Читать книгу Seewölfe Paket 4 - Roy Palmer - Страница 10
6.
ОглавлениеIn der Kaverne nahm das Gurgeln des Wassers immer mehr ab. Der Profos hatte sich auf die Plattform gezogen und hockte jetzt da – unerreichbar für Matt Davies.
Sein ewiges Fluchen ging Matt langsam auf die Nerven. In der ganzen Zeit hatte er nichts anderes gehört als wüste und obszöne Flüche, vor denen jede Hafenhure kummervoll erblaßt wäre.
„Nun beruhige dich doch, Ed!“ rief Matt hinunter. „Es kann nicht mehr lange dauern, bis Hasard zurück ist. Du hockst doch jetzt ganz gemütlich da unten!“
„Gemütlich nennst du das?“ schnauzte der Profos. „In diesem eisigen Mistwasser ist mein Hintern abgestorben, der ist eiskalt!“
„Wir werden dir deinen Affenarsch später gemeinsam ausklopfen“, sagte Matt grinsend, „dann wird er wieder warm. Oh, verflucht!“ brüllte er und sprang zurück, als unter ihm der Lavaboden knirschte und in die Tiefe brökkelte.
„Paß auf, verdammt!“ fluchte der Profos, dem der ganze Segen auf den Schädel prasselte. „Spring weiter zurück!“
Matt sprang noch einmal, aber vielleicht war es gerade das, was den Boden noch mehr erzittern ließ. Ein Loch entstand, er brach mit einem Bein ein, schlug mit der Hakenprothese in den Lavaboden und wollte sich wegziehen.
Das Loch breitete sich aus, ein Riß zog sich durch den porösen Boden, und mit einem gebrüllten Fluch sauste Matt Davies in die Tiefe.
Er fiel auf den tobenden Profos, dem Davies’ scharfer Haken das ganze Hemd aufriß.
Carberry packte zu und hielt ihn fest.
„Mann“, sagte er, auf den Haken deutend, „von dem möchte ich auch nicht erwischt werden. Jetzt weiß ich so halbwegs, wie das ist.“
Von oben rieselte es nach. Die beiden Männer duckten sich.
„Jetzt sind wir noch schlauer als am Anfang“, meckerte Carberry.
„Die anderen kommen gleich“, beschwichtigte ihn Matt.
Mehr als eine halbe Stunde verging. Inzwischen fiel das Wasser weiter und gab steinigen Fels frei.
„Wir klettern weiter nach unten“, sagte Ed. „Wird nicht mehr lange dauern, und der Stollen ist trocken.“
Sie stiegen zwei Yards tiefer. Das Wasser wurde immer ruhiger und floß immer langsamer.
Nach einer weiteren halben Stunde schüttelte Matt den Kopf und sah Carberry scharf an.
„Da ist etwas schiefgegangen, Ed. Hasard wäre längst zurück. Hoffentlich sind sie nicht in eine Falle gelaufen.“
„Du meinst, die unsichtbaren Eingeborenen haben unsere Leute überfallen?“
„Weißt du eine andere Lösung?“
„Nein“, sagte der Profos ehrlich. „Die sind in einen Hinterhalt geraten. Aber alle auf einmal? Das halte ich für ausgeschlossen.“
Ihre eigene Lage bereitete ihnen nicht halb soviel Kummer wie das Schicksal ihrer Kameraden. Immer wieder grübelten sie darüber nach.
„Unmöglich, daß ein paar Wilde die ganze Crew schnappen“, sagte auch Matt. „Wir haben keinen Schuß, kein Geschrei gehört. Einer hätte zumindest eine Muskete abgefeuert, auf dieser verdammten unheimlichen Insel.“
Ja, unheimlich, das war sie, diese Insel, fand der Profos. Hier lauerten versteckte Gefahren und unsichtbare Gegner, hier war alles unheimlich.
„Sieh mal in den Gang, Matt. Wenn du dich bückst, kannst du hineinsehen. Sollen wir es versuchen?“
„Hm, ich weiß nicht. Mit Sicherheit steigt das Wasser wieder, aber wir kennen den Zeitpunkt nicht, und wir wissen nicht, wie lang dieser Gang ist. Und ich möchte verdammt nicht gern wie eine Ratte in so einer Höhle ersaufen.“
„Meinst du vielleicht – ich? Vielleicht gibt es einen Weg, der wieder ans
Licht führt. Diese verdammten Steine regen mich langsam auf, und mein Hintern wird immer kälter.“
Vorsichtig stiegen sie weiter hinab. Sie mußten höllisch aufpassen, um an den glatten, tropfenden Felsen nicht abzurutschen, die das Wasser im Lauf der Zeit glatt geschliffen hatte. Aber immer wieder fanden sie hervorstehende Stellen.
