Читать книгу Seewölfe Paket 29 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 28
6.
ОглавлениеDie Galeere war das größte Schiff der Türken in Istanbul.
Genaugenommen war sie eine Dromone, wie Türken, Griechen und Araber sie bezeichneten. Aber der Ausdruck Galeere hatte sich längst eingebürgert und blieb erhalten.
Sie hatte zwei große Decks für die Ruderer. Das eine befand sich oben und war bei Wind und Wetter ungeschützt. Das andere lag etwas tiefer darunter, nur ein wenig höher als die Wasseroberfläche.
Vorn am Bug trug dieses riesige schwimmende Monstrum einen gewaltigen eisenbeschlagenen Rammsporn in der Form eines fürchterlich häßlichen Schädels mit finsteren und unheilvoll blickenden Augen.
Auf dem Vordeck befand sich ein riesiger Holzwurm, gleich daneben gab es auf jeder Seite große Armbrüste und lange Rohre, aus denen man „Griechisches Feuer“ schleudern konnte. Ein ausgeklügelter Mechanismus sorgte dafür, daß das „Griechische Feuer“ bei widrigen Verhältnissen nicht auf das eigene Deck fiel.
Auf dem Oberdeck konnte auch stehend gerudert werden. Das war dann der Fall, wenn höchste Eile geboten war. Da gab es einen langen Mittelgang, von dem rechts und links in fast endloser Reihe Ruderbänke abzweigten. Bis zu vier Männer saßen jeweils auf diesen Bänken und waren angekettet.
Die Galeere war ein Dreimaster, der außerdem gesegelt werden konnte. Das Ruderdeck war übersichtlich und endete abrupt. Dort folgte ein erhöhtes Deck, auf dem wiederum Riesenarmbrüste und lange Rohre montiert waren. Von diesem Deck ging es weiter zum überdachten Heck, wo eine stabile Holzhütte stand.
Etwa zweihundertvierzig Ruderer hatten auf der Galeere Platz. Dazu kam noch einmal eine Besatzung von mehr als vierzig Leuten.
Einer dieser Ruderer war Ali Mustafa. Er befand sich jetzt seit acht Tagen auf der Galeere.
Direkt neben ihm hockte – klein, verbittert und verkrümmt, ein Türke, der nicht älter war als er selbst. Der Mann hieß Ahmed, und sie hatten sich in den paar Tagen angefreundet, wenn man das so nennen wollte. Dabei war es aber meist nur bei ein paar Worten geblieben, denn wen der peitschenschwingende Aufseher bei einer Unterhaltung erwischte, dem zog er unbarmherzig eins über.
Tam – Tam! Tam – Tam!
Die Schläge dröhnten durch das untere Deck, das von stickiger Luft erfüllt war. Jeder Hieb auf die Trommel erzeugte eine dumpfe Resonanz im Schädel. Mitunter veränderte sich der Rhythmus, dann wurde die Trommel schneller geschlagen, und damit begann das Martyrium.
Die Männer schwitzten, keuchten oder stöhnten. Sie verkrallten sich in diesen gewaltigen Riemen, hatten beide Hände um die großen Holzschäfte gelegt und zerrten wie wild daran. Dabei blieb es auch nicht aus, daß die „Neuen“ öfter mal aus dem Takt gerieten, weil sie sich noch nicht an den Rhythmus der Trommelschläge gewöhnt hatten.
Sie versuchten zwar, den Peitschenschwinger nicht herauszufordern, doch das gelang nicht immer, und so wurde wieder die Peitsche hart eingesetzt.
Manchmal hatten Ali Mustafa und Ahmed nicht die geringste Ahnung, wo sie sich befanden, denn im unteren Deck herrschte ein diffuses Zwielicht, in dem nur die gekrümmten Rücken der anderen Ruderer zu erkennen waren, oder der Schlagmann, der vor seiner gongähnlichen Trommel hockte und den Takt schlug, mit dem die Riemen durchs Wasser gezogen werden sollten.
Hin und wieder beneideten sie die Ruderer auf dem oberen Deck, denn die konnten wenigstens noch etwas sehen. Dafür waren sie jedem Wetter ausgesetzt und konnten sich weder gegen große Hitze noch gegen prasselnden Regen schützen.
Seit sie auf der Galeere waren, bewegte sie nur noch der Gedanke an Flucht.
