Читать книгу Seewölfe Paket 16 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 41
5.
ОглавлениеDie Sicht verschlechterte sich ständig. Über dem Wasser verdichtete sich der Dunst zu grauen Nebelschwaden, die sich mit der Dunkelheit vermischten.
Von den Verfolgern war kaum noch etwas zu sehen. Die Umrisse ihrer Boote hoben sich nur zeitweise vom Nachthimmel ab. Dafür aber drangen Stimmengewirr und das Geräusch von Riemen an die Ohren der kleinen Seewölfe-Crew.
„Na, wenigstens segeln sie nicht“, meinte Mac Pellew. „Pullen ist auch viel gesünder, denn es hält im Winter schön warm.“
„Du hast wohl Angst, die Kerle könnten sich einen Schnupfen holen, wie?“ Dan war sauer. „Ob sie nun pullen oder segeln – auf jeden Fall haben sie nicht aufgegeben, und das, was jetzt stattfindet, ist ein regelrechtes Katz- und Mausspiel. Das Üble daran ist nur, daß wir die Maus sind.“
„Das mag schon sein“, ließ sich Paddy Rogers vernehmen. „Aber wir sind eine verdammt bissige Maus, die nicht lange mit sich spielen läßt.“ Er zupfte an seiner prächtigen Knollennase.
„Soll das heißen, daß du die Kerle gerne angreifen möchtest?“ fragte Dan. „Man muß wohl nochmals daran erinnern, daß sich Hasard ausdrücklich jede Art von Kampfhandlung verbeten hat.“
„Na und?“ knurrte Big Old Shane, dem es in den nassen Kleidern jetzt doch etwas kalt wurde. „Hast du jemanden gesehen, der in einen Kampf verwickelt war?“
„Du Schlaumeier!“ sagte Dan bissig. „Bei dir ist das Zertrümmern von fremden Booten wohl keine Kampfhandlung, wie?“
„Nein“, entschied Shane. „Das war lediglich ehrliche Handwerksarbeit. Und als die Kerle nicht mehr wollten, daß ich ihre Boote so wunderschön verziere, habe ich sofort damit aufgehört. War es nicht so?“
„So ähnlich“, erwiderte Dan vorwurfsvoll. „Zumindest war die Zerstörung der Boote ein aggressiver Akt, der die Verfolgung ausgelöst hat. Wenn es uns nicht gelingt, die Burschen abzuschütteln, dann wird der Ärger erst richtig beginnen. Und genau das wollten wir ja vermeiden.“
„Wir sind dem Ärger ja bereits aus dem Weg gegangen“, verteidigte sich Shane, „indem wir den Kerlen nicht eins aufs Haupt gegeben haben, sondern hurtig davongesegelt sind. Wenn die sich über unseren kurzen Besuch ärgern, dann ist das ihre Sache. Oder ärgert sich vielleicht hier jemand – ich meine natürlich außer Mister O’Flynn?“
Die anderen grinsten nur, denn im Grunde genommen hatte es ihnen gutgetan, daß Big Old Shane kräftig zugelangt hatte. Damit hatte er den Schnapphähnen gezeigt, daß sich die Männer von der „Isabella“ nicht ungestraft die Ankertrosse kappen ließen.
Nur Dan schnitt immer noch ein sauertöpfisches Gesicht.
„Hör schon auf mit dem Theater, Shane. Du weißt genau, was ich meine. Du hättest die Verfolgung nicht provozieren sollen.“
„Schon gut, mein Sohn“, brummte Shane. „Nun hab ich eben mal ordentlich reingehauen! Sozusagen auf eigene Verantwortung, denn soweit ich mich erinnern kann, obliegt mir das Kommando für dieses Unternehmen. Gut, wenn du so willst, ist mir der Gaul durchgegangen, so was kann schon mal passieren, wenn der heilige Zorn in einem hochsteigt. Selbst der Apostel Petrus hat – wie in der Bibel steht – einmal wütend mit dem Schwert zugeschlagen und einem Häscher ein Ohr abgetrennt. Das war bestimmt nicht gerade das, was er gewollt hatte, aber als er sah, was da lief, da konnte er nicht anders. Und so erging es mir auch.“
Mac Pellew kicherte.
„Du wirst dich doch nicht mit dem heiligen Petrus vergleichen wollen?“
„Tu ich ja nicht“, meinte Big Old Shane. „Aber das Reinhauen kann ich mindestens so gut wie er!“
„Ich geb’s auf“, sagte Dan, „sonst vergleicht er sich am Ende noch mit dem lieben Gott.“
Shane grinste und nickte zufrieden.
Aber die Laune Dan O’Flynns sollte noch weiter absinken, denn wenige Minuten nach der hitzigen Debatte stellte sich heraus, daß sie keinen Bootskompaß an Bord hatten.
„Elende Schlamperei!“ fluchte Dan. „Der Nebel wird immer dichter, so daß man die Kerle fast nur noch anhand ihrer lauten Flüche orten kann. Und wir segeln ohne Kompaß durch die Gegend!“
„Da hast du allerdings recht“, sagte Big Old Shane, der sich jetzt diebisch über seine Revanche freute. „So was ist eine Riesenschlamperei. Am Ende segeln wir ohne Kompaß noch zurück nach England und merken es erst, wenn wir an die Kaimauer von Plymouth brummen. Wer ist denn eigentlich für den Kompaß verantwortlich, he?“ Über das bärtige Gesicht des ehemaligen Schmieds huschte ein hintergründiges Lächeln.
Die Antwort kam prompt, und zwar von Sam Roskill.
„Der Navigator natürlich, der ja zur Schiffsführung gehört.“
„Aha“, fuhr Shane fort. „Und wer ist dieser Mann auf der ‚Isabella‘?“
Wieder antwortete Sam Roskill, der sich gern an dem Spielchen beteiligte.
