Читать книгу Seewölfe Paket 28 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 37

4.

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Es war der Nachmittag des dritten Tages, den der Seewolf als Gefangener der Türken in deren Schlupfwinkel verbrachte.

Er hörte, wie sich Schritte dem Zelt näherten. Keine Schritte von Frauen. Ein Stapfen fast, wie es nur von Männern verursacht werden konnte.

Bislang hatte sich für Günel keine Gelegenheit ergeben, mit ihm unter vier Augen zu sprechen. Einerseits war Hasard froh darüber, denn es ersparte ihm die Komplikationen einer Beziehung, der er seinerseits keinen Inhalt geben konnte. Andererseits aber beraubte es ihn möglicher Chancen. Vielleicht konnte er mit Günel eine Übereinkunft erzielen. Vielleicht konnte sie ihm den Weg weisen, der in die Freiheit führte.

Die Schritte endeten. Das Fell vor dem Eingang wurde beiseite geschlagen. Licht strömte in jener rechteckigen Form herein, die dem Seewolf nun schon vertraut war und sich je nach Stand der Sonne länger oder kürzer abzeichnete.

„Ihr bleibt draußen“, sagte Üzürgül, als noch lediglich seine Beine zu sehen waren. „Wir wollen unseren Gast nicht unnötig einschüchtern.“ Dann erst bückte er sich und schlüpfte ins Zelt. Die Leibwächter, die ihn begleitet hatten, schlugen das Fell zu.

Üzürgül richtete sich zu voller Größe auf und blinzelte, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Er verschränkte die Arme vor der Brust.

Hasard blieb, wo er war. Er hatte sich Decken und Kissen so zurechtgelegt, daß sie ihm am Boden eine sitzende Haltung ermöglichten. Er konnte nicht den ganzen Tag herumliegen oder stehen.

In diesem Augenblick dachte er nicht daran, sich etwa vor dem Türken zu erheben, wie es bei dessen Gefolgsleuten der Respekt geboten hätte.

Üzürgül schien seine Gedanken zu ahnen. Der Anführer der Küstenhaie ging in die Hocke, drei Schritte von dem Seewolf entfernt.

„Da wir miteinander sprechen wollen, halte ich es für sinnvoll, daß wir uns auf einer Ebene befinden, Mister Killigrew.“

Hasard lächelte kaum merklich.

„Die Absicht ist einseitig, Üzürgül. Wer gibt Ihnen die Gewißheit, daß ich an einer Unterhaltung mit Ihnen interessiert bin?“

„Niemand braucht mir die Gewißheit zu geben“, entgegnete der Türke stolz. „Ich habe sie. Oder interessiert es Sie etwa nicht, daß ein Suchkommando Ihrer Crew zweimal an unserem Stützpunkt vorbeigesegelt ist – flußaufwärts – und -abwärts?“

Hasard zog die Brauen hoch, er konnte nichts dagegen tun. In diesem Fall konnte er seine Überraschung nicht verbergen.

„Sehr gut“, sagte er. „Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann meine Freunde mich finden.“

Üzürgül grinste herablassend.

„Das glaube ich nicht. Sie sind vorbeigesegelt wie Blindfische. Da sie nichts gesehen haben, was ihren Verdacht erregt hat, werden sie hierher auch nicht zurückkehren.“

Hasard dachte an den hervorragend getarnten Eingang zur Nebenbucht. Der Schlupfwinkel war von der Wasserseite her praktisch unaufspürbar. Es war also durchaus möglich, daß die Männer von der „Santa Barbara“, nichts gesehen hatten. Denkbar war aber auch, daß sie eine taktische List angewendet hatten.

Falls sie doch etwas von dem Schlupfwinkel bemerkt hatten, konnten sie die Ahnungslosigkeit nur gespielt haben, um die Galgenstricke in Sicherheit zu wiegen. Folgerung daraus war, daß bald ein größerer Trupp von der „Santa Barbara“ erscheinen würde, um Üzürgüls Hauptquartier auseinanderzunehmen.

