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9.

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Durch die Passage fiel das Sonnenlicht wie eine goldene Krone. Strahlenförmig breitete es sich auf dem Wasser aus, tanzte in spiegelnden Reflexen und leckte flammengleich bis zur „Isabella“ hin.

Es versprach, ein herrlicher Tag zu werden. Eine leichte Brise wehte erfrischend herüber.

Hasard und die Seewölfe standen an Deck, mißtrauisch beäugt von den Piraten, die ihre Waffen schußbereit hielten.

Der Seewolf schritt zu Siri-Tong hinüber, die ihn aus schwarzen Mandelaugen zurückhaltend musterte. Dabei tobte alles in ihr, als sie ihn sah. Seinen sonnenverbrannten, muskulösen Öberkörper, die blitzenden weißen Zähne, die schwarzen Haare, die der Wind leicht bewegte. Schnell wandte sie den Blick ab.

„Sagen Sie Ihren Männern, sie sollen die Waffen weglegen“, bat Hasard. „Ich gebe mein Wort, daß von unserer Seite niemand daran denkt, anzugreifen. Meine Männer haben es mir versprochen, aber sie möchten nicht kämpfen, wenn ständig Musketen und Pistolen auf sie gerichtet sind.“

Sie zögerte unentschlossen, sah Juan an, dann Bill, den Bogenschützen, und hob die Schultern.

„Genügt Ihnen mein Wort nicht?“ fragte Hasard scharf.

„Doch, es genügt“, erwiderte sie schließlich. Sie drehte sich um.

„Juan! Die Waffen weg. Sage es auch den anderen! Wir haben ein Abkommen getroffen.“

„Aber, Madame, die Seewölfe werden ...“

„Hast du mich nicht verstanden, Juan?“ fragte sie sanft.

„Aye, aye, Madame, die Waffen werden abgelegt.“

Hasard staunte immer wieder, wie die Rote Korsarin ihre Leute in der Gewalt hatte. Da genügte ein kurzer Zuruf, ein herrisches Winken oder ein paar sanfte Worte und schon kuschten sie alle.

„Vielen Dank, Madame“, sagte Hasard. „Es bleibt bei unseren Vereinbarungen. Wir halten Wort.“

Batuti verließ das Vorschiff. In der rechten Hand trug er einen Bogen, der so groß war wie er selbst. Old Shane und er hatten ihn vor längerer Zeit gefertigt. Vier Pfeile trug der riesenhafte Neger lässig in der Hand.

Bill stand in der Kuhl. Sein Totenkopf aus Gold, den er um den Hals trug, baumelte hin und her. Sein Bogen war etwas kleiner, dafür stand er selbst in der Größe dem Gambia-Neger nicht viel nach. Seine Rückenmuskeln waren stark ausgeprägt, und sein Bizeps hüpfte auf und nieder, sobald er die Arme bewegte.

Geringschätzig musterte er Batuti, um ihm den Mut zu nehmen. Dabei fühlte er sich in seiner Rolle gar nicht mehr so wohl, denn der Neger sah nicht so aus, als wäre er leicht zu schlagen.

Siri-Tongs Piraten hingen in den Wanten, einige standen am Niedergang zum Achterkastell, andere lümmelten mit aufgestützten Armen am Schanzkleid und feuerten Bill an.

„Zeig’s dem Hundesohn, Bill!“ rief der Kerl, den sie den Schlächter nannten, und der nachher gegen Tucker antreten sollte.

„Darauf kannst du dich verlassen, Junge!“

Die Seewölfe hatten sich auf der anderen Seite verteilt. Smoky, Andrews, Davies, der Kutscher und Ballie hingen ebenfalls in den Wanten. Dan, Smoky, Carberry, Tucker, Thorne, Stenmark und die anderen hatten sich in der Kuhl und auf der Back verteilt. Auch sie feuerten Batuti an. Arwenack kletterte überall herum, keckerte und bleckte die Zähne. Er spürte die Stimmung, aber er wußte natürlich nicht, um was es ging.

Das Ziel war eine Palme am Strand, die Entfernung betrug gut dreihundertfünfzig Yards. Einer der Piraten hatte sie mit heller Farbe markiert. Für den Bogen war es eine ungeheure Entfernung, und den Stamm zu treffen war mehr als ein Kunststück.

„Du hast den ersten Schuß, Bimbo!“ grölte einer der wüsten Kerle. Verschlagen linste er zu Batuti, dessen mächtige Arme sich streckten, um den riesigen Bogen zu spannen.

„Du halten Schnauze!“ grollte Batuti, der sich über den „Bimbo“ ärgerte. Der Bogen war gespannt, Batuti legte den ersten Pfeil auf die Sehne.