„Es geht nicht“, sagte Ahmed entsagungsvoll. „Glaube mir, schon viele haben es versucht, aber bisher ist es niemandem gelungen. Wie willst du die Ketten loswerden? Sie laufen am Gang durch die eisernen Ringe und sind an deinem Bein befestigt, angeschmiedet. Ich habe es auch schon oft überlegt, aber es gibt keine Möglichkeit.“
„Vielleicht fällt mir ein Ausweg ein. Man müßte es dann versuchen, wenn die Ruderer ausgewechselt werden oder wir im Hafen liegen.“
„An Deck sind überall Wachen, die passen auf.“
„Auch Wachen werden mal nachlässig oder unaufmerksam.“
„Schön wäre es“, seufzte Ahmed. „Ich warte ja auch nur auf eine solche Gelegenheit. Ich bin unschuldig, so wie viele andere hier auch. Die Bastarde haben mich verleumdet, mir mein Haus weggenommen und mich auf die Galeere geschickt. Ich glaube, daß die Kadis dahinterstecken, die sich bereichern wollen.“
Während sie leise miteinander flüsterten, bewegten sie die Riemen.
„Vielleicht gibt es eine Möglichkeit“, deutete Ali an. Er wollte gerade weitersprechen, als ihn ein schmerzhafter Hieb ins Kreuz traf.
Der Zuchtmeister war lautlos aufgetaucht und schlug zu.
Auf Alis Rücken platzte die Haut auf. Er biß sich vor Schmerz auf die Zunge.
„Bastarde!“ schrie der Zuchtmeister. „Ihr sollt pullen, nicht quatschen! Ihr seid nicht zur Erholung hier! Und du nimm dich ganz besonders in acht, Ali Mustafa!“
Der Kerl schlug noch einmal von der Seite her mit der Peitsche zu. Die Schnüre wickelten sich um Alis Hals. Er ließ den schweren Riemen los und griff mit beiden Händen an die Stelle.
Der Zuchtmeister lachte höhnisch.
„Kein Wasser und kein Essen heute“, sagte er. „Weiterpullen und kräftiger durchziehen, sonst blüht dir morgen das gleiche. Ich werde dich besonders scharf im Auge behalten.“
Ali Mustafa warf seinem Peiniger einen haßerfüllten Blick zu. In seinen Augen standen Tränen der hilflosen Wut, des Schmerzes und der Enttäuschung.
„Einmal komme ich hier heraus“, flüsterte er so leise, daß es nicht einmal Ahmed hörte. „Und dann kannst du verdammter Hundesohn etwas erleben.“
„Hör auf zu flüstern“, zischte Ahmed aus dem Mundwinkel. „Der Kerl beobachtet dich und wartet nur auf eine Gelegenheit, dir eins überzuziehen.“
Ali Mustafa sagte vorerst nichts mehr. Aber in seinen Augen brannte es wie Feuer. Er hätte das alles ja noch hingenommen, wenn er wirklich schuldig gewesen wäre. Aber das war nicht der Fall. Auch bei Ahmed war es so. Er hatte keinem etwas getan, er war nur einigen Männern im Weg gewesen, die sich auf seine Kosten bereichern wollten.
Tam – Tam! Der Rhythmus der Trommelschläge steigerte sich. Die Galeere beschrieb einen Bogen und steuerte ein Ziel an, das im Unterdeck niemand kannte.
Auch diese ständige Ungewißheit zerrte an den Nerven.
Philip Hasard Killigrew, Dan O’Flynn und der Spanier Don Juan de Alcazar hatten ebenfalls eine Exkursion durch Istanbul unternommen. Jung Hasard begleitete die Männer und fungierte wieder als Dolmetscher, der auch hervorragend die Kunst des Feilschens beherrschte und selbst den ausgekochten Händlern mitunter mächtig auf die Nerven ging.
Sie sahen sich alles an – die Bärenführer, die Geigen- und Bratschenspieler, die an allen öffentlichen Plätzen zu finden waren, und auch die Bärenführer, die mit ihren Tieren Kunststücke vollführten.
Sie gingen durch die malerische Altstadt, wo die Häuser uralt und wie hingeduckt standen. Hier gab es ungeahnte Einkaufsmöglichkeiten.
