Читать книгу Seewölfe Paket 4 - Roy Palmer - Страница 17
2.
ОглавлениеAn Bord der „Isabella VIII.“ waren auf allen Decks Strecktaue gespannt. Der Himmel war jetzt fast schwarz, unaufhörlich wälzten sich schwere Brecher heran. Sprühende und leuchtende Gischtkronen gaben den Wogen ein unheimliches Aussehen. Die Galeone arbeitete schwer. Immer wieder holte sie weit nach Backbord über. Einen Teil ihrer Besegelung hatte der Seewolf bereits reffen lassen. Wenn der Bug des ranken Seglers eintauchte und eine der Wogen donnernd an ihm zerschellte, ergoß sich eine wahre Sintflut über die Decks.
Die schweren Siebzehnpfünder hatte Ferris Tucker festlaschen lassen, alle Niedergänge und Luken waren verschalkt. Sogar Dan O’Flynn, der sich auch bei diesem Wetter als Ausguck im Hauptmars befand und ganz bestimmt nicht dazu neigte, seekrank zu werden, war bei den wilden Bewegungen der „Isabella“ mittlerweile recht blaß um die Nase geworden. Und doch hatte der Hurrikan noch gar nicht begonnen, dies waren erst seine Vorboten.
Hasard knüppelte sein Schiff durch die schwere See. Er wußte wie jeder andere Mann an Bord, daß es diesmal ums Leben ging. Denn was sich da im Westen über und vor ihnen zusammenbraute, war etwas, was sie nicht einmal am Kap der Dämonen erlebt hatten.
Die große Caicos-Insel wuchs mit jeder Minute, die sich die „Isabella“ durch die See kämpfte, höher vor ihnen auf. Von dem Zweimaster der Roten Korsarin war weit und breit nichts mehr zu sehen. Der Seewolf ahnte, daß auch sie die Lage genauso eingeschätzt hatte wie er. Kam noch hinzu, daß sie sich in der Karibik wahrscheinlich weitaus besser auskannte als er.
Die „Isabella“ hielt auf die Ostspitze der Insel zu. Dort gab es eine tiefeingeschnittene Bucht, die vor dem von Westen herannahenden Hurrikan Schutz gewähren würde. Es hing jetzt alles davon ab, ob sie es schaffen würden, diese Bucht noch vor Ausbruch des Orkans zu erreichen.
Der Seewolf hatte keine sonderlich große Erfahrung mit Hurrikans, aber soviel wußte er doch: Wetter dieser Art wechselten ihre Windrichtung blitzschnell. Es war daher ein beträchtliches Risiko, das er einging, indem er auf die Insel zusegelte. Denn wenn der Hurrikan sie erwischte, dann konnte er die „Isabella“ ebensogut auf die Klippen werfen, wie er sie nach Westen jagen konnte. Hinzu kamen noch die gefährlichen Kreuzseen, die sich im sogenannten Auge des Hurrikans bildeten und ein Schiff innerhalb weniger Minuten in ein Wrack verwandeln mochten. Der Seewolf hatte von alledem gehört, es gab Berichte über diese entsetzlichen Stürme in der Karibik. Niemand wußte genau, wieviele Schiffe, besonders der Spanier, ihnen bereits zum Opfer gefallen waren.
Hasard beobachtete scharf die Takelage. Die Galeone tauchte mit dem Backbordschanzkleid fast ein, so tief drückte der Sturm sie herunter. Aber gerade dadurch lag sie trotz der gewaltigen Seen, die unter ihrem Rumpf hindurchrollten oder sich über ihre Decks ergossen, immer noch verhältnismäßig ruhig in der See. Und sie lief gute Fahrt – mit jeder Minute, mit jeder Meile, die sie zurücklegte, verbesserten sich die Überlebenschancen der Seewölfe.
Aber dann erwischten sie die ersten Ausläufer, des Hurrikans, kurz bevor sie die Ostseite der Insel passierte.
Die Männer hörten die Bö heranheulen. Mit ihr wuchs ein gigantischer Brecher aus der pechschwarzen See hoch. Ein greller, blendender Blitz zuckte in die See, ihm folgte ein krachender Donner. Und dann wurde die „Isabella“ emporgerissen. Gurgelnde Wasserfluten ergossen sich über das Schiff, verzweifelt klammerten sich die Männer an den Strecktauen fest. Carberry spürte nur noch, wie ihm die gurgelnde, grünschwarze Flut die Beine wegriß, wie seine Hände den Halt verloren, und wie er von den kreiselnden Wassermassen davongewirbelt wurde.
Da half keine Kraft, da half kein Festkrallen, da half gar nichts. Er vergaß in seiner panischen Furcht, bei diesem Sturm über Bord gespült zu werden, die Leine, die an einem der Strecktaue verankert war und die ihn sicherte. Er spürte nur, wie sein Körper über das Hauptdeck wirbelte, irgendwann knallte er gegen eins der Geschützrohre, dann hob ihn die gurgelnde See über das Schanzkleid der Galeone und riß ihn mit sich fort.
Das Großsegel wurde von der Bö aus den Lieken gefetzt, knatternd flatterte es im Wind, aber das sahen weder Hasard noch Ben Brighton noch Pete Ballie und Smoky, die am Ruder standen, denn in diesem Moment brach eine weitere See über dem Achterkastell zusammen. Sie hatte eine solche Wucht, daß sie die Galeone herumwarf, das Achterkastell tief in die See drückte und den Bug des Schiffes nach oben steigen ließ.
Männer stürzten und rollten über das Hauptdeck, die „Isabella“ holte so weit über, daß ihr Backbordschanzkleid in der gischtenden See völlig verschwand. Dann kippte sie mit dem Bug in den Abgrund, der sich nach der gewaltigen See, die sie von achtern überlaufen hatte, vor ihr auftat. Und diesmal stieg das Heck aus der See und hing sekundenlang im Himmel.
Hasard, ebenfalls durch eine Leine gegen das Überbordgehen gesichert, rutschte auf dem Achterkastell entlang und krachte gegen die Five Rail. Der Schmerz war so heftig, daß er ein paar Sekunden wie paralysiert liegenblieb, kaum imstande, Luft zu holen.
Dann war plötzlich alles vorbei. Langsam richtete sich die „Isabella“ wieder auf. Fluchend und mit verzerrten Gesichtern rappelten sich die Männer hoch.
Ferris Tucker erblickte die außenbords hängende Sicherungsleine zuerst. Ein eisiger Schreck durchfuhr ihn.