„Siehst du überhaupt die Palme, du schwarzer Affe?“ höhnte der Schlächter. Er war einer der miesesten Typen, fand Hasard. Ein hinterhältiger, übler Kerl, dem nicht zu trauen war. Lüstern starrte der Schlächter hinter Siri-Tong her, grinste breit und leckte sich die aufgeworfenen Lippen. Als die Korsarin sich umdrehte, wandte er sofort den Blick nach Backbord.

Vor dem wird sich Tucker noch in acht nehmen müssen, überlegte der Seewolf, der war verschlagen und falsch.

Batutis Pfeil zischte los, unter dem Gebrüll der Piraten, die ihn verunsichern wollten. Der Neger hatte seine ganze Kraft in diesen Schuß gelegt. Es sirrte grell.

Batuti ließ langsam den Bogen sinken, sah dorthin, wo die Palme stand und sich das helle Zeichen befand.

Eine Handbreite neben dem Stamm klatschte der Pfeil in die Büsche.

Die Piraten stießen ein Freudengeheul aus. Siri-Tong lächelte überlegen, hochmütig. Das Gejohle nahm kein Ende.

Batuti blickte zerknirscht auf die Planken, dann wanderte sein Blick traurig zu Hasard, der ihm beruhigend zunickte.

„Er soll erst einmal besser treffen, Batuti“, tröstete er ihn.

„Batuti schlecht, Sir. Nicht treffen!“

Die Kameraden klopften ihm auf die Schulter und sprachen beruhigend auf ihn ein, bis der Neger sich langsam beruhigte. Als auch Old Shane ihm die Hand auf die Schulter legte, glomm es in Batutis Augen dankbar auf.

Bill stellte sich großspurig in Positur, spannte den Bogen, legte den Pfeil auf und zielte. Die Totenkopffratze an seiner Halskette schien höhnisch zu grinsen. Von der Seite grinste Bill einmal zu Batuti hinüber.

Er verzog kaum die Lippen, als er sagte: „Sieh dir das an, Bimbo! So wird geschossen!“

Der Pfeil zog los, begleitet von einem Gebrüll aus vielen Kehlen. Doch das Geschrei verstummte schlagartig, als der Pfeil nicht einmal den Palmenstamm erreichte, sondern zwanzig Yards davor müde und kraftlos in den Sand fiel.

„Ho!“ schrie Carberry. „Seht euch dieses Großmaul an! Der trifft nicht einmal die Büsche, hoho!“ Er schlug sich auf die Schenkel und lachte dröhnend.

Bei den Piraten herrschte eisiges Schweigen. Siri-Tongs Gesicht war angespannt und konzentriert. Schnell sah sie zu Hasard hinüber, der den Blick kühl und reserviert zurückgab.

„Verdammt, ich habe mich verschätzt“, versuchte Bill sich zu entschuldigen.

Die Seewolf-Crew lachte dröhnend los. Bills Gesicht verzog sich vor Wut und Haß. Er war ein schlechter Verlierer!

Jetzt legte Batuti den zweiten Pfeil auf die Sehne. Völlig konzentriert stand er da, sah nicht die Blicke, hörte nicht die abfälligen Bemerkungen der Piraten. Er wußte nur eins: Von ihm hing jetzt eine ganze Menge ab, er mußte treffen, er mußte! Wie oft hatte er seine Pfeile haargenau ins Ziel gesetzt! Warum sollte er es diesmal nicht schaffen?

„Schieß endlich!“ murrte Bill. „Du triffst ja doch nicht!“

Batutis Gesicht war eine Maske, schwarz, verkniffen, auf der feine Schweißperlen standen. Die straff gespannte Sehne verformte seine Nase und hinterließ einen feinen Einschnitt.

Sein linker Arm ließ los, ein helles Singen, und der große Pfeil schnellte von der Sehne.

„Treffer!“ jubelte Stenmark und riß die Arme hoch. Er hieb Gary Andrews auf die Schulter, umarmte Dan und brüllte vor Freude.

„Sehr gut, Batuti“, lobte der Seewolf den Schwarzen unter dem allgemeinen Jubel. Der Pfeil zitterte immer noch in der hellen Markierung der Palme. Deutlich war der Schaft zu erkennen.

Eisiges Schweigen herrschte bei den Piraten. Verbiesterte Gesichter starrten Batuti hinterhältig an. Ein Schwarzbart hob drohend die Faust und schlich sich heran.

Luke Morgan schob sich sofort hinter ihn.

„Verschwinde, du Seegrasmatratze!“ brüllte er den Schwarzbart an. „Schleich dich zu deinen Kerlen, oder ich hau dir deinen verlausten Bart zwischen die Zähne.“

Der Schwarzbart stieß einen gemeinen Fluch aus. Aber er verzog sich sofort, als ihn Hasards kühler Blick streifte.