„Ich bedauere schon heute den Tag, an dem wir Istanbul wieder verlassen“, sagte Don Juan. „Es gefällt mir hier ausnehmend gut.“
„Ein paar Tage bleiben wir noch“, sagte Hasard. „Bevor wir weitersegeln, müssen wir uns ja auch noch mit Proviant und frischem Trinkwasser eindecken, weil wir immer noch nicht wissen, wo wir denn eigentlich genau herauskommen.“
Daß es den Weg vom Schwarzen Meer ins Mittelmeer gab, war ihnen mittlerweile bekannt. Das hatten sie in Erfahrung gebracht. Der weitere Kurs würde nach Griechenland führen, das wußten sie auch, aber es fehlten eben noch ein paar Einzelheiten.
Sie schlenderten durch eine Gasse, in der es intensiv nach Gewürzen aller Art duftete. Der Geruch war fast betäubend und wirkte einschläfernd auf die Sinne.
Die Händler hockten vor ihren Buden oder Ständen und dösten im Sonnenschein vor sich hin. Hin und wieder trabte ein Muli mit seinem Herrn auf dem Rücken vorbei.
Das Hämmern der Silber- oder Kupferschmiede war zu hören. Manche Händler fuhren aus ihrem leichten Schlummer hoch, wenn die vier „Efendis“ vorbeimarschierten. Dann priesen sie lautstark ihre Waren an und überboten sich gegenseitig mit ihrem Geschrei.
Jung Hasard blieb vor einem winzigen Laden stehen. Der Laden war nur eine Bretterbude ohne Fenster.
„Hier gibt es Bücher, Dad, Sir“, sagte er. „Richtige dicke Schwarten und Folianten. Vielleicht finden wir hier auch Karten. Wollen wir uns einmal umsehen?“
„Warum nicht? Wir sind ohnehin auf der Suche nach Karten. Möglicherweise kann der Mann uns weiterhelfen.“
Der Türke, ein älterer Mann mit grauen Haaren und grauem Bart, begann sogleich zu dienern.
„Aladin hat alles, was Sie sich wünschen, Efendis“, radebrechte er zum Erstaunen der Arwenacks.
„Aladin?“ Hasard sah den Alten fragend an. „Aladin hört sich arabisch an.“
„Ich stamme aus Al Iskandariyah, Efendi. Aladin ist ein alter Seemann, viel in der Welt herumgekommen. Aladin versteht viele Sprachen.“
Der Alte wirkte verschmitzt, aber nicht schlitzohrig. Er bewies auch gleich, daß er Englisch, Spanisch, Portugiesisch und Italienisch verstand und auch ganz leidlich sprechen konnte. Er war sogar einer der wenigen, die von England eine Vorstellung hatten, obwohl er noch nicht dagewesen war. Die meisten anderen, auf die sie getroffen waren, hatten nicht einmal gewußt, wo das lag.
Aladin klatschte in die Hände. Daraufhin erschien ein kleines Kerlchen mit einem Hemd, das bis auf den Boden reichte.
Aladin orderte Tee, und das Kerlchen verschwand wieder.
„Wir wollten uns ein wenig umsehen“, sagte Hasard. „Vielleicht finden wir brauchbares Kartenmaterial oder ein paar interessante Bücher. Wir haben nämlich einen sehr belesenen Mann an Bord.“
Die Idee, dem Kutscher eine Freude zu bereiten und ihm ein paar Bücher zu schenken, war Hasard sofort gekommen, als er sich in dem Laden einmal flüchtig umgeblickt hatte.
Aladin begann zu palavern und ließ winzige Teetassen an die Arwenacks verteilen. Das Kerlchen schenkte einen duftenden, sehr aromatischen Tee ein.
„Ich glaube, ich kann Ihnen helfen, Kapitän. Ich kaufe von den Schiffen aus aller Welt immer interessante Sachen auf, die ich dann weiterverkaufe. Ich habe sogar Papageien und zwei kleine Affen. Sie können auch chinesisches Porzellan haben. Ich werde Ihnen alles zeigen, was Sie wünschen.“
Zuerst aber wurde geplaudert, wie das üblich war. Aladin erzählte von seiner früheren Zeit, als er noch die Meere befahren hatte. Vor ein paar Jahren hatte er sich dann in Istanbul zur Ruhe gesetzt. Er hatte ein gutes Auskommen und war mit sich und der Welt zufrieden.
Hasard erzählte ihm in kurzen Sätzen, welchen Weg sie in letzter Zeit zurückgelegt hatten und was ihnen widerfahren war.