„Schenken wir uns gegenseitige Prophezeiungen“, sagte der Seewolf. „Die allernächste Zukunft wird zeigen, wer von uns beiden recht hat.“

„Für Sie wird es eine trübe Zukunft werden“, sagte Üzürgül und nickte. „Davon bin ich fest überzeugt. Muß kein schönes Gefühl sein, mit seinen Leuten zu rechnen und dann von ihnen im Stich gelassen zu werden. Aber wer weiß …“ Er hob die Arme und kehrte seinem Gefangenen die Handflächen zu. „Vielleicht sehen Sie Ihre Mannschaft und Ihr Schiff rascher wieder, als Sie glauben.“

Hasard stützte sein Kinn in die linke Hand und sah den Türken forschend an.

„Das klingt nach einer gut eingespielten Prozedur“, sagte er gedehnt. „Ich nehme an, ich bin nicht der erste Kapitän, der Ihre – hm – Gastfreundschaft genießt.“

„Oh, keineswegs!“ rief Üzürgül und lachte. „Ich verhehle nicht, daß uns die Nebelzone dieses Küstengebiets außerordentlich reiche Erträge beschert. Vom indischen Kaufmann bis zum portugiesischen Generalkapitän haben wir uns schon so ziemlich alles geschnappt, was einen prächtigen Profit versprach.“

„Und das selbstgesetzte Versprechen wurde erfüllt?“

„In fast allen Fällen. Dieser besagte Generalkapitän war ein Narr. Hat es doch tatsächlich vorgezogen, sich selbst umzubringen, bevor wir einen Handel abschließen konnten. Es muß eine verschrobene Art von Ehrgefühl sein, die einen Mann zu solchem Handeln treibt.“

„Nur ein bißchen von solchem Ehrgefühl würde Ihnen zweifellos gut zu Gesicht stehen“, sagte Hasard unverblümt.

Ahmet Üzürgül lachte schallend.

„Ich bewundere Ihren mutigen Humor, Mister Killigrew. Ehre sieht für mich anders aus. Zum Beispiel, daß ich mich an vereinbarte Bedingungen halte. Alle, mit denen ich einen Handel abgeschlossen habe, sind unbeschadet auf ihr Schiff zurückgekehrt.“

„Was für ein Handel?“

„Ich bin an Schiffsladungen interessiert. Ausschließlich. Einen kompletten Segler zu kapern, ist für mich abwegig. Wir könnten damit für unsere Zwecke nichts anfangen. Nein, wir haben genügend kleine Fahrzeuge, mit denen wir einen Groß Segler leichtern können. Die Ware wird dann auf dem Landweg weiterveräußert. Eigentlich habe ich Ihnen schon zuviel erzählt, Mister Killigrew.“

„Nichts, was ich mir nicht selbst zusammengereimt hätte. Und nun?“

„Was meinen Sie damit?“

„Sind Sie nur deshalb hier, um mir Ihre Machenschaften zu schildern?“

„Aber nein, keineswegs.“ Üzürgül grinste wieder. „Zunächst einmal mußte ich herausfinden, wie es mit Ihrer Bereitwilligkeit zur Zusammenarbeit aussieht. Ich denke, wir beide kommen gut miteinander zurecht.“

„Davon würde ich nicht überzeugt sein.“

„Ich bin es, ich bin es!“ erwiderte Üzürgül lachend. Mit einem kurzen Pfiff rief er einen seiner Leibwächter herein.

Der Mann brachte Papier und Schreibutensilien und stellte die Sachen vor dem Seewolf auf den Teppich.

„Ich verstehe“, sagte Hasard. „Sie denken, ich fange jetzt an, zu hoffen.“

„Weil Sie ihren Freunden eine Nachricht schreiben werden?“ Üzürgül schüttelte den Kopf. „Kein Grund zur Hoffnung, sage ich. Ich beherrsche Ihre Sprache. Das dürfen Sie nicht vergessen. Jede versteckte Mitteilung werde ich sofort erkennen.

„Ich hatte gedacht, ich könnte auf spanisch schreiben“, entgegnete Hasard spöttisch.

Üzürgül faßte es als ernstgemeint auf.