Beim nächsten Schuß war Bill an der Reihe. Sein Lästermaul schwieg, verbissen konzentrierte er sich auf den Schuß.

Er ließ die Sehne los, der Pfeil zischte ab. Wiederum fiel er dicht vor dem Palmenstamm in den Sand.

Diesmal lachte die Seewolf-Crew schadenfroh. Batuti war eindeutig im Vorteil.

„Du blöder Hund!“ schrie der Schlächter seinen Kameraden an. „Ist das alles, was du kannst, he? Ich reiß dir den Schädel ab, wenn du nicht triffst!“

„Mit dem Bogen stimmt was nicht“, sagte Bill kleinlaut. „Sonst hab ich immer getroffen.“

Batuti hörte nicht hin. Er ließ das Schulterklopfen über sich ergehen, spannte wieder den Bogen und legte den dritten und letzten Pfeil auf die Sehne.

Big Old Shane stand neben ihm und redete ihm zu.

„Ganz ruhig bleiben, Junge, stör dich nicht an den Lästermäulern, du kannst es besser!“

Batutis dritter Pfeil sauste in den Stamm, dicht unterhalb des anderen Pfeils blieb er zitternd stecken.

Damit war Bill aus dem Rennen. Die Seewölfe rissen die Arme hoch. Jetzt waren sie frei, wenn sich die Korsarin an die Vereinbarung hielt. Selbst wenn Bill jetzt noch traf, an dem Ergebnis würde das nichts mehr ändern. Und wenn Siri-Tong sich nicht an die Vereinbarungen hielt, waren die Seewölfe trotzdem frei, denn sie würden schlagartig über die Banditen herfallen, darin waren sie sich alle einig, obwohl sie nicht darüber gesprochen hatten.

Bills letzter Pfeil traf, die Palme, aber nicht den markierten Fleck. Ganz unten im Stamm blieb er stekken.

Der Schlächter ging auf ihn zu und trat ihm brutal in den Hintern. Bill schlug zurück und traf den Schlächter in den Unterleib. Juan riß die beiden Schläger auseinander und hielt sie auf Distanz.

„Du kannst dich gleich ranhalten, Schlächter! Vergeude deine Kraft an dem roten Riesen da. Los, hol deine Axt. Und du lausiger Hund, kriegst nachher eins übergezogen, das verspreche ich dir!“

„Feine Sitten“, lobte Hasard sarkastisch. „Wir sind also frei, so war es ausgehandelt!“

„Frei?“ schrie der Schlächter. „Noch seid ihr ...“

„Ihr seid frei“, sagte Siri-Tong leise. „Das heißt aber nicht, daß ihr schon gesiegt habt.“

Immerhin, den ersten Sieg hatten sie errungen, dachte Hasard. So richtig konnte er sich darüber nicht freuen, und auch die Gesichter der Seewölfe zeigten keine sonderliche Regung. Immerhin wurde Batuti über alle Maßen gelobt, und es tat ihm ziemlich wohl, als er sich mit stolzgeschwellter Brust abwandte.

Der Schlächter grinste gemein. Jemand aus der Bande drückte ihm eine scharf geschliffene Axt in die Hand, die er einmal herumschlenkerte und prüfend durch die Luft sausen ließ.

Der Kampf sollte auf der Kuhl ausgetragen werden. Ferris Tucker wog sein Mordinstrument ebenfalls in der Hand.

Hier ging es auf Leben und Tod, das wußte jeder, denn der Schlächter war schon richtig gierig darauf, Tukker den Schädel zu spalten. In seinen dunklen Augen standen Haß, Wut und Scham über die erste Niederlage. Jetzt würde er die Scharte auswetzen.

Beide Männer standen sich gegenüber. Tucker schweigend und ernst, der Schlächter diabolisch grinsend. Er wollte Blut sehen. In seinem hirnlosen Schädel spielte sich die Szene schon im voraus ab. Wenn der rothaarige Kerl in zwei Teile gespalten war, dann ...

Ferris musterte seinen Gegner, diesen grobschlächtigen, hirnlosen Affen, der so gern tötete. Er sah sein halbes, abgefranstes Ohr, die große, leuchtende Narbe am Hals, den mit Messerstichen übersäten Oberkörper, die gierig schimmernden Augen und die mächtigen Arme, und er wußte, daß ihm ein harter Kampf bevorstand. Und er wußte auch, daß dieser hirnlose Kerl nicht fair kämpfen würde. Darauf mußte er sich einstellen.

„Ihr kennt die Bedingungen“, sagte Siri-Tong, „Sieger ist der ...“

Der Schlächter hörte überhaupt nicht hin. Er sah, daß sein Gegner sich leicht auf die schwere Axt gestützt hatte und zuhörte. Dabei wandte er den Kopf halb zur Seite.

