Читать книгу Seewölfe Paket 16 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 24
10.
ОглавлениеHerma Osten hatte das Gefühl, ein tückisch grinsender Dämon greife nach ihren Beinen und zerre daran. Das Scheusal hockte auf dem Grund der Passage und wollte sie zu sich holen. Sie schluckte wieder Wasser, hustete und bekam keine Luft mehr. Ihr Schrei war nur noch ein gurgelnder Laut, die Panik raubte ihr den letzten Rest Beherrschung. Sie schlug wie verrückt um sich, aber damit verschlimmerte sie alles nur noch.
Es zog sie in die Tiefe, die Fluten schlugen über ihr zusammen. Sie glaubte noch, ein Boot zu sehen, das auf sie zuhielt, aber sie war nicht sicher. Es mochte ein Trugbild gewesen sein.
Ein fürchterliches Stechen setzte in ihrer Brust ein, aber dann ließen alle Qualen nach, und die Welt versank in einem süßen Schlummer. Herma breitete die Arme aus und sank tiefer. Onno war nur noch ein Traum, Lüder ein ferner Schatten an der Kimm der See, alles war vorbei, und es würde nie wieder Probleme für sie geben.
Plötzlich aber griffen starke Hände nach ihr. Sie fühlte sich nach oben zurück entführt, die Auftriebskraft war gewaltig. Was genau geschah, vermochte sie nicht zu ermessen, ihre Augen waren geschlossen.
Sie sah nicht das harte Gesicht des schwarzhaarigen Mannes neben sich, sie hatte nicht verfolgen können, wie er von der Jolle ins Wasser gesprungen war. Sie bemerkte nicht, wie sich ihr Kopf über die Fluten hob, wie andere kräftige Hände nach ihr griffen und sie an Bord der Jolle zogen.
Sie war besinnungslos.
Hasard hatte sich nur in etwa die Stelle merken können, an der sie untergegangen war. Das Boot hob und senkte sich wie ein Spielball, die Wogen ließen eine genaue Orientierung nicht zu. Aber er hatte es trotzdem versucht, war hineingesprungen und hatte nach ihr gesucht. Das Glück hatte es gewollt, daß er sie gefunden hatte.
Er griff nach dem Dollbord und zog sich selbst in die Jolle. Dan und Shane hatten Herma unterdessen zwischen zwei Duchten gebettet. Hasard stieg über zwei andere Duchten zu ihnen, beugte sich über sie und begann sofort mit der Wiederbelebung.
Genau in diesem Augenblick richtete sich Frieda hinter dem Deich auf, sie hatte alles genau verfolgt.
„Diese dreckigen Hunde!“ schrie sie. „Sie haben Herma gefangen! Sie wollen sie vergewaltigen!“
Lüder und die Männer sprangen gleichfalls auf. Sie stürmten den Deich hinunter, brachten die Boote zu Wasser und pullten los.
Onno und Willem schwammen auf die Jolle der Seewölfe zu, Onno hatte ebenfalls gehört, was Frieda gerufen hatte, und er zückte in blinder Wut sein Messer.
Auf Baltrum stiegen die Lütt-Jehans gleichfalls in ihre Boote und nahmen Kurs auf die „Isabella“.
„Achtung, Bastard!“ schrie Ben Brighton, der mittlerweile die Back der „Isabella“ geentert hatte. „Es gibt wieder Ärger!“
„Feuer frei!“ rief der Seewolf zurück. „Haltet uns die Bande vom Hals!“
Herma hatte schwallweise das Seewasser ausgespuckt und atmete wieder. Eben war es ihm so erschienen, als habe sie sich auch bewegt. Er wollte seine Versuche jetzt um keinen Preis aufgeben.
Carberry richtete das Spektiv, das er mit ins Boot genommen hatte, auf den Deich von Norderney.
„Die alte Hexe da drüben“, sagte er zu Nils Larsen. „Was hat die geschrien? Du verstehst doch Deutsch, oder? Mann, ist das eine verrückte Sprache.“
Nils mußte unwillkürlich grinsen.
„Hei neit er“, wiederholte er.
Er deutete auf den Seewolf, der sich nach wie vor tief über die Ostfriesin gebeugt hielt. „Das bedeutet soviel wie …“
„Er mißbraucht sie“, half Dan dem Dänen weiter. „Na, da haben wir uns ja was Schönes eingebrockt.“
Herma kam zu sich, schlug die Augen auf und blickte Hasard in die Augen.
„Du liebe Güte“, hauchte sie. „Wo bin ich denn hier?“
„Oha!“ sagte Carberry. „Was für ein Geschöpf!“ Dann drehte er sich zu den Ostfriesen um, die jetzt in ihren Booten bedrohlich nah herangerückt waren.