„Da muß ich Sie leider enttäuschen. Sie werden auf englisch schreiben. Und zwar nur ein paar Worte: Ich bin am Leben und unverwundet. Mir geht es gut. Bitte erfüllt alle Bedingungen, die die Überbringer dieses Briefes euch stellen.“

Hasard wiederholte den Text und griff zum Federkiel. Für das Papier hatte der Leibwächter eine hölzerne Unterlage mitgebracht. Der Seewolf begann zu schreiben. Dann hob er noch einmal den Kopf.

„Ich könnte ein geheimes Zeichen einbauen“, sagte er und sah den Türken blinzelnd an.

Üzürgül schüttelte den Kopf.

„Sie verwenden nur völlig normale Buchstaben. Wenn nicht, schreiben Sie alles noch einmal.“

Hasard setzte eine zerknirschte Miene auf und nickte. Die Buchstaben, die er schrieb, waren geradlinig und ohne Schnörkel. Nichts davon konnte den Verdacht Üzürgüls erwecken. Er unterzeichnete mit „Hasard“. Üzürgül konnte nicht ahnen, daß die Schreibweise des „H“, in einem bestimmten Winkel schräggeneigt, eine eigenständige Bedeutung hatte, die nur die Mitglieder des Bundes der Korsaren kannten.

Die Stunden flossen träge dahin.

Obwohl die Männer an Bord der „Santa Barbara“ mit neuen Vorbereitungen beschäftigt waren, konnten sie die niedergeschlagene Stimmung nicht vermeiden. Ben Brighton hatte entschieden, daß neue Trupps zur gründlicheren Suche noch an diesem Tag aufbrechen sollten.

Dan O’Flynn war in den Großmars auf geentert, um etwaige Schiffsbewegungen zu beobachten.

Es ging auf den späten Nachmittag zu, und die große Jolle war fertig zum Fieren, als Dan Mastspitzen über der westlichen Kimm meldete.

Ben Brighton und Don Juan de Alcazar, auf dem Achterdeck, setzten sofort die Spektive ans Auge und spähten in die angegebene Richtung. Doch es war wie immer. Sie vermochten nichts zu erkennen. Noch viel weniger waren dazu die Männer auf dem Hauptdeck und auf der Back in der Lage. So sehr sie auch die Hälse reckten, es änderte nichts.

Zur Küste hin, die sich außer Sichtweite befand, erstreckte sich nichts als blanke See. Nun, da die Sonne längst auf der absteigenden Bahn war, nahmen die Fluten bereits einen leicht rötlichen Schimmer an.

„Eine arabische Dhau!“ rief Dan O’Flynn aus dem Großmars.

Erst jetzt konnten Brighton und de Alcazar die Mastspitzen und einen kleinen Teil des Lateinersegels erkennen. Dans Sehkraft war phänomenal, das mußten seine Gefährten immer wieder anerkennen.

„Was ist jetzt, Sir?“ rief Carberry von der Kuhl her. „Fieren oder nicht fieren?“

Ben Brighton ließ das Spektiv sinken. Er sah den Spanier an.

„Sollen wir abwarten?“

„Nur wegen einer x-beliebigen Dhau?“ Don Juan schüttelte den Kopf. „Das halte ich für übertrieben.“

Ben preßte die Lippen aufeinander. Er gab dem Profos ein Zeichen, zu warten. Abermals setzte er das Spektiv an.

Die Dhau kreuzte gegen den Ostwind. Ihr Generalkurs wies jedoch eindeutig auf die „Santa Barbara“. Ein Zufall?

Ben Brighton traf seine Entscheidung. Ein Instinkt entwickelte sich in ihm. An einen Zufall mochte er nicht mehr glauben.

„Beiboot fieren!“ rief er, zur Kuhl gewandt. „Mit Besatzung an Steuerbord in Bereitstellung gehen!“

„Aye, aye, Sir!“ brüllte Carberry. Er und die anderen hatten die Absicht des Ersten Offiziers verstanden. Die Steuerbordseite der „Santa Barbara“ war die landabgewandte Seite. Wer auch immer da an Bord des arabischen Schiffes heransegelte, er kriegte nicht mit, daß auf der Galeone eine Jolle abgefiert wurde. Dazu war die Dhau noch zu weit entfernt.