Bei ihm brannte der Faden durch. Er mußte seiner Korsarin beweisen, wie gut er war.

Tucker lehnte immer noch auf dem Stiel der Axt, als der Schlächter mit einem Wutschrei vorsprang. Sein Gesicht war verzerrt, die Augen böse zusammengekniffen. Die schwere Axt wirbelte spielerisch hoch, und schon schlug er wie ein Irrer zu.

Dans Warnschrei ließ Ferris herumfahren. Er wollte die Axt heben, aber da trat die mörderische Schneide seines Gegners bereits seine eigene Axt und wirbelte sie davon.

Jetzt hatte der Schlächter freie Bahn. Er hörte nicht auf die scharfen Zurufe, er ließ die Axt kreisen und zielte nach Tuckers Kopf.

Im allerletzten Augenblick, bevor die scharfe Schneide an seinem Schädel vorbeipfiff, ließ Tucker sich zur Seite fallen.

Dieser hinterhältige Hund, dachte er zornig. Haarscharf sauste das Mordinstrument an seinem Gesicht vorbei.

Der Schlächter triumphierte. Als Tucker auf seine Axt zuspringen wollte, stellte er sich grinsend davor, holte erneut aus und ließ die Axt kreisen, damit Ferris nicht an seine eigene herankam.

Die Seewölfe murrten laut. Hasard sagte etwas, aber niemand hörte ihn. Gebannt verfolgten sie den Kampf.

„Ich schieß ihm Pfeil in Hintern!“ brüllte Batuti. „Mann nicht ehrlich kämpfen!“

Tucker unterlief die Axt, blieb dann stehen, als hätte er sich verkalkuliert und wartete auf den mörderischen Schlag.

Der Narbenmann fiel darauf herein. Er sah den Schädel vor sich und hieb wild zu.

Ein hartes Krachen. Mit Donnergetöse fuhr die Axt in die Planken und blieb stecken. Tucker spürte deutlich den Luftzug.

Knurrend riß der Schlagetot an dem Stiel, zerrte und zog daran. Den Moment nutzte Tucker geschickt aus. Mit aller Kraft holte er aus und trat dem Schlächter in den Achtersteven. Das brachte Ferris wertvolle Sekunden, in denen er nach seiner Axt greifen konnte.

Der Kerl fiel auf das Gesicht, brüllte laut, fuhr herum und packte wieder seine Axt Mit einem Ruck riß er sie heraus.

Jetzt platzte Ferris der Kragen. Er scheute keinen ehrlichen Kampf, aber er haßte Gemeinheiten und Hinterlist. Und dieser Hund war mehr als gemein, der kämpfte nur unfair.

Die Schlacht tobte durch die Kuhl. Wie ein wilder Stier griff der Schlächter an, immer wieder nach Tucker zielend, der flink und wendig über die sausende Axt sprang, sich duckte, Schläge über seinen Kopf pfeifen ließ und geschickt parrierte, bis der andere zur Weißglut gereizt war.

Die beiden Männer umkreisten sich. Der Schlächter wurde von seinen Leuten angefeuert, Tucker von den Seewölfen.

Ferris ließ ihn immer wieder kommen, er selbst griff noch nicht an, er blieb defensiv, konterte nur manchmal, und er ließ seinen Gegner, der ihn unbedingt töten wollte, immer wieder leerlaufen. Zwischendurch verhöhnte er ihn lautstark.

„Ho, du verlauster Affe, schlag zu! Hier bin ich! Du haust dir deine eigene Axt um die Ohren!“

Die Worte reizten den Schlächter bis aufs Blut. Er kam an diesen rothaarigen Kerl einfach nicht heran. Jedesmal wenn er glaubte, getroffen zu haben, befand sich der verdammte rote Schädel ein paar Zoll weiter weg.

Laut brüllte er seine unbändige Wut hinaus. Immer wieder griff er an, und ebenso schnell wich Ferris aus.

Dann hatte der Schiffszimmermann genug. Als die Axt an ihm vorbeischmetterte, griff er mit einer Hand blitzschnell zu. Eine harte Ohrfeige mit dem Handrücken riß dem Schlächter die linke Wange auf.

Brüllend fuhr er herum und wollte wieder zuschlagen. Er war flink und verdammt schnell, aber Ferris war der Bessere. Ferris schlug besonnener und nicht so unbeherrscht. Und damit brachte er den Schlagetot an den Rand des Wahnsinns. Der kreischte und hüpfte jetzt durch die Kuhl, warf sich Ferris entgegen, brüllend und schnaubend wie ein wildes Tier. Pfeifend fuhr die Schneide durch die Luft. Einmal traf sie den Mast, von dem ein paar Splitter flogen.