„Jetzt wollen wir ins Mittelmeer“, schloß er. „Nach dem Weg haben wir im Schwarzen Meer lange gesucht, wir wissen auch, daß es ihn gibt, nur liegt unser genauer Kurs noch nicht fest.“
Bei Aladin trafen sie endlich auf einen belesenen, erfahrenen und weltoffenen Mann, der wirklich viel gesehen hatte und sich auch hervorragend auskannte.
Er trank einen kleinen Schluck Tee und lehnte sich auf seinem Sitzkissen ein wenig zurück. Dann rief er nach dem Jungen, der wie aus dem Boden gewachsen hinter einem Vorhang erschien.
Er sagte ein paar kurze Sätze auf Türkisch. Gleich darauf erschien der Junge wieder und gab Aladin ein paar Rollen, die er auf den Boden legte und beschwerte.
„Hier habe ich das, was Sie suchen. Es sind vier Karten, die man aneinanderreihen kann. Mit Hilfe dieser Karten können Sie über Kreta bis zur libyschen Küste segeln. Die meisten Inseln sind eingezeichnet, bis auf ein paar kleine Eilande, und viele sind auch namentlich benannt. Sehen Sie sich die Karten nur gründlich an. Ich werde Ihnen auch die nötigen Erklärungen geben, wenn Sie es wünschen.“
Hasard und Dan stießen fast mit den Köpfen zusammen, als sie sich über die Karten beugten. Der Seewolf brauchte nur einen kurzen, aber intensiven Blick.
„Phantastisch“, sagte er, „die Karten scheinen ganz hervorragend zu sein. Würden Sie sie verkaufen?“
„Natürlich, wir müssen auch nicht darum feilschen. Ich nenne Ihnen einen annehmbaren Preis.“
Der Preis, den Aladin nannte, war so lächerlich gering, daß Hasard ihn erstaunt anblickte.
„Das ist zu wenig“, sagte er entschieden.
„Dann könnten Sie die Karten auch um den Preis eines Fasses Rotwein verkaufen.“
„Es kommt immer darauf an, wem ich sie verkaufe“, sagte Aladin ruhig. „Wenn ich sehe, daß jemand wirkliche Freude daran hat und auch etwas damit anfangen kann, dann bescheide ich mich mit einer kleinen Verdienstspanne. Ich will ja nicht reich werden, ich will nur in einem bescheidenen Rahmen meinen Lebensabend genießen. Allah weiß, daß ich kein Mensch bin, der nach Macht, Ruhm oder Reichtum strebt.“
Aladin war wirklich bescheiden. Er freute sich, daß er mit den Männern plaudern konnte, und das tat er gern und ausgiebig. Er ließ noch frische Melonen reichen und blickte zu Dan, der die Karten intensiv studierte und offenbar etwas nicht richtig verstand.
„Fragen Sie nur, wenn Ihnen etwas unklar erscheint, Efendi.“
Dan deutete auf die erste Karte. „Was bedeuten diese schraffierten Linien?“
Hasard konnte ebensowenig damit anfangen wie Dan oder Don Juan.
Der alte Seemann erläuterte es ihnen.
„Am Eingang zum Bosporus liegt Istanbul. Das ist von hier oben aus deutlich und klar zu erkennen. Wenn Sie weitersegeln, gelangen Sie in das Marmarameer, das man früher Propontis nannte. Es ist ein Nebenmeer zwischen dem Ägäischen und dem Schwarzen Meer. Wenn Sie dieses Meer erreicht haben, wird Ihr Kurs etwa Südsüdwest sein. Er führt Sie weiter nach dem antiken Hellespont. Das ist eine Meeresstraße, die man die Dardanellen nennt. Sie liegt zwischen der Halbinsel Gallipoli und Kleinasien und verbindet die Ägäis mit dem Marmarameer.“
„Interessant“, sagte Hasard. „So genau hat uns das noch niemand erklären können. Das ist wirklich erstaunlich. Diese dünne Linie ist also die Meeresstraße, durch die wir hindurch müssen.“
„Sehr richtig. Hier müssen Sie besonders gut aufpassen, denn in den Dardanellen herrschen starke Strömungen, die das Marmarameer hineindrückt. Deshalb ist diese Stelle als Markierung besonders schraffiert. Die Straße ähnelt einem breiten Kanal und ist etwa fünfunddreißig Meilen lang. Ja, und dann ist da noch etwas, über das aber nicht gern gesprochen wird.“
Aladin ließ wieder Tee nachschenken und die Melonenscheiben reihum gehen. Er sah, daß seine Zuhörer beeindruckt waren, und lächelte.