Wenn die Kerle viel sehen konnten, waren es die Mastspitzen der „Santa Barbara“. Einen Scharfäugigen, der sich mit Dan O’Flynn hätte messen können, hatten sie bestimmt nicht an Bord.

Über die Großrahnock ließen die Männer die mit Proviant, Trinkwasser, Waffen und Munition beladene Jolle zu Wasser. Edwin Carberry, Ferris Tucker, Batuti, Big Old Shane, Stenmark, Luke Morgan und Paddy Rogers enterten über die Jakobsleiter ab, um ihre Plätze auf den Duchten einzunehmen.

Dan O’Flynn verließ seinen Platz im Großmars. Die Dhau war mittlerweile schon mit bloßem Auge zu erkennen. Und sie hielt ihren Generalkurs.

Der Erste Offizier der „Santa Barbara“ verständigte sich durch einen Blick mit dem Navigator. Dan stieg ebenfalls in die Jolle. Er war der Führer des Suchtrupps.

Noch etwa eine halbe Stunde verging, bis endgültig feststand, daß die Dhau auf die Galeone zuhielt. Die rötliche Färbung des Wassers hatte sich ein wenig verstärkt, doch die Sonne stand noch über der Kimm. Bis zum Sonnenuntergang verblieb noch eine gute Stunde.

Ben Brighton beorderte den Rest der Crew an die Backbord-Verschanzung. Es mußte nach möglichst vielen Neugierigen aussehen. Die Herannahenden mußten das Gefühl haben, daß sie von der gesamten Mannschaft beäugt wurden, wie es in der Situation nur natürlich war.

Brighton und Don Juan de Alcazar beobachteten die auf vier Kabellängen herangenahte Dhau mit ihren Spektiven. An Bord des wendigen arabischen Einmasters befanden sich zwanzig Mann. Der Kleidung nach handelte es sich um Türken. Keiner von ihnen hatte Feuerwaffen, jedenfalls nicht offen erkennbar. Nur Krummdolche trugen sie an den Hüftgurten.

Ein untersetzter Mann auf dem Achterdeck der Dhau preite die „Santa Barbara“ an.

„Ich bin Mehmet Gökhüyük! Wir sind in friedlicher Absicht hier! Ich bitte an Bord kommen zu dürfen, um eine Nachricht von Ihrem Kapitän zu überbringen!“

Der Einschlag eines Vierundzwanzigpfünders hätte an Bord der „Santa Barbara“ nicht die Wirkung erzielt, die nach den Worten des Türken zu verzeichnen war.

Die Arwenacks standen da und starrten fassungslos zu dem kleinen Segler, dessen Tuch geborgen wurde und dessen Besatzung ihre Arbeit wie selbstverständlich erledigte, als hätte sie es mit einer völlig normalen Begegnung auf See zu tun.

Schlagartig herrschte an Bord der Galeone Totenstille. Nicht einmal Sir John, der Papagei, gab ein gekreischtes „Affenarsch!“ oder ein schrilles „Luv an, Gevatter!“ von sich. Selbst Ben Brighton und Don Juan de Alcazar waren im ersten Moment sprachlos.

Dann brüllte der Erste Offizier seine Antwort.

„Woher weiß ich, daß Sie wirklich von unserem Kapitän sprechen?“

„Ist der Name Ihres Kapitäns Killigrew? Philip Hasard Killigrew?“

Die Männer an Bord der „Santa Barbara“, zwangen sich, ihre Wut herunterzuschlucken. Sie ballten die Hände zu Fäusten, schafften es aber, ruhig zu bleiben. Sie wußten, es hatte keinen Sinn, sich jetzt zu etwas Unbedachtem hinreißen zu lassen. Das änderte jedoch nichts daran, daß sie jedem einzelnen der Kerle dort unten am liebsten auf der Stelle den Hals umgedreht hätten.

Für Don Juan de Alcazar war nun immerhin klar, daß er sich mit seinen Rekonstruktionen nicht geirrt hatte. Eindeutig, daß die Entführung des Seewolfs so abgelaufen war, wie er es sich zusammengereimt hatte.

Ein schwacher Trost.