Tucker setzte sofort nach. Er hätte diesem Höllenhund jetzt das Kreuz spalten können, aber das fand er unfair, er konnte ihm die Axt nicht in den Rücken schmettern.

Dafür schlug er ihm die Faust an den Hinterkopf, so daß der andere mit der Stirn schmerzhaft an den Mast krachte. Aus seinen Augen schossen Tränen, und als Ferris ihm die zweite Ohrfeige verpaßte, war der Schlächter kein Mensch mehr, sondern eine reißende Bestie, die Amok lief.

„So, du Kakerlake“, schnaufte Ferris, „jetzt wird es ernst!“

Und dann legte der Schiffszimmermann los und zeigte, was er konnte.

Die Männer hielten den Atem an, als Ferris die Offensive ergriff und seinen Gegner attackierte. Die Piraten schauten beklommen zu, die Seewölfe grinsten. Sie kannten ihren Ferris, der hatte seinen Gegner ausgepumpt, bis der kaum noch Luft kriegte.

Wilde, schnell geführte und sauber gezielte Schläge mit der Axt trieben den Schlächter quer durch die Kuhl. Er flüchtete unter den abfälligen Pfiffen der Seewölfe. Seine Axt hatte er unter den Arm geklemmt. Er rannte und rannte um sein Leben, und zum erstenmal verspürte er eine niegekannte Angst. Dieser rothaarige Kerl, das war kein Mensch mehr, das war ein tobender, fauchender Teufel, dem er nicht entkommen konnte, der ihm ständig im Kreuz hing, den er nicht abzuschütteln vermochte.

Er stolperte, fluchte und schrie seine Angst hinaus, bis Ferris ihn wieder eingeholt hatte.

Da stellte er sich noch einmal zum Kampf wie ein in die Enge getriebenes Tier, mit gehetzten Augen, jagenden Lungen, flatternden Händen und fliegendem Puls.

Ferris’ mörderischer Blick nagelte ihn fest. Seine Axt fuhr hoch, der Schlächter duckte sich, wollte abblocken, aber die Axt wechselte so blitzschnell von einer in die andere Hand, daß er es kaum sah. Jetzt war es zu spät, er hatte auf der falschen Seite abgeblockt, er konnte sich nicht mehr wehren.

Er stieß einen hohen, tierischen Schrei aus, als Tuckers Axt seinen Arm traf und seine Axt in hohem Bogen durch die Kuhl flog und unter ein paar Fässern verschwand.

Schreiend lehnte er sich mit dem Rücken ans Schanzkleid, beugte sich weit hinüber, starrte tödlich entsetzt auf die funkelnde Schneide und erwartete den Hieb, der seinen Körper spalten und sein Leben auslöschen würde.

Das Gesicht Tuckers rückte ihm entgegen, die scharfe Schneide schien in seine Augen zu fahren, und der Schiffszimmermann stieß einen knurrenden Laut aus.

„Neiiin! Laß mich leben!“ winselte der Schlächter, der bei anderen kein. Erbarmen gekannt hatte. Selbst die Wehrlosen hatte er mit sadistischer Grausamkeit noch erschlagen.

Ferris ließ die Axt achtlos fallen. Dann griff er zu. Er wollte diesen feigen Hund nicht ermorden, obwohl der es tausendfach verdient hatte, aber eine Lektion sollte er erhalten.

Zwei Fäuste, links und rechts bretthart und blitzschnell geschlagen, landeten in der Visage des Schlächters. Er gurgelte mit ein paar Zähnen und konnte sie nicht einmal ausspucken, weil die beiden Fäuste schon wieder da waren und ihm die ausgeschlagenen Zähne sofort in die Visage zurückhämmerten. Danach erhielt er einen Schlag in den Magen, zwei weitere Ohrfeigen und den nächsten Hieb.

Tucker griff nach seinem Hals, holte den Kerl zu sich heran, hielt ihn mit einer Hand am Hals fest und langte mit der anderen nach dem Hosenboden des vierschrötigen Kerls. Mühelos stemmte er die zwei Zentner hoch über seinen Kopf.

„Jetzt kannst du dich abkühlen, du miese Ratte“, sagte er.

Mit einem wilden Schwung feuerte er den Piraten über Bord, der klatschend im Wasser landete.

Ferris bückte sich nach der Axt des Schlächters und feuerte sie hinterher. Erst dann sah er sich nach allen Seiten um.

Entsetztes Schweigen herrschte bei den Piraten. Sie starrten Ferris an, dann den Seewolf, dann wieder Siri-Tong, die mit blassem Gesicht dastand und kein Wort hervorbrachte.