„Denken Sie beim Durchsegeln an die starke Oberflächenströmung. Schon so manches Schiff ist daran gescheitert, wenn es das ertrunkene Tal durchsegeln will.“
„Ertrunkenes Tal?“ fragte Don Juan. „Was bedeutet das?“
„Das ist eine uralte Bezeichnung für jene Wasserstraße mit der starken Strömung. In früheren Zeiten befand sich dort angeblich einmal ein riesiges und fruchtbares Tal. Eines Tages bahnten sich die Wassermassen des Marmarameeres einen Weg und überfluteten das Tal. Man sagt, daß noch heute die Seelen Ertrunkener in diesem Tal umgehen. Sie wirbeln mit den Armen um sich, damit sie wieder nach oben gelangen. Daher rühren auch die vielen Strömungen. So sagt man jedenfalls.“
„Und was glauben Sie selbst?“ fragte Hasard lächelnd. „Glauben Sie auch an die Geschichte?“
„Sie mag stimmen, bis auf die Erzählung mit den wandernden Seelen. Ich habe jedenfalls eine andere Erklärung, und die ist ganz einfach. Das Mittelmeer liegt niveaumäßig ein wenig tiefer. Das Schwarze Meer wird von etlichen Flüssen gespeist, und das Wasser sucht sich den Weg durch den Bosporus ins Marmarameer. Und dieses Meer schiebt das Wasser durch die Dardanellen, denn bekanntlich fließt Wasser ja immer den leichtesten Weg und flußabwärts.“
Die Arwenacks grinsten bis zu den Ohren. Auch der Alte lächelte wieder verschmitzt.
„Natürlich ist es so“, sagte Hasard. „Eine absolut einleuchtende und logische Erklärung. Hoffentlich akzeptiert sie dein Vater auch, Dan.“
„Das bleibt noch abzuwarten“, murmelte Dan.
„Sie erwähnten vorhin etwas, über das nicht gern gesprochen wird“, sagte Don Juan. „Bezieht es sich auf diese Wasserstraße?“
Aladin nickte ein paarmal. „Ja, man sagt, daß sich in jeder Ecke Gesindel herumtreibt, das die Unwissenheit mancher Kauffahrer ausnutzt, um sich zu bereichern. Diese Leute verlangen einen hohen Zoll und sind manchmal recht unverschämt. Es soll auch schon zu harten Kämpfen gekommen sein. Aber, wie gesagt, darüber wird hier nicht gern gesprochen. Vermutlich stecken ein paar hohe Herren dahinter.“
„Aber die Benutzung dieser Straße ist zollfrei?“ vergewisserte sich Hasard.
„Ja, hier werden keine Zölle erhoben, denn der Handel wirft sehr viel ab.“
Sie staunten immer wieder über den alten Burschen, der hier nach Jahren der Plackerei vor Anker gegangen war. Vor allem verfügte er über ein beachtliches Wissen. Das bewies er jetzt wieder, als er sich über die Karten beugte und ihnen den weiteren Weg erklärte, der sie ins Mittelmeer brachte.
„Diesmal haben wir erstaunliches Glück gehabt“, sagte Dan. „Damit habe ich wirklich nicht gerechnet.“
Aladin zeigte ihnen etwas später seine Schätze, auch die Papageien und die kleinen Affen, die er von Seeleuten erworben hatte.
Es war ein Laden, in dem man sich stundenlang aufhalten konnte und immer wieder neue und interessante Dinge entdeckte.
Hasard sah sich ein paar Bücher an. Dabei erzählte er Aladin ein wenig über den Kutscher.
„Koch und Feldscher ist er“, sagte Aladin. „O ja, da habe ich auch eine ganze Menge. Es gibt Bücher in lateinischer Schrift über die ärztliche Kunst, über Heilkräuter und Magie. Es sind gelehrte Bücher, in denen er sicher etwas findet.“
Er zeigte ihnen ein paar Folianten, Bücher über Magie, die Kunst des Kochens, über Kräuter und Medizin. Insgesamt waren es sieben ziemlich dicke Bücher.
