Читать книгу Seewölfe Paket 16 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 28
3.
ОглавлениеMit leisem Knirschen schob sich der Bug des Bootes in den Schnee am Ufer des Göta-Flusses. Olaf Sundbärg hatte sich bereits von der Ducht erhoben und die Riemen binnenbords geholt. Er wartete den sanften Anprall ab, dann sprang er in den Schnee und schlang die Bootsleine um einen dicken Pflock. Er belegte ein weiteres Tau, das mit dem Heck der Jolle verbunden war, um einen Baumstamm, vergewisserte sich, daß er sein Werk auch gewissenhaft genug versehen hatte, nahm seine Waffen und seine übrigen Habseligkeiten an sich und lud sich dann seine Jagdbeute auf die Schulter.
Mit schweren Schritten bewegte er sich durch den Wald, der vor ihm lag. Knapp eine Meile trennte ihn von dem Gehöft der Sundbärgs. Als er etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte, erblickte er in der Dunkelheit vor sich den gelblichen Schein zweier Lichter, die ihm von nun an den Weg wiesen.
Seine Mutter war vor drei Jahren gestorben. Seit jenem Tag bewohnte er das Gehöft nur noch mit seinem Vater zusammen. Geschwister hatte Olaf nicht, und es gab auch keinen Knecht und keine Magd. Der alte Sixten Sundbärg war zwar schwerhörig und konnte auch nicht mehr so gut sehen wie früher, doch er war keineswegs gebrechlich. Mit Olaf zusammen gelang es ihm, den Hof weiterhin zu unterhalten und auch Viehzucht zu betreiben. Wenn Olaf einmal für ein paar Tage in den Wäldern verschwand, verließ der alte Mann die Gebäude keinen Augenblick, er kapselte sich dann völlig von seiner Umwelt ab.
Olaf lachte leise. Sein Vater würde sich über den Wolf freuen, sie würden Bier trinken und über das Jagdabenteuer plaudern. O ja, sie verstanden sich großartig. Nur eins verbarg Olaf vor Sixten: Wie er mit den Frauen umsprang, die er gelegentlich zu sich in die Kammer holte oder in den Ortschaften der Umgebung aufsuchte.
Olaf hatte die Umzäunung des Gehöfts fast erreicht, da wurde er auf die Gestalt aufmerksam, die sich am Rand des Waldes durch die Finsternis bewegte. Er blieb stehen und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Täuschte er sich oder handelte es sich wirklich um eine weibliche Gestalt?
Sie war nicht allzuweit von ihm entfernt, er konnte sie einholen. Rasch änderte er seine Richtung, lief nun fast und gelangte trotz der Last auf seinen Schultern gut voran.
Die Wolken, die am Himmel dahintrieben, setzten für eine Weile die bleiche Sichel des Mondes frei, und Olaf vermochte jetzt deutlich zu erkennen, wen er vor sich hatte. Ja, es war eine junge Frau – ein Mädchen. Aina, die Magd des Bauern Börje Magnusson, er hatte sie schon des öfteren von weitem gesehen und ihre gute Figur bewundert. Was führte sie um diese Zeit in die Nähe des Waldes und des Sundbärg-Gehöftes?
Sie bemerkte, daß sie verfolgt wurde, und stieß einen kleinen, entsetzten Schrei aus.
„Aina!“ rief Olaf. „Hab keine Angst! Ich bin’s, Olaf Sundbärg! Was ist denn los, brauchst du Hilfe?“
Sie hatte vor ihm fliehen wollen, verharrte jetzt aber und blickte aus ihren großen blauen Augen zu ihm hinüber.
