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4.

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Die schwarzhaarige Frau auf dem Achterkastell des Zweimasters war eine phantastische Schönheit.

Langes, schwarzes Haar umfloß schulterlang ihr Gesicht, schmeichelte sich im Wind bis zu ihren sinnlichen Lippen hin und verlieh ihr ein verträumtes Aussehen. Ihre schräggestellten Augen waren schwarz wie Kohlestücke, und manchmal, wenn sie einen Befehl erteilte, glomm es sekundenlang darin wie flüssiges Gold auf.

Sie trug eine blutrote Bluse, die von ihrem schlanken Hals ab zwei Knöpfe geöffnet war. so daß man den Ansatz ihrer Brüste sah, Brüste die nicht viel größer als Apfelsinen waren – und so hart. Ihre schwarzen Mandelaugen blickten hochmütig, verächtlich manchmal, und die roten Lippen konnten sich hoheitsvoll verziehen.

Zu ihrer roten Bluse trug sie bläuliche verwaschene und enge Hosen, die in kurzen weichen Stiefeln steckten.

Sie blickte zu der Lateinertakelung des Zweimasters hoch, blutrote Segel, die vom Wind leicht gefüllt waren.

„Abfallen Backbord!“ Ihre Stimme, hell und fordernd, ließ den Kerl am Kolderstock zusammenfahren.

„Abfallen Backbord!“ wiederholte er. „Wir schaffen die Passage jetzt noch nicht“, sagte er gleich darauf. „Das Wasser hat nicht den nötigen Druck.“

„Habe ich dich um deine Meinung gefragt?“ fuhr sie ihn an. Ihre mandelförmigen Augen blitzten wieder. „Verschwinde und überlaß mir das Ruder!“

Mit einer herrischen Bewegung griff sie nach dem Kolderstock und stemmte ihren zierlichen Körper leicht dagegen, bis der Zweimaster etwas nach Backbord abfiel.

An Deck standen zwölf wilde Kerle, Piraten der Karibik, ein bunt zusammengewürfelter Haufen mit roten und grünen Kopftüchern, blutrote Schärpen um den Körper geschlungen, rasierte und unrasierte Gestalten, die der Frau bedingungslos gehorchten.

Sie alle bewunderten diese Frau insgeheim, die es schaffte, diese Höllenpassage zu durchsegeln, ohne das Schiff an die Felsen zu schmettern. Sie hatte es immer geschafft, unbeschadet in den Schlupfwinkel zu gelangen, und dennoch war es jedesmal ein Kunststück, hier hineinzusegeln.

Die Fahrt nahm zu und wurde schneller, als der Zweimastsegler sich der kritischen Schwelle näherte.

Die Rote Korsarin, sie hieß Siri-Tong, preßte die Lippen zusammen und blickte nach vorn. Schlangengleich bewegte sich ihr geschmeidiger Körper am Kolderstock, etwas Backbord, etwas Steuerbord, ein hartes wildes Schlingern, und sie segelte an den schroffen Felsen vorbei in ruhiges Wasser.

Die Karibikpiraten starrten sie an wie eine Göttin, die es mit spielerischer Hand geschafft hatte, das leicht beschädigte Schiff durch die Klippen zu segeln.

Sie starrten auch dann noch, als die Rote Korsarin plötzlich die Augen zusammenkniff und sich ihr Gesichtsausdruck schlagartig änderte. Es wurde kühl und hart, mit einem leichten Zug Verwunderung darin.

„Eine Galeone“, sagte sie ruhig, als sie an dem Klippfelsen mitten im Fahrwasser vorbeisegelte. „Runter mit den Segeln, es wird kein Anker geworfen. Verstanden?“

„Aye, aye, Madame! Kein Anker.“

Blitzartig fielen die Segel, niemand stellte eine überflüssige Frage, obwohl es in den Gehirnen der Männer arbeitete. Sie stellten sich die gleiche Frage wie Siri-Tong. Wie war es möglich, daß eine so große Galeone es geschafft hatte, hier hineinzusegeln? Ihr Kapitän mußte ein tollkühner Bursche sein – oder der Teufel persönlich. War es Zufall, oder hatte er von dem Schlupfwinkel der Roten Korsarin gewußt?