„Die kaufe ich alle“, sagte Hasard. „Ich werde den Mann morgen oder übermorgen noch einmal persönlich vorbeischicken, damit er seine helle Freude an all den Schätzen hier hat.“
Aladin war sehr erfreut, daß er endlich mal auf Leute traf, mit denen man über „Gott und die Welt“ plaudern konnte. Er ließ es sich nicht nehmen, die Seewölfe zum Essen einzuladen, und Hasard wollte ihm die Bitte auch nicht abschlagen. Sie hatten ja ohnehin noch Zeit, und dieser Mann hatte ihnen sehr geholfen.
Sie hatten jetzt alles, was sie brauchten, um den Weg ins Mittelmeer zu finden. Keiner von ihnen hatte das erwartet.
Aladin ließ auftafeln. Es gab ein Haschee mit Reis und Eiern, in Butter gebraten und scharf gewürzt.
„Das ist Kadinbudu“, erklärte ihr Gastgeber lächelnd. „Das heißt soviel wie Frauenschenkel. Die türkische Küche hat da mitunter sehr eigenwillige Bezeichnungen für die Gerichte. Aber sie schmecken hervorragend.“
„Das kann man wohl sagen“, stimmte Hasard zu. „Vor allem erstaunte mich die Schnelligkeit bei der Zubereitung.“
„Man hat so seine guten und fast unsichtbaren Geister“, sagte Aladin verschmitzt.
Nach Kadinbudu folgte ein Auberginengericht. Die Auberginen waren mit Speckstreifen umbunden und mit einer scharfen pikanten Masse gefüllt. Auch das kannten sie noch nicht. Der Kutscher hätte mal wieder seine helle Freude daran gehabt.
„Das nennt sich Iman Bayaldi“, erläuterte Aladin. „Auch das ist wieder ein sehr eigenwilliger Name.“
Jung Hasard grinste bis an die Ohren. „Das heißt: Der Vorbereiter fiel in Ohnmacht. Oder habe ich das falsch ausgedrückt?“
Aladin blickte zu Hasard, dann zu seinem jüngeren Ebenbild. Er wußte bereits, daß es noch ein weiteres Ebenbild gab. Dieser Sohn hier war dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.
„Nein, das ist ganz korrekt wiedergegeben, der Vorbereiter fiel in Ohnmacht, heißt es. Natürlich konnte er nur vor Entzücken in Ohnmacht gefallen sein, als er das Gericht vorbereitet und gekostet hatte.“
Zum Abschluß gab es Kabak Dolmasi, das war ein ziemlich großer gefüllter Kürbis mit unzähligen Leckereien. Danach wurde wieder Tee oder Fruchtsaft getrunken, diesmal zur Abwechslung hinter dem kleinen Laden, wo man einen herrlichen Blick auf Istanbul und den Hafen hatte.
Aladin kniff die Augen zusammen, ein Schatten fiel über sein Gesicht.
Die Arwenacks drehten die Köpfe zur Seite und blickten interessiert auf eine riesige Galeere, die in den Hafen einlief.
Es war ein prachtvolles Schiff mit einem gewaltigen Rammsporn am Bug und reichen Verzierungen. Vorn und achtern und an den Oberdecks waren große Armbrüste montiert, die schenkelstarke Eisenbolzen verschießen konnten.
Die Galeere lief nur unter dem Großsegel, die anderen Segel waren aufgetucht. Die Riemen tauchten ein, wurden durchgezogen, und die Galeere glitt wie ein riesiger Vogel durch das Wasser. Der Anblick war beeindruckend. Hasard sagte das auch.
„Ja, es ist ein schönes Schiff“, gab Aladin widerwillig zu. „Eine Dromone, aber man nennt sie hier nur die große Galeere. Es ist das stärkste Kampfschiff der Türken in Istanbul. So prächtig der Anblick von außen ist, so bejammernswert sieht es unter Deck aus. Dort rudern nur Gefangene, die meist zu lebenslänglich auf der Galeere verurteilt sind. Zu Unrecht allerdings“, fügte er leise hinzu. „Es sind kaum wirkliche Verbrecher dabei.“
„Und trotzdem sind sie verurteilt worden?“ fragte Don Juan.
„Das Osmanische Reich geht seinem Untergang und Verfall entgegen, das ist unausbleiblich, und es zeigt sich besonders kraß hier in Istanbul, wo Haremsintrigen, Zank und Hader bei den Führungskräften an der Tagesordnung sind. Seltsamerweise verschwinden immer mehr jüngere Männer, die wohlhabend sind. Man beschuldigt sie und klagt sie an, bringt sie dann um oder steckt sie auf die Galeeren. Es wird gemunkelt, daß die drei obersten Kadis dahinterstecken.“
„Weshalb beschuldigt man sie?“ fragte Hasard.