„Ed!“ brüllte er. „Ed!“ Er stürzte zum Schanzkleid, packte die Leine und begann wie ein Wilder an ihr zu zerren.
Stenmark und Batuti sprangen hinzu und halfen ihm. Erst Sekunden später spürten sie Widerstand und atmeten auf. Sie verdoppelten ihre Anstrengungen, dann tauchte der Profos auf, aber sie sahen gleich, daß er längst das Bewußtsein verloren hatte.
„Verdammt, schneller, oder Ed säuft uns jetzt noch ab!“ Ferris Tukkers gewaltige Pranken packten zu. Sie zerrten den Profos an Bord, packten ihn und hielten ihn fest, als ein neuer Brecher die „Isabella“ überrollte.
Als das Wasser abgelaufen war, stellte der hünenhafte Schiffszimmermann den Profos kurzerhand auf den Kopf und bedeutete Batuti und Stenmark, ihn so zu halten. Dann schlang er seine Arme um den Profos und begann zu pressen.
Ein Zucken ging durch den gewaltigen Körper Carberrys, dann brach er das Seewasser aus, das ihm in die Lungen eingedrungen war.
Er hustete, krächzte, gurgelte und schließlich fluchte er.
„Verdammt noch mal, welcher Affenarsch hat mich denn da …“
Wildes, befreites Gelächter antwortete ihm, und der Schiffszimmermann stellte ihn kurzerhand wieder auf die Füße.
Carberry hustete, krächzte und spuckte noch eine Weile, und zwischendurch wurde die „Isabella“ noch von ein paar Brechern überrollt, aber sie waren harmlos gegen den, der den Profos über Bord gespült hatte.
„He, Ed, fluche nur ruhig weiter und zieh dir dabei deinen Affenarsch in Streifen ab!“ Ferris Tucker feixte. „Dann wissen wir jedenfalls, daß du deinen Ausflug außenbords überlebt hast!“
Carberry sah die Gefährten an. Dann schlug er dem Schiffszimmermann seine Pranke auf die Schulter.
„Wird euch der alte Carberry nicht vergessen, Jungs. Ohne euch wäre ich abgesoffen wie eine Ratte.“
Er warf einen Blick zur Takelage hoch.
„O verflucht!“ brüllte er plötzlich, als er das zerfetzte Großsegel sah, und sein nächster Blick streifte den Seewolf, der in merkwürdig verkrümmter Haltung auf dem Achterkastell stand, immer noch nach Luft ringend.
„Wir stehen hier ’rum und quatschen dämliches Zeug, während da oben der Teufel los ist! Los, Jungs, in die Wanten, oder ich ziehe euch die Haut von euern Affenärschen!“ brüllte er, und gegen diese Stimme war sogar die Bö machtlos, die eben heranheulte. „Wenn uns noch so ein Bursche erwischt wie eben, dann gute Nacht, „Isabella“!“
Die Männer erwachten aus ihrer Erstarrung. Er sah, wie sie ihre Sicherungsleinen lösten und aufenterten. Das war der Moment, in dem die „Isabella“ die Ostseite der Caicos-Insel erreicht hatte. Dunkle Felsen türmten sich vor ihnen an Steuerbord auf, die Einfahrt zu einer tiefen, unüberschaubaren. Bucht wurde sichtbar. Gleichzeitig spürten sie, wie die See ruhiger wurde, weil die hohen Felsen der Insel sie gegen den von Westen heranbrausenden Hurrikan abschirmten.
Die „Isabella“ schwang herum, während die Männer im Rigg damit beschäftigt waren, das knatternde und wild schlagende Großsegel zu bergen.
Der Seewolf richtete sich keuchend auf, der Schmerz in seinen Rippen ließ nur langsam nach.
„Ben, wir haben es geschafft“, sagte er nur, und in seinen eisblauen Augen tanzten kleine Funken. „Soweit wie möglich in die Bucht hinein, die hohe Felsbarriere dort hinten wird uns Schutz bieten. Dann runter mit den Segeln, Anker werfen. Was dann passiert, müssen wir über uns ergehen lassen. Wir können nur hoffen, daß der Hurrikan nicht ausgerechnet durch diese Bucht kreiselt!“
Die „Isabella“ stampfte und rollte und schlingerte durch die Bucht. Dann sichtete Dan O’Flynn im Hauptmars den Zweimaster der Roten Korsarin. Er lag bereits tief im Innern der Bucht vor Anker, die roten Segel waren geborgen.
Die beiden Schiffe hatten unwahrscheinliches Glück. Der Hurrikan änderte seine Richtung buchstäblich in letzter Sekunde. Sein Zentrum zog nördlich der großen Caicos-Insel vorbei, nur die Ausläufer streiften die Bucht. Aber das genügte, um die Männer an Bord der Schiffe in Furcht und Schrecken zu versetzen. In der Bucht der Insel wuchsen Brecher hoch und zerschellten donnernd an den Klippen. Ferris Tucker und seine Männer standen angelascht auf der Back, bereit, sofort den Ersatzanker auszubringen, falls die Ankertrosse brechen sollte.
Blitze zuckten hernieder, dann begann ein wolkenbruchartiger Regen. Er prasselte mit solcher Wucht an Deck, daß überall auf der „Isabella“ wahre Wasserfontänen aufsprangen. Er wurde so dicht, daß die Männer, die sich auf der Back der „Isabella“ befanden, das Hauptdeck nicht mehr sehen konnten.
Dieses Wetter, dieser trommelnde. vom Sturm gepeitschte Regen, hielt stundenlang an. Es wurde Nacht, und noch immer heulte der Sturm mit unverminderter Stärke durch die Bucht. Manch ein Blick streifte den Seewolf, der genau wie seine Männer Stunde um Stunde an Deck geblieben war. Sie wußten, daß sein Entschluß, die Bucht anzulaufen, ihnen allen das Leben gerettet hatte.
Aber auch auf Tortuga war die Hölle los. Über der ganzen Karibik hatte sich – dem Hurrikan folgend – ein Sturmtief aufgebaut.
Caligu stand am Eingang der Grotte, die sein Hauptquartier bildete und in der noch kurz zuvor sein Kampf auf Leben und Tod mit dem Fremden stattgefunden hatte. Ein dunkler Blutfleck auf den Bohlen erinnerte daran.