„Wenn ich mich recht erinnere“, sagte er, „dann ist das ein gewisser Mister Donegal Daniel O’Flynn. Für gewöhnlich hat er sich um solche Dinge zu kümmern.“
Der Kopf Dan O’Flynns war blutrot angelaufen, und genaugenommen war er froh darüber, daß es dunkel und neblig war, so daß ihn niemand so genau sehen konnte. Zunächst wollte er, wie es seinem Temperament entsprach, aufbrausen, aber dann besann er sich doch eines Besseren.
„Wenn dem heiligen Petrus und sogar einem gewissen Mister Shane was unterrutschen kann“, sagte er, „dann kann das ab und zu auch einem Navigator passieren. Außerdem braucht man normalerweise für einen kurzen Landausflug keinen Kompaß.“
„Normalerweise nicht“, meinte Big Old Shane, „aber bei Nacht und Nebel kann so ein Ding mitunter recht nützlich sein. Doch zum Glück gibt es ja noch Wassermänner. Vielleicht nimmt uns einer in Schlepp und lotst uns zur ‚Isabella‘ zurück.“
„Ich konnte schließlich nicht ahnen, daß es plötzlich so neblig wird“, erklärte Dan. „Und daß die verdammten Schnapphähne hinter uns her sind, ist auch nicht unbedingt meine Schuld.“
Shane vollführte eine großzügige Geste.
„Ist ja schon gut“, brummte er. „Jeder kann mal was vergessen. Als Petrus damals dem Häscher ein Ohr abhieb, hatte er auch nicht an das Verbandszeug gedacht, so daß der Herr Jesus ein Wunder wirken mußte, um dem Kerl das Ohr wieder dranzusetzen.“
„Hier geht’s aber nicht um Verbandszeug, sondern um einen Bootskompaß“, sagte Paddy Rogers und kratzte sich bedächtig am Hinterkopf.
„Na und?“ Old Shane grinste. „Dann wird Mister O’Flynn eben auch ein kleines Wunderchen vollbringen müssen. So einfach ist das!“
Dan stieß einen Knurrlaut aus.
„Auf Wunder könnt ihr lange warten“, sagte er. „Aber ich werde zur ‚Isabella‘ zurückfinden, darauf könnt ihr euch verlassen!“
Damit war das Thema vorerst erledigt.
Der zunehmende Nebel, der zusammen mit der Dunkelheit eine fast undurchdringliche, grauschwarze Mauer bildete, erforderte jetzt die volle Konzentration der Seewölfe. Sie konnten schon seit einigen Minuten nicht mehr feststellen, in welcher Richtung die „Isabella“ vor Anker lag. Außerdem konnten jeden Moment eins der Verfolger-Boote aus dem Nichts auftauchen.
Die Lage spitzte sich mehr und mehr zu.
„Jetzt schläft auch noch der Wind ein!“ Dans Gesicht wirkte plötzlich sorgenvoll. Bis jetzt hatte der Wind aus Süden geweht und der kleinen Bootscrew zumindest einige Anhaltspunkte für ihren weiteren Kurs geliefert. Nun aber törnten sie im Nebel herum und verloren vollends die Orientierung.
Nur zu gern hätte Dan jetzt ein Wunder bewirkt, wenn er die Macht dazu gehabt hätte. So aber mußte er sich gleich den anderen auf seine Augen und auf seinen Spürsinn verlassen. Zumindest im Augenblick.
„Wer weiß, wann es wieder aufbrist“, sagte Big Old Shane, in dessen Händen das Kommando lag. „Wir bringen die Riemen aus, damit wir auf jeden Fall manövrierfähig sind, wenn die Burschen auftauchen. Außerdem wärmt das Pullen den Körper auf, nicht wahr, Mac?“ Er brachte trotz der verfahrenen Situation ein Grinsen zustande.
Mac Pellews griesgrämiges Gesicht wurde noch sauertöpfischer.
„Nun ja“, sagte er kleinlaut, „mitunter friert es sich auch ganz angenehm.“
Shane verschluckte im letzten Moment ein dröhnendes Lachen, um den Standort der Jolle nicht zu verraten.
Mitunter drangen Geräusche zu ihnen durch, die aber infolge der dichten Nebelwatte verzerrt wirkten. Dennoch waren sie der Beweis dafür, daß sich die Verfolger noch in der Nähe befanden. Auch sie mußten inzwischen die Orientierung verloren haben.
Die sechs Riemen der Jolle wurden rasch ausgebracht – drei auf jeder Seite. Doch die kleine Crew brauchte gar nicht erst richtig mit dem Pullen zu beginnen, weil sich die Situation schlagartig veränderte.
An Backbord tauchte urplötzlich, wie herbeigezaubert, ein dunkler Schatten auf und hielt direkt auf die Jolle zu. Es konnte sich nur um eins der Piratenboote handeln.
Stenmark, der blonde Schwede, versuchte die Situation zu retten, indem er die Besatzung des Bootes geistesgegenwärtig auf Schwedisch anbrüllte.
„Verdammt, pullt uns nicht über den Haufen!“ rief er. „Haltet euch nach Backbord, dort gurken die Kerle mit der Jolle herum. Sie sind ganz in der Nähe!“
Einen Augenblick hielten die Seewölfe den Atem an. Doch Stenmarks Bluff gelang.
„In Ordnung, dann werden wir sie gleich zum Baden schicken!“ brüllte eine rauhe Stimme – ebenfalls auf Schwedisch – zurück.
Gleich darauf drehte das Boot ab und wurde weiter nach Backbord gepullt. In kurzer Zeit war es wieder im Nebel verschwunden.