In einem eleganten Bogen lief der Zweimaster hart nach Backbord, zwischen die anderen Klippen. Auf der Galeone hatte man sie bisher nicht gesehen, deshalb scherte der Zweimaster auch so schnell aus.

Innerhalb von Sekunden stand Siri-Tongs Plan fest.

Diese Galeone mußte sie haben, um jeden Preis. Es war ein herrliches, rankes und sicher auch schnelles Schiff. Aber das würde ihr nur durch einen Überraschungsangriff gelingen.

Ihr Mund verzog sich spöttisch, als sie mit dem Finger den Bootsmann heranwinkte, einen grobschlächtigen Kerl mit der Statur eines ausgewachsenen Ochsen.

„Ich will keinen Laut hören, Juan, nicht den geringstn Ton. Wir werden an den beiden Felsen vertäuen, und ihr hängt notfalls eure Körper dazwischen, damit man kein Schaben und Kratzen hört. Ab jetzt, beeilt euch!“

Der Bootsmann glitt über Deck, um die Befehle so leise wie nur möglich weiterzugeben. Erst jetzt begriffen die meisten anderen, was die Korsarin vorhatte.

Ein guter Plan, ein prächtiger Plan, und sie hatten das Überraschungsmoment ganz auf ihrer Seite.

Fender wurden außenbords gebracht, Männer mit Leinen standen bereit, die sie um die spitzen Felsen schlangen. So lautlos wie der Zweimaster hereingesegelt war, so lautlos legte er jetzt auch an. Die Galeone sah man jetzt nicht mehr, aber das hatte den Vorteil, daß man sie von der Galeone aus erst recht nicht mehr sah.

„Diese Kerle wissen nicht, daß wir da sind“, sagte Siri-Tong spöttisch. „Um so schlimmer wird das Erwachen nachher für sie sein. Gib mir das Spektiv, Juan!“

Der Bootsmann brachte eilig das Spektiv. Die Rote Korsarin zog es auseinander, ging zum Vordeck und stieg auf den Felsen. Lange blickte sie hindurch, dann glitt wieder jenes hochmütige, fast verächtliche Lächeln um ihre Lippen.

„Besser hätten wir es gar nicht treffen können“, ließ sie Juan wissen. „Ich schätze die Besatzung auf etwa zwanzig Mann. An Bord befinden sich nur vier oder fünf, darunter ein Älterer auf Krücken. Die anderen sind an Land, vermutlich, um die Insel zu untersuchen, oder sie benötigen Wasser. Wir werden sofort losschlagen.“

Sie wandte sich um und blickte in sonnenverbrannte, verwegene Gesichter. Das war ein Plan ganz nach ihrem Geschmack.

„Meinen Degen, Juan! Du gehst mit, John und Bill ebenfalls. Die anderen rudern später nach, sobald wir das Schiff gekapert haben!“

„Schwimmen?“ fragte Juan.

Sie musterte ihn eisig. Ihre Augen blitzten.

„Willst du vielleicht über das Wasser laufen?“ fragte sie spöttisch.

„Ich dachte – mit dem Beiboot!“

„Überlaß das Denken mir! Wir schwimmen achtern heran und entern auf. Kein Mensch wird uns sehen, oder glaubst du, die Kerle nehmen an, daß hier ein anderes Schiff hereinsegelt?“

„Nein, Madame.“

„Dann fangt endlich an, zieht die Stiefel aus und folgt mir!“

Die Männer waren es gewöhnt, daß die Rote Korsarin blitzartige Entscheidungen faßte und sie auch sofort in die Tat umsetzte. Sie zögerte nie, deshalb waren sie auch alle noch am Leben. Ihre blitzartigen Entschlüsse und ihre erstaunliche Kombinationsgabe hatten sie immer wieder aus tausend Gefahren gerettet.

Mit dem Degen an der Seite glitt sie lautlos über Bord und tauchte unter. Sie war die beste Schwimmerin an Bord, bisher hatte sie noch kein Mann geschlagen.

Juan, Bill und John hatten alle Mühe, damit der Abstand nicht zu groß wurde. Geschickt wie ein Delphin glitt sie durchs Wasser, immer wieder tauchend.

Die Distanz betrug etwa vierhundert Yards bis zur „Isabella“, Ihr Achterkastell wurde immer größer, rückte immer näher.

