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Kapitel 14

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rrrrrrrrrrrr/ dass er hier fremd war/ nur mit dem wagen/ die deichsel/ die immer herumfuhr/ was für ein glück von vertrautheit/ aufgeschlagen hinter dem wagen/ köpfe auf/ waren einmodelliert die gefühle/ wieder zögernd der bebende boden/ er im wagen und zurück/ dem inneren/ weidenkörbe voller kuhgötter/ entschlossen die wagenhöhle behausen/

Er lief auf den Wagen zu, in großer Angst, dass auch der verschwinden könnte und ihn allein zurücklassen würde, allein auf der Straße, von den fremden Häusern begafft, die gerade noch so vertraut schienen. Paul trommelte mit seinen Fäusten heftig auf die hölzerne Klappe an der Rückseite des Wagens. Die Plane wurde zurückgeschlagen, und das Mädchen, zu dem das Lachen und der Arm gehörte, streckte seinen Kopf heraus. »Was willst du?«

Er hatte so lange auf das Gesicht gewartet, auf die schwarzen Haare, die dunklen Augen mit dem bernsteinfarbenem Hof und das Lachen, das noch zwischen den Lippen zu stecken schien, wie ein vergessener Kuss. Jetzt hatte er nur Angst. »Ich weiß nicht mehr, wo ich bin. Ich bin hinter euch hergelaufen. Jetzt habe ich mich verlaufen.« Sie wandte sich in das Innere des Wagens und begann in einer für Paul unverständlichen Sprache zu reden. Dann tauchten zwei Köpfe zu beiden Seiten des Mädchens auf. Es waren offenbar die Eltern, die gleichzeitig und sehr lebhaft auf Paul einredeten. Da er nichts verstand, begann er zu weinen.

Kurzerhand machten sie die Wagenklappe los und hoben ihn mit einem energischen Ruck auf den Wagen, wo er neben dem Mädchen zu sitzen kam. Ein Flug in eine für ihn unerreichbare Höhe, von der er noch auf seinen zurückgebliebenen Schatten blicken konnte. Die Straße, die gerade noch empfundene Angst, alles schien auf einen Schlag entrückt zu sein, als er neben sich die Wärme des Mädchens und seiner Mutter spürte. Vollends überkam ihn ein Gefühl von Glück, das seine Brust und Schultern wärmte, als sie ihre Arme um ihn legten, und er mit einem Taschentuch die Tränen abgetrocknet bekam. Zwischen Schluchzern, die wie Seifenblasen in ihm aufstiegen, um in der Kehle zu zerplatzen, brachte er hervor, dass er sich verlaufen habe und nun den Weg nicht mehr nach Hause finden könne.

Der Wagen setzte sich sacht in Bewegung. Er spürte unter sich das ungeduldige Rumpeln der Straße. Zwischen den Körben, die eifrig vor sich hin fiepten, und dem Scheppern des Geschirrs im Inneren des Wagens wurde er sanft, von den Körpern der beiden Frauen eingerahmt, zurück nach Hause gefahren. Das Licht drang spärlich durch die Wagenplane. Da drinnen waren die Gegenstände nur zu erahnen. Matratzen, auf denen eine bunte Sammlung von Kissen durcheinander gewürfelt waren, lagen ausgebreitet auf dem Boden. In der Dämmerung leuchteten die Kissenbezüge, waren heimliche Zeichen von Schlaf und Liebkosung. Sie bargen noch die Körperformen ihrer Bewohner, die nur das Lager verlassen zu haben schienen, um sich im nächsten Moment wieder in seinen Mulden und Tälern niederzulassen. Unter der Matratze lag ein dicker Teppich, und die Seitenteile des Wagens waren mit rotem Samt ausgeschlagen. An der linken Wand wippte ein aus Weiden geflochtenes Gestell, auf dem Kochtöpfe und Geschirr bei jeder Wagenneigung das Innere mit einer blechernen Melodie erfüllten. Die scheppernden Grundakkorde wurden durch die Schlaglöcher in der Straße gesetzt.

In Paul sollte dieses Gefühl von Geborgenheit und Nähe, nach dem vorausgegangenen Entsetzen, verlassen zu sein wie ein Abdruck in weicher Wachsmasse verharren. Als sie schließlich wieder an der Ringstraße ankamen, ließ er den Wagen noch einmal eine ganze Runde um die Schule drehen, bis er endlich erklärte, dass er hier zu Hause sei. Er sprang vom Wagen herunter. Seine Füße berührten zögernd den Boden. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, sie wollten sich weigern, ihn zu tragen. Mit einem Korb im Arm, den die Fremden ihm geschenkt hatten, stolperte er rückwärts gehend dem Keller entgegen. Plötzlich überkam ihn das heftige Gefühl, etwas auf dem Wagen vergessen zu haben. Er klopfte hastig seine Taschen ab und fand in der rechten Hosentasche den Haustürschlüssel.

Drei Tage später verspürte Paul heftigste Kopfschmerzen. Er war den ganzen Nachmittag in seinem Bett geblieben. Am nächsten Morgen sollte er in das Kinderheim gebracht werden. Seine Mutter war besorgt um ihn. Eine große Schwäche war von der Mitte seines Leibes ausgegangen. Von der Stelle, wo er den Magen vermutete, hatten sich Übelkeit und Gelenkschmerzen über seinen Körper ausgebreitet. Wie ein großer schwarzer Vogel hockte der Schmerz auf ihm. Er war in einen tiefen Schlaf gefallen. Doch die scharfen Augen des Vogels schienen jedes seiner Traumbilder zu überwachen. Als er im Schlaf versuchte, seinem Inneren durch einen Hustenstoß Luft zu verschaffen, hob der Vogel ein wenig von seiner Brust ab, um sich jedoch im nächsten Moment wieder in seiner Haut festzukrallen.

Endlich machten die unruhig an ihm vorbei stürzenden Bilder seiner Träume halt, und er sah vor sich den Zigeunerwagen, hinter dem er mit klopfendem Herzen herlief. Der Vogel flog von seiner Brust, flatterte noch einmal mit klatschenden Flügeln um den Wagen herum und verschwand dann über den Dächern der Ringstraße. Er wachte mit einem Schuldgefühl auf, so als hätte er etwas Unrechtes getan, für das er bestraft werden sollte.

Stachel im Fleisch

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