Big Old Shane stieß die Luft aus.
„Das ist ja noch mal gutgegangen“, sagte er mit gedämpfter Stimme. „Jedenfalls wissen wir jetzt, daß wir es nicht mit Dänen, sondern mit Schweden zu tun haben.“
„Glückssache“, sagte Stenmark ungerührt. „Und da Schwedisch meine Muttersprache ist, wird der Trick auch noch öfter klappen.“
„Da bin ich mir nicht so sicher“, meinte Shane.
„Aber ich“, sagte Stenmark und wischte sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. „Oder glaubst du etwa, die Kerle in den anderen Booten sind schlauer als die, die wir eben geleimt haben?“
Shane blieb weiterhin skeptisch. „Kann schon sein, daß die Galgenstricke alle Stroh hinter der Kimm haben. Trotzdem möchte ich mich da nicht unbedingt festlegen.“
Vorsichtig tauchten die Seewölfe die Riemen in das nachtschwarze Wasser. Die Dunkelheit begann sich jetzt, in den frühen Morgenstunden langsam zurückzuziehen, wodurch die dichte Nebelwand in ein helleres Grau überging.
„Hoffentlich hören die nicht meinen Magen knurren“, ließ sich nun Paddy Rogers vernehmen. „Wenn ich daran denke, daß uns der Kutscher für heute auch ein dänisches Frühstück versprochen hat, dann möchte ich am liebsten zur ‚Isabella‘ zurückschwimmen.“
„Das ist eine fabelhafte Idee“, meinte Jack Finnegan. „Wenn du die ersten Kombüsendüfte riechst, schwimmst du los und zeigst uns die Richtung. Wenn du mit deinem Knollen im Gesicht hoch genug an den Wind gehst, müßtest du das Frühstück nach menschlichem Ermessen wittern können.“
„Psst!“ unterbrach Dan das leise geführte Gespräch. „Da ist wieder ein Boot!“
Jetzt nahmen es auch die anderen wahr, wenn auch nur in Umrissen.
„Na, dann los“, wandte sich Big Old Shane an Stenmark. „Vielleicht kannst du sie noch einmal leimen.“
Stenmark war von der Wirksamkeit seiner Methode überzeugt. Er ließ das Boot gar nicht erst näher heran, sondern legte sofort die Hände trichterförmig an den Mund und brüllte die Piraten an.
„He, ihr da!“ tönte es in astreinem Schwedisch über die Wasserfläche. „Haltet euch mehr nach Steuerbord. Dort wurden die Kerle vor wenigen Minuten gesichtet. Schlagt ihnen die Schädel ein!“
„Und ob wir das tun!“ dröhnte eine Stimme zurück. Dann verschwand auch dieses Boot hinter der grauen Nebelwand.
Stenmarks Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. Seine hellen Augen blitzten.
„Na, hab ich vielleicht zuviel versprochen?“ fragte er. „Wenn der Reigen so weitergeht, spielen die Kerle mit sich selber Haschmich.“
„Richtig Spaß macht das erst, wenn sie sich gegenseitig über Bord werfen“, sagte Dan.
Schweigsam pullten sie weiter in die Richtung, in der sie die ankernde „Isabella“ vermuteten.
Außer den Geräuschen, die die Riemen verursachten, drangen zeitweise schwache Wortfetzen an ihre Ohren. Die Verfolger waren also immer noch in der Nähe. Deshalb ließen die Seewölfe, die ihre Jolle mit zügigen Riemenschlägen vorantrieben, die immer heller werdende graue Mauer keine Sekunde aus den Augen. Besonders Dan, der den scharfen Blick eines Adlers hatte, suchte konzentriert die Umgebung ab und versuchte gleichzeitig, die Richtung zu bestimmen, aus der der schwache Wind wehte. Dieser reichte noch nicht aus, um das Segel wieder setzen zu können.
Einige Minuten lang ereignete sich nichts, aber dann wahrschaute Dan O’Flynn die kleine Crew erneut.
„Verdammt!“ zischte er. „Da tauchen schon wieder welche auf.“
Big Old Shane horchte und starrte mit düsterem Gesicht in die dunstige Masse.
„Mehr als drei Boote habe ich diesen Geiern nicht übriggelassen“, sagte er. „Wenn das jetzt das dritte ist, haben wir sie alle durch.“
„Das laß mich mal regeln“, erklärte Stenmark siegessicher. „Ich werde ihren Kurs schon etwas korrigieren.“
Sobald die Konturen des Bootes deutlicher zu sehen waren, griff der blonde Schwede abermals in seine Trickkiste.
„He, Leute!“ brüllte er. „Ihr müßt euch mehr nach Backbord halten. Dort muß die mickrige Jolle sein.“
„Nichts da!“ lautete die Antwort. „Da hat uns vorhin schon so ein Blödmann hingeschickt. Warst du das vielleicht?“
Die Besatzung des Piratenbootes änderte ihren Kurs nicht, sondern pullte direkt auf die Jolle zu.
„So ein Pech!“ zischte Shane. „Das sind die mit dem ersten Boot. Und die lassen sich von uns nicht ein zweites Mal an der Nase rumführen.“
Stenmark stieß ein äußerst unfeines Wort hervor, dann versuchte er, das drohende Unheil noch abzuwenden.
„Ich weiß nicht, was du meinst!“ rief er zurück. „Ich war das jedenfalls nicht. Ihr solltet euch wirklich nach Backbord halten, sonst entwischen uns die Bastarde!“
„Von wegen!“ tönte es zurück. „Wir haben keine Lust, ständig im Kreis zu pullen.“
Das Piratenboot hielt nach wie vor direkt auf die Jolle der Seewölfe zu. Die Schweden schienen mißtrauisch geworden zu sein. Wie es aussah, hatten sie die Absicht, sich die vermeintlichen Kumpane etwas näher anzusehen.