„Aufpassen“, sagte Roger Brighton. „Daß wir ja nicht die beiden aus den Augen lassen, die da im Wasser schwimmen.“ Er packte einen der Riemen und blickte aufmerksam zu Onno und Willem, die sich fluchend heranschoben.
„Feuer!“ schrie Ben an Bord der „Isabella“, und jetzt spuckten die 17-Pfünder der Backbordseite ihre Ladungen gegen die Lütt-Jehans aus, die auch nicht mehr weit entfernt waren. Eine Jolle wurde wie von einer unsichtbaren Faust hochgehoben und durch die Luft gewirbelt, Schreie ertönten im Grollen der Geschütze, Fontänen stiegen dicht neben der Friesenfalle auf und fielen dann rauschend wieder in sich zusammen.
Al Conroy, Ferris Tucker, Smoky und Old O’Flynn bedienten die Drehbassen und zielten damit auf die Groot-Jehans, die ihrerseits das Musketenfeuer auf die „Isabella“ und auf Hasards Jolle eröffneten. Die Schüsse krachten. Der Seewolf und seine fünf Begleiter duckten sich tief in ihr Boot. Lüder Groot-Jehan begann zu fluchen und zu schreien, als eins seiner Boote plötzlich getroffen war und zu sinken begann.
„Verehrte Lady“, sagte Hasard zu der blonden Herma mit den großen blauen Augen, die nicht aufhörte, ihn halb entsetzt, halb bewundernd zu mustern. „Ich bin Philip Hasard Killigrew, und dies sind meine Kameraden. Wir wollen dir nichts Böses antun und haben dich nur aus dem Wasser gezogen, damit du nicht ertrinkst. Es wäre denn doch zu schade um dich gewesen.“ Lächelnd blickte er zu Nils Larsen, der ebenfalls sehr froh über Hermas Rettung zu sein schien. „Übersetze das bitte, Nils.“
Nils gab sich alle Mühe, sich mit Herma zu verständigen. Sie lauschte ihm, nickte hin und wieder, stieß ein geseufztes „Oh“ und dann auch mal ein „Ach“ aus und setzte eine beinah andächtige Miene auf.
Wieder krachten die Kanonen der „Isabella“, dieses Mal waren es die schweren Stücke der Backbordseite. Dröhnend und wummernd rasten die Kugeln auf die Boote der Lütt-Jehans zu, und wieder hob es eine der Jollen wie durch Geisterhand hoch. Schreie gellten. Heino und Pit waren getroffen, Friedhelm und Brüne landeten im Wasser und klammerten sich an den Trümmern der ersten zerstörten Jolle fest. Eberhard und Karl lagen flach auf den Duchten ihres Bootes und verfolgten entsetzt, was geschah. Wie durch ein Wunder waren sie bisher verschont geblieben, aber sie hatten schon mehr als zehn Männer verloren.
Lüder Groot-Jehan sah, wie Gode und zwei andere seiner Sippe starben, und eine eisige Hand schien nach seinem Herzen zu greifen. Jetzt ist alles aus, dachte er.
Wieder krachten die Drehbassen der „Isabella“. Ben wollte die Kanonen der Steuerbordseite nicht gegen die Angreifer einsetzen, weil er fürchtete, das Boot des Seewolfs zu gefährden. Die viel kleineren Drehbassenkugeln lagen aber wieder im Ziel – noch ein Boot der Friesen kenterte und ging unter. Die Insassen versuchten, die übriggebliebenen Jollen zu erreichen.
Grete hatte sich inzwischen vom Strand erhoben und lief zu ihrer Mutter, die wie von Sinnen am Deich auf und ab rannte und schrille Schreie ausstieß.
„Mutter!“ rief Grete ihr zu. „Das muß ein Ende haben!“
Herma richtete sich zwischen den Duchten von Hasards Boot auf und blickte voll Grauen auf das Geschehen. Dann griff sie nach Hasards Hand.
„Vielen Dank für die Rettung“, sagte sie. „Und bitte – nicht mehr schießen.“
Nils dolmetschte wieder. Der Seewolf blickte zu den Booten der Friesen. Die Groot-Jehans hatten noch drei, die Lütt-Jehans nur noch zwei Boote.
Eberhard und Karl schickten sich bereits an, sich zurückzuziehen, sie begriffen, daß jede weitere Aktion sinnlos war. Lüder Groot-Jehan indes war von dem wilden Wunsch beseelt, wenigstens dem großen schwarzhaarigen Kerl, der der Kapitän der Engländer zu sein schien, alles heimzuzahlen. Schon hob er seine Muskete und richtete sie auf den Seewolf.
