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5.

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Pablo Sanchez, der Steuermann der „Santa Magdalena“, der nach den entsetzlichen Ereignissen an Bord seines Schiffes das Kommando übernommen hatte, sah die dichte Nebelbank, die vor ihnen auftauchte.

Er wandte sich um und schickte einen Blick zu der Piratenkaravelle hinüber, die eben drehte, um einen neuen Angriff auf sein Schiff zu fahren.

Die Nebelbank könnte unsere Rettung sein! schoß es ihm durch den Kopf. Vielleicht gelingt es uns, in ihrem Schutz zu entwischen!

Pablo Sanchez zog eine grimmige Grimasse. Er war alles andere als ein Feigling, aber er hatte längst begriffen, daß er gegen die beiden Piratenschiffe mit seiner schwerfälligen Galeone und seiner demoralisierten Mannschaft keine Chance mehr hatte. Außerdem kannte er die Taktik dieser Karibik-Piraten nur zu gut, denn es war keineswegs der erste Strauß, den er mit ihnen ausfocht. Diese kleinen, schnellen Karavellen waren zumeist nur Fühlungshalter. Eine Galeone konnte sie nicht abschütteln, aber sie holten dann das eigentliche und schwerer bewaffnete Schiff heran.

Wieder wandte Pablo Sanchez sich um. Und er bemerkte, daß auch seine Männer zu dem Piraten hinüberstarrten, der nur langsam herumschwang, weil der Wind zu einem derartigen Manöver kaum ausreichte. Die „Santa Magdalena“ hingegen konnte zu diesem Zeitpunkt mit ihren großen Rahsegeln jedes bißchen Wind voll ausnutzen, das sich anbot.

Die Nebelbank rückte näher, und wenn sie sie rechtzeitig erreichten, dann hatten die Piraten das Nachsehen, wenigstens für eine Weile.

Die „Santa Magdalena“ schien Glück zu haben. Ihr Bug tauchte in die Nebelbank, dann verschwand der Fockmast, danach der Hauptmast – und dann geschah es.

Ein Schatten wuchs vor dem Schiff auf und glitt genau aus dem Nebel auf sie zu.

Pablo Sanchez erstarrte, er begriff sofort, was das bedeutete. Das war die zweite Karavelle, und die segelte genau auf Kollisionskurs.

Sanchez reagierte schnell – viel schneller, als er sich das je selber zugetraut hätte.

Mit einem Satz flankte er über die Schmuckbalustrade, kam federnd auf und lief zum Rudergänger am Kolderstock hinüber. Zu langen Ruderkommandos blieb keine Zeit mehr, wenn die beiden Schiffe nicht zusammenprallen sollten.

Ohne ein Wort stemmte er sich in den Kolderstock, und die „Santa Magdalena“ lief noch genügend Fahrt, um auf das Ruder zu reagieren.

Sie schwang nach Steuerbord herum, die einzige Möglichkeit, dem Piraten noch auszuweichen.

Der Steuermann wußte, daß seine Männer an den Geschützen standen, die brennenden Lunten in der Hand. Viel von dem nassen Pulver hatten sie nicht mehr retten können, aber für ein paar Breitseiten reichten die Vorräte und die fertigen Segeltuchkartuschen noch aus.

Sanchez bedeutete dem Rudergänger, den Kurs unter allen Umständen beizubehalten, ganz gleich, was dabei mit den Segeln geschehen würde, dann raste er auch schon los, zum Geschützdeck hinüber.

Er gab seinen Männern einige leise Befehle, anschließend enterte er ein Stück in die Wanten des Großmastes auf, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen.

Er sah die Karavelle der Piraten wie einen Schemen herangleiten, und er wußte, daß sie die „Santa Magdalena“ in nur wenigen Yards Abstand passieren würde.

Auch die Piraten hatten den Gegner jetzt entdeckt, gedämpftes Gebrüll klang zu den Spaniern hinüber. Die Piraten versuchten ebenfalls, dem drohenden Zusammenstoß auszuweichen, denn die Mannschaft der kleinen Karavelle war viel zu schwach, um es mit der zahlenmäßig weit stärkeren Crew der Galeone aufzunehmen.