Die Seewölfe waren sich darüber im klaren, daß es jetzt Ärger geben würde. Ein eiliges Davonpullen schied aus, dazu waren die Kerle schon zu nahe heran. Außerdem würden sie dadurch erst recht verdächtig sein. Die Kerle würden dann vermutlich durch Lärm versuchen, ihre Kumpane herbeizurufen. Die sieben Seewölfe aber hatten nicht die geringste Lust, sich mit drei Bootsbesatzungen gleichzeitig herumzuschlagen.
Dan konnte bereits erkennen, daß sich acht Männer in dem Boot befanden.
„Greift euch was Handfestes, Leute“, sagte Shane leise. „Aber bitte keine Schußwaffen, sonst haben wir gleich die ganze Meute am Hals.“
Unauffällig und ohne jede Hast stellten sich die Seewölfe auf die Begegnung mit den Schnapphähnen ein.
Das Piratenboot schob sich von achtern her längsseits der Jolle. In diesem Augenblick schienen die Kerle auch schon zu begreifen, wen sie vor sich hatten.
Ein ellenlanger schwedischer Fluch drang zu den Seewölfen hinüber, dann wurde es auf dem Boot plötzlich lebendig. Die verluderten Kerle schnatterten überrascht durcheinander und griffen in Windeseile nach ihren Waffen. Einige sprangen bereits von den Duchten hoch, als hätte ihnen jemand mit einer Nadel in den Hintern gepiekst.
Doch Big Old Shane und seine kleine Truppe waren darauf vorbereitet.
„Los, Männer!“ rief Shane mit Donnerstimme. „Spielen wir mit diesen Rübenschweinen Schinkenklopfen!“
Was der graubärtige Riese damit meinte, sollten die Piraten sofort zu spüren kriegen.
Vier Riemen der Jolle zischten durch die Luft – und gleich darauf wurden vier der düsteren Gestalten von den Duchten gefegt. Zwei davon gingen mit lautem Gebrüll über Bord und zwei sanken durch die Wucht der Hiebe wie schlaffe Mehlsäcke zwischen die Duchten und rührten sich nicht mehr.
Einer der Schweden hatte sich auf die Heckducht geschwungen und fuchtelte – laute Kommandos brüllend – mit einem Enterbeil in der Luft herum.
Doch bevor er irgendeinen Schaden mit dieser gefährlichen Waffe anrichten konnte, traf ihn Paddys Riemen wie ein Rammbock gegen die Brust. Er schrie auf, dann warf er die Arme hoch und kippte ebenfalls über Bord.
Die drei anderen Schnapphähne hatten sich mit Sam Roskill, Stenmark und Dan angelegt. Sie drangen mit wütenden Flüchen auf die Seewölfe ein und versuchten, diesen mit Cutlassen und Degen zuzusetzen.
Da aber waren sie an die Falschen geraten, denn die Seewölfe verstanden es meisterhaft, diese Attacken zurückzuschlagen.
Big Old Shane aber kürzte diesen Kampf auf seine Art ab. Er hatte sich eine mächtige Langaxt gegriffen, und damit zertrümmerte er in bewährter Manier den Spiegel des Piratenbootes.
„So, Freunde, jetzt gibt’s gleich nasse Füße!“ brüllte er.
Und schon begann das Boot abzublubbern.
Sam Roskill hatte gerade noch einen Ausfall, den einer der Kerle mit seinem Degen versucht hatte, abgewehrt, da merkten die Schweden, daß sie ihr Boot verlieren würden. Mit lautem Wutgeheul ließen sie von den Seewölfen ab und sprangen über Bord.
„Und jetzt klar bei Riemen!“ befahl Shane. „Wir werden uns mal so richtig schön warmpullen, denn ich schätze, daß wir gleich noch mehr Besuch kriegen. Das Gebrüll hat den übrigen Galgenstricken bestimmt unseren derzeitigen Standort verraten.“
„Aye, Sir“, sagte Jack Finnegan. „Dann nichts wie weg hier. Wenn sie erscheinen, können sie ihre Kumpane aus dem Wasser fischen. Hoffentlich kriegen sie einen ordentlichen Husten!“
Die Riemen wurden mit geübtem Griff in die Dollen gelegt. Niemand bemerkte dabei, daß sich einer der Piraten, der während des Kampfes über Bord gegangen war, an das Heck der Jolle gehängt hatte. Die mächtige Gestalt Shanes, der sich gerade auf der achteren Ducht niederließ, verdeckte den Kerl, in dessen rechter Hand ein Messer aufblitzte.
Er hatte es ohne Zweifel auf Big Old Shane abgesehen, und es war nur noch eine Frage von Augenblikken, daß er diesem die Klinge in den Rücken jagen würde.
Die „Isabella IX.“ schwoite gemächlich an der Trosse des Steuerbord-Bugankers. Trotzdem hatten die sechs Ankerwachen, die der Seewolf bestimmt hatte, keine leichte Aufgabe. Erste helle Schatten kündigten zwar den beginnenden neuen Tag an, dennoch wurde auch die große Galeone völlig von den dichten Nebelmassen eingehüllt.
Auf dem Achterdeck konnte man nicht mehr sehen, was auf der Back vor sich ging, und von einer funktionierenden Ankerpeilung konnte natürlich keine Rede sein. Das Schiff war völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Manchmal hatten die Männer der Ankerwache das Gefühl, die einzigen Menschen auf der Welt zu sein.