„Das Feuer einstellen!“ rief Hasard zur „Isabella“ hinüber.
„Aye, Sir!“ schrie Ben zurück. „Aber zieh den Kopf ein!“
Herma zerrte Hasard an der Hand zu sich herunter. Lüders Muskete krachte, die Kugel pfiff um etwa zwei Handspannen über Hasard weg. Carberry schrie: „Na warte, wenn ich dich erwische, du verfluchter Hund!“
Onno und Willem hatten die Jolle der Seewölfe erreicht. Onno versuchte, sich am Dollbord hochzuziehen und mit seinem Messer nach Hasards Beinen zu hacken, aber Roger Brighton hieb mit dem Riemen zu. Dan O’Flynn setzte Willem auf die gleiche Weise außer Gefecht.
„O Gott!“ stieß Herma hervor. „Nur das nicht!“
„Wer sind denn die Kerle?“ wollte Nils von ihr wissen.
„Der eine ist mein Mann“, sagte sie und begann zu jammern.
Hasard, Shane, Ed und Dan hatten zu den mitgebrachten Musketen und Tromblons gegriffen und schossen auf Lüder und dessen Kumpane. Damit hatten die Jehans nicht gerechnet. Sie stießen Flüche und entsetzte Rufe aus und duckten sich hinter das Dollbord.
Roger und Nils beugten sich weit aus dem Boot und zerrten Onno und Willem, die beide bewußtlos waren, zu sich heran, ehe diese ganz wegsinken konnten. Dann hievten sie sie in die Jolle.
Nils stand jetzt auf und rief den Friesen zu: „Wagt nicht, noch näher zu pullen! Wir haben drei Geiseln!“
„Lüder!“ schrie Frieda vom Ufer aus. „Aufhören! Dreh bei und kehr heim! Das ist ein Befehl!“
Endlich begriff Lüder, daß das Spiel aus war. Er ließ wenden und pullte mit seinen letzten Männern zum Ufer zurück. Mit gesenkten Häuptern landeten sie, stiegen an Land und schleppten ihre Verwundeten und die geretteten Schiffbrüchigen zu den wartenden Frauen.
Ben Brighton beobachtete alles, was geschah, mit scharfem Blick, und er ließ auch die Lütt-Jehans nicht aus den Augen, die inzwischen nach Baltrum zurückgekehrt waren.
Eberhard und Karl dachten jedoch nicht mehr an Gegenwehr. Sie traten vor Gerlinde und die anderen Frauen und Mädchen hin, die sie mit besorgten Gesichtern empfingen.
Es wurde eine Weile um die Opfer des kurzen Gefechts geweint, dann sagte Eberhard: „Schluß. Frieda hat recht, bei uns muß alles anders werden. Morgen schließen wir Frieden mit den Groot-Jehans, und ob wir uns wieder mit fremden Schiffsbesatzungen einlassen, muß gründlich geklärt werden. Mein Bedarf ist gedeckt, ich lebe lieber von der Fischerei und von der Gänse- und Entenjagd.“
Hasard gab seinem Ersten Offizier und Bootsmann ein Zeichen, dann ließ er anpullen, und sein Boot bewegte sich ebenfalls auf den Strand von Norderney zu. Ben und die Männer an Bord der „Isabella“ schnitten zwar verwunderte Mienen, aber Hasard hatte keine Bedenken, auf der Insel zu landen.
„Mach dir keine Sorgen“, sagte er zu Herma. „Wir bringen dich nach Hause.“
Sie seufzte wieder und dachte: Himmel, was für ein Mannsbild! Dann aber beugte sie sich mit kummervollem Gesicht über Onno und flüsterte: „Onno, sag doch was. Hast du Schmerzen? Oh, was haben wir beide bloß für ein Pech gehabt.“
Nils Larsen verstand jedes Wort. Er dachte sich dieses und jenes, grinste ein bißchen vor sich hin, äußerte sich aber nicht weiter zu dem, was sie sagte.
Knirschend schob sich der Bug der Jolle kurz darauf in den Sand von Norderney, die Brandungswellen setzten sie unerwartet sanft auf das Ufer. Die Seewölfe stiegen aus und schritten auf die wartende Gruppe zu, die sich auf dem Deich versammelt hatte. Ganz Norderney war zugegen – die Männer, die Frauen, die Mädchen, die Greise und die Kinder.
Als nur noch zehn Schritte die beiden Parteien voneinander trennten, ließ der Seewolf halten. Herma sah ihn von der Seite her an und fragte sich, was nun wohl geschehen würde. Onno war ins Bewußtsein zurückgekehrt und stützte sich auf ihren Arm. Willem, der auch wieder bei Bewußtsein war, wurde von Dan O’Flynn mit der Pistole in Schach gehalten.