„Erlaubnis erteilt!“ rief Ben Brighton. „Sie entern allein auf! Allein und ohne Waffen!“

„Aye, aye, Sir!“ antwortete Gökhüyük, dessen Englisch einen harten und rollenden Akzent hatte. Demonstrativ löste er seinen Krummdolch vom Gurt und ließ ihn auf die Achterdecksplanken sinken.

Die Männer an Bord der „Santa Barbara“ brachten eine zweite Jakobsleiter an Backbord aus.

„Ich bin mit allen Ihren Bedingungen einverstanden!“ fügte der Türke laut und vernehmlich hinzu. Der Hohn in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Ich weise aber darauf hin, daß meine Männer strikte Order haben – für den Fall, daß mir an Bord Ihres Schiffes auch nur ein Haar gekrümmt wird! Sie werden ohne Rücksicht auf mich auf Gegenkurs gehen, und Kapitän Killigrew wird die Konsequenzen tragen! Im übrigen befindet er sich nicht an Bord dieser Dhau, falls Sie das vermuten sollten.“

Ben Brighton signalisierte dem Türken mit einem Handzeichen, daß er verstanden hätte.

Die Dhau blieb eine halbe Kabellänge von der „Santa Barbara“ entfernt liegen. Ein kleines Beiboot wurde ausgesetzt, und Gökhüyük pullte allein auf die Galeone zu.

Der untersetzte Türke vertäute das Boot an der Jakobsleiter und enterte zügig auf. Seine Bewegungen verdeutlichten, welche bullige Kraft in seinen Muskeln steckte. Selbst gegen eine Übermacht würde er ein ernstzunehmender Gegner sein, das mußten die Arwenacks zur Kenntnis nehmen.

Aber sie hatten ihre Wut mittlerweile weitgehend bezwungen. Die Vernunft siegte. Keine Frage, daß die Türken ihren ganzen Haß an dem Seewolf auslassen würden, wenn dem Überbringer der Nachricht etwas geschah.

Deshalb waren die Männer an Bord der „Santa Barbara“ bereits zurückgewichen, als der Türke durch die Pforte im Schanzkleid trat.

Er bedankte sich mit einer angedeuteten Verbeugung, als empfingen sie ihn mit einer besonders höflichen Ehrbezeugung. Sein Gesicht war glatt und rund, ein Schnauzbart hing ihm sichelförmig über die Mundwinkel, das schwarze Haar bedeckte seinen kugelförmigen Kopf kurzgeschoren wie ein Borstenteppich.

Ohne Zögern ging Gökhüyük auf den Backbordniedergang zum Achterdeck zu. Wieder strotzten seine Bewegungen vor verhalten federnder Kraft, als er aufenterte.

Breitbeinig blieb er stehen – drei Schritte vor Ben Brighton und Don Juan de Alcazar.

„Wer vertritt den Kapitän?“ fragte Gökhüyük herausfordernd.

„Ich“, erwiderte Ben Brighton mit erzwungener Ruhe. Er nannte seinen Namen und fügte hinzu, daß er der Erste Offizier sei. Auch den Spanier stellte er vor.

„Nun gut“, sagte der Türke mit gnädigem Nicken, nachdem er beide Männer von Kopf bis Fuß gemustert hatte. „Damit hat also alles seine Richtigkeit. Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich mich vergewissern mußte, daß ich es mit den richtigen Verhandlungspartnern zu tun habe. Auch unsererseits bestehen im übrigen keine Geheimnisse. Ihr Geschäftspartner ist Ahmet Üzürgül, dessen Bote ich bin. Ich bin berechtigt, in seinem Namen zu sprechen und Entscheidungen zu treffen, wenn sie seinen Vorstellungen entsprechen.“

„Lassen Sie hören“, sagte Ben Brighton, und er schaffte es, immer noch ruhig zu bleiben.

Der untersetzte Türke verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wir verlangen nicht einmal Ihr Schiff“, sagte er grinsend. „Wir fordern lediglich die gesamte Ladung, die wir in Leichtern übernehmen werden. Als Gegenleistung unsererseits wird Ihr Kapitän gesund und wohlbehalten freigelassen. Über die Einzelheiten der Übergabe können wir uns selbstverständlich noch einigen.“

Brighton und de Alcazar wechselten einen Blick.