Caligu kochte. Ihm paßte der Sturm überhaupt nicht, denn er wußte, daß sich das spanische Schiff mit den Gold- und Silberbarren an Bord zu dieser Stunde bereits im nördlichen Teil der Windward Passage befinden mußte. Und daß es ihm, sofern es diesen Sturm, der einer der wildesten war, an den sich der riesige Pirat erinnern konnte, überdauerte, wahrscheinlich entwischen würde.
Caligu wußte nicht, warum, aber er hatte keinen Augenblick daran gezweifelt, daß ihm der Fremde bezüglich des spanischen Schiffes die Wahrheit gesagt hatte. Er mußte einer jener Kontaktmänner und Spione gewesen sein, die die Rote Korsarin auf den Inseln stationiert hatte, um immer rechtzeitig über Silberoder Goldtransporte unterrichtet zu sein. Das bedeutete aber, so überlegte Caligu weiter, daß es hier irgendwo noch ein Schiff geben mußte, das mit der Roten Korsarin zusammenarbeitete. Denn wie sonst erhielt sie die notwendigen Informationen?
Caligu ballte die Hände zu Fäusten. Dieses Schiff würde er finden, sobald er von seinem nächsten Raubzug zurückgekehrt war. Nur – lag es denn überhaupt im Hafen von Tortuga? Oder befand es sich nicht viel eher auf Hispaniola oder Cuba?
Caligu stampfte mit dem Fuß auf. Egal, er würde es schon herausfinden. Und wenn diese verfluchte Rote Korsarin so dumm war, wirklich auf ihn zu lauern und den Spanier als Lockvogel zu benutzen, dann sollte sie sich wundern.
Seine Rechte zuckte hoch. Unwillkürlich tastete er nach der gerade erst verheilten Messerwunde, die ihm die Rote Korsarin in der rechten Seite seines Brustkorbs beigebracht hatte und wegen der er auch jetzt noch manchmal Blut spuckte.
Ein böses Grinsen überzog Caligus Züge. Diese Siri-Tong war eine Wildkatze, die sich nicht so einfach zähmen ließ. Aber sie war weit und breit verdammt die hübscheste Frau in der Karibik, die ihm jemals unter die Augen getreten war.
Caligu atmete schneller, als jetzt einige Szenen in seiner Erinnerung wieder aufstiegen. Und dann hatte er seinen Entschluß gefaßt.
Die Sturmböen hatten etwas von ihrer Stärke verloren, ebenfalls der Regen. Er würde auslaufen, sofort. Und es sollte einer seiner Männer wagen, sich zu weigern.
Abrupt drehte der Pirat sich um und ging in die Grotte. Maria Juanita, die ihn die ganze Zeit beobachtet hatte und genau wußte, an was Caligu jetzt dachte, wurde um einen Schein blasser. Sie kannte den Wagemut dieses Hünen, und sie kannte auch seine Brutalität, gegen die es keinen Widerspruch mehr gab, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.
Unwillkürlich stellte sie ihren Krug Wein auf den Bohlentisch und blickte Caligu erwartungsvoll an.
Der Pirat verkündete seinen Männern seinen Entschluß auf seine Weise. Er trat an einen der langen Tische, packte die schwere Holzbohle, hob sie von den Böcken, auf denen sie ruhte, und schleuderte sie zur Seite.
Weinkrüge, riesige Portionen von gebratenem Fleisch, Stühle und kreischende Weiber, die nackt oder halbnackt hier und da auf den Knien eines Piraten gesessen hatten, polterten durcheinander. Roter Wein ergoß sich in Strömen auf die Bohlen.
„Schluß jetzt mit Saufen, Fressen und Huren!“ brüllte Caligu. „An Bord mit euch, oder ich werde euch Beine machen. Wir laufen aus, wir werden uns jetzt den Spanier und diese verfluchte Rote Korsarin holen!“
Die Männer, die zum Teil fluchend in ihrem eigenen Wein am Boden lagen, neben oder auf sich die Mädchen, verstummten plötzlich. Sie blickten Caligu an und hörten den Sturm, der draußen vor der Grotte noch immer über Tortuga heulte.
Einer von ihnen, ein gefährlich aussehender Kerl mit einem Mongolenbart, sprang auf. Er funkelte Caligu aus seinen jettschwarzen Augen an.
„Bei diesem Wetter? He – du mußt verrückt sein, Caligu! Was glaubst du denn wohl, wie wir zwischen den Inseln hindurchsegeln sollen, die Brecher werden uns …“
Mit einem Satz war Caligu bei ihm. Er drosch ihm die Faust ins Gesicht, daß sich der Mann aus dem Stand überschlug.
„Noch jemand?“ brüllte er. „Hat noch jemand etwas dagegen, daß wir segeln?“
Keiner der Männer rührte sich. Sie kannten Caligu, und keiner unter ihnen traute sich zu, mit ihm fertig zu werden.
Wie geprügelte Hunde verließen die Kerle die Grotte. Sie schleppten den Bewußtlosen mit. Zurück blieb ein Chaos aus umgestürzten Stühlen, Weinlachen auf den Bohlen und herumliegenden Speiseresten.
Unterdessen kämpfte sich die spanische Galeone „Santa Magdalena“ durch die Brecher der Windward Passage. Aber sie befand sich schon wesentlich weiter nördlich, als Caligu vermutete.
Capitan Don Pedro hatte sich auf dem Achterkastell festgelascht. Sein Schiff fuhr nur die nötigste Besegelung. Die „Santa Magdalena“ war eine schwer gebaute, dickbauchige Galeone mit sehr hohem Achterkastell und einem weit über den Bug hinausragenden Vorkastell. Sie führte als Bewaffnung zwanzig 14-Pfünder, auf dem Vor- und Achterkastell je drei Drehbassen und zusätzlich auf dem Vorkastell eine Bombarde.
Don Pedro war bewußt, daß keines der spanischen Silberschiffe allein segeln durfte, sondern daß die strikte Anweisung lautete, wegen der Piraten, von denen es in der Karibik mehr als genug gab, nur im Geleit zu fahren. Aber er hatte auf diese Anordnung keine Rücksicht nehmen können, wenn er das Geleit, das von Havanna nach Spanien aufbrechen sollte, noch rechtzeitig erreichen wollte. Außerdem handelte es sich bei Captain Don Pedro um einen erfahrenen Mann, der schon viele Kämpfe bestanden hatte und sich nicht so leicht vor Tod und Teufel fürchtete.
Das einzige, was ihm an dieser Reise nicht gefiel, war die Tatsache, daß er die Tochter eines hohen spanischen Beamten von Panama und ihren Verlobten hatte an Bord nehmen müssen.