„Nils“, sagte der Seewolf. „Du übersetzt bitte, was ich diesen Leuten mitzuteilen habe.“
„Aye, Sir.“
Hasard sah zu Lüder und zu Frieda und las den Haß in ihren Augen. Doch die anderen schienen ein wenig anders zu denken, sie blickten weniger angriffslustig drein.
„Wir könnten eure Häuser zusammenschießen“, sagte der Seewolf. „Aber darauf verzichten wir. Wir könnten die Geiseln mitnehmen und erst später irgendwo aussetzen, aber auch das tun wir nicht. Laßt euch das, was hier geschehen ist, eine Lehre sein.“
Nils übertrug jedes Wort ins Deutsche, und die Ostfriesen lauschten aufmerksam.
Friedas Züge entspannten sich ein wenig. Sie trat vor und erklärte: „Wir werden euch keine Schwierigkeiten mehr bereiten, wenn ihr Herma, Onno und Willem nur freigebt.“
Hasard nickte Herma Osten aufmunternd zu, und auch Onno und Willem durften zu den Ihren gehen. Keiner unternahm auch nur eine feindselige Geste – nur Lüder spielte plötzlich verrückt.
Er wollte sich auf Hasard stürzen.
„Du englischer Bastard!“ schrie er – und dieses Wort verstanden selbst Hasard, Carberry, Shane, Dan und Roger.
Der Profos tat nur einen Schritt, dann stoppte er den Friesen mit seiner mächtigen Gestalt. Lüder riß sein Messer aus dem Gurt hervor und wollte zustechen, doch Carberry schickte ihn mit einem einzigen Fausthieb zu Boden.
„So“, sagte er grimmig. „Jetzt hast du auch dein Fett. Du bist selber ein dreckiger kleiner Bastard.“
„Leider“, murmelte Frieda, die auch diese Sätze recht gut verstand. „Und ein Esel ist er obendrein. Er hat noch eine Menge Ohrfeigen verdient. Und wenn er nicht bald heiratet, verbanne ich ihn. Dann kann er nach Baltrum gehen und zusehen, wie er zurechtkommt.“
Hasard, der Profos, Shane, Dan, Roger und Nils kehrten zu ihrem Boot zurück. Niemand behelligte sie, als sie es ins Wasser schoben und durch die Brandung pullten, niemand versuchte, sie aufzuhalten. Sie erreichten die „Isabella“, enterten an der Jakobsleiter auf und hievten die Jolle wieder auf die Kuhl zurück.
Später manövrierte die „Isabella“ im Nachlassen des Sturmwindes langsam aus der tödlichen Falle. Als sie vor der Passage lag, ließ der Seewolf das Feuer aus den Schweren der Steuerbordseite eröffnen, und diesmal flogen die „Hölzchen“, wie Carberry sie nannte, aus dem Watt. Die Barriere löste sich auf, wie die Groot-Jehans und die Lütt-Jehans von ihren Inseln aus deutlich verfolgen konnten, so schnell würde sie keinem Schiff mehr den Rumpf aufreißen.
Die See hatte sich zusehends geglättet. Ohne Schwierigkeiten konnte die „Isabella IX.“ ihre Reise fortsetzen. Der Wind drehte auf Nordwesten, Kurs Nordosten lag an, und der Seewolf brachte die „Isabella“ zunächst aus der gefährlichen Nähe der Ostfriesischen Inseln fort, ehe er die Richtung wieder ein wenig korrigierte und Helgoland ansteuerte.
Einen Tag später trafen sie auf den Schwarzen Segler, den sie kurz nach dem Verlassen der Küste von Cornwall aus den Augen verloren hatten. Beide Schiffe segelten auf, dann wurden von Deck zu Deck noch einmal herzliche Worte gewechselt.
Thorfin Njal vernahm, was sich ereignet hatte. Er lachte wild und schrie: „Ja, die Ostfriesen, die sind ein Völkchen für sich! Lebt wohl, Kerls, Thule erwartet mich! Eine gute Reise und auf ein baldiges Wiedersehen!“
Die Seewölfe brüllten zurück, und dann ließen sie ihren alten Kampfruf ertönen: „Arwenack! Ar-we-nack!“
„Eiliger Drache über den Wassern“ segelte weiter nach Norden. Die „Isabella IX.“ nahm Kurs an Helgoland vorbei und lief weiter nach Jütland.
Wieder, ging an Bord das große Rätselraten um die geheime Order los. Jeder war gespannt, was das Kuvert wohl enthalten mochte und wohin die Reise ging. Deshalb beeilten sie sich, Skagen zu erreichen – um das Geheimnis endlich zu lüften …