Pablo Sanchez nutzte seine Chance eiskalt und ohne zu zögern.

Die Karavelle, die auch jetzt durch den dichten Nebel nur undeutlich zu erkennen war, glitt an Backbord vorüber.

„Feuer!“

Der Steuermann brüllte den Befehl in die weißen Schwaden hinein, die immer dichter zu werden schienen.

Die zehn Vierzehnpfünder an Backbord entluden sich donnernd. Grelle, meterlange Mündungsfeuer zuckten aus den Rohren. Dichter schwarzer Qualm wölkte hoch, der Nebel schien sekundenlang zu glühen.

Die Breitseite wie auch das Zusammentreffen mußte die Piraten völlig überrascht haben. Um so verheerender war die Wirkung der schweren Eisenkugeln und der durch Ketten miteinander verbundenen Stangenkugeln, die die kleine Karavelle aus der geringen Distanz mit furchtbarer Wucht trafen. Die beiden Masten wurden auf der Stelle nur einen knappen Yard über Deck abrasiert. Sie kippten zur Seite, die Segel, das laufende und das stehende Gut klatschten an Deck und bildeten sofort ein undruchdringliches Chaos.

Schreie hallten über das Wasser, Feuerschein durchzuckte den Nebel, im nächsten Moment waren die beiden Schiffe aneinander vorbei, und der Nebel verschluckte die Karavelle.

Die Spanier brachen in Triumphgeschrei aus, aber der Steuermann stoppte sie sofort.

„Seid still, ihr verdammten Narren!“ überschrie er sie. „Von jetzt an herrscht absolute Stille an Bord. So ein Glücksfall wird uns nicht noch einmal aus der Klemme helfen. Der Nebel ist unsere Chance, aber er ist nur dann unsere Chance, wenn uns die Piraten nicht aufspüren!“

Die Männer an Bord verstummten schlagartig, sie wußten, daß ihr Steuermann recht hatte.

Dona Elvira stand totenblaß auf dem Achterkastell. Sie zitterte am ganzen Körper, denn sie wußte ganz genau, was ihr blühen würde, wenn die Piraten das Schiff wiederfinden und entern würden. Ihre Zähne schlugen wie im Fieber aufeinander.

Sanchez trat zu ihr.

„Sie sollten besser unter Deck gehen, Senorita“, sagte er. „Es ist besser, wenn meine Männer nicht mehr daran denken, daß Sie an Bord sind. Sie haben noch nicht vergessen, was passiert ist – und Don Pedro besaß das Vertrauen und den Respekt der Männer. Noch immer liegt die Leiche des von Ihrem Verlobten ermordeten Senor Rodriguez an Deck. Hören Sie auf mich, gehen Sie in die Kammer des Kapitäns, auch wenn es dort noch so unwirtlich sein mag!“

Dona Elvira sah ihn an, und ihre Lippen zitterten, in ihrem Gesicht zuckte es unablässig.

„Glauben Sie, Senor Sanchez, daß wir gegen die Piraten eine Chance haben? Glauben Sie, daß wir ihnen entkommen werden?“

Der Steuermann blickte zur Seite. So arrogant dieses Mädchen auch gewesen sein mochte, so sehr er sich über sie und ihren Verlobten geärgert hatte, jetzt tat sie ihm leid. Aber dennoch beschloß er, aufrichtig zu sein.

„Ich kann es nur hoffen, Dona Elvira“, sagte er leise. „Ich habe es von Anfang an für einen Fehler gehalten, durch die Windward Passage an Tortuga vorbeizusegeln, denn ich wußte, daß wir Gefahr liefen, von den Piraten, die dieses Gebiet kontrollieren, aufgespürt zu werden. Aber Don Pedro hat nichts davon wissen wollen. Hören Sie mir jetzt genau zu, Dona Elvira, und glauben Sie mir, daß ich es gut mit Ihnen meine: Es gibt hier in diesen Gewässern einen Kerl namens Caligu. Wenn es seine Fühlungshalter sind, die uns aufgespürt haben, dann gibt es für uns keine Chance mehr, zu entkommen. Wenn dieser Kerl unsere Galeone angreifen Und entern sollte, dann werde ich Sie eigenhändig töten, ehe ich Sie diesem Teufel überlasse. Und auch ich werde mir den Tod geben, denn ich weiß, was es bedeutet, gefoltert zu werden.“

Dona Elvira würde kreidebleich. Mühsam Wahrte sie die Fassung. Dann lehnte sie sich plötzlich an die Brust des Steuermanns.