„So weit, so gut“, sagte Ben kalt. „Im Prinzip bleibt uns nichts anderes übrig, als den Handel anzunehmen. Ich verlange aber einen Beweis dafür, daß Kapitän Killigrew noch lebt.“

Gökhüyüks Grinsen zog sich bis zu den Ohrläppchen hoch.

„Natürlich haben wir daran gedacht“, sagte er, zog ein zusammengerolltes Papier unter seinem Wams hervor und übergab es dem Ersten Offizier der „Santa Barbara“.

Ben Brighton rollte das Papier auseinander und hielt es so, daß auch Don Juan das Geschriebene lesen konnte.

Ich bin am Leben und unverwundet. Mir geht es gut. Bitte erfüllt alle Bedingungen, die die Überbringer dieses Briefes euch stellen – Hasard.

Weder Ben noch Don Juan ließen sich etwas anmerken.

Doch beide erkannten sofort das besondere Zeichen. Das schräggestellte „H“ stammte aus einer Geheimschrift, die die Schlangenpriesterin Arkana von ihren Ahnen ererbt und an den Seewolf weitergegeben hatte. Don Juan hatte diese Zeichen später gelernt, nach dem Untergang der Schlangen-Insel, als er zum Bund der Korsaren gestoßen war.

Gebe niemals nach! besagte dieses Schriftzeichen, das nur zufällig dem Großbuchstaben aus der lateinischen Schrift glich.

Was Hasard damit ausdrücken wollte, war klar. Nämlich das Gegenteil von dem, was er – sicherlich weisungsgemäß – geschrieben hatte. Welchen Grund er auch immer dafür haben mochte – der Seewolf forderte seinen Stellvertreter auf, nicht auf die Forderungen der Entführer einzugehen.

Hasard mußte einen möglichen anderen Ausweg sehen. Anders war sein Hinweis nicht zu erklären.

„Zufrieden?“ fragte Gökhüyük feixend und beugte sich mit scheinheiligem Interesse vor.

„Überhaupt nicht“, sagte Brighton und grinste plötzlich ebenfalls. „Ich habe nämlich meine Meinung geändert. Sind wir uns einig, Juan?“ Er richtete die Frage an seinen Nebenmann, ohne den Blick zu wenden.

„Klar“, sagte Don Juan nur und setzte dazu eine spöttische Miene auf, die den Nachrichtenübermittler Üzürgüls in beginnende Unsicherheit stürzte.

Doch Gökhüyük gab sich einen innerlichen Ruck. Er wußte, daß er hier die Oberhand behalten mußte. Anders ging es auch gar nicht, denn er hatte schließlich die stärkeren Verhandlungsargumente. Er grinste erneut.

„Zum Herumalbern ist dies eigentlich nicht der richtige Moment“, sagte er schroff. „Ich würde mich an Ihrer Stelle mal in die Lage Ihres Kapitäns versetzen. In seinem Interesse sollten Sie mit so dämlichen Scherzen aufhören.“

Ben Brighton und Don Juan de Alcazar schüttelten den Kopf.

„Das sind verdammt keine Scherze“, sagte Ben. „Es ist nur so, Mister Gökhüyük: Was aus unserem Kapitän wird, ist uns gleichgültig. Ich bin der Erste Offizier, wie Sie gehört haben, und ich habe lange genug darauf gewartet, endlich das Kommando über dieses Schiff zu übernehmen. Könnte ich eine bessere Gelegenheit erhalten als diese? Und Mister de Alcazar ist mein künftiger Erster Offizier. Machen Sie also mit Killigrew, was Sie wollen. Richten Sie das Ihrem Anführer aus.“

Dem Türken war das Grinsen vergangen.

„Haben Sie den Verstand verloren!“ keuchte er. „Das ist Meuterei gegen eine Anweisung Ihres Kapitäns.“

Ben Brighton zog die Schultern hoch.

„Nennen Sie es, wie Sie wollen. Für mich ist es die beste Gelegenheit meines Lebens. Jawohl, im Grunde müßte ich Ihrem Haufen noch dankbar sein!“

Mehmet Gökhüyük erbleichte. Fassungslos stierte er den breitschultrigen Engländer an.