Normalerweise hätte er auch nicht den Weg durch die Windward Passage eingeschlagen, aber er hatte noch etwas auf Jamaica zu erledigen gehabt, und dann war er durch die starken westlichen Winde gezwungen worden, diesen Kurs zu nehmen. Denn das ewige Aufkreuzen gegen den Wind, das haßte er wie die Pest.
Sein Schiff hatte etliche Sturmschäden erlitten. Die Mannschaft war schon seit Stunden dabei, das hereingeschlagene Wasser zu lenzen. Nirgendwo im Inneren der Galeone gab es ein auch nur halbwegs trockenes Plätzchen, seine eigene Kapitänskammer eingeschlossen, denn die Brecher hatten die Scheiben der Fenster des Achterkastells kurz und klein geschlagen. Auch seine Kammer bildete ein einziges Chaos von Wasser, zerweichten Seekarten, nassen Kleidern und zerborstenen Möbeln.
Wie es mit dem Pulver in der Pulverkammer stand, das mußte man später feststellen. Fünf Mann seiner Besatzung hatte er durch überkommende Brecher verloren, die Großrah war an Deck gestürzt und hatte weitere zwei Seeleute erschlagen.
All das war nicht geeignet, die schlimme Laune Don Pedros zu bessern, die ihn schon seit Stunden gepackt hatte.
Als jetzt die Tochter des spanischen Beamten zusammen mit ihrem Verlobten das Achterdeck betrat, verfinsterte sich seine Miene noch mehr. Er konnte keine Passagiere bei diesem Wetter an Deck gebrauchen, schon gar nicht diese beiden.
Er starrte ihnen entgegen. Seine Augen waren rotgerändert, vom Salzwasser und vor Übermüdung hatten sich die Lidränder entzündet.
Er löste die Leine, mit der er sich am Besanmast festgelascht hatte. Langsam trat er auf die beiden zu.
„Ich hatte Sie gebeten, bei diesem Wetter unter Deck in Ihrer Kammer zu bleiben!“ sagte er nicht ohne Schärfe.
Die junge Frau, bleich und hohläugig von der Seekrankheit, stützte sich auf das Schanzkleid. Aber ihre dunklen Augen funkelten den Capitan wütend an.
„Sehen Sie sich die Kammer einmal an, Capitan!“ erwiderte sie, und auch ihre Stimme hatte einen scharfen Klang. „Alles ist klatschnaß, was in Schränken oder Schubladen war, liegt jetzt auf dem Boden zerstreut herum. Ich habe einfach keine Lust mehr, dort unten in diesem Schweinestall von einer Kammer zu hausen. Außerdem läßt der Sturm nach, und ich denke, meinem Verlobten und mir wird etwas frische Luft guttun. Außerdem: Der Hafenkapitän hatte sie vor dem Sturm gewarnt, sie hätten mit dem Auslaufen noch warten können, dann wäre uns allen dieses Wetter erspart geblieben. Im übrigen unterstehen weder mein Verlobter noch ich Ihrem Kommando. Wenn Sie klug sind, laufen Sie den nächsten Hafen an und lassen erst einmal die Schäden an Ihrem Schiff ausbessern, bevor Sie die Reise nach Havanna fortsetzen!“
Die junge Frau warf den Kopf in den Nacken und wollte den Capitan einfach stehenlassen.
Aber dem Capitan platzte in diesem Moment der Kragen. Mit einem blitzschnellen Griff zog er seine Passagierin zu sich herum und starrte sie an.
„So, in den nächsten Hafen soll ich segeln? Danken Sie Gott, Senorita, wenn ich dazu nicht gezwungen sein werde. Auf diesen Inseln, auf Hispaniola und auf Cuba wimmelt es nur so von Piraten. Von Tortuga ganz zu schweigen. Und die sind ganz besonders scharf auf so arrogante junge Frauen wie Sie. Wenn wir überhaupt eine Chance haben, ungeschoren durch die Windward Passage zu gelangen, dann bei diesem Wetter, denn die Schiffe der Piraten sind zwar meist sehr schnelle zweimastige Karavellen, aber solchem Wetter sind sie nicht gewachsen, und das ist unsere Chance! Solange dieses Schiff hier seetüchtig ist, wird weitergesegelt. Sollte sich das Wetter wieder verschlechtern, dann werde ich Sie und Ihren Verlobten unter Deck schaffen lassen, falls Sie meine Anordnungen nicht befolgen. Wenn nötig, sogar mit Gewalt. Ich bin dafür verantwortlich, daß Sie beide Havanna wohlbehalten erreichen.“
Er ließ die junge Frau los, deren Verlobter eben nach seinem Degen gegriffen hatte.
„Sie wagen es, meine Verlobte zu berühren?“ schrie er den Capitan an.
Don Pedro versetzte ihm einen Hieb auf den Unterarm, der den Degen sofort wieder ins Gehänge zurücktrieb.
„Lassen Sie Ihren Degen stecken, Senor“, sagte er dumpf. „Und beten Sie zu Gott, daß Sie ihn auf dieser Reise nicht noch brauchen, um Ihr Leben und das Ihrer Verlobten gegen aufenternde Piraten zu verteidigen!“
Damit wandte er sich ab und begab sich auf einen Rundgang durchs Schiff, um überall nach dem Rechten zu sehen. Und er nahm sich vor, der Pulverkammer mit ein paar Leuten einen Besuch abzustatten.
Die Abenddämmerung hatte begonnen, der Sturm weiterhin nachgelassen. Die „Santa Magdalena“ lief gute Fahrt – dem unausweichlichen Verhängnis entgegen.
Die „Isabella VIII.“ und der ranke Zweimaster der Roten Korsarin lagen eine Kabellänge voneinander entfernt in der Bucht von Grand Caicos. Der Sturm hatte zwar nachgelassen, aber noch immer liefen wilde Kreuzseen durch die Bucht und setzten den Männern an Bord der beiden Schiffe schwer zu.
Zweimal schon hatte sich der Anker der Roten Korsarin losgerissen, zweimal hatten die Männer Hasards unter Einsatz ihres Lebens der Besatzung des Zweimasters dabei geholfen, das treibende Schiff wieder zu verankern.
Aus diesem Grund befand sich der Seewolf zu dieser Stunde an Bord des Schiffes der Roten Korsarin, denn die letzte Aktion hatte er selbst geleitet, weil er Ferris Tucker und seine Männer der Ankerwache nicht von der „Isabella“ abziehen wollte.
