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7.

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Stenmark war ein viel zu erfahrener Kämpfer, um sich von Olaf Sundbärgs Messerfuchtelei einschüchtern zu lassen. Und ins Bockshorn ließ er sich schon lange nicht jagen. Er selbst hatte einen Schiffshauer im Waffengurt stecken, außerdem eine Miqueletschloßpistole und ein Messer mit acht Zoll langer Klinge. Doch er hatte nicht vor, diese Waffe einzusetzen.

Er trat einen Schritt auf Sundbärg zu, und dieser wurde noch nervöser als zuvor. Plötzlich versuchte er es mit einem Ausfall. Stenmark ließ ihn auflaufen, wich dem zustoßenden Messer aber durch eine ruckartige Seitenbewegung seines Körpers aus.

Sundbärg stach ins Leere. Stenmark packte seinen Arm und drehte ihn herum. Sundbärg glaubte ein Knacken zu hören, er verspürte einen stechenden Schmerz in seinem Unterarm, schrie auf und ließ das Messer los, das im hohen Bogen durch das Wirtshaus segelte und hinter der Theke landete.

„Und jetzt zur Sache“, sagte Stenmark. Er verpaßte seinem Vetter einen Hieb in den Nacken, ließ ihn über sein Knie stolpern, sah zu, wie dieser auf den Dielen landete, warf sich jedoch nicht auf ihn, sondern wartete, bis er wieder auf den Beinen war. Dann schlug er erneut zu, verharrte wieder, gestattete seinem Vetter, sich herumzudrehen – und griff noch einmal an.

Ein Hagel vernichtender Schläge prasselte auf Olaf Sundbärg ein, Stenmark befand sich jetzt so richtig in seinem Element und ließ nicht lokker.

Das Schicksal wollte jedoch, daß Olaf Sundbärg diese Tracht Prügel, die er seit achtzehn Jahren verdient hatte, doch noch einigermaßen glimpflich überstand.

Einer der Nachbarn des Wirtshauses hatte den Tumult vernommen, der innerhalb kürzester Zeit entstanden und auf den Marktplatz von Kungelf hinausgedrungen war. Ein paar Passanten scharten sich in der Nähe des Brunnens zusammen und stellten Mutmaßungen darüber an, was bei Hamren wohl los wäre. Der Nachbar jedoch hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Landeshauptmann zu alarmieren, der auch sofort seine Wache verließ und sich auf den Weg zum Wirtshaus begab.

Der Landeshauptmann hieß Stig Björnson. Er war ein wuchtiger Mann mit breiten Schultern und respekteinflößendem Äußeren. Seit über zwanzig Jahren versah er in Kungelf seinen Dienst, und deshalb erkannte er Stenmark auf den ersten Blick, als er die Tür der Kneipe geöffnet hatte und entschlossen ins Innere marschierte.

Die Tür flog unter Björnsons heftiger Bewegung mit einem Knall wieder zu. Er trat mitten zwischen die Streithähne und schrie: „Aufhören! Das ist ein Befehl!“

Die Männer ließen voneinander ab und blickten zu ihm hinüber. Björnson wurde im Ort und in der ganzen Umgebung geachtet, niemand hätte ernstlich gewagt, sich offen gegen ihn aufzulehnen, auch ein Olaf Sundbärg oder ein Hamren nicht. Björnson war der Polizeichef, die Garde, der Bürgermeister und der liebe Gott von Kungelf in einer Person, und was er sagte, das mußte als Gesetz hingenommen werden.

„Hauptmann Björnson!“ rief Hamren sofort. „Wie gut, daß Sie endlich erschienen sind! Dieser Kerl hier spielt verrückt!“ Er wies auf Stenmark. „Er hat ein paar Männer zum Suff verführt und sie dann überredet, mein Lokal zu demolieren!“

Stenmark ließ seinen Vetter los, den er nach wie vor in der Mangel gehabt hatte. Es hatte keinen Zweck, die Keilerei fortzusetzen, das sah er selbst ein. Arvidson und ein paar andere Männer erhoben sich mit teils verlegenen, teils immer noch wütenden Mienen von den Dielen und klopften ihre Kleidung ab. Einige rieben sich auch die Köpfe.