Edwin Carberry zog ein besorgtes Gesicht. Nicht etwa, weil er Angst um die „Isabella“ gehabt hätte, o nein. Bei einer solchen „Milchsuppe“, wie er den Nebel zu nennen pflegte, würde sich ganz gewiß kein feindlich gesinntes Boot oder gar ein Schwimmer an das Schiff herantrauen. Selbst wenn jemand versuchen sollte, abermals die Ankertrosse zu kappen, würde er sich bei diesem Nebel unweigerlich verirren und die Galeone gar nicht erst finden.
Die Falten auf der Stirn des bulligen Profos galten vielmehr Big Old Shane und seiner kleinen Crew, die mit der Jolle Kurs auf die Küste genommen hatten.
„Die Burschen sind schon ziemlich lange weg“, sagte er zu Jeff Bowie, einem stämmigen Liverpooler, der links eine Hakenprothese trug, weil Piranhas ihm die Hand zerfleischt hatten. „Hoffentlich haben sie keine Schwierigkeiten.“
„Die haben sie ganz bestimmt“, sagte Jeff. „Denn bei diesem Nebel werden sie kaum zu uns zurückfinden. Vielleicht haben sie sich noch rechtzeitig an Land verholt und warten dort den Tag ab. Dieses Sauwetter kann schließlich nicht ewig dauern.“
„Das kann sein“, pflichtete ihm Ed Carberry bei. „Sie können, nachdem der Wind eingeschlafen ist, unmöglich mit der Jolle in dieser verdammten Milchsuppe herumpullen. Die Rübenschweine hocken bestimmt irgendwo an Land und erzählen sich zum Zeitvertreib Schwänke aus ihrer Jugendzeit.“
Jeff Bowie grinste.
„Wahrscheinlich hast du recht“, sagte er. „Schüsse sind bis jetzt auch keine gefallen, demnach wird man sie auch in Ruhe gelassen haben. Wenn sich tatsächlich Schnapphähne an der Küste aufhielten, dann haben die sich bei diesem Wetter todsicher aufs Ohr gehauen.“
Der Profos rieb sich unternehmungslustig die Hände.
„Vielleicht gelingt es Shane, sie rechtzeitig zum Frühstück hochzupurren und ihnen etwas Feuer unter die kalten Ärsche zu legen.“
„Vergiß nicht, daß unsere Leute nur als Kundschafter unterwegs sind“, sagte Jeff Bowie. „Hasard will keinen Ärger!“
„Haben wir denn jemals Ärger angefangen, was, wie?“ Ed Carberry schob sein gewaltiges Rammkinn vor. „Du weißt doch, daß manchmal die edelsten Absichten nichts nutzen. Kaum hat man ein paar fromme Worte mit irgendwelchen Kerlen gewechselt, da muß man sich schon seiner Haut erwehren. Friedliebende Pilger sind eben nicht mehr geschätzt auf dieser verwahrlosten Welt.“
„Genauso ist es, Mister Carberry“, sagte Jeff Bowie und grinste dabei von einem Ohr bis zum anderen. „Man kann nicht immer in christlicher Demut sämtliche Backen hinhalten, wenn einem jemand an den Kragen will.“
Der Profos quittierte diese Feststellung mit einem wohlwollenden Kopfnikken. Und gewiß hätten die beiden Männer, die sich auf dem Achterdeck aufhielten, noch eine Weile in diesbezüglichen Erinnerungen geschwelgt, wenn nicht ein lauter Fluch an ihre Ohren gedrungen wäre.
„War das nicht Batuti?“ fragte Carberry.
„Kann sein, es kam jedenfalls von der Back“, antwortete Jeff Bowie.
Weitere einschlägige Geräusche bestätigten seine Aussage.
Auf dem Vorschiff polterte es plötzlich, dann stieß Batuti erneut deftige Flüche aus.
„Verdammt, da ist was los!“ stieß Carberry hervor, dann stürmten beide aufs Quarterdeck hinunter, enterten von da aus zur Kuhl ab und eilten nach vorn zur Back. Dort schlossen sich ihnen Al Conroy und Luke Morgan an.
Alle trugen schußbereite Pistolen in den Händen.
Als sie die Back betraten, war der kurze Kampf, der dort offensichtlich stattgefunden hatte, schon beendet.
„Donner und Wolkenbruch!“ schnaubte Ed. „Was geht hier vor? Könnt ihr uns nicht rechtzeitig wahrschauen, wenn sich irgendein Rübenschwein auf unser Schiff schleicht, he?“
Jetzt erst sah er, was passiert war.
Batuti, der Gambia-Neger, rappelte sich gerade von den Planken hoch. Neben ihm stand Arwenack, der Bordschimpanse, und trommelte sich mit den Pfoten gegen die Brust. Dabei keckerte er aufgeregt.
In unmittelbarer Nähe stand Will Thorne, der Segelmacher, mit einer Muskete im Anschlag.
„Willst du vielleicht Arwenack erschießen?“ fragte Al Conroy fuchtig.
„Wo kommt der Affe denn so plötzlich her?“ fügte Jeff Bowie hinzu. „Ich denke, der pennt mit den anderen im Mannschaftslogis.“
Luke Morgan begann unterdrückt zu lachen.
„Das hat er wohl auch“, prustete er. „Aber auch einen Schimpansen packt manchmal ein gar menschliches Rühren, und ich vermute, daß Arwenack aus eben diesem Grund an Deck gestiegen ist. Wahrscheinlich wollte er sich auf die Galion verholen, das hat er sich ja schon lange so angewöhnt. Dabei muß Batuti wohl über ihn gestolpert sein.“
Luke Morgan hatte die Situation auf Anhieb richtig eingeschätzt. Es hatten sich tatsächlich keine Schnapphähne an Bord geschlichen, sondern Arwenack war von Batuti und Will Thorne, die auf der Back Wache gingen, im dichten Nebel zu spät erkannt worden.
Batuti bestätigte es.