Die Rote Korsarin ergriff das Ruderblatt, atmete tief durch und wartete auf die anderen, bis die heran waren.

Dann erklomm sie mit geschickten schnellen Bewegungen das Heck, blickte auf das Achterdeck und wunderte sich einen Augenblick darüber, daß das Schiff keinen Kolderstock hatte.

Hinter dem Ruderhaus kauerte sie sich zusammen und wartete, bis auch der letzte aufgeentert war.

Der Kutscher war in der Kombüse beschäftigt, Conroy lungerte um ihn herum und versuchte, ein Stück des, duftenden Fisches zu klauen. Bowie und Grey standen an Deck neben Old Flynn und blickten zu dem einladenden Strand hinüber.

Nur Smoky, der Deckälteste marschierte durch die Kuhl und spielte mit

Arwenack Verstecken. Der Schimpanse war wieder auf dem Damm. Seine Angst hatte er verloren.

Jetzt machte er allerdings plötzlich einen Satz und raste los.

Smoky drehte sich um und erstarrte augenblicklich zur Salzsäule, als ihm eine Degenspitze an den Hals fuhr.

Er glaubte zu träumen, denn was er sah, das gab es einfach nicht. Eine bildhübsche, schwarzhaarige Frau mit mandelförmigen Augen, einer klatschnassen roten Bluse, unter der sich scharf die Konturen ihrer herrlichen Brüste abzeichneten, stand vor ihm. Ihr Gesicht war hoheitsvoll wie das einer Königin, ihre Stimme gefährlich leise.

„Keinen Laut, wenn dir dein Leben lieb ist!“ warnte sie. Gleichzeitig gab sie drei übel aussehenden Kerlen einen herrischen Wink mit der freien Hand.

Smoky blieb ein Ausruf der Verwunderung im Hals stecken, so verblüfft war er. Er wollte schreien, die anderen warnen, die an der Reling standen, aber die schwarzhaarige Schönheit hatte es an seinem Gesicht abgelesen. Die scharfe Degenspitze preßte sich noch weiter an seinen Hals.

Ein paar Sekunden später sahen sich Bowie, Grey und Old O’Flynn vor breiten Entermessern. Sie waren so überrascht, daß sie ebenfalls keinen Ton hervorbrachten.

Diese Frau! Alles hätten sie erwartet, nicht aber eine Piratin, die hier plötzlich aus dem Nichts auftauchte.

Und dann diese atemberaubende Figur in der roten Bluse, die durch die Nässe wie eine zweite Haut an ihrem schlanken Körper anlag.

Die drei Männer glotzten sich buchstäblich die Augen aus. Selbst der alte O’Flynn war sprachlos.

Von unten rief der Kutscher etwas herauf. Er brüllte und fluchte mit Al Conroy, der um den gebackenen Fisch herumschlich.

Siri-Tongs Augenbrauen hoben sich verwundert, als sie diese Worte aus der Kombüse vernahm.

„Verdammt, hau jetzt ab, du verlauster Hurenbock!“ brüllte der Kutscher aus Leibeskräften. „Wenn du noch einmal Fisch klaust, dann setz ich dich mit deinem Affenarsch so lange auf den Grill, bis er schwarze Streifen hat, und die Eier back ich dir steinhart!“

Der Gesichtsausdruck der Roten Korsarin sprach Bände. Ihre zarte Pfirsichhaut überzog sich mit blutroter Farbe. Obwohl sie täglich die harten Burschen um sich hatte, blickte sie betreten an Deck.

Von den wüsten Versprechungen geschockt, sauste Al Conroy wie der Blitz an Deck, gefolgt von dem brüllenden Kutscher, der ihm eine Gräte des Zakkenbarsches wütend ins Kreuz feuerte.

Conroy und der Kutscher stoppten abrupt ihren Amoklauf. Conroys Kiefer klappte verblüfft nach unten, der Kutscher blieb stehen, als hätte ihn soeben der Blitz getroffen.

„Wa – waa – was denn das?“ fragte der Kutscher langgezogen.

Smoky räusperte sich die Kehle frei. Ständig hatte er die klatschnasse Bluse mit den Apfelsinenbrüsten vor Augen und die verdammte Degenspitze am Hals.