„Ja, Senor, versprechen Sie mir, daß Sie mich dieser Bestie nicht lebend überlassen werden, lieber will ich tot sein, als das …“

Sie schluchzte, und ein Weinkrampf schüttelte ihren Körper. Sanchez beruhigte sie, so gut es ging. Dann hob er ihren Kopf hoch und sah sie an.

„Ich bin nicht mehr jung, Dona Elvira. Und ich habe es nicht fertiggebracht, Ihnen diese schlimme Wahrheit zu verschweigen. Wenn es zum Äußersten kommen sollte, dann können Sie sich auf mich verlassen, das verspreche ich. Aber noch ist es nicht soweit. Und eines habe ich gelernt, man soll nie aufgeben, sofern auch nur noch eine geringe Hoffnung besteht, zu überleben!“

Er sah sie eine Weile an. Dann legte er plötzlich einen Arm um ihre Schulter.

„Dona Elvira, ich habe es mir überlegt. Sie würden es allein in der verwüsteten Kammer unseres toten Kapitäns doch nicht aushalten. Bleiben Sie ruhig hier oben bei mir. Aber halten Sie sich in meiner Nähe auf, nur dann vermag ich Sie zu schützen!“

Die junge Frau sah ihn dankbar an, dann nickte sie nur, und noch immer rannen die Tränen über ihre eingefallenen Wangen.

Caligu hatte die zweite Karavelle, die brennend aus der Nebelbank herausgelaufen war, gesichtet. Sein Gesicht verzerrte sich.

„Ha! Was ist das?“ brüllte er. „Und ich habe gedacht, diese Idioten hätten den Spanier lahmgeschossen!“

Er wollte zum Hauptdeck hinunter, aber Maria Juanita hielt ihn zurück.

„Ich habe sofort gehört, daß es nicht unsere Geschütze waren, die geschossen haben, Caligu. Wenn wir den Spanier jetzt noch kriegen wollen, dann werden wir ihn suchen müssen. Aber überlege mal, die Karavelle ist eben aus der Nebelbank herausgekommen. Der Wind weht nur noch schwach, und er wird gleich ganz einschlafen. Weit kann der Spanier also auch noch nicht sein. Wie wäre es, wenn du etwa dorthin, in die Richtung, ein paar Breitseiten in den Nebel abfeuern würdest? Irgendwo dort muß dieser verfluchte Don doch stecken. Vielleicht gerät sein Schiff sogar in Brand, vielleicht erzielst du wirklich einen Treffer! Schieß mit allem, was du hast, mit den Geschützen, mit Kugeln und Stangenkugeln, mit den Drehbassen und mit Musketen. Schon das Geschrei der Spanier könnte uns ihren Standort verraten. Aber laß der anderen Karavelle signalisieren, daß sie jetzt nicht in die Nebelbank hineinsegeln soll, sonst treffen wir am Ende noch unser eigenes Schiff!“

Caligu starrte die brennende Karavelle an, die nichts mehr war als ein treibendes Wrack. Die Mannschaft hatte es noch nicht einmal geschafft, die Taue zu kappen, an denen die Masten immer noch hingen und das Schiff stark nach Steuerbord krängten. Und er sah die andere Karavelle, die offensichtlich den Gefährten zu Hilfe eilen wollte.

Er stieß einen wüsten Fluch aus, aber dann packte er Juanita plötzlich.

„Du hast recht, Schätzchen! Du bist nicht nur eine gute Liebhaberin, sondern du bist klug, gefährlich klug. Es muß schlimm sein, dich zum Feind zu haben, aber jetzt werde ich tun, wozu du mir geraten hast!“

Caligu jagte zum Geschützdeck hinunter, indem er einfach über die Schmuckbalustrade des Achterkastells setzte.