„Damit man sie los wird, denn wer in der Türkei Geld hat, der verfügt auch über einen gewissen Einfluß, und das versucht man, von oben herab auszumerzen. Zudem fällt das konfiszierte Vermögen dann meist auf Umwegen und dunklen Kanälen den Richtern zu.“
„Wie in vielen anderen Ländern auch“, sagte Hasard. „Korruption, Geldgier, Machthunger, Einflußreichtum und was der Dinge mehr sind. Wir haben es oft genug kennengelernt. Dieses Übel wird nie auszurotten sein.“
„Ganz sicher nicht. Es gab hier kürzlich einen Fall, der in ganz Istanbul großes Aufsehen erregt hat. Er liegt erst zwei Wochen zurück. Da wurde ein junger Mann zum Tode verurteilt. Man warf ihm vor, mit den Spaniern und Venezianern paktiert zu haben. Eine lächerliche Anschuldigung. Dieser Mann, er hieß Ali Mustafa, wäre ebenfalls sang- und klanglos verschwunden, aber er verfluchte nach seiner Verurteilung den Kadi und den Henker.“
„Und sein Fluch hat sich erfüllt?“
„Ja, das ist es ja, was hier soviel Aufsehen erregt hat. Der Kadi brach kurz nach der Urteilsverkündung tot zusammen.“
„Ein Zufall“, sagte Hasard. „Ich glaube nicht an die Wirksamkeit eines Fluches. Ähnliche Sachen sind schon oft passiert. Möglicherweise hat sich der Kadi so über den Fluch erregt, daß sein Herz dabei versagte, zumal er sicher kein junger Mann mehr war.“
„Das ist richtig, er war schon alt. Nun, dieser Ali Mustafa, der nie mit den Spaniern oder gar Venezianern paktiert hat, wurde oben auf der Festung vor das Rohr einer großen Kanone gebunden. Dann wurde das Rohr von dem Henker Omar gezündet.“
„Ich nehme an, diesem Ali Mustafa passierte nicht viel“, meinte Hasard.
„So war es. Das Pulver wurde aus unerklärlichen Gründen durch das Zündloch und einen Riß im Kanonenrohr abgeblasen und verbrannte mit langer Stichflamme. Ali passierte nichts, absolut nichts. Aber der Henker geriet in die Stichflamme und zog sich schwere Verletzungen zu. Seither ist er erblindet. Was halten Sie davon?“
„Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, sagte Hasard vorsichtig. „Es kann eine Verkettung besonderer Umstände sein, die zu den Ereignissen geführt hat. Mir leuchtet nicht so richtig ein, daß der Fluch sich so prompt erfüllt hat.“
„So war es aber.“
„Und was geschah mit diesem Ali dann?“
„Nach den Gesetzen des Koran mußten sie ihn begnadigen, und das haben sie getan, indem sie ihn lebenslänglich auf die Galeere verbannten. Jetzt sitzt er dort im Unterdeck und rudert, und er hat wohl kaum Aussicht, jemals lebend diese Dromone zu verlassen.“
Die Galeere steuerte eine breite Pier an. Die Riemen wurden eingezogen, und die Arwenacks sahen nachdenklich auf das schöne, aber auch schaurig wirkende Schiff.
Wie viele unschuldige Männer mochten dort sitzen, Männer, die irgendwelchen Intrigen zum Opfer gefallen waren und nun ihr Leben als Galeerensträflinge beschließen mußten – welche Schicksale hatten diese Männer hinter sich?
Hasards Blicke verfinsterten sich, wenn er daran dachte. Er kannte die menschenunwürdige Behandlung, und auch seine Arwenacks kannten sie, denn einige von ihnen hatten schon die Ketten getragen und sich auf den Ruderbänken abgeschunden.
Die Galeere hatte jetzt angelegt, doch sie blieb nicht lange an der Pier liegen. Männer eilten geschäftig hin und her und brachten irgendwelche Sachen an Bord.
Schon nach einer halben Stunde legte das große und beängstigend wirkende Schiff wieder ab. Diesmal fuhr es ohne Segel, es wurde nur gerudert. Das nervtötende dumpfe Tam-Tam der Trommel war bis hier oben zu hören.