Die Rote Korsarin hatte Hasard in ihre Kammer gebeten, und Hasard mußte innerlich bei dem Gedanken grinsen, daß der alte O’Flynn und Dan, die das ganz bestimmt beobachtet hatten, jetzt schon wieder Unheil witterten. Denn sowohl der Bruder als auch der Vater von Gwen, seiner Frau, wachten eifersüchtig darüber, daß sich zwischen dem Seewolf und der bildhübschen Roten Korsarin nichts anbahnte. Daß aber längst ein Funke zwischen ihnen übergesprungen war, das wußte Hasard genausogut wie Siri-Tong.
Nur Hasard dachte nicht daran, sich auf irgend etwas einzulassen. Das war er Gwen und den Kindern schuldig. Außerdem wußte er genau, daß er bei seinen Männern jeden Respekt verlieren würde, wenn er sich in dieser Beziehung nicht einwandfrei verhielt. Vom Tode seiner Frau ahnte er ja zu dieser Zeit noch nichts, und selbst wenn das der Fall gewesen wäre, hätte das auch nichts an seiner Haltung geändert.
Trotzdem war es ein Spiel mit dem Feuer, denn Siri-Tong war nicht nur eine faszinierende Frau, sondern sie glich einem Vulkan, der jeden Moment zum Ausbruch kommen konnte.
Die Rote Korsarin sah den Seewolf aus ihren dunklen Augen an, während sie ihm wortlos einen Becher erstklassigen Rum hinüberschob. Sie beobachtete jede Regung Hasards, und es entging ihr nicht, daß auch der Seewolf sie kaum aus den Augen ließ.
„Also, Madame, was haben wir so Wichtiges miteinander zu besprechen?“ fragte der Seewolf schließlich, dem das Schweigen in der Kammer irgendwie auf die Nerven ging.
Siri-Tong bedachte ihn wieder mit einem prüfenden Blick, und dabei tanzten auf dem Grund ihrer nachtschwarzen Augen winzige Funken.
„Zu besprechen eigentlich nichts, Seewolf“, sagte sie. „Aber ich wollte Ihnen etwas erzählen, damit Sie wissen, warum ich so hinter diesem Caligu her bin und nicht ruhen werde, bis dieser Hund tot ist.“
Der Seewolf horchte auf. Andeutungsweise wußte er, daß Siri-Tong diesen Piraten haßte, wie eine Frau nur einen Mann zu hassen vermochte. Er ahnte auch den Grund, aber Genaues hatte er nicht in Erfahrung bringen können.
Interessiert beugte er sich vor.
„Das würde mich in der Tat interessieren, Madame, Sie wissen, daß auch meine Männer und ich mit diesem Burschen so manchen Strauß ausgefochten haben, und nicht immer war unsere Lage dabei als rosig anzusprechen. Es wäre töricht, Caligu zu unterschätzen, er ist ein äußerst gefährlicher und zu allem entschlossener Gegner. Dabei ist er durchaus kein Feigling, sondern ein Mann, der zu kämpfen weiß. In der Windward Passage hat nur das Eingreifen eines alten Freundes meine Männer und mich gerettet, ohne ihn wären wir samt unserer „Isabella“ geliefert gewesen. Aber seine mutige Tat kostete ihn und allen seinen Männern das Leben.“
Der Seewolf sah die Szene wieder vor sich. Er sah die riesige Gestalt Torfin Njals, des Wikingers, vor sich, hörte sein dröhnendes Lachen, mit dem er an der „Isabella“ vorübersegelte, vernahm wieder das Krachen, als sich die riesige Galeone des Wikingers in den Gegner bohrte, der die „Isabella VIII.“ so hart bedrängte, daß der Seewolf keinerlei Chance mehr gehabt hätte, dem tödlichen Rammstoß zu entgehen. Und dann stand vor seinen Augen wieder der Feuerball der gewaltigen Explosion, die die gegnerische und die Galeone des Wikingers zerrissen und alle Männer dieser beiden Schiffe zerfetzt hatte.
Danach war die Schlacht in der Windward Passage entschieden gewesen.
„Sie meinen den ‚Wikinger‘?“ fragte die Rote Korsarin in seine Gedanken hinein.
Der Seewolf blickte sie überrascht an.
„Ja, Sie kennen Torfin Njal und seine Männer?“
„Ja, ich war einige Male bei ihm und seinen Männern auf jener Insel, auf der er seinen Schlupfwinkel hatte. Er hat damals schon von Ihnen und Ihren Männern gesprochen und sich sehnlichst gewünscht, Ihnen einmal wiederzubegegnen.“
Die Augen der Roten Korsarin hatten für einen Moment einen weichen, verträumten Ausdruck angenommen, und Hasard spürte sofort, daß es zwischen ihr und dem Wikinger mehr gegeben haben mußte, als lediglich gelegentliche Treffs.
Siri-Tong ließ dem Seewolf jedoch keine Zeit, diesen Gedanken weiter auszuspinnen, denn auch sie hatte sich jetzt weit vornübergebeugt, den schweren Becher mit Rum in der Hand.
„Ich werde diesen Caligu stellen und töten!“ zischte sie, und alle Verträumtheit war aus ihren Augen verschwunden. „Er wird sterben und jeder, der damals dabei war, ebenfalls!“
Die Rote Korsarin war aufgesprungen. Sie spürte den Blick der eisblauen Augen des Seewolfs auf sich, und ein Prickeln jagte über ihre Haut.
„Bei was dabei war?“ fragte Hasard, und er bemerkte, wie sich das Funkeln ihrer Augen verstärkte.
Die Rote Korsarin vergaß alle Zurückhaltung. Sie glitt auf den Seewolf zu und blieb unmittelbar vor ihm stehen. Ihre Linke krallte sich in seine Schulter, und ihr Atem ging nur noch stoßweise vor Erregung.
„Du willst es wissen, Seewolf? Du willst wissen, was dieser Dreckskerl mit mir getan hat, nachdem er mich heimtückisch überfallen und an Bord seines Schiffes geschleppt hatte? Gut, ich will es dir erzählen, damit du weißt, wozu dieses Schwein fähig ist. Er und diese dreimal verfluchte Hure Maria Juanita, die dabeistand und lachte!“
Siri Tong hob den schweren Becher und leerte ihn bis zur Neige. Dann setzte sie sich vor dem Seewolf auf den schweren Bohlentisch ihrer Kammer.