„Los, beeilt euch, Ihr Hunde!“ schrie er die Männer an den Kanonen an. „Und du, Steuermann, hälst jetzt nach Steuerbord, los, Juanita, sag ihm, wie er steuern soll!“

Die Galeone Caligus schwang herum. Wenig später löste sich die erste Breitseite donnernd aus ihren Geschützen und fuhren die yardlangen Stichflammen der Kanonen über die See.

Caligu lauschte, aber nichts rührte sich.

„Weiter nach Steuerbord!“ brüllte er. „Höher die Rohre, ihr sollt euch tummeln, sage ich!“ grölte er und versetzte einem der Männer, der ihm nicht schnell genug arbeitete, einen Tritt in den Hintern, daß der Mann mit dem Schädel gegen die Lafette des schweren Geschützes prallte und augenblicklich das Bewußtsein verlor.

Caligu sah den Mann zusammenbrechen und regungslos liegenbleiben. Wilde Wut packte ihn.

„Was?“ schrie er mit sich überschlagender Stimme. „Was, du faules Schwein bleibst einfach liegen? Dir wird Caligu zeigen, was mit denen passiert, die seine Befehle nicht schnell genug ausführen!“

Er bückte sich, riß den Bewußtlosen hoch und warf ihn mit einem weiten Schwung über Bord. Nebelschwaden zogen bereits über das Schiff. Die Männer an den Geschützen, die ihre Arbeit unterbrochen hatten und den riesigen Piraten anstarrten, hörten den Körper ihres Gefährten in die See klatschen.

Caligu, rasend vor Wut, sprang auf sie zu.

„Noch einer?“ schrie er sie an. „Will noch jemand zu den Haien?“

Die Männer, in deren Augen eben noch Feindseligkeit aufgeflackert war, duckten sich, fuhren mit den Wischern in die Rohre, schoben Kartuschen ein, verdämmten sie, rammten dann Kugeln oder Stangenkugeln drauf, verdämmten wieder.

„Feuer!“ Die Stimme Caligus dröhnte über das Deck, und wieder entluden sich krachend die Geschütze. Fetter, schwarzer Qualm begann zusammen mit dem dichter und dichter werdenden Nebel die Galeone des Piraten einzuhüllen.

Diesmal hatte der Pirat mehr Glück als Verstand, denn die zweite Salve lag voll im Ziel.

Pablo Sanchez sah das Aufblitzen der Mündungsfeuer sogar noch durch den Nebel hindurch. Es war, als ob plötzlich eine gewaltige Entladung die Nebelwand durchzucke. Instinktiv duckte er sich hinter das massive Schanzkleid, und ganz automatisch riß er die wie erstarrt dastehende Dona Elvira mit sich auf die Planken. Und dann heulte es heran.

Pablo Sanchez hatte einen Moment das Gefühl, als ob das Ende der Tage gekommen sei und das Jüngste Gericht begonnen habe.

Er spürte die schweren, dumpfen Einschläge der zwanzigpfündigen Kugeln, er hörte das Bersten und Splittern in der Takelage, die von den Stangenkugeln zerfetzt wurde, und er hörte das Schreien und Brüllen der Verwundeten, die sich an Deck in ihrem Blut wälzten.

Der Großmast neigte sich zur Seite, ganz langsam, wie von unsichtbaren Gewalten gezogen, neigte er sich und stürzte dann an Deck. Rahen und Segel begruben die Männer unter sich, Taue verhedderten sich an Deck, im Fockmast ächzten Blöcke knirschschten die Pardunen und rissen schließlich unter der gewaltigen Belastung.

Pablo Sanchez sprang auf. Seine Hand fuhr zum Degen, er wußte, daß mit dieser Salve die Todesstunde der „Santa Magdalena“ begonnen hatte, wenn nicht noch ein Wunder geschah.

Aber es geschah keins. Die Verwundeten stöhnten und schrien. Eingeklemmt unter den Trümmern der Takelage, begraben unter den Segeln. Irgendwo hatte jemand die brennende Lunte fallengelassen, und jetzt entlud sich donnernd eines der Geschütze.

Musketenfeuer knatterte auf. Von irgendwoher spuckten Drehbassen gehacktes Blei in das herrschende Chaos. Und dann blitzte es wieder auf. Die zweite Salve, von der Galeone Caligus abgefeuert, lag wieder voll im Ziel.