„Stenmark“, sagte Björnson. „Ich erkenne Sie wieder. Welcher Teufel hat Sie geritten, nach Kungelf zurückzukehren?“

„Das können Sie sich ausrechnen, Hauptmann“, erwiderte Stenmark. „Ich verlange Gerechtigkeit. Ich bin seinerzeit unschuldig verurteilt worden, denn ich habe Kerstin Nilsson nicht umgebracht. Was ich fordere, ist, daß man meinen Vetter Olaf Sundbärg vor ein Thing stellt und den Fall neu verhandelt.“

„Das ist sein gutes Recht!“ rief Arvidson.

Björnson maß ihn mit einem strengen, zurechtweisenden Blick.

„Halten Sie Ihren Mund, Helge, ich habe Sie nicht gefragt“, sagte er. „Stenmark, haben Sie diese Schlägerei angezettelt?“

Hamren wollte etwas sagen, schwieg aber.

Stenmark trat zwei Schritte auf den Hauptmann zu und antwortete: „Nein. Ich habe meinen Vetter beschuldigt und provoziert, aber angefangen hat er, das kann jeder bezeugen.“

„Lüge!“ stieß Olaf Sundbärg keuchend hervor. Er drehte sich um und sah Björnson aus roten, geschwollenen Augen an. „Wollen Sie etwa einem Mörder Glauben schenken?“

„Olaf Sundbärg, auch Sie sind von mir nicht um Ihre Darstellung gebeten worden“, sagte Björnson scharf, dann wandte er sich wieder an Stenmark. „Stenmark, ich muß Sie verhaften. Sie sind vom Gericht in Göteborg verurteilt worden, und der Schuldspruch gilt nach wie vor, das wissen Sie.“

„Ja.“

„Er verjährt nicht. Es ist meine Pflicht, Sie dem Richter zu übergeben.“

„Gewiß“, sagte Stenmark, ohne eine Miene zu verziehen. „Ich lasse mich widerstandslos festnehmen. Aber ich weise Sie darauf hin, daß ich ein neues Verfahren verlange. Hiermit klage ich meinen Vetter Olaf Sundbärg des Mordes an Kerstin Nilsson an. Wenn ich mich dem Häradshöfding stelle, muß auch Sundbärg vors Gericht.“

„Nein!“ schrie Olaf Sundbärg. „Das lasse ich mir nicht gefallen! Der Mörder muß gehängt werden, und zwar auf der Stelle! Das Urteil, das damals gesprochen worden ist, ist unwiderruflich, das haben Sie selbst gesagt, Hauptmann!“

„Jawohl“, pflichtete ihm Hamren bei. „Man darf nicht zögern, das Urteil zu vollstrecken, sonst entwischt dieser Hundesohn Stenmark ein zweites Mal.“

Stenmark war versucht, dem Wirt an die Kehle zu springen, nur mit äußerster Mühe konnte er sich beherrschen. Daß Hamren mit Sundbärg unter einer Decke steckte, hatte er schon damals geahnt, jetzt wurde es ihm zur Gewißheit. Er glaubte auch zu wissen, wie sich seinerzeit alles abgespielt hatte. Doch er schwieg, um diesen Trumpf für später aufzusparen.

Vor Gericht war er damals viel zu verstört gewesen, zu durcheinander, um die Intrige zu erkennen, in die man ihn verwickelt hatte. Jetzt aber mußte er taktisch klug vorgehen und durfte sich zu nichts verleiten lassen, das erneut gegen ihn ausgelegt werden konnte. Er mußte nur immer wieder darauf verweisen, daß er bereit sei, sich dem Gericht noch einmal zu stellen, das würde seine Wirkung haben – und auch Björnson konnte nicht anders handeln, als ihn nach Göteborg zu bringen.

Björnson begriff, daß Stenmark wirklich nicht die Absicht hatte, zu fliehen. Mehr noch, er war von Stenmarks Integrität überzeugt, vermochte sich selbst aber nicht recht zu erklären, woran das lag. Erst nach und nach überzeugte er sich davon, daß es Stenmarks Art aufzutreten war, die bei ihm Sympathien für den Mann schuf.

Stenmark trug sein Anliegen ruhig und mit Würde vor, und das beeindruckte Björnson. Es nutzte Olaf Sundbärg nichts, daß er aufbrauste, der Entschluß des Hauptmanns stand fest.