„Damals wußte ich noch nicht viel von diesem Caligu, als ich zum erstenmal den Hafen von Tortuga mit meinem Zweimaster anlief. Ich hatte von ihm gehört und erfahren, daß er ein gewalttätiger und gefährlicher Bursche sein sollte, der auf Tortuga den Ton angab. Ich hätte diese Teufelsinsel auch niemals angelaufen, weil ich wußte, welch ein Gelichter dort auf mich wartete. Aber Sturmschäden, die ich auf offener See nicht ausbessern konnte und die auch zu schlimm waren, um damit in meinen damaligen Schlupfwinkel zurückzukehren, zwangen mich dazu.“
„Damaligen Schlupfwinkel? War das noch nicht die Schlangen-Insel, Siri-Tong?“
Die Rote Korsarin schüttelte den Kopf. „Nein, sie war es nicht. Die Schlangen-Insel kannte ich damals noch nicht. Von ihr hatte ich gerade erst von einem der alten Indianer etwas erfahren, die damals noch die Schätze am Auge der Götter bewachten …“
Siri-Tong unterbrach sich abrupt, denn auch Hasard war bei dieser Bemerkung fast vom Stuhl hochgefahren.
„Am Auge der Götter? Meinst du etwa …“
Siri-Tongs Gesicht nahm einen abweisenden Ausdruck an.
„Ich habe dir gesagt, daß ich Torfin Njal, den Wikinger kannte, also auch seinen Schlupfwinkel. Ich war mit ihm am Auge der Götter, aber lassen wir das, denn das hat mit dem, was ich dir erzählen will, nichts zu tun. Wir liefen an einem Abend in Tortuga ein. Unser Zweimaster sah böse aus. Einer der schlimmen Stürme, nicht ganz so stark wie dieser, dem wir eben noch entronnen sind, hatte mein Schiff buchstäblich kurz und klein geschlagen. Wir hatten sogar Mühe, am Kai festzumachen. Da an diesem Abend doch nichts mehr unternommen werden konnte, entließ ich meine Männer an Land, und das hätte ich besser nicht getan. Denn kaum waren sie von Bord, da stand dieser Caligu schon auf meinem Schiff. Ein riesiger Kerl, der mich eine ganze Weile nur anstarrte. Ich wußte sofort, daß dieser Hundesohn nicht an Bord erschienen war, um mich auf der Schildkröteninsel willkommen zu heißen, denn ich sah das gierige Funkeln seiner Augen. Erst nach einer ganzen Weile glitten seine Blicke über mein Schiff. Er erkannte sofort – trotz der Schäden – daß mein Zweimaster ein ganz ausgezeichneter Segler war. Dann trat er dicht an mich heran. Ich war so unvorsichtig, diese Bestie an mich heranzulassen. Damals wußte ich zwar schon gut mit dem Degen umzugehen und meine Männer an Bord im Zaum zu halten, aber sonst war ich noch dumm. Viel zu dumm für einen Kerl wie diesen Caligu.
‚Was suchst du hier auf Tortuga?‘ fragte er mich. ‚Hat man dir nicht gesagt, daß niemand ohne Caligus ausdrückliche Erlaubnis in diesen Hafen einläuft?‘
Ich begriff in diesem Moment noch nicht, was dieser verdammte Bastard von mir wollte.
‚Du siehst doch, daß mein Schiff Beschädigungen erlitten hat, die ich ausbessern muß‘, erwiderte ich. ‚Und seit wann gehört Tortuga dir, Caligu?‘ fragte ich, so dumm wie ich damals war.
Caligu trat einen Schritt zurück und funkelte mich an.
‚Wer, zum Teufel, bist du?‘ fragte er. ‚Was gibt einem Weib die Frechheit, so mit Caligu zu reden?‘
Und wieder beging ich einen nahezu tödlichen Fehler. Dieser Kerl, dieser großmäulige Pirat, widerte mich plötzlich an. Ich riß meinen Degen heraus und setzte ihn dem Bastard auf die Brust. Das ging so schnell, daß sogar Caligu keine Zeit fand, meiner Klinge auszuweichen.
‚Man nennt mich die Rote Korsarin‘, sagte ich. ‚Und wenn du es nicht anders willst, dann werden wir hier und jetzt miteinander um Tortuga kämpfen. Hoffentlich bist du mit dem Entermesser oder dem Degen auch so gut wie mit dem Maul!‘
Caligu war überrascht, aber ich sah, welch ein Zorn in ihm tobte. Ich hatte ihn überrumpelt, und er war meiner Klinge hilflos ausgeliefert, jedenfalls dachte ich das.
Er starrte mich an. ‚Nimm den Degen weg. Gut, wir werden kämpfen‘, erwiderte er schließlich, und ich war dumm genug, ihm zu glauben.
Ich trat einen Schritt zurück, und genau in diesem Moment hörte ich hinter mir das Geräusch nackter Sohlen, die über die Planken meines Schiffes huschten. Dann kriegte ich eins über den Schädel.“
Siri-Tong goß sich erneut Rum ein und reichte dem Seewolf ebenfalls einen frischgefüllten Becher. Sie wirkte in diesem Moment verkrampft, ihre vollen Lippen waren verkniffen und ihre mandelförmigen Augen nur noch Schlitze.
Hasard schwieg, er ahnte schon, was jetzt kommen würde. Und er behielt auch recht.
Siri-Tong hatte die schmalen Hände zu Fäusten geballt.
„Ich will mich kurz fassen, Seewolf“, sagte sie, und ihre Stimme hatte einen dumpfen, gepreßten Klang.
„Ich wurde wieder wach, als ein paar von Caligus Kerlen mir Wasser über den Körper gossen. Ich wollte aufspringen, aber ich konnte nicht, denn diese Bestie hatte mich auf eine Gräting binden lassen. In welcher Lage, das brauche ich dir wohl nicht erst zu erzählen.“
Die Rote Korsarin atmete schwer, ihre schwarzen Augen waren voller Haß.
„Es dauerte eine Weile, bis ich wieder ganz klar im Kopf war, aber dann bemerkte ich, daß die Kerle Caligus mich umstanden und mich gierig anstarrten. Denn ich war nackt.“
Wieder schwieg Siri-Tong eine Weile, und Hasard hatte sich erhoben. Er legte ihr beruhigend einen Arm um die Schulter, und die Rote Korsarin wehrte sich nicht.
„Sprich nicht weiter, Siri-Tong“, sagte er leise. „Ich weiß auch so, was du jetzt sagen wirst …“
Die Rote Korsarin, die eben noch in sich zusammengesunken auf dem Tisch gesessen hatte, fuhr hoch. Mit einer heftigen, raschen Bewegung wischte sie den Arm des Seewolfs von ihrer Schulter. Ihre Augen waren weit geöffnet, als sie Hasard anblickte.