Matt krallte seinen Haken ins Gestein und ließ die Beine langsam ins Wasser hängen.
„Nur noch knöcheltief, Ed. Wir können es versuchen.“
Leise rauschend lief das Wasser weiter ab.
Carberry bückte sich, um in den Gang zu schauen. Was er sah, war nicht gerade dazu angetan, seine Stimmung zu heben.
Kaltglänzendes Gestein, aus dem Wasser ragende, stalagmitenähnliche Gebilde, von denen es tropfte, Stalaktiten, die von der Decke herabwuchsen und Wasser verschütteten. Und in dem Restwasser tummelten sich Krebse, kleine Tintenfische, und ab und zu zappelte ein Fisch darin.
„Zum Kotzen“, sagte Carberry, denn es stank widerlich nach verwesten Fischen, die den Rückzug nicht mehr rechtzeitig angetreten hatten. Große Käfer flitzten an den Wänden entlang.
Der Profos murrte und fluchte verdrossen und ging langsam weiter. Der höhlenartige Gang war so hoch, daß er mit ausgestreckten Händen die Dekke nicht erreichen konnte. Und er war so schmal, daß man nur hintereinander gehen konnte. Immer wieder tropfte es in sein Genick, und bei jedem Wasserregen schob sich sein mächtiges Rammkinn noch weiter vor.
Ab und zu fiel schwach das Licht herein, wenn sie eine Stelle passierten, wo sich winzige Löcher in dem porösen Gestein befanden.
Ed blieb stehen und blickte zurück.
Das Licht hinter ihnen war nur noch ein verschwommener Fleck, der keine Helligkeit mehr spendete.
Jetzt wurde der Untergrund morastig, es quietschte unter seinen Stiefeln, und es schmatzte, wenn er den nächsten Schritt tat. Angewidert wich er kleinen Stalagmiten aus.
„Dieser Scheißladen“, fluchte er, „da kann man sich glatt drin verirren. Gehen wir jetzt rechts oder links?“
Der Gang hatte sich geteilt, er war noch niedriger geworden. Alle beide blieben stehen. Nach den vielen Windungen, die sie zurückgelegt hatten, ließ sich die Richtung nicht mehr bestimmen. Sie mußten auf ihr Glück vertrauen.
„Links“, sagte der Profos schließlich, womit er seine Frage gleich selbst beantwortete.
„Weshalb nicht rechts?“ fragte Matt.
„Weil ich der Profos bin!“ knurrte Ed.
„Das ist so ziemlich die dämlichste Antwort, die ich je in meinem Leben gehört habe.“
Links teilte sich der Gang nach einer Weile erneut. Da war ein Gang der steil in die Tiefe führte und voll Wasser stand, dann ein anderer, der schräg nach oben führte.
Der Profos nahm den Gang, der hochführte. Nach hundert Yards standen sie vor einer Felswand.
„Scheiße!“ sagte Ed laut und deutlich und lauschte boshaft dem flüsternden Echo nach. „Wir kehren wieder um.“
„Klar,“ fluchte Matt. „Die Wand beißen wir nie durch.“
Von nun an wurde es immer verwirrender. Immer mehr Gänge wies das Höhlensystem auf, immer wieder zweigten Gänge ab, führten in vielen Windungen durch das Gestein oder schraubten sich in die Tiefe.
Einmal gingen sie an einem kleinen See vorbei. Sie mußten über Felsen klettern, einem winzigen Schlund entgegen, durch den sie sich hindurchzwängten, wobei sie sich im Fluchen gegenseitig überboten.
Zeitweilig herrschte totale Finsternis, dann gab es ab und zu einen kleinen Lichtblick, und sie standen im grauen Halbdämmer.
Sie hatten die Orientierung inzwischen gründlich verloren und hofften nur auf ihr Glück und darauf, daß dieses verdammte Labyrinth auch wieder einen Ausweg hatte, der nach oben führte, und nicht immer weiter in die Felsen hinein.
Ganz überraschend gerieten sie in eine domartige Felsenhöhle, in die ganz schwach fernes Licht fiel. Die Höhle war mindestens zwanzig Yards hoch und maß in Breite und Länge mehr als hundert Yards.