„Was ist jetzt, Hauptmann?“ fragte Hamren. „Wollen Sie den Kerl endlich aufhängen oder nicht? Ich habe ein starkes Tau, das könnten wir verwenden.“

Björnson sah ihn drohend an. „Ich verbiete Ihnen, so zu reden, Hamren. Meine Meinung ist: Ein Mann, der sich stellt, hat das Recht, noch einmal vor Gericht angehört zu werden.“

„Das ist doch wirklich die Höhe!“ begehrte Sundbärg von neuem auf. „Das lasse ich nicht zu!“

Björnson trat vor ihn hin und schien ihn mit seinem Blick durchbohren zu wollen. „Wie soll ich das verstehen? Wollen Sie sich hier gegen meine Entscheidungen auflehnen, Sundbärg?“

„Nein, das natürlich nicht.“

„Das will ich meinen. Außerdem haben Sie ja nichts zu befürchten, denn Sie sind seinerzeit von jeder Schuld freigesprochen worden. Also, Sie können ganz beruhigt sein. Oder soll ich Ihren Vater holen, damit er Sie ein wenig beruhigt?“

„Ich bin doch kein Kind“, sagte Sundbärg einlenkend. „Es tut mir leid, daß ich so erregt bin, aber wenn Sie die Hiebe eingesteckt hätten, die dieser Hund mir beigebracht hat, wären Sie auch nicht gerade die Ruhe in Person.“

„Das kommt auf die Begleitumstände an“, sagte Björnson trocken. Er sah sich aufmerksam nach allen Seiten um und studierte die Gesichter der Männer. Zwei Gruppen hatten sich gebildet, die eine scharte sich um Arvidson zusammen, die andere um Sune. Björnson kannte die Schläger und Zechbrüder von Kungelf sehr genau, und er wußte auch, daß sie unberechenbar waren, wenn sie mehr Bier zu sich genommen hatten, als sie vertragen konnten. Das galt auch für Olaf Sundbärg.

Salomonisch erklärte der Hauptmann darum: „Stenmark wird von mir in Verwahrung genommen – damit gewisse Hitzköpfe nicht dazu verleitet werden, Selbstjustiz zu üben.“

„Sehr gut“, pflichtete Arvidson ihm bei. „Dafür habe ich mich von Anfang an verwendet, und deswegen hat die ganze Keilerei auch eigentlich nur stattgefunden, Hauptmann. Ich weiß, Sie haben mich nicht nach meiner Aussage gefragt, aber ich werde Ihnen bei Gelegenheit doch noch genau auseinandersetzen, wie sich alles abgespielt hat.“

„Wir reden auch noch miteinander, Helge Arvidson“, zischte Olaf Sundbärg. „Verlaß dich drauf.“

„Sundbärg“, sagte der Landeshauptmann. „Wollen Sie allen Ernstes erreichen, daß ich eine Verwarnung gegen Sie ausspreche?“

„Nein.“

„Dann schweigen Sie endlich.“ Björnson blickte wieder zu Stenmark. „Ich bringe Sie persönlich nach Göteborg und rufe dort auch das Gericht zusammen.“

„Einverstanden. Ich danke Ihnen, Hauptmann.“

Olaf Sundbärg stöhnte vor Wut und Haß auf.

„Es ist nicht zu fassen, daß Sie einen Schwerverbrecher auch noch schützen, Hauptmann!“ stieß er aus. „Ich begreife das nicht.“

„Ich hingegen finde es merkwürdig, daß Sie so versessen darauf sind, Ihren eigenen Vetter hängen zu sehen“, sagte Björnson. Und dann ließ er Sundbärg eisig abfahren: „Ich sehe, Sie haben nicht den geringsten Familiensinn. Das ist eine Schande. Sie hätten zumindest versuchen können, mit Stenmark Frieden zu schließen.“

„Ich? Mit dem? Niemals!“

„Stenmarks Anschuldigungen sind also ungerechtfertigt, einfach aus der Luft gegriffen?“

„Ja. Was denn sonst?“ gab Sundbärg aufgebracht zurück.

„Das wird sich ja herausstellen“, sagte der Landeshauptmann. „Auf jeden Fall haben Sie, Olaf Sundbärg, sich für den Gerichtstag zur Verfügung zu halten.“

Stenmark äußerte nichts mehr. Er spürte jedoch, daß auch Björnson einiges gegen Olaf Sundbärg vorzubringen hatte. Möglich war, daß er ihm schon seit einiger Zeit wegen seiner dunklen Machenschaften auf die Schliche gekommen war, aber wahrscheinlich hatte er nicht die geringste Handhabe gegen ihn. Ein neuer Prozeß würde alles ans Licht des Tages fördern – so hoffte Stenmark.