„Mein Gott“, sagte sie schwer atmend. „Hast du mir aber einen Schrecken eingejagt. Ich fürchte mich wirklich.“
Nur zwei Schritte von ihr entfernt blieb er stehen und sah sie an. „Das ist jetzt nicht mehr nötig, ich bin ja hier. Soll ich dich nach Hause begleiten?“
Etwas beschämt blickte sie zu Boden. „Nein. Das möchte ich von dir nicht verlangen. Weißt du, ich war in Kungelf, um dem Hamren-Wirt eine Nachricht von meinem Herrn zu überbringen. In einer Woche feiert Börje Magnusson nämlich seinen fünfzigsten Geburtstag, und da möchte er zwei Fässer Bier einkaufen, die Hamren ihm selbst bringen soll. Ich habe auch noch ein paar andere Botengänge und Besorgungen in Kungelf erledigt, und da ist es leider spät geworden. Ich bin von der Dunkelheit überrascht worden, verstehst du?“
„So ein Pech. Willst du bei uns übernachten?“
„Nein, nein, das geht nicht“, erwiderte sie hastig. „Die Magnussons warten auf mich und würden sich um mich sorgen.“
„Aber ein wenig aufwärmen solltest du dich“, sagte Olaf, wobei er sich darum bemühte, seiner Stimme einen sanften, einschmeichelnden Klang zu verleihen. „Komm, wir gehen ins Haus. Mein Vater wird sich auch darüber freuen, einen Gast begrüßen zu dürfen. Du trinkst etwas Heißes, und dann setzt du deinen Weg fort. Besser wäre aber, wenn ich dich mit dem Zweispänner zu Magnusson bringen würde.“
„Das ist nicht erforderlich“, sagte sie verlegen.
„Nun zier dich nicht so.“ Olaf lachte. „Wir Sundbärgs beißen doch nicht.“ Es gelang ihm, sie zu überreden, und so folgte sie ihm auf den Hof. Olaf wandte sich sofort der Scheune zu, öffnete das Tor und zündete eine Öllampe an, die einen dämmrigen, anheimelnden Schein verbreitete. Sixten schien noch nicht bemerkt zu haben, daß sein Sohn heimgekehrt war, die Gelegenheit war also günstig.
Aina war zögernd vor dem Tor stehengeblieben. Olaf winkte ihr zu. Hoffentlich sieht der Alte jetzt nicht gerade aus dem Fenster, dachte er.
„Tritt ein“, sagte er. „Du frierst ja, das sehe ich. Ich will hier nur eben meine Sachen loswerden, dann gehen wir sofort ins Haus hinüber.“
„Ja“, sagte sie leise. „Danke. Du bist so freundlich, Olaf Sundbärg.“
„Das bin ich immer.“ Er warf seine Beute auf das Heu und entledigte sich auch der Waffen und des Bündels, in dem er seinen Proviant bei sich getragen hatte.
Erst jetzt erkannte Aina, daß Olaf einen Wolf auf seiner Schulter getragen hatte. Sie fuhr unwillkürlich zusammen und wich wieder zurück. Olaf blickte sich zu ihr um. Ja, sie war schön – und sehr jung. Jünger noch, als er zuvor angenommen hatte. Zum erstenmal hatte er die Gelegenheit, sie aus nächster Nähe zu betrachten.
„So ein Leichtsinn, dich ganz allein in den Ort zu schicken“, sagte er. „Ich glaube, ich muß mit Börje Magnusson mal ein ernstes Wort reden. Ein Mädchen wie dich jagt man doch nicht so einfach in den Schnee hinaus. Er hätte dir wenigstens ein Pferd geben können.“
„Ich kann nicht reiten.“
„Ach so. Aber sonst bist du sicherlich sehr begabt. Ein liebes, anständiges Mädchen, nicht wahr?“
Sie schien ihm nicht richtig zuzuhören, ihr Blick war unausgesetzt auf den toten Wolf gerichtet. Es war, als habe sie ein unerklärlicher Bann gefangengenommen.
„Ist das – ein richtiger Wolf?“ fragte sie mit leicht bebender Stimme.
„Ja. Unechte Wölfe gibt es nicht.“ Wieder lachte er auf. „Dieser hier war sogar ein besonders gefährliches Exemplar, er hat mich ziemlich zum Narren gehalten und wäre mir um ein Haar an die Gurgel gesprungen.“
„Du hast ihn erledigt?“ Ihre Augen weiteten sich noch ein bißchen mehr. „Ich wußte nicht, daß du ein so guter Jäger bist. Toll, daß du das geschafft hast.“
„Ich kann noch viel mehr.“ Er forderte sie durch eine Gebärde auf, ein Stück näher zu treten. „Fühl doch mal, wie weich sein Fell ist. Nein, du brauchst wirklich keine Angst zu haben, er ist ja tot. Gefällt es dir? Möchtest du es haben?“
Aina bückte sich und strich mit der Hand über den Rücken des Tieres. Sie war fasziniert. Natürlich hatte sie schon des öfteren Wolfspelze gesehen, nicht aber ein gerade erst erlegtes Tier.
