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Kapitel 16

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verliebtes hundegeschnüffel/ mumien dürfen sich nicht regen/ von wegen backofen/ davai und davai/ am liebsten in den sternen/ von den läusen gefressen/ flugzeug abwehr kanone/ flak/ unter der bettdecke unter der sehnsucht/ das zittern des mutterleibes/

Bronze farbige Fußsohlen. Die gepflegten Fußnägel des Heilands. Jeden Freitag wurde er von seiner Mutter gebadet. Seinen Kopf musste er auf ihren Schoß legen. »Ich hätte Doktor werden können«, hatte sie oft gesagt. »Es macht mir Spaß, dich zu pflegen. Du hast so niedliche kleine Ohren«, und dann steckte sie ihre Nase in seine Ohrmuscheln und schnüffelte darin herum wie ein verliebter Hund. Beim Schneiden der Fußnägel fürchtete sie, ihn zu verletzen. Er war schon immer ein sehr empfindliches Kind gewesen. Mit sechs Monaten hatte er eine Lungenentzündung bekommen. »Heiß wie ein Backofen lagst du in deinem Bett. Ich habe dich aufgenommen und nächtelang auf dem Arm durch die Wohnung getragen. Er wird jetzt sterben«, hatte sie gedacht.

»Der Doktor Jerusalem hat dich gerettet. Er ist jeden Tag zweimal gekommen und hat dir so merkwürdige Tropfen gegeben, von denen ich den Namen vergessen habe. Nach vierzehn Tagen hörte das Fieber auf. Manchmal warst du schlaff wie ein nasser Sack. Deine Ärmchen hingen herunter, als würden sie nicht zu dir gehören. Den armen Doktor haben sie dann auch noch abgeholt, weil er mit einer Jüdin verheiratet war.«

Paul versuchte sich in seinem Bettchen aufzurichten. In seinem Kopf fing es an zu pochen. Laut und schmerzhaft. Er legte sich wieder zurück.

»Nein, er durfte sich nicht regen«, diese Geschichte erzählte sie immer wieder zu unterschiedlichsten Anlässen. Ihm war es peinlich, wenn sie davon anfing. Verschämt blickte er dann umher. Besonders zu Zeiten, wenn er in seinem frisch gestärkten Oberhemd, herausgeputzt wie ein kleiner Erwachsener, in den Geburtstagsrunden saß. Später noch, als er ein junger Mann war, stolperte er bei etlichen Verwandtenbesuchen über diese Geschichte. »Ja, er war ein lieber Junge.« Und dann begann sie, von seinen morgendlichen Besuchen in ihrem Bett zu erzählen. Der Vater war schon seit drei Jahren vermisst.

»Paul ist ja ein echtes Heimat Urlaubskind, müsst ihr wissen«, und dabei pflegte sie, über seine Wange zu streicheln.

Irgendwo zwischen dem Schwarzen Meer und Transsylvanien hatte man ihn aus seinem Flak Turm mit vorgehaltener Kalaschnikow und heiserem »dawai, dawai« herausgeholt. Merkwürdigerweise waren er und seine Kameraden froh, als die Russen kamen und sie mitnahmen. Sie wurden mit hinter dem Kopf gehaltenen Händen zur nächsten Bahnstation getrieben und in Güterwagen verfrachtet. Und dann hörten sie vierzehn Tage und Nächte nur noch das Kreischen und Schlagen der Eisenbahnräder. Wasser wurde ihnen jeden Abend gereicht und ein Stück Kommissbrot. Als sie halbblind nach zwei Wochen aus den Waggons taumelten, schlug ihnen feuchtwarme Luft entgegen. So hatte er sich Sibirien nicht vorgestellt. Aber es war Mitte August, die Sonne stand tief, so dass man nicht wusste, ob es Tag oder Nacht war, und die Luft war erfüllt von einem ständigen, Nerv tötenden Sirren, das von unzähligen Moskito Schwärmen stammte.

Im letzten Brief, den sie noch von ihm erhalten hatte, stand etwas von einem Weiterbildungskurs in Wien an einem neuen Zielgerät für seine Flak, und er beklagte sich darüber, dass das Paket mit dem von ihm zugesagten Schinken noch nicht angekommen sei. Wahrscheinlich, so vermutete er, sei der Schinken, wie so viele Dinge, unterwegs gestohlen worden. Er verfluchte die Feldpost und beschwerte sich über die schnarchenden, verlausten Kameraden.

Mit: »Mein Liebes!« hatte er den Brief begonnen und mit: »Ich denke an dich, wenn ich die Sterne über mir sehe«, abgeschlossen. So einfach war das. Sie hatte den Brief zwischen die Seiten ihrer noch aus der Mädchenzeit stammenden Bibel gelegt. Es war der letzte Brief für lange Jahre gewesen.

»Nun komm schon in mein Bett«, hatte sie jeden Morgen zu Paul gesagt. »Sei aber leise und wecke die anderen nicht.« Dann war er über die Gitter seines Bettchens zu ihr unter die körperwarme Decke gekrochen.

»Wie eine Eins hat er gelegen,« betonte sie immer wieder, »ohne sich zu rühren.« Meistens war sie nach wenigen Minuten wieder eingeschlafen.

Paul wusste, dass er danach noch lange wach lag. Natürlich wie eine Eins, wie eine Mumie. Er hörte den Atem der Mutter, der wieder tief und ruhig wurde, bis schließlich ihr leises pfeifendes Ausatmen zwischen den Zähnen den Takt des Schlafes angab. Sie bewegte sich im Schlaf. Ihre Wärme umfing ihn wie das Hecheln eines geliebten Hundes. »Nur nicht rühren, damit sie nicht aufwacht.« Er roch ihr weißes, durchscheinendes Fleisch, den Geruch von Schweiß, fernem Parfum, das den Sonntag überdauert hatte, und aus der Tiefe unter der Bettdecke herkommend eine milde Andeutung ihres Geschlechtes. Selbst hielt er den Atem an, um jede Bewegung zu vermeiden.

»Er lag am Morgen noch so da, wie ich ihn hingelegt hatte.«

Im Schlaf legte sie einen Schenkel um ihn, und Paul nahm ihr Seufzen und heftiger werdendes Atmen wahr, von dem er nicht wusste, was es bedeutete. Manchmal weckte er sie dann mit einem leichten Tritt vor ihren Bauch auf. Dann strich sie ihm im Halbschlaf über das Haar. Um ihr Lächeln erkennen zu können, war es zu dunkel. Endlich schlief auch er ein. Am Morgen, wenn sie beide aufwachten, spürte er, wie sie sich ihm schnell entzog. Ihn an seinen Platz zurückschob, mit dem Gesicht zur Großmutter hin, die auf der anderen Seite des Ehebettes in ihrem Altersschlaf vor sich hindümpelte.

Stachel im Fleisch

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