Björnson gab ihm einen Wink, und sie verließen gemeinsam das Wirtshaus. Arvidson und dessen Freunde folgten ihnen, und sie ließen die Sundbärg-Clique in eisigem Schweigen hinter sich zurück.

Björnson schickte Helge Arvidson und die anderen Männer sogleich nach Hause. Sie nickten Stenmark noch aufmunternd zu, und der bedankte sich für die Unterstützung, dann trennten sie sich voneinander, und jeder ging seiner Wege.

Auf der Wache nahm Björnson Stenmark sämtliche Waffen ab, durchsuchte ihn sorgfältig und sagte schließlich: „Dies ist meine Pflicht, wie Sie wissen, Stenmark. Ich hoffe, Sie bereiten mir wirklich keine Scherereien. Ich nehme Ihr Eigentum nur in Verwahrung. Sollte sich herausstellen, daß Sie tatsächlich unschuldig sind, erhalten Sie die Waffen natürlich zurück.“

„Sie können sich auf mich verlassen.“

„Ich brauche Sie also nicht zu fesseln?“

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nichts gegen Sie unternehme. Hätte ich fliehen wollen, dann hätte ich es bereits getan“, entgegnete Stenmark.

„Gut. Hören Sie zu. Ich könnte Sie für eine Nacht einsperren, aber ich halte es für besser, sofort nach Göteborg aufzubrechen.“

„Ich verstehe. Olaf und seine Kumpane könnten rabiat werden, meinen Sie?“

„Ich könnte es mir jedenfalls vorstellen. Direkt habe ich noch nie mit Ihrem Vetter zu tun gehabt, aber ich vermute, daß er einiges auf dem Kerbholz hat. Nur kann ich ihm nichts nachweisen.“ Björnson warf Stenmark einen nachdenklichen Blick zu. „Hölle, haben Sie sich auch wirklich richtig überlegt, was Sie tun?“

„Ich habe viele Jahre Zeit dazu gehabt, aber erst jetzt hat mich der Weg zurück in die Heimat geführt. Ich weiß, was ich riskiere, Hauptmann, aber Sie brauchen sich um mich nicht zu sorgen.“

Björnson schüttelte den Kopf. „Das tue ich auch nicht. Ich will Sie nur noch das eine fragen: Haben Sie Kerstin Nilsson damals getötet oder nicht?“

„Ich war es nicht. Ich wäre bereit, jeden Eid darauf abzulegen.“

„Wer war der Mörder?“

„Mein Vetter Olaf Sundbärg.“

„Warum haben Sie nicht versucht, das Gericht zu überzeugen? Warum sind Sie geflohen?“ fragte der Hauptmann.

„Ich wußte nicht mehr, was ich tat“, erwiderte Stenmark. „Ich hatte Angst vor dem Tod. Ich war kopflos und dachte nur noch an Flucht. Können Sie das nicht verstehen?“

„Ich versuche, es zu begreifen“, sagte Björnson. „Kommen Sie, lassen Sie uns jetzt rüsten. Haben Sie ein Pferd?“

„Ja. Ich habe es auf einem Hof zurückgelassen.“ Stenmark griff hastig nach Björnsons Arm. „Hauptmann, ich habe noch eine Bitte. Vielleicht kehre ich nie mehr nach Kungelf zurück, vielleicht wird das Urteil doch an mir vollstreckt. Dann aber kümmern Sie sich bitte um Aina, die Magd der Magnussons. Ich habe sie kennengelernt, aber ich sehe sie wohl nicht wieder. Sie hat mir erzählt, daß Olaf sie zu vergewaltigen versuchte. Sie müssen sie vor ihm schützen.“

„Das werde ich tun“, sagte Björnson grimmig. „Ich habe selbst eine Tochter, sie ist siebzehn Jahre alt. Verstehen Sie? Viele Dinge, die in und um Kungelf geschehen, sind mir nicht geheuer, aber noch bin ich machtlos.“

„Es wird sich bald alles aufklären“, sagte Stenmark – und dann dachte er an den Seewolf und die Kameraden von der „Isabella IX.“, die im Hafen von Göteborg auf die neue Ruderkette warteten und von dem, was sich hier in Kungelf ereignet hatte, überhaupt nichts wußten.

Seewölfe Paket 16

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