„Ich schenke es dir“, sagte Olaf und rückte näher auf sie zu. „Es gehört dir.“
„Das kann ich nicht annehmen“, flüsterte sie und hielt ihren Blick immer noch auf den Wolf gerichtet.
Olaf griff plötzlich nach ihren Hüften, drehte sie mit einem Ruck herum und warf sie auf das Heu.
„Du kannst ja dafür bezahlen“, sagte er, und plötzlich ging sein Atem stoßweise. „Wir können prächtig miteinander ins Geschäft kommen, findest du nicht auch?“
Erst jetzt begriff sie, was er vorhatte, und schrie auf. Sie versuchte noch, ihm auszuweichen, doch er warf sich auf sie und hielt sie fest.
„Schrei ruhig“, sagte er. „Mein Alter hört dich nicht. Er sitzt auf seinen Ohren. Wir sind ungestört.“
Aina schlug mit ihren Fäusten auf ihn ein, doch er lachte nur. Sie kratzte und biß und griff verzweifelt um sich – und plötzlich hielt sie seine Pistole in den Fingern. Olaf hatte sie nicht nachgeladen, doch Aina hätte ohnehin nicht damit umzugehen gewußt. Sie hieb ihm den Kolben mit aller Kraft gegen die Schläfe, und das wirkte: Olaf stöhnte auf und rollte von ihr weg.
Aina sprang auf und lief zum Tor hinaus. Sie war versucht, zum Hauptgebäude des Gehöfts hinüberzurennen, doch sie unterließ es, denn sie wußte nicht, was sie dort erwartete. Vor Angst wie von Sinnen hetzte sie zum Zaun, stieß die Pforte auf und war im nächsten Augenblick in der Dunkelheit verschwunden.
Olaf erhob sich, rieb sich den schmerzenden Kopf und wankte auf den Hof hinaus. Er wollte sie verfolgen und war sicher, sie im Wald einzuholen, um dort das fortzusetzen, was er begonnen hatte, doch unvermittelt erschien die Gestalt des alten Sixten Sundbärg in der offenen Tür des Hauptgebäudes.
„Olaf!“ schrie er. „Bist du’s? Bist du zurückgekehrt?“
Olaf blieb stehen und entgegnete: „Ja, Vater. Ich habe einen Wolf mitgebracht. Komm her und sieh ihn dir an.“
Während der alte Mann über den Hof schritt, blickte Olaf in die Dunkelheit und dachte: Du hast Glück gehabt, Aina, aber ich erwische dich noch. Du entgehst mir nicht. Du wirst für das, was du mir angetan hast, büßen, das verspreche ich dir.
Der Seewolf mußte mit Schärfe vorgehen, um seine enttäuschten und aufgebrachten Männer zur Räson zu bringen.
„Die Order ist ein Auftrag der Königin, und damit basta!“ rief er. „Für die Königin segelt man mitten in die Hölle hinein – oder auch mal in die Ostsee, wenn es sein muß! Will das endlich in eure verdammten Schädel oder nicht?“
„Selbstverständlich, Sir“, entgegnete Ferris Tucker. „Es lebe die Lissy. Da hat sie uns was Feines eingebrockt.“
„Wie knüpft man denn Handelsbeziehungen an, Dad?“ wollte Philip junior wissen.
„Darüber gebe ich euch noch Unterricht“, erwiderte Hasard grimmig. „Hat sonst noch jemand Fragen?“
Keiner antwortete, deshalb schickte er sie alle auf ihre Posten zurück, und die Reise wurde mit Kurs Nordosten fortgesetzt. Tiefe Dunkelheit hatte sich eingestellt, die Lichter der Schiffslaternen waren verlorene Punkte im schwarzen Mantel der Nacht.
Im Verlauf der nun folgenden Stunden legte der Westwind an Stärke noch etwas zu. Sturmböen peitschten auf die Takelung ein, und das Ruder der „Isabella IX.“ wurde auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Hasard wich nicht mehr vom Achterdeck. Seine Miene war besorgt, er wußte nicht, wie das Schiff auf diese große Belastung reagieren würde.
Die Jungfernfahrt war erfolgreich verlaufen, doch wenn die Naturgewalten unablässig die Materialien beanspruchten wie jetzt, waren die Bedingungen anders. Es konnte unangenehme Überraschungen geben. Hesekiel Ramsgate war – daran gab es keinen Zweifel – Englands bester Schiffsbauer, doch auch er konnte keine perfekte Galeone konstruieren, die jedem Wetter auf Anhieb trotzte.