„Wir haben Damenbesuch“, sagte er heiser. „Benimm dich also mit deinen Ausdrücken!“

„Ruhe!“ herrschte Siri-Tong ihn an. „Befinden sich noch mehr Leute unter Deck?“

Smoky schwieg verstockt. Auch die anderen antworteten nicht. Old O’Flynn wollte sich auf seinen Krükken heimlich davonschleichen, doch ein scharfer Zuruf der Korsarin stoppte ihn sofort. Er sah an ihren Augen, wie bitterernst sie es meinte.

„Juan, sieh nach!“

Der Pirat schnüffelte sofort herum, stieg nach unten, kam wieder herauf, ein Stück gebratenen Fisch in der Hand.

„Niemand da“, versicherte er. „Sollen wir die Kerle nicht einfach umlegen?“

„Wir sperren sie ein, dann haben wir Geiseln, wenn die anderen wieder zurückkehren. Los, unter Deck mit euch! Wenn jemand versucht, die anderen zu warnen, springt er über die Klinge! Wir behalten den alten Mann an Deck. Ihn wird erbarmungslos mein Degen treffen, sobald ihr nicht gehorcht!“

„Verdammter Satansbraten“, murmelte Al. „Und dabei sieht das Weib so hübsch aus. Was wollen Sie überhaupt von uns?“

„Wir wollen nur das Schiff, mehr nicht. Und wir kriegen es auch.“

Conroy hob herausfordernd den Blick.

„Das Schiff?“ sagte er verächtlich. „Das nutzt euch gar nichts. Hier sitzt ihr in der Falle.“

Er erhielt keine Antwort. Nur ein überlegener Blick der Roten Korsarin traf ihn, der ihm lange zu denken gab.

Die Seewölfe zermarterten sich den Kopf, woher die Piraten gekommen sein mochten. Ganz plötzlich waren sie dagewesen und hatten sofort zugeschlagen. Der Seewolf würde einen Tobsuchtsanfall kriegen, wenn er an Bord erschien.

Es half alles nichts. Unnachgiebig schickte Siri-Tong die Männer unter Deck und ließ sie einsperren.

Und keiner von ihnen wollte das Risiko eingehen, daß sie den alten O’Flynn umlegten. Zähneknirschend fügten sie sich. Eins stand jedenfalls für sie fest. So schnell und sauber hatte sie noch kein Pirat und auch kein Spanier aufs Kreuz gelegt. Da mußte erst so ein Höllenweib aufkreuzen und ihnen die Zähne zeigen. Es war zum Verzweifeln.

Der nächste, der ahnungslos in die Falle ging, war Dan. Er hatte sich über die Felsen gehangelt, auf das Boot am Strand verzichtet und war ins Wasser gehechtet. Wie ein Wilder schwamm er auf die „Isabella“ zu. Es ging um jede Minute, und wenn er sich das Tau um den Körper schlang und zurückschwamm, konnte die Zeit gerade noch reichen, um Carberry aus seiner gefährlichen Lage zu befreien.

Dan traf der Schock genauso unvorbereitet wie die anderen. Er enterte an Deck hoch und wurde von drei wüst aussehenden Kerlen in Empfang genommen. Zu seiner grenzenlosen Verblüffung sah er ein bildhübsches Mädchen an Deck stehen, das ihn kühl musterte.

Zwei Kerle bogen ihm die Arme auf den Rücken, noch bevor er sich wehren konnte, der dritte hob seine Beine hoch – und kurz darauf war der verdatterte Dan in der Vorpiek bei den anderen gelandet. Noch jetzt begriff er nicht richtig, was geschehen war.

Siri-Tong gab das Zeichen für die anderen, die sich jetzt mit dem Boot abstießen und zur „Isabella“ ruderten. Zwei Mann ließ sie als Wache zurück. Die Kerle waren mit Musketen, Messern und Pistolen bewaffnet, hockten sich an Deck und warteten in aller Ruhe ab, wie ihre Herrin es ihnen befohlen hatte.

Für sie war das ein Kinderspiel. Und diese Galeone hatte sich als gute Beute ja geradezu angeboten.

Um ihre Lippen spielte ein flüchtiges Lächeln. Sie hatte Zeit und konnte warten. Und sieben Geiseln hatte sie auch. Die würde von der Mannschaft sicherlich keiner aufs Spiel setzen.

Seewölfe Paket 4

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