„So, du weißt, was ich jetzt sagen will? Nein, Seewolf, du weißt es nicht. Ich werde es dir beweisen. Es muß endlich ’raus aus mir, ich muß es endlich einmal einem Menschen sagen, hörst du?“
Sie hatte sich bei den letzten Worten in seine Segeltuchjacke verkrallt.
„Als ich endlich wieder voll bei Sinnen war, trat Caligu auf mich zu. Er starrte mich eine Weile an, und ich spürte, wie die Scham mir fast das Bewußtsein zu rauben drohte. Er hatte eine Peitsche in der Hand und schlug sofort zu. Hier – da kannst du es noch sehen!“
Mit einem Ruck hatte sie ihre Bluse von den Schultern gestreift – und Hasard blickte auf eine brandrote Narbe, die sich unterhalb ihrer festen Brüste quer über den Leib zog.
Siri-Tong streifte ihre Bluse wieder über.
‚Seht sie euch an, Männer!‘ brüllte er dann. ‚Rote Korsarin nennt sich diese kleine, dreckige Hafenhure!‘ Und dann lachte er, und schlug wieder zu – diesmal traf seine Peitsche meine Beine – aber die Striemen waren nicht so tief und sind inzwischen so gut wie verheilt. Die Männer an Deck seines Schiffes, auf dessen Planken sie ein Feuer entzündet hatten, lachten grölend. Ich konnte einen Teil der Gesichter sehen, die mich anstarrten, und ich habe keins vergessen, kein einziges.“
Wieder schwieg Siri-Tong eine kurze Weile, aber dann straffte sich ihr Körper.
„Caligu trat mich, schlug mich mit Händen und Fäusten, und ich war wehrlos, mußte alles das über mich ergehen lassen, ohne auch nur ein Glied rühren zu können. Ich höre seine Stimme immer noch: ‚Wenn ich mit dir fertig bin, du Hure, dann wird kein Mann mehr unter deinem Kommando segeln! Dein Schiff ist in meiner Gewalt, dich werde ich mit an Bord nehmen, für meine Männer, damit sie auch auf See ihren Spaß haben!‘
Anschließend fiel er über mich her. Wie ein Tier, wie eine Bestie in Menschengestalt. Ich bin fast gestorben vor Scham, vor Zorn, vor Ekel. Ich habe ihn angespuckt, aber Caligu hat nur gelacht. Und diese Maria Juanita, diese Schlampe, hat zugesehen und auch gelacht.
Irgendwann dann geschah etwas. Wie es dazu kam, habe ich erst später erfahren. Eine Handvoll von Männern stürmte auf Caligus Schiff. Der Pirat und seine Kerle wurden von diesem Angriff völlig überrascht und auf das Achterkastell zurückgedrängt. Dann schnitt mich jemand los, wer es war, daß weiß ich bis heute noch nicht. Aber dieser Mann warf mir gleichzeitig einen Degen zu und auch ein Hemd, mit dem ich meine Blößen bedecken konnte. Auf Caligus Schiff begann ein wilder Kampf. Das Feuer, daß Caligus Kerle an Deck entzündet hatten, war verloschen, ausgetrampelt von all den Füßen vermutlich, die durch die Flammen gerast waren. Nur der Mond gab etwas Licht – und dann stand ich Caligu gegenüber.“
Siri-Tong starrte den Seewolf an.
„Mein Haß kannte keine Grenzen. Ich wollte ihn töten, und deshalb sprang ich ihn an. Ich vergaß alles, was um uns herum geschah, mit meinem Degen und der Kraft, die mir mein Zorn verlieh, jagte ich über das Hauptdeck bis zum Vorderkastell. Und dann traf ihn mein Degen irgendwo in die Brust. Ich höre ihn heute noch aufschreien, sehe ihn gegen das Schanzkleid prallen und über Bord kippen. Leider bin ich nicht hinterhergesprungen. Ich dachte, ich hätte ihn getötet. Heute weiß ich, daß diese Juanita ihn gerettet und ihn wieder gesund gepflegt hat.
Es gab viele Tote in dieser Nacht, denn auch die anderen Piraten ergriffen die Gelegenheit, um sich von Caligus Joch zu befreien. Erst gegen Morgen wurde es still auf der Schildkröteninsel.
Wir suchten die ganze Insel ab, aber Caligu und seine Dreckskerle blieben wie vom Erdboden verschluckt, und einige meinten, der Teufel persönlich habe ihnen zur Flucht verholfen.
Später halfen mir dann einige der anderen Piraten, mein Schiff wieder seetüchtig zu machen. Vier Mann lebten noch von meiner alten Crew, ich mußte mich nach neuen Leuten umsehen, und ich fand sie auch. Du kennst sie. Sie sind genau das, was Tortuga zu bieten hatte.“
Siri-Tong blickte Hasard an.
„Jetzt weißt du, was auf Tortuga passiert ist. Diese Rechnung ist noch offen, für beide Seiten. Und niemand wird mich davon abbringen, diesen Schänder solange zu jagen, bis ich ihn vor meinem Degen habe. Erst dann werde ich vergessen, erst dann wird mich wieder ein Mann berühren!“
Sie sprang mit einer geschmeidigen Bewegung vom Tisch. Noch einmal schenkte sie aus dem kleinen Faß die Becher voll.
Aber der Seewolf gab sich noch nicht zufrieden.
„Und der Wikinger“, fragte er, „welche Rolle hat er in deinem Leben gespielt?“
Siri-Tongs Gesicht verschloß sich von einer Sekunde zur andern.
„Vielleicht werden Sie es einmal erfahren, Seewolf. Vielleicht auch nicht. Heute nur soviel: in der Bucht, über dem das Auge der Götter liegt, gab es noch ein anderes Schiff, einen schwarzen Segler. Wenn Sie dort gewesen sind, dann müssen sie ihn gesehen haben. Er spielte in meinem Leben eine Rolle – und mit ihm auch der Wikinger.“
Wieder versteifte sich Hasards Körper. Er dachte daran, was sie damals in jener Bucht vorgefunden hatten. Alte und neue Wracks, ausgebleichte Gerippe. An Bord des schwarzen Seglers von der Sonne ausgedörrte und zum Teil mumifizierte Tote, von denen niemand wußte, woran sie gestorben waren. Und er dachte an die Legenden, die sich um diesen schwarzen Segler gerankt hatten, er dachte an das, was ihm damals Ribault über dieses Schiff und über diese geheimnisvolle Bucht berichtet hatte.