„Was kann Batuti dafür?“ maulte er in seinem holprigen Englisch. „Plötzlich rennt kariertes Affenarsch über die Back. Batuti wirbelt herum und wirft sich auf die dunkle Gestalt. Erst auf den Planken hat er gemerkt, daß er Arwenack an Genick hat.“
Edwin Carberry hätte vor Lachen am liebsten laut losgebrüllt, dann aber besann er sich in letzter Sekunde auf den Rest der Crew, der in den Kojen lag.
„Hoffentlich turtelst du nicht eines Tages im dichten Nebel mit einer Schönen herum“, sagte er, „sonst tätschelst du womöglich noch ihrer Urgroßmutter den Hintern, bevor du den Irrtum bemerkst, ha!“
Die Lage entspannte sich rasch wieder.
Arwenack verschwand gemäß seinem ursprünglichen Vorhaben auf der Galion, und die Männer der Ankerwache verzogen sich wieder auf ihre Stationen – den neuen Tag und klares Wetter herbeisehnend.
Niemand von der kleinen Bootscrew ahnte die tödliche Gefahr, in der Big Old Shane schwebte – bis zu jenem Moment, in dem Dan O’Flynn, der jetzt als Backbord-Schlagmann pullen sollte und zu diesem Zweck seinen Degen aus der Hand legen wollte, eine schattenhafte Bewegung hinter Shane wahrnahm.
Blitzartig begriff Dan.
„Vorsicht, Shane!“ brüllte er.
Während sich der grauhaarige Schmied geistesgegenwärtig zur Seite warf, riß er den Degen hoch und hechtete mit einem gewaltigen Satz, der die Jolle weit nach Backbord krängen ließ, zur Heckducht.
In diesem Augenblick zuckte die Hand mit dem Messer nach vorn, um dem verhaßten Engländer den Todesstoß zu geben.
Da sich Shane aber zur Seite geworfen hatte, schoß die Klinge an seiner linken Schulter vorbei und riß ihm den Wamsärmel in Fetzen.
Der Pirat schaffte es nicht mehr, seinen heimtückischen Angriff zu wiederholen, denn der Degen Dan O’Flynns fuhr ihm in die Brust und ließ ihn mit einem Aufstöhnen ins Wasser zurücksinken. Wie es aussah, würde er keine Hand mehr zum Meuchelmord erheben.
Die übrigen Seewölfe hatten den kurzen Kampf mit entsetzten Gesichtern verfolgt. Alles war viel zu schnell erfolgt, als daß sie noch Zeit zum Eingreifen gefunden hätten. Shane schien rettungslos verloren zu sein.
Nun aber war die Gefahr gebannt.
„Danke, Dan“, sagte Shane.
„Keine Ursache“, erwiderte Dan O’Flynn. „Ich konnte lediglich einen zweiten Dolchstoß verhindern. Den ersten hättest du voll abgekriegt, wenn du nicht so geistesgegenwärtig reagiert hättest.“
„Mag sein“, sagte Shane, „aber zu dieser Reaktion wäre es nie gekommen, wenn du mich nicht rechtzeitig gewarnt hättest.“
„Schon gut“, wehrte Dan ab. „Wir sollten jetzt lieber wieder pullen, sonst können wir das Schinkenklopfen gleich fortsetzen. Die anderen Beutelschneider müssen in der Nähe sein.“
Gleich darauf setzte sich die Jolle wieder in Bewegung. Tatsächlich vernahmen sie wenige Minuten später laute Rufe. Die Piraten, die noch immer suchend in der Gegend herumpullten, mußten den Lärm des Kampfes gehört haben und wollten jetzt sicherlich ihren Kumpanen zu Hilfe eilen.
Die Stimmen rückten ständig näher.
„Wir fallen nach Steuerbord ab“, entschied Big Old Shane.
Aber dazu war es bereits zu spät.
Ein Boot schoß wie ein dunkles Ungeheuer aus der Nebelmasse hervor und hielt direkt auf den Bug der Jolle zu. Gleichzeitig setzte ein wildes Gebrüll ein. Jetzt, nachdem es bereits etwas heller geworden war, hatten die Piraten rasch erkannt, daß es sich bei der Jolle nicht um eines ihrer Boote handelte.
Ein weiterer Kampf war nicht mehr zu umgehen.
„Wir benutzen zuerst die Riemen!“ rief Big Old Shane. „Schußwaffen werden nur dann eingesetzt, wenn es sich nicht mehr umgehen läßt. Dafür wird auch Hasard Verständnis haben.“
„Das wäre ja gelacht, wenn wir diese verdammten Schlickrutscher nicht schaffen würden“, knurrte Paddy Rogers. „Notfalls reiße ich die Duchten raus und haue sie diesen Ratten auf die Eierköpfe.“
Den Seewölfen blieb nicht viel Zeit, den bevorstehenden Kampf gegen die schwedischen Piraten vorzubereiten. Das Boot der Angreifer schoß pfeilschnell auf sie zu.
Big Old Shane und seine Mannen hatten bereits mit dem Pullen aufgehört und die Riemen aus den Dollen genommen.
Das Gebrüll der Angreifer wurde immer lauter. Die Seewölfe wußten nur zu gut, daß dieser Lärm auch das dritte Boot der Schnapphähne herbeilocken würde.
„Was brüllen die da eigentlich?“ Sam Roskill blickte Stenmark fragend an.
„Das erzähl ich dir lieber nicht“, erwiderte dieser grinsend, „sonst kriegst du glatt Minderwertigkeitsgefühle.“
Big Old Shane erhob sich von der Heckducht.