„Und wo, zum Teufel, geht’s hier weiter?“ fragte Carberry in die lastende Stille hinein.
„Wir fragen einfach den nächsten, den wir treffen“, schlug Matt vor.
Nach längerem Hin- und Hergelaufe entdeckten sie, wie es weiterging. Sie kletterten über steile Felsen, liefen halsbrecherisch auf einer schmalen glitschigen Galerie entlang und übersprangen mehrere tükkische Felsspalten.
„Die ganze Insel scheint hohl zu sein, Ed. Mich soll es nicht wundern, wenn wir direkt unter der ‚Isabella‘ wieder herauskommen.“
„Mich würde das ganz verdammt wundern“, brummte Carberry, dessen Laune immer mieser wurde.
Ein schmaler Gang nahm sie auf, der schnurgerade weiterführte. Die Wände waren noch feucht.
Plötzlich blieb Matt stehen, so daß Ed unsanft gegen ihn prallte.
„Was, zum Teufel ...“
„Fällt dir nichts auf?“ fragte Matt.
„Höchstens, daß es etwas dämmeriger ist. Aber – das ist doch ...“
„...kein gewachsener Fels, stimmt! Das hier ist künstlich angelegt worden, es gibt keine Unebenheiten.“
„Verdammt!“ Der Profos besah sich die Wände, fühlte sie ab, starrte sie an. Dann zuckte er zusammen.
Das Schlangenzeichen! Hier war es wieder. Es zierte mehrere Stellen der glatt behauenen Wände.
Auch Matt Davies hatte es gesehen. Ratlos schüttelte er den Kopf. Mit der Hakenprothese zeichnete er das Zeichen nach.
„Himmel, auf was sind wir da nur gestoßen, Ed. Haben die Indianer etwa hier ihre Zuflucht gesucht? Die müßten doch ersoffen sein!“
Carberry tippte sich an die Stirn.
„Die kennen den Rhythmus ganz genau und suchen diese Höhlen zu ganz bestimmten Zeiten auf. Oder hältst du sie für so dämlich?“
Matt tastete sich weiter. Vor ihm, in dem glatt behauenen Stollen, wurde es merklich heller. Dämmerlicht fiel aus großer Höhe fahl herein.
Sie erreichten das Ende, und diesmal war die Überraschung vollkommen.
Wie angewurzelt blieben sie stehen. Lange Zeit sagte keiner ein Wort, sie standen nur da und staunten.
Vor ihnen, allerdings sehr tief unten, erstreckte sich die nächste, domartige Höhle. Bizarre, schwach glitzernde Felsen, wie übergroße Finger, reckten sich hoch, Nischen, Höhlen, finstere Löcher gab es, und in der Mitte befand sich ein freier Platz.
Alle beide sahen unbehaglich auf die überlebensgroße Statue, die auf dem freien Platz stand.
Der Schlangengott!
Im schwach einfallenden Dämmerlicht war er gut zu erkennen, jener Schlangengott von der Insel Mocha. Er war aus purem Gold getrieben und ringelte sich in der Mitte des Gewölbes um eine nackte, offensichtlich aus Bronze gearbeitete Indianerin. Das Mädchen trug wiederum Arkanas Züge, die Augen aus Edelsteinen geschliffen, die gleichen Lippen, der gleiche Ausdruck und die gleiche Figur.
Weder der Profos noch Matt hatten diese Statue gesehen, nur erinnerten sie sich an Hasards Ring, der so ähnlich aussah.
Die funkelnden Augen des unheimlich wirkenden Schlangengottes schienen die beiden Männer bösartig zu fixieren. Carberry spürte, wie es ihm kalt über den Rücken rann. Matt Davies fühlte, wie ihm ein prickelnder Schauer über den ganzen Körper lief.
Dieses Gewölbe war am Boden noch leicht mit Wasser bedeckt, das auf irgendeine geheimnisvolle Art abfloß, ohne daß sie erkennen konnten, wohin es lief.
Matt sprach kein Wort. Schweigend begab er sich an den Abstieg über glitschige, kühle Felsen, und er winkte Ed, ihm zu folgen.
Alle beide schlugen einen scheuen Bogen um die Statue, die aus der Nähe noch unheimlicher, fremder und beklemmender wirkte.
