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Kapitel 1

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kreatürliches schallern/ abschiedszeremonie/ wohlwollen bis zum geht nicht mehr/ tierisches über die wiesen/ hand anlegen an die weißwurst/ perspektiven/ trautes heim/

Paul kannte das Gefühl des Abschiednehmens genau. Monate vorher hatte er seine Übungen anlaufen lassen. Das Durchspielen der einzelnen Schritte bis nach draußen. Vorsichtig zuerst, im sicheren Bewusstsein wieder zurückkehren zu können. Er hatte sich diese Übungen auferlegt und führte sie jeden Abend durch, wenn er allein zu Hause war. Nicht weiter als bis zur Haustür gingen in der ersten Zeit seine Ausflüge. Dabei nahm er sich selbst an die Hand und redete wohlwollend auf sich ein. So mit sich beschäftigt, fand er sich zuweilen, nachdem er den kleinen Hausflur überwunden hatte, dem grob gezimmerten Holz der Eingangstür ausgesetzt. Die verdeckte Flurbeleuchtung verbreitete ein mildes Licht und tauchte den Flur in eine friedliche Dämmerung. Er fragte sich, warum er sich diese Reise zumuten wollte, und ob er denn wirklich den warmen Steinboden mit der Farbe von Dijoner Senf, die selbst abgebeizten Stühle, den handgefertigten Kneipentisch, diese mit zähem Bemühen zusammengetragene Behaglichkeit, verlassen wollte. Eine, aus Katalogen geblätterte Idee, von einem wohl geordneten Zuhause hatte er nie besessen.

Die Details, die ihn umgaben, waren allesamt zusammengetragen. Spontan, dem Tageszufall überlassen, hatten er und Barbara Möbelstücke gesammelt, von denen sie glaubten, dass sie zu ihnen passten. Jedes Teil war ein Stück ihrer Vergangenheit, die ihnen so fest gefügt zu sein schien, wie die solide Handarbeit der Eingangstür, die einmal einem Bauernkotten als Windfang gedient hatte.

Da war die Perspektive des Hauseinganges: links, die auf die Wand gemalte Hausnummer, rechts das schwarz gebeizte Schnapskästlein, den Paul eigenhändig zu einem Briefkasten umfunktioniert hatte. Warum wollte er die allmählich eroberten Bilder an den Wänden verlassen, die nun schon so vertraut waren, dass er sie nur noch durch die Augen von Fremden wahrnehmen konnte?

»Was für eine liebliche Landschaft. Wer hat das Bild gemalt? « In solchen Momenten wurden ihm die Bilder gegenwärtig: die mit flinker Hand hingeworfene Sommerwiese. Paul riecht das Grün der Weiden, von denen er seine nackten Füße benetzt weiß. Er atmet den Duft des frisch gemähten Grases ein. Spürt den kühlen Wind, der das Gras wendet, wie die Seiten eines Buches. Die flimmernde Sommerhitze verschlägt ihm den Atem. Satt und voll gefressen von der Glut des Tages steht sie über der Wiese, feucht wie im Pansen der trägen Kühe, die sich im Schatten der Weiden zum Nachkäuen niedergelassen haben.

»Was für ein ausdrucksstarkes Bild!« Er nimmt das Summen der Fliegen über den samtigen Schnauzen der Rinder wahr. Den trägen Schlag der Schwänze vor die prallen Bäuche, und dann hört er ihr langgezogenes Muhen, das so kreatürlich über die Wiese schallt, als hätte es ein gnädiger Gott just in diesem Moment erschaffen.

»Was für ein schöner Rahmen, der Farbton des Holzes passt genau zur Aussage des Bildes.« Diese schiefen Ermunterungen der Betrachter überhörte Paul, hatte er doch die Holzrahmen in einem Baumarkt erstanden und war bisher noch nicht dazu gekommen, sie zu streichen. »Wie bleiche Weißwürste sehen die Leisten aus«, hatte Barbara einmal zu ihm gesagt.

Und dann die vielen Blautöne, die er im Haus verstreut hatte. Wie konnte er sie mitnehmen? »Blau ist deine Farbe.« Barbara suchte die Hemden und Pullover für ihn aus. »Das bringt deine Augen zum Leuchten. Wie schön für dich.«

Er begriff nicht, dass das Schiefergrau seiner Augen auch einen anderen Farbton annehmen konnte als diesen Schimmer von Asphalt, von dem er wusste, dass er ihn von seiner Mutter geerbt hatte. Nur fehlte ihm der interessante braune Fleck in der linken Iris, der sie immer so geheimnisvoll hatte aussehen lassen. Einige tiefblau lasierte Fliesen hatte er am Übergang vom Abtritt der Haustür in den Flur geschmuggelt. Zwei blaue, gläserne Bierkrüge standen in der Fensterbank, und ein dunkelblauer, leinener Buchrücken war so in das Bücherregal platziert, dass sein Blick, suchte er die Buchreihen ab, nicht vor diesem Farbhindernis ausweichen konnte. Das waren Instinkthandlungen gewesen, unbewusste Handreichungen, die er ausgeführt hatte, um seinen Augen ein paar magische Fixpunkte zu gönnen. Wohlfühlen wollte er sich, wenn er zu Hause war, und dafür, so hatte er einmal in der Anwesenheit von Alex philosophiert, brauche er Dinge um sich, die aus seinem Inneren stammen. Damit meinte er wohl in seiner etwas verschrobenen Philosophie, dass sie auf seinem Mist gewachsen sein sollten als zufällige Schnäppchen auf einem Flohmarkt oder hinter der Ladentheke eines Trödelhändlers.

Stachel im Fleisch

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