„Du hättest ihm den verdammten Schädel einschlagen sollen, Ferris“, sagte Matt Davies. „Der hätte es dir genauso gesorgt. Hoffentlich säuft der Hund ab!“

Hasards Lächeln vertiefte sich.

„Du warst sehr gut, Ferris. Du hast das Schiff mit den roten Segeln gewonnen. Eigentlich könnten wir jetzt davonsegeln, aber ich habe mich nun einmal in die ‚Isabella‘ verliebt, und ich denke, wir werden sie behalten.“

Hasard gab Dan unauffällig einen Wink. O’Flynn war die Bewegung am Abschluß der Kuhl auch nicht entgangen. Dort schlich sich gerade der Schwarzbart heran und griff unauffällig nach einer Muskete.

Er sah Dan nicht, er spürte nur die Faust, die plötzlich auf seiner Nase landete. Ruckartig saß er auf dem Hintern.

Dan O’Flynn hielt die Muskete hoch. Wie unabsichtlich war der Lauf auf die Rote Korsarin gerichtet.

„Wir haben von euch hinterhältigen Schweinen jetzt genug“, rief er laut. „Jedesmal, wenn ihr verliert, gehen euch die Gäule durch. Darum lassen wir eure Waffen jetzt schwimmen.“

Er packte die erste Muskete und warf sie über Bord, die zweite folgte, die dritte, dann zwei Pistolen. Schließlich warf er auch die letzte Muskete, die er in der Hand hielt, außenbords. Und die erwischte ausgerechnet den Schlächter, der mit verquollenen Augen, ausgeschlagenen Zähnen und lädiertem Gesicht mühsam hochenterte.

Mit einem Schrei klatschte er ins Wasser zurück.

Siri-Tong war plötzlich neben dem Seewolf.

„Das war gegen die Vereinbarungen“, fauchte sie ihn an.

„Wieso?“ fragte Hasard ruhig. „Wir sind frei, weshalb also pirscht sich der Schwarzbart mit der Muskete heran? Um Tucker zu ermorden, weil er den Kampf gewonnen hat? Wir tun euch nichts, ihr habt keine Waffen, wir haben keine. Und wenn ihr mit den Fäusten gegen uns antreten wollt, so steht euch das allen frei. Ich denke, die Rollen sind jetzt gleichmäßig verteilt. Das Spiel kann weitergehen!“

„Das – das ist die Höhe“, zischte die Korsarin empört. Sie warf Hasard einen wilden Blick zu, der ihn gelassen zurückgab.

„Wenn ich gewinne, bleibt es trotzdem dabei?“ vergewisserte sie sich noch einmal.

„Natürlich, ich halte mein Wort! Ich kann es nur nicht ausstehen, von Ihren verlausten Bastarden ständig attackiert zu werden, weil sie schlechte Verlierer sind.“

Kopfschüttelnd warf sie ihm einen Blick zu.

„Was sind Sie nur für ein Mann! Jeder andere wäre jetzt über uns hergefallen, ihr seid eindeutig im Vorteil.“

„Ich bin nicht jeder andere, Madame. Wir sind keine Galgenvögel, die ihr Wort brechen, unser Haufen ist diszipliniert, was man von Ihrer Meute nicht behaupten kann. Wenn Sie den letzten Kampf gewinnen, dann erhalten Sie die Galeone und die Angelegenheit ist für uns erledigt. Wir verdrücken uns dann mit dem Zweimaster!“

„Wann schwimmen wir?“ fragte sie begierig.

Hasard entging nicht das Funkeln in ihren Augen. Er wußte, daß er viel aufs Spiel setzte, aber er hatte sein Wort gegeben, und er würde es auch halten.

„Sobald der Kerl hochgeentert ist“, sagte er.

In dem allgemeinen Gelächter gingen seine Worte unter, weil der Schlächter sich zum zweiten Mal anschickte, das Deck zu erklimmen. Diesmal sah er noch schlimmer aus. Eine riesige Beule zierte seine Stirn, die Schneidezähne hatte er irgendwo im Wasser gelassen, und auf dem einen Auge sah er überhaupt nichts mehr.

Restlos ausgepumpt fiel er an Deck, Carberry vor die Füße, der den Burschen aufhob und ihm das Wasser aus den Klamotten schüttelte. Dabei schüttelte er den ganzen Kerl mit.

„Noch eine solche Heldentat“, drohte er, „und ich zieh dir persönlich die Haut von deinem Affenarsch, verstanden! Und glotz gefälligst nicht so hinterhältig, sonst haue ich dir das andere Auge auch noch dicht.“

Er warf ihn wie ein Bündel Lumpen auf Deck und ließ ihn liegen.