Der goldene Gott schien aus seinen feurigen Augen ständig in ihre Richtung zu blicken, egal, von welcher Seite sie sich ihm näherten.
Carberry versuchte, das diffuse Licht mit den Augen zu durchdringen. Jeden Augenblick war er darauf gefaßt, daß Fremde auftauchten.
Jetzt befand sich der Schlangengott in ihrem Rücken, und alle beide atmeten erleichtert auf.
„Unheimlich, was“ wisperte Matt. „Die Schlange und das Mädchen sehen aus, als würden sie leben.“
„Ja“ flüsterte Ed zurück. „Man verspürt eine unsichtbare Gewalt, die von den beiden ausgeht. Laß uns bloß weitergehen. Da drüben gibt es wieder einen Gang.“
Froh, endlich die übergroße Statue hinter sich gelassen zu haben, nahmen sie ihrem Marsch durch das weitverzweigte Labyrinth wieder auf.
Carberry warf immer wieder einen scheuen Blick zurück. Dunkel und drohend, einsam und doch von seltsamem Leben erfüllt, stand die Statue da und schien ihnen nachzublicken.
Sie krochen durch gewundene Gänge, schoben sich zweimal an künstlich angelegten Stollen vorbei und hatten sich bereits hoffnungslos verirrt, als der Profos Matt anstieß.
„Dort vorn wird es heller. Spürst du den Luftzug, Matt?“
„Klar, ich glaube, wir haben es geschafft.“
Schwach wehte kühle Luft herein, die an ihnen vorbeistrich und sie wieder neue Hoffnung schöpfen ließ.
„Mann, was bin ich froh“, stöhnte Matt erleichtert. „Am meisten habe ich mich vor diesem Schlangengott gefürchtet, das war ja noch schlimmer als die vielen Gänge.“
Ed entgegnete nichts. Aber Matt hatte genau das ausgedrückt, was auch er ständig empfunden hatte: Angst vor der drohenden Statue, die da unten stand.
Nur über die Bedeutung ihrer Entdeckung waren sich beide Männer nicht klar.
Jetzt wanden sie sich durch einen niedrigen Gang, der wendelförmig nach oben lief – in die Freiheit. Die letzten mehr als hundert Yards legten sie kriechend zurück. Dann schien grelles Sonnenlicht in ihre Augen und blendete sie.
Carberry und Davies sahen sich um. Sie befanden sich zwischen Klippen, Felsen und kleinen Büschen. Vor ihnen lag wie ein Spiegel aus flüssigem Silber das Meer.
„Wir befinden uns genau auf der anderen Seite der Insel“, stellte der Profos fest. „Damit haben wir fast die halbe Insel durchquert.“
Es war ruhig hier, einsam, unheimlich still. Die ganze Welt schien gestorben zu sein. Nichts existierte mehr als dieses Eiland, sie glaubten sich allein und verlassen auf der Welt.
Wo waren ihre Kameraden? Warum meldeten sie sich nicht?
„Los, gehen wir den Weg zurück“, sagte Carberry.
„Durch die Höhlen? Ohne mich“, wehrte Matt hastig ab.
„Nicht durch die Höhlen. Wir suchen uns einen Weg durch die Klippen, um wieder an unseren Ausgangsort zu gelangen. Vielleicht ist Hasard doch schon zurückgekehrt und wartet auf uns. Er wird sich wundern, wenn er uns nicht mehr vorfindet.“
„Du hast recht, gehen wir zurück. Ich würde mich freuen, wenn wir bald einen von den Satansbraten sehen.“
Der Weg an den Ausgangspunkt wurde beschwerlich. Immer wieder versperrten ihnen scharfzackige Felsen den Weg. Aber er war immer noch besser als der Weg durch die unterirdischen Gänge, durch dieses Labyrinth, das fast die ganze Insel durchzog, und von dem sie erst einen Teil gesehen hatten.
Je weiter sie durch die Felsen stiegen, je mehr waren sie auch davon überzeugt, daß diese Insel im Sargassomeer eine uneinnehmbare Festung war. Kein Schiff kam hier heran, kein noch so kühner Kapitän würde es wagen, im Gewirr der scharfen Felszacken anzulegen. Es gab tatsächlich nur den einen Weg durch die Passage. Und dort fand man zwar herein, aber nicht mehr heraus.
Eine Teufelsinsel, fand Carbeery.
Schwitzend marschierten sie weiter, und es erschien ihnen, als seien sie wirklich die einzigen Menschen auf der Welt.