Читать книгу Was du niemals tun solltest, wenn du unsichtbar bist - Ross Welford - Страница 9

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Hinuntergreifen, das klingelnde Handy aufheben, es leise stellen und auf das Display starren, während das Handy noch einen Moment vibriert … das alles ist so vollkommen normal und alltäglich, dass mein Hirn wohl einfach ergänzt, was im Bild fehlt.

Handfläche und Finger zum Beispiel.

So wie beim Anschauen von Zeichentrickfilmen. Man weiß doch, dass Zeichentrickfilme – im Prinzip eigentlich alle Filme – aus einer Reihe von Standbildern bestehen. Lässt man sie schnell genug hintereinander ablaufen, werden im Kopf die Lücken ausgefüllt und man merkt gar kein Ruckeln.

Ich glaube, genau das übernehmen Kopf und Augen in den paar Sekunden, die ich brauche, um das Klingeln abzuschalten. Sie sehen die Hand, weil sie erwarten, dass dort eine Hand ist.

Aber das hält nicht lange vor.

Ich blinzle und schaue auf das Handy. Dann schaue ich auf meine Hand. Ich halte die Hand vor meine Augen und drehe sie hin und her.

Sie ist nicht da.

Okay, stopp mal kurz. Halt dir mal die Hand vor die Augen. Ich warte so lange.

Sie ist da, oder? Die Hand ist da. Natürlich.

Nun dreh sie und schau dir den Handrücken an. Genau das habe ich vor ein paar Sekunden auch getan, nur war meine Hand NICHT da.

In diesem Stadium habe ich noch keine Angst. Ich bin eher verwirrt.

Ich denke: Das ist verrückt. Hat mein Verstand auf der Sonnenbank gelitten? Als wäre ich noch im Halbschlaf oder würde träumen oder halluzinieren oder so was Ähnliches.

Ich schaue auf die Beine. Sie sind auch nicht da, aber ich kann sie anfassen. Das Gesicht ebenfalls. Ich kann alles an mir anfassen, kann es spüren, doch sehen kann ich es nicht.

Keine Ahnung, wie lange ich so sitze und immer nur dorthin schaue, wo eigentlich mein Körper sein sollte. Ein paar Sekunden vielleicht, aber bestimmt keine Minute. Mal überlegen: Ist mir das schon mal passiert? Ist das normal? Liegt es an den Augen – hat mich das UV-Licht vorübergehend blind gemacht? Aber warum kann ich dann alles andere sehen – nur mich nicht?

Nun kommen die Angst und die Atemnot. Ich stehe auf und gehe in die Ecke der Garage, wo über einem Waschbecken ein kleiner Spiegel hängt.

Kaum bin ich dort, schreie ich auf. Ganz kurz nur – eigentlich ist es mehr ein Schnappen nach Luft.

Stellt euch vor, ihr steht vor einem Spiegel und seht nichts. Euer Gesicht blickt nicht aus dem Spiegel zurück. Alles, was ihr seht, ist das Zimmer hinter euch. Oder die Garage wie in meinem Fall.

Dann wird mir klar, was los ist. Kopfschüttelnd grinse ich und lache sogar leise. Ich denke mir: Okay, ich träume. Und – wow – was für ein lebhafter Traum. Kommt mir ganz real vor. Ihr kennt doch diese Träume, bei denen man schon im Traum weiß, dass man träumt. Nicht so bei diesem hier. Noch nie hatte ich einen dermaßen realen Traum und so langsam macht mir die Sache sogar Spaß. Nichtsdestotrotz gehe ich die Checkliste für Träume durch: Ich blinzle, kneife mich und sage mir: Aufwachen, Esther, du schläfst noch.

Doch danach stehe ich immer noch in der Garage. Was für ein hartnäckiger Traum! Ich wiederhole es, einmal und noch einmal.

Nein, kein Traum. Ganz sicher.

Das Grinsen vergeht mir.

Ich schließe die Augen und nichts passiert. Das heißt, ich spüre, wie meine Lider sich schließen, aber ich sehe noch immer den Spiegel und das Waschbecken. Ich sehe alles, was in der Garage ist, obwohl ich weiß, dass ich die Augen fest geschlossen habe – richtig zusammengekniffen habe ich sie.

Mein Magen zieht sich in einer schrecklichen Kombination aus Angst, blankem Entsetzen und Panik zusammen. Ich kotze ins Waschbecken, sehe die Kotze aber nicht, sondern höre nur ihr Aufklatschen im Becken und habe den Geschmack im Mund. Erst im Waschbecken nehmen die halb verdauten Cornflakes vom Morgen ihre unansehnliche Gestalt an.

Ich lasse das Wasser laufen, halte die Hand unter den Strahl. Das Wasser fließt um die Finger herum, nimmt ihre Form an. Vollkommen verblüfft sehe ich zu, wie eine Halbkugel Wasser vor mir in die Höhe steigt, als ich die Hand zum Mund führe. Beim Trinken schaue ich wieder in den Spiegel. Schemenhaft tauchen die Lippen auf, als das Wasser sie berührt, und kurz sehe ich noch, wie das Wasser die Kehle hinuntergleitet. Dann ist es fort.

Ein Grauen erfasst mich, stärker als alles, was ich jemals gefühlt habe.

Vor dem Spiegel, die unsichtbaren Hände ans Becken geklammert, den Kopf ganz heiß vom Versuch, das alles zu verarbeiten … dieses … dieses Merkwürdige, tue ich, was wohl jeder in dieser Lage tun würde.

Was auch ihr tun würdet.

Ich rufe um Hilfe.

»Oma! Granny!«

Was du niemals tun solltest, wenn du unsichtbar bist

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