Der Seewolf staunte, wie unauffällig sich im Laufe der Zeit das Blättchen gedreht hatte. Keiner der Piraten muckte mehr auf, alle lauerten auf ihre Chance, und alle setzten ihre letzte Hoffnung auf Siri-Tong, die hervorragende Schwimmerin. Sie würde dafür sorgen, daß die Niederlage nicht so schmerzlich ausfiel. Und dann konnten sie mit der Galeone hohnlachend davonsegeln.

„Schwimmen wir zu dem Felsen dahinten“, schlug die Korsarin vor. „Wir umrunden ihn, und wer als erster an Bord aufentert, ist Sieger.“

„Einverstanden“, erwiderte der Seewolf.

Wortlos zog er die Stiefel aus, die Strümpfe und stand barfuß an Deck. Bekleidet war er nur noch mit einer Hose, die er bis zu den Waden aufkrempelte.

„Wir springen auf Carberrys Kommando“, sagte der Seewolf.

Da robbte der Schlächter heran, aus blutunterlaufenen Augen sah er die Rote Korsarin an.

„Schlagen Sie ihn, Madame“, krächzte er. „Diese Teufel dürfen nicht mehr gewinnen!“

„Verschwinde“, sagte sie kalt und verächtlich.

Hasard und die Korsarin stiegen auf den Abschluß des Schanzkleides.

Der Felsen, den sie sich zum Ziel gesetzt hatten, war annähernd fünfhundert Yards entfernt.

„Fertig?“ fragte der Profos und hob die Hand.

„Fertig“, bestätigte Hasard, und Siri-Tong nickte schnell.

„Dann los!“ Carberrys Hand hieb durch die Luft.

Die beiden sprangen gleichzeitig. Ihre Körper tauchten ins Wasser, schossen sofort wieder hoch.

Hasard schwamm, nicht um sein Leben, aber um seine Galeone, die ihm eine ganze Menge bedeutete. Neben sich sah er den zierlichen Körper der Korsarin aus den Fluten tauchen. Sie kraulte los, ihre Bewegungen waren geschmeidig und elegant. Wie ein Hai glitt sie durch das Wasser.

Der Seewolf hatte Mühe, auf gleicher Höhe zu bleiben. Hinter sich hörte er die anfeuernden Rufe seiner Männer, dazwischen erklangen die Stimmen der Piraten, die die Korsarin mit wildem Geheul anfeuerten.

Verdammt, konnte die Frau schwimmen, dachte er. Seine Arme zerteilten das Wasser, er schwamm schneller, wilder, sie durfte keinen Vorsprung herausschinden.

Hasard war ein ausgezeichneter Schwimmer, aber er merkte schon bald, auf was er sich hier eingelassen hatte. Er sah das überlegene Lächeln noch genau vor sich, mit dem sie ihn zum Wettkampf aufgefordert hatte, und es wurde ihm klar, daß sie gut war, sehr gut sogar, wie er feststellen mußte.

Sie hatte jetzt etwa ein halbes Yard Vorsprung. Das besagte noch nicht viel, denn die Strecke war groß, und wenn sie in dem Tempo weiterschwamm, würde sie sich bald verausgaben.

Die ersten hundert Yards waren geschwommen. Siri-Tong lag eindeutig mehr als ein Yard vor. Das wurmte Hasard insgeheim, um so mehr, als er einmal ihrem spöttischen Blick begegnete, als sie schnell den Kopf zurückwarf.

Verdammt, sagte er sich, du kannst dich doch nicht von einer Frau im Schwimmen schlagen lassen. Er holte tief Luft, kraulte mit aller Kraft los, aber er holte sie nicht ein.

Sollte er sich so verschätzt haben? Sein leiser Ärger verlieh ihm noch mehr Kräfte, doch sobald er aufholte, drehte sie leicht den Kopf zur Seite und strengte sich noch mehr an. Wie ein Delphin glitt sie durch das klare Wasser der Bucht, an der man stellenweise bis auf den Grund sehen konnte.

Die Galeone wurde kleiner. Hasard riskierte einen schnellen Blick zurück. Er sah die Männer in den Wanten hängen, einer peilte durch das Spektiv und brüllte immer wieder.

Dreihundert Yards waren sie jetzt geschwommen, und die Rote Korsarin lag immer noch klar in Führung.

Unter Hasard tauchte ein Schatten auf, einer von der Sorte, wie er ihn schon einmal in der Bucht gesehen hatte, als sie die Barriere ausgemessen hatten.

Ein Hai? Das war nicht ausgeschlossen, der saugende Mahlstrom konnte ihn in die Bucht gespült haben.

Er hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn die Korsarin steigerte jetzt ihr Tempo. Der Felsen, den sie umrunden wollten, war nicht mehr weit. Sie würde ihn als erste erreichen, da konnte der Seewolf sich anstrengen, wie er wollte.