Die Einschläge der schweren Eisenkugeln schüttelten die „Santa Magdalena“ durch. Weitere Stangenkugeln rasierten auch den Fockmast ab, Brandpfeile zischten durch den Nebel heran und setzten das Durcheinander von Segeln augenblicklich in Brand.

Pablo Sanchez bückte sich und hob die zuckende und zitternde Dona Elvira auf. Aber er sah sofort, daß hier jede Hilfe zu spät kam, und er sein gegebenes Versprechen nicht mehr zu halten brauchte. Ein Holzsplitter war ihr in die Brust gedrungen. Noch bevor er etwas zu ihr sagen konnte, sackte sie in sich zusammen. Ihre Augen starrten ihn blicklos an.

Langsam ließ er sie wieder auf die Planken gleiten, dann blickte er sich um. Eine kleine Gruppe von Männern versuchte krampfhaft, das mittschiffs immer wieder auflodernde Feuer zu löschen – vergebens.

Pablo Sanchez lief zu ihnen. Wasser brauchten sie, die Flammen durften sich nicht weiter ausdehnen. Und dann wieder dachte er plötzlich, daß es ja sowieso egal sei, verloren waren sie so oder so.

Pablo Sanchez wollte etwas zu seinen Männern sagen, da sah er plötzlich die triefend nassen Gestalten, die wie Schemen in dem ganzen chaotischen Durcheinander auftauchten, sich über die Schanzkleider schwangen und dann mit Enterbeilen und Messern auf ihn und seine Männer eindrangen. Allen voran Caligu, der riesige Pirat.

Pablo Sanchez sprang zurück. Er begriff gerade noch, daß die Piraten sich nach der zweiten Salve, die die „Santa Magdalena“ getroffen hatte, ins Wasser gestürzt haben mußten und zu ihrer Beute herübergeschwommen waren. Trotz der Haie, von denen die Gewässer hier nur so wimmelten.

Pablo Sanchez sah Caligu auf sich zustürmen, ein langes Entermesser in der Rechten.

Er riß seinen Degen hoch, und ließ Caligu voll in die lange, spitze Klinge laufen, aber der Pirat lachte nur. Was scherte ihn schon ein Degen? Mit dem Belegnagel, den er in der Linken hielt, wischte er die Klinge zur Seite, dann zuckte das Entermesser hoch zum tödlichen Stoß.

Aber der Spanier war schneller. Er duckte sich, unterlief den tödlichen Stoß, und wieder zuckte seine Degenspitze auf den Piraten zu.

Caligu sah die Klinge und wußte, daß er diesmal nicht mehr ausweichen konnte. Er sprang aus dem Stand hoch, packte eines der herumhängenden Taue, stieß sich ab und pendelte zurück.

Der Stoß von Sanchez ging ins Leere, und wieder lachte Caligu dröhnend, der längst begriffen hatte, daß er es mit dem Kapitän des Schiffes zu tun hatte und daß dieser Kerl gefährlich war, sogar für ihn, Caligu.

Der Steuermann wich zurück, als der Pirat wieder auf ihn zupendelte. Sein Degen zischte vor, und diesmal erwischte er Caligu am Arm.

Caligu spürte den Schmerz, er ließ sich einfach fallen, rollte sich über die Planken und sprang wieder auf. Blut lief über seinen Unterarm, ein heftiger Schmerz breitete sich bis zur Schulter aus.

Caligu sah rot. Ohne jede Rücksicht auf den Degen des Spaniers stürzte er vorwärts. Die vorschnellende Klinge fegte er abermals zur Seite, diesmal mit dem nackten linken Arm, denn den Belegnagel hatte er fallen gelassen, als er nach dem Tau gegriffen hatte.

Für einen winzigen Moment verwirrte den Spanier dieser ungestüme Angriff des Piraten, der Reflexe wie ein wildes Tier zu haben schien. Er warf sich zur Seite, aber Caligu hatte damit gerechnet.

Die beiden Männer prallten so heftig zusammen, daß der Degen des Spaniers in hohem Bogen davonwirbelte.