So kam, was kommen mußte: In dieser Nacht brach die Backbordruderkette. Pete Ballie fluchte wie verrückt, doch es war nicht seine Schuld, niemand warf ihm etwas vor.
Zum Glück hatte die „Isabella IX.“ Kap Skagen mittlerweile gerundet. Hasard konnte also getrost Kurs Osten halten – vor dem Sturm lenzend. Vorläufig bestand nicht die Gefahr, daß das Schiff samt seiner Mannschaft auf Legerwall gejagt wurde. Das Problem war, wie sie den Schaden beheben sollten.
„Bei diesem Wetter ist das ein Ding der Unmöglichkeit, Sir!“ schrie Ferris Tucker im Heulen des Windes, nachdem er die gebrochene Kette untersucht hatte. „Ich kann nur ein Hilfsruder ausbringen, die Kette muß im nächsten Hafen neu geschoren werden! Anders geht es nicht!“
„Ben!“ rief der Seewolf zum Achterdeck hinauf, wo Ben Brighton sich zu Pete Ballie ins Ruderhaus begeben hatte. „Wie heißt der nächste Hafen?“
„Göteborg!“ schrie Ben zurück.
Hasard drehte sich auf dem Quarterdeck zu Nils Larsen um, der gerade auf dem Hauptdeck mit Stenmark gesprochen hatte und eben wieder aufenterte. „Nils, kennst du dich in Göteborg aus?“
„Ich bin nur einmal dort gewesen, Sir!“ rief der Däne. „Sten weiß besser Bescheid!“
Hasard gab Ferris Tucker den Befehl, das Hilfsruder auszubringen. Jack Finnegan, Paddy Rogers, Sam Roskill und Luke Morgan sollten ihn bei der Arbeit unterstützen. Es dauerte keine halbe Stunde, dann war das Behelfsruder fertig, und der Seewolf ließ Kurs auf Göteborg nehmen.
So hatte die Fahrt in die Ostsee also bereits mit Haken und Ösen begonnen und verlief keineswegs so glatt und reibungslos, wie die Männer gedacht hatten. Nur unter Sturmsegeln erreichte die „Isabella“ im Heraufziehen des neuen Tages Göteborg, und die Crew befand sich in einem leicht gerupften Zustand und keineswegs in rosiger Stimmung.
Daran änderte sich auch nichts, als die Männer ihr Schiff in die Hafenbucht manövrierten.
„Hölle!“ schrie der Profos. „Was ist denn das für eine Schweinerei? Was wird hier gespielt? Geht das jetzt so weiter?“
Die „Schweinerei“ erwies sich als eine ansehnliche Zahl von zu umschiffenden Schären und Inselchen, die überall auftauchten und die trichterförmige Bucht, an deren Ende Göteborg lag, fast verbarrikadierten. Bei der schweren See schien es unmöglich zu sein, an diesen Hindernissen vorbeizulavieren, ohne irgendwo aufzulaufen und hilflos mit einem ramponierten Schiff festzusitzen.
Doch Hasard rief Stenmark aufs Quarterdeck, und der begann, die „Isabella IX.“ souverän zu lotsen. Er schien sich hier auszukennen wie in seiner Hosentasche. Hasard war froh und verwundert zugleich, denn ihm wurde in diesem Moment erst bewußt, wie wenig er eigentlich über seinen blonden Schweden wußte, obgleich er seit 1576 zu seiner Stammcrew gehörte.
Stenmark hatte nie über seine Heimat gesprochen – warum er sie verlassen hatte beispielsweise, oder warum er auf seiten der Engländer gegen die Spanier kämpfte. Sehr redselig war Stenmark ja auch nie gewesen. Dieser Riese mit dem kantigen Gesicht und den hellen Augen, der stets ruhig, besonnen und umsichtig war, explosiv jedoch in jedes Kampfgeschehen einzugreifen wußte und zäh und hart sich selbst gegenüber war. Er war, alles in allem, ein hervorragender Seemann.
Dies ging Hasard durch den Kopf, während Stenmark zu Pete Ballie aufenterte, neben diesem am Hilfsruder stand und die „Isabella“ sicher in den Hafen bugsierte.
Stenmark, so schien es, hielt trotz der langen Zeit, die sie nun gemeinsam zur See fuhren, noch so manche Überraschung für ihn bereit.