrank liegend, dachte er über Barbaras Absage nach.

Stachel im Fleisch

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