Caligu nutzte seine Chance sofort. Er stieß sofort zu, und sein Messer durchbohrte Sanchez’ Brust.

Einen Moment stand der Spanier wie erstarrt. Dann durchlief seinen Körper ein heftiges Zittern, begleitet von dem dröhnenden Lachen Caligus, der sein Opfer packte und es in hohem Bogen über Bord warf.

Pablo Sanchez spürte den Aufschlag auf die Wasseroberfläche nicht mehr. Er war tot, bevor sein Körper in der See verschwand.

Überall auf der „Santa Magdalena“ tobte der Kampf, aber die Spanier waren von den Piraten bereits bis zum Vorderkastell zurückgedrängt worden. Und immer wilder griffen die Piraten an.

Schließlich hob ein alter, grauhaariger Seesoldat die Hände.

„Wir ergeben uns, hört auf!“ rief er. Er sagte es so laut, daß ihn jeder an Bord verstand. Auch Caligu, der eben in langen Sätzen über das Hauptdeck heranfegte.

Abrupt blieb Caligu stehen, seine Augen waren nur noch Schlitze, sein linker Arm voller Blut, genau wie die Klinge seines Entermessers, das er in der Hand hielt.

„Waffen weg!“ sagte er nur, und die Spanier befolgten seinen Befehl sofort.

Der alte Soldat trat einen Schritt vor, er wollte etwas sagen, aber Caligu schnitt ihm sofort das Wort ab.

„Weißt du, wer ich bin?“ fragte er und trat auf den Alten zu.

Der Alte schüttelte den Kopf.

Caligu starrte ihn an. Dann drehte er sich zu seinen Spießgesellen herum und blickte sie an.

„Er weiß es nicht. Holt Maria Juanita, sie soll es ihm sagen und auch, was das bedeutet! Fesselt sie! Sucht schwere Ketten! Nehmt euch den Alten mit, er wird wissen, wo auf diesem Schiff die Ketten und die Eisenfesseln verwahrt werden.“

Die Piraten grinsten, dann packten zwei von ihnen den Alten und stießen ihn vor sich her, einen der Niedergänge hinunter.

Ein anderer wollte sich übers Schanzkleid schwingen, um zu der ganz in der Nähe liegenden Galeone Caligus hinüberzuschwimmen, aber in diesem Moment drangen Rufe aus dem immer dichter werdenden Nebel herauf.

„He, Caligu! Wirf mir ein Tau herab, damit ich ’raufklettern kann!“

Caligu lief zum Schanzkleid.

„Los, ein Tau!“ befahl er. Im nächsten Moment hielt er eins in seinen Pranken. Er warf es hinunter und ganz undeutlich erkannte er den Schemen eines Bootes an der Bordwand der „Santa Magdalena“.

Maria Juanita schwang sich als erste über das Schanzkleid. Sie fragte nichts, sie sah auch so, daß sich das Schiff fest in Caligus Händen befand.

Der Pirat grinste sie an.

„Die Spanier wissen nicht, wer ich bin“, sagte er nur. „Ich wollte dich gerade holen lassen, damit du es ihnen beibringst. Du verstehst dich darauf, Maria Juanita, und wir werden wieder ein Fest feiern wie auf dem letzten Spanier, den wir gekapert haben!“

Caligu hörte wieder die Schreie der Gefolterten, sah wieder die zuckenden Flammen der Feuer, die sie an Bord des Spaniers entzündet hatten und um das sie die Spanier tanzen ließen, die ganze Nacht …

Tanzen! Ja, das war’s, was er wollte!

„Laß sie tanzen, Maria Juanita, so wie damals! Aber warte, erst wollen wir sehen, was diese Galeone in ihrem Bauch hat. Caligu will das Silber und das Gold sehen, mit seinen eigenen Händen betasten, dies ist ein großes Schiff, und es hatte viele Soldaten an Bord.“

Er ging mit Maria Juanita davon. Auf dem Achterkastell, wo die tote Dona Elvira lag, blieb Maria Juanita stehen. Mit dem Fuß drehte sie die Leiche um.