Don Juan klopfte seinem angeblichen künftigen Kapitän auf die Schulter und stelzte betont steifbeinig nach Steuerbord. Dort beugte er sich über die Verschanzung, stieß einen kurzen Pfiff aus und gab den Männern in der Jolle ein Handzeichen.

Dan O’Flynn zeigte klar. Augenblicklich stießen die Arwenacks das Boot von der Bordwand der „Santa Barbara“ ab und legten die Riemen in die Dollen.

Gökhüyük beobachtete das Verhalten des Spaniers mit gefurchter Stirn. Verwirrt mußte er im nächsten Atemzug seine Aufmerksamkeit auf den Ersten Offizier lenken.

„Hauen Sie ab“, sagte Ben Brighton knurrend. „Los, verschwinden Sie. Richten Sie Killigrew aus, daß er bleiben kann, wo der Pfeffer wächst. Wir wären schon längst ankerauf gegangen, wenn wir Klarheit gehabt hätten.“

Für Mehmet Gökhüyük klang das alles so bestürzend plausibel, daß er nicht einmal auf die Idee kam, besser darüber nachzudenken.

Don Juan kehrte von Steuerbord zurück und baute sich breitbeinig und drohend auf.

„Jetzt werden andere Saiten aufgezogen“, sagte er scharf. „Wir haben es nicht mehr nötig, uns noch länger mit hergelaufenen Galgenvögeln abzugeben.“

Gökhüyük zog den Kopf zwischen die Schultern. Ein gefährliches Flackern wurde in seinen Augen erkennbar. Seine Gedanken waren leicht nachzuvollziehen. Die offenbar geringe Zahl von Crewmitgliedern, die Furcht davor, dem Anführer ohne das gewünschte Ergebnis unter die Augen treten zu müssen – all das ließ in Sekundenschnelle den Entschluß des Türken reifen.

Er wirbelte herum und stürmte zur Backbordverschanzung des Achterdecks.

Ben Brighton und Don Juan sahen sich lächelnd an.

„Angriff!“ brüllte Gökhüyük auf türkisch. „Entert das Schiff! Tötet sie alle, die ungläubigen Hunde!“

Abermals packte ihn die Verwirrung, als er sah, daß seine Männer starr und ohne zu antworten dastanden und zum Bug der „Santa Barbara“ stierten. Keiner von ihnen unternahm auch nur die geringsten Anstalten, den Befehl auszuführen.

Gökhüyük begriff nicht, was sich abspielte. Unschlüssig drehte er sich um, da ihm einfiel, daß er tatsächlich keine Waffe bei sich hatte, mit der er sich an Bord der Galeone hätte durchsetzen können, bis seine Mannen das Schiff geentert hatten.

Er zuckte zusammen.

Ben Brighton stand lächelnd vor ihm und hielt ihm die Spitze seines Entersäbels vor die Nase. Die breite Klinge glänzte im Licht der schräg einfallenden Sonnenstrahlen.

Gökhüyük stand regungslos, während er seinen Blick auf die riesengroß in sein Gesichtsfeld ragende Klinge richtete. Zwangsläufig begann er zu schielen. Er gelangte nicht zur Besinnung. Der nächste Wechsel des Geschehens ließ nicht auf sich warten.

Der alte Kampfruf aus Cornwall ertönte von Backbord. Für den Türken war es allerdings mehr ein zorniger Donnerhall, dessen Wortsinn er nicht kannte.

„Ar – we – nack! Ar – we – nack!“

Die Kerle an Bord der Dhau waren in ihrer Unschlüssigkeit festgenagelt. Der Respekt vor ihrem Unterführer Gökhüyük verbot ihnen, noch schnell Segel zu setzen und das Weite zu suchen.

So hatten Dan O’Flynn und seine Mannen keine Mühe, die Dhau zu erreichen.

Die Türken überwanden ihren Schreck, als sie die Jolle zum Greifen nahe vor sich sahen. Sie griffen zu Krummdolchen und Säbeln, die sie lediglich auf den Decksplanken abgelegt hatten.