Aber wieder ließ ihm die Rote Korsarin keine Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Sie war jetzt wieder völlig auf Distanz – schon das plötzliche Sie, das sie wieder benutzte, zeigte es ihm. Nur, in ihren dunklen Augen war immer noch so etwas wie ein warmer, unergründlicher Schimmer, wenn sie ihn ansah, und gerade das beunruhigte den Seewolf zutiefst. Denn Siri-Tong war keine Frau, die ein Mann übersehen oder ignorieren konnte.
„Ich werde jetzt an Bord meines Schiffes zurückkehren, Madame“, sagte er um eine Spur zu förmlich und ihm war in diesem Moment, als wenn ein wissendes, spöttisches Lächeln um ihre Mundwinkeln zuckte, aber Siri-Tong sagte nichts.
Kurze Zeit später befanden sie sich wieder an Deck. Der Sturm hatte weiterhin nachgelassen, aber noch immer rollten die Wogen durch die Bucht und zerrten die beiden Schiffe an ihren Ankertauen.
Der Seewolf warf einen prüfenden Blick in den Himmel. Die ersten Sterne wurden sichtbar, hinter den Bergen der Insel versank der fahle Mond und warf letztes, glitzerndes Silberlicht über die dunkle See.
„Wir werden bald guten Wind haben, Seewolf“, vernahm Hasard Siri-Tongs Stimme neben sich. „Sie sollten jetzt wirklich an Bord Ihrer „Isabella“ zurückkehren, auf den Gesichtern Ihrer Männer lese ich, daß sie mich am liebsten den Haien zum Fraß vorwerfen würden!“
Ein helles, leises Lachen begleitete ihre Worte, dann war die Rote Korsarin verschwunden, nachdem sie den Seewolf noch einmal ganz leicht und flüchtig am Arm berührt hatte.
Hasard ging zu den Männern hinüber, die am Schanzkleid auf ihn warteten, um ihn wieder zur „Isabella“ hinüberzurudern.
Stenmark, der lange Schwede, warf ihm einen prüfenden Blick zu. Smoky, das alte Schlitzohr, grinste von einem Ohr bis zum andern. Luke Morgan spielte den Gleichgültigen, aber es gelang ihm nur schlecht. Nur Batuti, der riesige Gambia-Neger, sagte, was alle dachten: „Können froh sein, Hasard, daß Dan und altes O’Flynn nicht hier. Kratzen Seewolf beide Augen aus, ja! Dieses Korsarin Siri-Tong Satansweib – Teufel persönlich auf Welt geschickt, um zu versuchen Seewolf!“
Dabei rollte Batuti geradezu furchterregend mit seinen Augen – und alle brachen schließlich in schallendes Gelächter aus.
Als Hasard die „Isabella“ betrat, nachdenklich, noch ganz unter dem Eindruck dessen, was er von der Roten Korsarin erfahren hatte, verließen drei Schiffe Tortuga. Die Galeone Caligus und zwei schnelle Karavellen. Sobald sie die schützende Bucht verlassen hatten, empfing sie die grobe See, die unaufhörlich von Westen heranrollte und die Schiffe innerhalb weniger Minuten unter einem dichten Gischtschleier verschwinden ließen.
Caligu stand auf dem Achterdeck seines Schiffes, Ihn störte die grobe See nicht im geringsten. Ihm war es ähnlich ergangen wie der. Roten Korsarin: Vor seinen Augen war die Vergangenheit noch einmal lebendig geworden. Er knirschte vor Wut mit den Zähnen, wenn er an dieses Teufelsweib dachte, dem er eine der schwersten Niederlagen auf Tortuga verdankte. Auch wenn er später die Herrschaft über die Insel wiedergewonnen hatte. Vergessen hatte er nichts, und er brannte darauf, dieser Siri-Tong wiederzubegegnen, um Rache zu nehmen, Rache für Tortuga!
Unwillkürlich glitt seine Linke zur rechten Brustseite. Die alte Wunde schmerzte wieder, und in seinem Mund war der süßliche Geschmack von Blut.
Caligus Züge verzerrten sich, als ihn gleich darauf ein Hustenanfall schüttelte. Aber er wußte, das ging vorüber. Diese Rote Korsarin hatte ihn angeschlagen, aber sie hatte ihn nicht umgebracht, und das sollte sie noch spüren!
Maria Juanita beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Sie war diesem Mann und seiner animalischen, brutalen Natur mit Haut und Haaren verfallen. Sie wußte es, aber sie zog aus dieser Erkenntnis auch ihren Nutzen. Denn bei Caligu verhielt es sich ähnlich. Auch sie brannte darauf, der Roten Korsarin noch einmal gegenüberzustehen. Maria Juanita spürte die Gefahr, die ihr von dieser Frau ständig drohte, das allein war schon Grund genug, daß sie sterben mußte. Grausam und lange, mit mehr Schmerzen, als jeder normale Mensch ertragen konnte.
Die beiden Karavellen segelten schon etliche Kabellängen voraus. Immer wieder verschwanden sie zwischen den hohen Wogen. Juanita grinste böse bei dem Gedanken, wenn sie daran dachte, wie die Männer an Bord dieser beiden Schiffe jetzt auf Caligu schimpften, wie sie Caligu verfluchten bei jedem Brecher, der ihr Schiff überrollte. Aber es half ihnen nichts, es gab niemanden mehr auf Tortuga, der sich Caligu zu widersetzen wagte. Und jener Fremde, der das gewagt hatte, den hatten die Haie längst gefressen.
An diesem Punkt ihrer Überlegungen stutzte Maria Juanita. Doch, über diesen Fremden mit der gelbbraunen Haut mußte sie noch nachdenken. Und auch über das, was er über jene seltsame Insel erzählt hatte, auf der unvorstellbare Schätze lagern sollten.
Sie berührte Caligu leicht am Arm, und der hünenhafte Pirat wandte sich zu ihr um.
„Ich geh in unsere Kammer. Wir haben noch Zeit, noch ist es nicht soweit. Wenn du willst, werde ich auf dich warten, Caligu!“
Der Pirat griff blitzschnell zu.
„Und ob ich will – mach dich schön für mich Maria Juanita, Caligu ist gleich bei dir!“
Maria Juanita entzog sich seinem Griff, aber um ihre Lippen spielte ein zufriedenes Lächeln.