Hoffentlich blieb ihr dann die Luft weg, dachte er, leise fluchend.

„Denk an die Galeone, Seewolf!“ vernahm er ihre spöttische Stimme. „Der Bug gehört mir schon!“

„Noch sind wir nicht zurück“, rief Hasard grimmig.

Er hielt es nicht für möglich, doch sie steigerte ihr Tempo noch einmal, bevor sie den Felsen erreichten.

Hasard dachte daran, daß hundert Haie unter ihm schwammen, und denen er nur entkam, wenn er noch schneller schwamm als sie. Seine Arme droschen das Wasser, seine Beine schlugen quirlige Wirbel.

Jetzt hatte sie den Felsen erreicht, schwamm wie ein Delphin spielerisch, leicht und schnell herum und ging auf den Kurs zum Schiff.

Der Abstand zwischen ihnen betrug jetzt fast drei Yards, und sie zeigte kein Zeichen von Ermüdung.

Hasard hörte wie aus weiter Ferne die anfeuernden Rufe. Er wußte nicht, wem sie galten, ihr oder ihm. Es war ihm gleichgültig, er mußte gewinnen, sonst hatte er sein Gesicht verloren, und die ganze Crew würde mit belämmerten Gesichtern auf den Zweimaster steigen und ihn und seinen Leichtsinn insgeheim verfluchen.

Fast vier Yards! Der Seewolf biß sich auf die Lippen. Er konnte das Tempo nicht weiter steigern, und jetzt begann das verdammte Weib auch noch damit, ihre Überlegenheit zu demonstrieren.

Immer wieder drehte sie sich um, lachte spöttisch und dann streckte sie plötzlich ihren Kopf ins Wasser und tauchte tief, obwohl sie damit wertvolle Zeit vergab. Sie war sich ihrer Sache verdammt sicher.

In ihr frohlockte alles. Übermütig tauchte sie tiefer. Der Seewolf war ein ausgezeichneter Schwimmer, aber sie war schneller, und so konnte sie es sich leisten, ihn zu entnerven, indem sie einmal tief tauchte. Ein paar Yards Vorsprung blieben ihr dann immer noch.

Sie sah in ihrem Übermut nicht den langen, tastenden Arm, der aus einer Felsspalte unter Wasser nach ihr griff. Sie merkte es erst, als etwas Kaltes nach ihr tastete. Ein riesiger zweiter Arm legte sich um ihren Körper, saugte sich fest und zerrte an ihr.

Im ersten Schreck stieß sie die Luft aus. Dann durchzuckte sie ein fürchterlicher Gedanke: ein Kalmar!

Eines jener ekelhaften Riesenbiester, die in Höhlen versteckt auf Beute lauerten. Oftmals hatten sie die großen Tintenfische in der Bucht gesehen, aber diesmal hatte sie in der Vorfreude des Sieges nicht mehr an die Kraken gedacht.

Angst würgte sie plötzlich, als sich ein dritter tastender Arm um ihren Körper legte. Verzweifelt setzte sie sich zur Wehr und versuchte, den mehr als yardlangen Arm abzustreifen.

Vergeblich. Die großen Saugnäpfe hielten fest, brannten sich saugend in ihre Haut, zerrten die Beute tiefer nach unten. Entsetzt riß sie die Augen auf. Gegen diese Kraft der Saugarme kam niemand an. Was die einmal gepackt hielten, ließen sie nicht mehr los. Selbst wenn sie einen Arm abstreifen konnte – der Kalmar hatte insgesamt acht Arme – half das nichts.

Immer mehr Arme tasteten nach ihr, schleimige Saugnäpfe fuhren über ihren Körper, zerrten ihn weiter heran.

Jetzt hatte sich der vierte Arm um ihren Körper geschlungen und zog sie unbarmherzig weiter in die Tiefe auf eine Höhle zwischen den Felsspalten zu.

Undeutlich sah sie das tödliche Biest. Es hockte groß und plump in der Höhle und tastete mit den anderen Saugarmen suchend im Wasser umher.

Sie schrie, Luftblasen stiegen nach oben. Den riesigen Tintenfisch störte das nicht.

Siri-Tong ging der Atem aus, als die Arme sie umschlangen und halb erwürgten.

Ihre Fingernägel gruben sich verzweifelt und von tödlicher Angst erfüllt, in das weiche, gummiartige Fleisch des Kraken.

Ihre Kräfte erlahmten ziemlich rasch. Willenlos hing sie in den Armen und spürte noch, wie sie weiter in die Tiefe gezogen wurde, dem gräßlichen Hornschnabel entgegen, der sie zermalmen würde.

Seewölfe Paket 4

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