Die Männer in der Jolle holten die Riemen ein und nutzten den letzten Schwung, mit dem die Jolle vom Bug der „Santa Barbara“ her auf die Dhau zuglitt.

Carberry und Ferris Tucker hatten sich als erste von der Ducht aufgerichtet und umgewandt. Im Bug der Jolle zog Carberry den Säbel. Ferris Tucker packte die schwere Schiffszimmermannsaxt, die Waffe, die er immer noch am liebsten verwendete.

Der Bug der Jolle war noch einen halben Yard von der Bordwand der Dhau entfernt, als die beiden hünenhaften Männer sprangen. Mit sausenden Hieben trieben sie die Türken zurück. Klingen blitzten. Die ersten Schreie gellten, als die beiden Riesenkerle von der „Santa Barbara“ gnadenlos vordrangen.

Ihre Gefährten folgten ihnen im nächsten Augenblick.

Die Entersäbel der Arwenacks schwirrten und verursachten blitzende Reflexe im späten Sonnenschein. Stahl prallte hell klingend auf Stahl, und die Krummsäbel und -dolche erwiesen sich wieder einmal als kreuzgefährliche Blankwaffen, die man wegen ihres ungewöhnlichen Aussehens nicht unterschätzen durfte.

Die Türken waren hervorragende Kämpfer, doch sie begegneten einer Crew, die die Hölle hundertfach bezwungen hatte. Und die Gefährten des Seewolfs kannten keine Gnade, denn sie wußten, daß von nun an jede Minute kostbar war. Es ging um Hasards Leben, das diese Kerle auf niederträchtige Weise in die Gewalt ihres Anführers gebracht hatten.

Die Männer von der „Santa Barbara“ wußten, daß sie den Schlupfwinkel der Küstenhaie spätestens zu dem Zeitpunkt erreichen mußten, zu dem Gökhüyük und seine Meute zurückerwartet wurden.

Die Arwenacks drängten die Türken an Bord der Dhau immer weiter zurück. Mit jedem Schritt schmolz die Zahl der Küstenpiraten zusammen. Todesschreie und gurgelnde, erstickende Laute schienen nicht abreißen zu wollen.

Dann, endlich, war Stille.

Dan O’Flynn und seine Mannen übergaben die Toten der See.

Auf dem Achterdeck der „Santa Barbara“ hatte Ben Brighton den Entersäbel weggenommen. Mehmet Gökhüyük stand wie versteinert da. Er sah, daß er der einzige Überlebende aus seiner Mannschaft war. Er sah, wie die Sieger des Kampfes das Deck reinigten. Sie selbst hatten nur ein paar unbedeutende Blessuren einstecken müssen.

Gökhüyük begriff, daß er an die Falschen geraten war. Diese eisenharten Kämpfer waren eine unbezwingbare Gewalt, das mußte er jetzt einsehen. Und da die Jolle auf der anderen Seite des Schiffes einsatzbereit gewesen war, hatten sie offenbar von vornherein gewußt, was sich abspielen würde.

Sie waren darauf vorbereitet gewesen.

Nur das eine begriff Mehmet Gökhüyük nicht: Diese rauhbeinigen Burschen setzten doch nach wie vor das Leben ihres Kapitäns aufs Spiel. Ja, vielleicht würde das noch ernsthafter als zuvor der Fall sein.

War dieser Erste Offizier allen Ernstes drauf und dran, wirklich das Schiff zu übernehmen?

Gökhüyük verstand überhaupt nichts mehr, als Ben Brighton ihn fesseln und an Bord der Dhau bringen ließ. Die Hälfte der Crew blieb an Bord der „Santa Barbara“ zurück. Die anderen übernahmen die Dhau. Proviant, Trinkwasser, Waffen und Munition aus der Jolle waren bereits an Bord gemannt worden.

Noch vor Sonnenuntergang segelten die Arwenacks mit der Dhau nach Westen. Das Kommando hatte Dan O’Flynn übernommen, und Don Juan de Alcazar war als sein Stellvertreter dabei. Der Wind war nach wie vor günstig und wehte handig aus östlichen Richtungen.

Seewölfe Paket 28

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