„Schade, Caligu, daß sie schon tot ist“, sagte sie, „die wäre die Richtige für dich ge …“

Einer der Piraten stürzte an Deck. Seine Kleidung war klatschnaß, sein Gesicht wirkte bleich.

„Sie säuft ab, Caligu!“ schrie er den Piraten an. „Sie hat den ganzen Bauch voll Silber und Gold, aber sie nimmt so viel Wasser durch ein paar Lecks, daß sie in spätestens einer Stunde zu den Fischen geht!“

Caligu und Maria Juanita standen ein paar Sekunden wie erstarrt. Dann sausten sie los, geradewegs auf den Niedergang zu, aus dem der Pirat eben aufgetaucht war.

Sie brauchten nicht weit hinunterzusteigen. Sie vernahmen das Rauschen und Brodeln des eindringenden Wassers auch so.

Caligu stieß eine Verwünschung aus, dann raste er die Stufen wieder hoch. Er sprang an Deck.

„Der Kahn säuft ab. Werft die Spanier über Bord oder schlagt sie tot, beeilt euch, wir haben nicht mehr viel Zeit! Dieser ganze verfluchte Kahn steckt voller Gold und Silber!“

Die Piraten zögerten nicht. Grauenhafte Szenen spielten sich kurz darauf an Bord der „Santa Magdalena“ ab, aber die Piraten kannten kein Erbarmen. Keiner der Spanier überlebte das Massaker. Wenig später durchzogen die dreieckigen Rückenflossen der Haie die Wasseroberfläche.

Der Alte, der sich ergeben hatte und dessen Beispiel die anderen gefolgt waren, starb zuletzt.

Noch ehe sie ihn vom Schanzkleid zu den Haien hinunterstießen, drehte er sich ein letztes Mal um.

„Caligu!“ rief er mit weithin schallender Stimme. „Ich verfluche dich für diesen Mord an Wehrlosen. Ich verfluche dich und deine Bande von Mördern. Ihr werdet alle sterben, und der Teufel in der Hölle wartet schon auf euch!“

Dann, bevor einer der Piraten Hand an ihn legen konnte, sprang er.

Caligu stand wie erstarrt. Das hatte noch keiner gewagt, nie hatte ihn jemand verflucht. Und Caligu verspürte plötzlich die Furcht, die in ihm aufstieg, die Furcht davor, daß dieser Fluch des Alten ihn verfolgen und einholen würde. Ihn, Maria Juanita und alle anderen.

Er ahnte nicht, daß genau in dem Moment, als der Alte sprang, die von der „Santa Magdalena“ angeschossene Karavelle kenterte und ihre Besatzung dem gleichen grauenvollen Tod auslieferte, wie ihn Caligu und seine Mörder die wehrlosen Spanier, die sich ergeben hatten, sterben ließen.

Gewaltsam riß sich Caligu von seinen dunklen Ahnungen los, während seine große Galeone bereits neben der sinkenden „Santa Magdalena“ festmachte, aber nur so, daß sie sich jederzeit sofort wieder von ihr lösen konnte.

Caligu und seine Spießgesellen schufteten wie die Besessenen. Die „Santa Magdalena“ hielt sich länger, als sie gedacht hatten, und es gelang ihnen, die kostbare Ladung auf ihr eigenes Schiff hinüberzumannen.

Aber dann legten sie schleunigst ab, und eine knappe Viertelstunde später sackte das spanische Schiff auf ebenem Kiel weg wie ein Stein. Ein paar Luftblasen blubberten hoch, Trümmer schossen an die Oberfläche, ein gewaltiger Strudel zeigte die Stelle an, an der sie ihre letzte Fahrt angetreten hatte. Alles andere verschluckte der Nebel und deckte seine weißgrauen Schwaden wie ein Leichentuch über diese Stätte des Grauens.

Caligu beging einen verhängnisvollen Fehler. Seine Gier nach dem Silber und dem glitzernden Gold war so groß, daß er alles andere um sich herum vergaß. Mit dröhnender Stimme trieb er seine Leute immer wieder an, die Beute im Rumpf der Galeone zu verstauen. Aber mit keinem Gedanken dachte er mehr an die Rote Korsarin, die ihm mit diesem Schiff eine tödliche Falle gestellt hatte.

Seewölfe Paket 4

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