„Der Tanz beginnt, Leute! Laßt sie nur nahe genug heran. In dem Augenblick, in dem sie zu entern versuchen, geben wir ihnen was auf den Scheitel.“ In seinen mächtigen Pranken hielt er einen Bootsriemen und sah den Dingen, die da kommen sollten, gelassen entgegen.
Das Boot der Piraten schor längsseits, und die Seewölfe ließen das auch geschehen. Mit lautem Wutgeheul schickten sich die ersten Galgenstricke an, auf die Jolle hinüberzuspringen. Auch sie waren mit Blankwaffen jeder Art sowie mit Äxten, Spaken und Riemen bewaffnet.
Da aber traten die Seewölfe in Aktion.
„Ar-we-nack!“ brüllte Big Old Shane mit donnernder Stimme. Seine Crew wiederholte den alten Schlachtruf derer von Arwenack-Castle, der zum Kampfruf der Seewölfe geworden war.
Dann brach augenblicklich die Hölle über die Schweden herein.
Den ersten Ansturm wehrten die Männer von der „Isabella“ mit den schweren Riemen ab. Diesmal war es Mac Pellew, der damit den ersten Angreifer über Bord stieß. Sein ewig griesgrämiges Gesicht sah dabei aus, als habe er soeben einen ganzen Essigkrug ausgetrunken.
Im Nu krachte Holz gegen Holz, dazwischen war das Klirren der Hieb- und Stichwaffen zu hören.
Big Old Shane hatte sich einem nordischen Kleiderschank mit wildem, blondem Bartgestrüpp zugewandt. Der Kerl schwang ein Enterbeil über dem Kopf und war sich wohl noch nicht recht über den Einsatzort der Waffe im klaren.
Shane nahm ihm die Entscheidung ab, indem er mit dem Riemen, den er in den Fäusten hielt, blitzartig zuschlug. Einen Lidschlag später erwischte er damit die Waffe des Schweden und prellte sie ihm aus der Hand.
Während das Enterbeil einem anderen Piraten, der nur zwei Schritte von seinem Kumpan entfernt war, gegen den Kopf knallte, stieß der blonde Kleiderschrank einen fast tierischen Wutschrei aus, hechtete über die Dollborde und warf sich Big Old Shane mit den blanken Fäusten entgegen. Er hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, nach seinem Messer zu greifen.
Doch Shane war auf den Angriff vorbereitet. Mit einer raschen Bewegung riß er abermals den Riemen hoch und rammte ihn dem Piraten kraftvoll gegen die Brust.
Dem Bärtigen entwich keuchend die Luft aus den Lungen, dann stürzte er kopfüber in sein Boot zurück – mitten hinein in das wilde Kampfgetümmel.
Neben Shane hatte Dan gerade einen der Angreifer mit einem harten Fausthieb auf die Planken geschickt. Dann packte er den Kerl, der die Jolle geentert hatte, und wuchtete ihn auf das Piratenboot zurück. Dabei prallte der schlaffe Körper des Besinnungslosen gegen einen kleinen, kugelrunden Burschen, der mit hoher Fistelstimme irgendwelche Befehle keifte, und ließ ihn rückwärts über Bord gehen.
Stenmark war in einen Degenkampf verwickelt. Da er das Duell jedoch nicht zu lange ausdehnen wollte, provozierte er einen geschickten Ausfall seines Gegners. Der Pirat, ein stämmiger, aber flinker Mann, nutzte die vermeintliche Chance sofort und wollte Stenmark mit einem lauten Wutschrei den Degen in die Brust stoßen.
Doch der glitt blitzschnell zur Seite, so daß der Pirat seinen Degen ins Leere stieß. Dabei wurde der stämmige Kerl durch die Wucht seines eigenen Ausfalls nach vorn gerissen.
Und das wurde ihm zum Verhängnis.
Stenmark wuchtete ihm die Fäuste in den Nacken und beförderte ihn damit über Bord der heftig schaukelnden Jolle.
Auch die anderen Seewölfe waren voll beschäftigt, so daß schon nach kurzer Zeit die meisten Piraten entweder schlaff über den Duchten ihres Bootes hingen oder aber im eiskalten Wasser des Kattegats ein Bad nahmen.
Big Old Shane hatte den Riemen längst gegen seine Langaxt ausgetauscht und mit seiner sachkundigen „Handwerksarbeit“ am Boot der Angreifer begonnen. Die kraftvollen Axthiebe dröhnten laut über das Wasser, Holz splitterte und krachte – und im Handumdrehen soff das Boot ab.
„Mit diesem Nachttopf jagen die keine ehrlichen Seeleute mehr!“ schnaufte Shane wütend. „Da zahlt man ehrlich diesen verrückten Sundzoll, nur um seine Ruhe zu haben, und dann muß man sich noch bei Nacht und Nebel mit diesem Pack herumschlagen.“
Aber wenn der graubärtige Riese gedacht hatte, daß der Ärger nun vorbei wäre, dann hatte er sich gewaltig getäuscht.
Das dritte und letzte Boot der Schweden befand sich in unmittelbarer Nähe. Und der Lärm des wilden Kampfes hatte der Besatzung den Standort der Engländer verraten.
Das Boot schoß genau in dem Augenblick auf die Jolle zu, in dem das andere sank. Sofort schwammen einige der wüsten Kerle, die den Kampf überstanden hatten, auf ihre Kumpane zu. Doch die nahmen sich zunächst nicht die Zeit, ihre Leute aus dem Wasser zu fischen. Jetzt, als man die Jolle der Engländer endlich geortet hatte, durfte man keine Zeit verlieren, sonst verschwanden die Kerle am Ende wieder im Nebel.
Auch dieses Boot war mit acht Männern besetzt, die fest entschlossen waren, die Engländer auf keinen Fall entwischen zu lassen. Wenn es diesen nämlich gelang, mit ihrer Jolle zu der großen Galeone zurückzukehren und die Besatzung zu wahrschauen, dann würde ihnen wahrlich ein fetter Brocken durch die Lappen gehen.
Ein neuer Kampf war demnach unvermeidlich.
Die Seewölfe hatten sich ebenfalls darauf eingestellt, auch noch den Schnapphähnen im letzten Boot auf die Finger klopfen zu müssen. Bis jetzt hatten sie das ohne Schußwaffen geregelt, und das war ihnen nur recht so. Auf ihren Fahrten über die Weltmeere waren sie schon wesentlich härteren Situationen ausgesetzt gewesen, dagegen war das hier nur eine handfeste Keilerei für sie – allerdings eine nicht ungefährliche Keilerei.
Nachdem die Piraten mitgekriegt hatten, was mit dem anderen Boot geschehen war, stürzten sie sich wie Wölfe auf die Arwenacks. Im Nu war ein harter Nahkampf im Gange, der zumindest von der Seite der Schweden aus ohne jede Fairneß geführt wurde. Die wilden Burschen kämpften verbissen und mit den übelsten Tricks. Dennoch mußten sie rasch feststellen, daß die Engländer nicht so leicht zu übertölpeln waren.
Der Kampf wurde noch härter, als die Schweden von ihren heranschwimmenden Kumpanen Verstärkung erhielten. Einige der Kerle aus dem bereits gesunkenen Boot hatten den Schauplatz bereits erreicht und sich keuchend an Bord ihrer „letzten Bastion“ gezogen. Nun beteiligten sie sich am Kampfgetümmel.
Diesmal mußten auch die Seewölfe einiges einstecken. Harte Beulen, Schrammen, Kratzer und Fleischwunden ließen sich nicht vermeiden, denn die Angreifer waren in der Überzahl.
Die erste Verletzung kriegte Jack Finnegan ab. Durch einen Degenstoß wurde ihm am linken Oberschenkel die Hose zerfetzt und eine Fleischwunde gerissen.
Der bullige Paddy kriegte einen wuchtigen Hieb mit einem Riemen auf den Schädel, der selbst einen Elefanten umgeworfen hätte. Der Mann mit der Knollennase sackte mit einem Ächzen zusammen und hockte einen Augenblick lang benommen und bewegungslos auf der vorderen Ducht. Nur ein gewaltiger Fußtritt Sam Roskills verhinderte, daß Paddy in dieser Verfassung von einem üblen Messerstecher erledigt wurde.
Mac Pellew ging durch einen Fausthieb über Bord, aber er tauchte nur kurz weg und zog sich am Heck wieder in die Jolle.
Da Big Old Shane alle Hände voll zu tun hatte, beschloß der alte Mac, den Schweden das kühle Bad heimzuzahlen. Flink packte er die Langaxt Shanes, der gerade seine mächtigen Pranken einsetzte, und hieb mit aller Kraft, die in ihm steckte, zu.
Sein sauertöpfisches Gesicht strahlte plötzlich wie ein frischgebackener Kuchen, als das erste Wasser in das Piratenboot schoß. Mac hatte zwar einige Hiebe mehr als Shane aufwenden müssen, aber er hatte die gleiche Wirkung erzielt.
Rasch packte er sich nun einen Riemen und stieß die Jolle, so gut es ging, von dem sinkenden Boot ab. Dabei gingen zwei weitere Galgenvögel über Bord. Einer davon versuchte zwar, über das Dollbord der Jolle einzusteigen, aber da klopfte ihm der erboste Paddy Rogers so kräftig auf die Finger, daß er das kalte Wasser vorzog.
Auch das letzte Boot der Piraten sank unaufhaltsam, dafür hatte Mac Pellew gesorgt. Dadurch veränderte sich die Situation schlagartig. Der Kampfgeist der wenigen überlebenden Piraten sank auf den Nullpunkt, und damit war der Kampf entschieden.
So rasch es ging, räumten die Seewölfe das Feld.
„Wie sieht es mit deinem Bein aus?“ fragte Shane den hageren Jack Finnegan.
Der winkte ab.
„Nicht der Rede wert. Nur die Hose ist im Eimer. Der kleine Kratzer wirft mich schon nicht um.“
„Und mir macht das kleine Beulchen auf dem Kopf auch nichts aus“, fügte Paddy hinzu und deutete auf ein mächtiges Gewächs, das sich ständig zu vergrößern schien.
„Ich werde mich darum kümmern“, meinte Mac Pellew, dem das Wasser noch immer aus allen Knopflöchern tropfte.
Als die Seewölfe jetzt wieder am Pullen waren, fiel ihnen auf, daß sich die Sicht wesentlich verbessert hatte. Obwohl keiner von ihnen wußte, wie spät es war, sahen sie doch, daß die Nacht sich verzogen hatte. Es war hell, und der Nebel schien sich rasch aufzulösen.
„Ein Königreich für ein kräftiges Frühstück“, stöhnte Sam Roskill. „Ich schätze, daß wir bald zur ‚Isabella‘ zurückfinden, wenn erst der Nebel verschwunden ist.“
„Das will ich doch hoffen“, meinte Dan O’Flynn. „Vor den Schnapphähnen werden wir vorerst wohl Ruhe haben. Die Hucke haben sie jedenfalls ordentlich vollgekriegt. Drei Boote haben sie verloren, und die fünf anderen, die Shane schon an Land bearbeitet hat, werden ihnen vorerst auch keine Freude mehr bereiten.“
Big Old Shane nickte grimmig.
„Das Kappen unserer Ankertrosse hat ihnen nichts eingebracht, das dürfte wohl feststehen.“
Da der Wind noch immer auf sich warten ließ, legten sich die Männer kräftig in die Riemen, um die Jolle voranzutreiben.