Читать книгу Seewölfe Paket 29 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 36

3.

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„Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Ravet“, sagte Mehmet Küzürtüsi, einer der beiden Männer, die am offenen Fenster standen. „Daß Sie Ihr Haus für Beobachtungszwecke zur Verfügung stellen, ist nicht selbstverständlich.“

Küzürtüsi faltete die Hände über dem stattlichen Bauch. Sein Seidengewand vertuschte durch den raffinierten Schnitt ein wenig von seiner Leibesfülle. Das Doppelkinn vermochte es jedoch nicht zu verbergen.

„Eine Selbstverständlichkeit“, entgegnete Ravet Antasi, der – wie sein Gesprächspartner – zur Kaufmannschaft von Istanbul gehörte. „In unserem gemeinsamen Bestreben müssen wir alle einen Beitrag leisten, wenn es an der Zeit ist. Mir geht es darum, das Tun dieser Frau einmal deutlich werden zu lassen. Jeden Tag spielt sich hier das gleiche ab. Es ist ein Skandal, wie unser ehrenwerter Freund Yildiz es zuläßt, daß sein Weib die Profite seines Unternehmens mit offenen Händen zum Fenster hinauswirft.“

Küzürtüsi nickte bedächtig und sah sein Gegenüber mit ernster Miene an. Antasi war ein schlanker, schwarzhaariger Mann mit dünnem Oberlippenbart.

„Nun, wir wissen es ja längst“, entgegnete der Füllige. „Aber es ist doch einmal recht anschaulich, es mit eigenen Augen zu beobachten.“

„Wir müssen schleunigst etwas dagegen tun.“

„So ist es, so ist es.“

„Aber was kann man tun?“

Küzürtüsi lächelte hintergründig. „Seien Sie beruhigt, mein Freund, es sind bereits wirkungsvolle Schritte in die Wege geleitet worden.“

„Darf man erfahren, um was es sich handelt?“

Küzürtüsi schüttelte den Kopf. „Ich bin leider zur Geheimhaltung verpflichtet. Das bedeutet nicht, daß ich kein Vertrauen zu Ihnen hätte. Aber Sie werden verstehen, daß ich mich an Zusagen halten muß.“

„Natürlich, selbstverständlich. Hauptsache ist, es wird etwas gegen dieses Weib unternommen. Mit dieser verfluchten Großherzigkeit fällt sie unsereinem in den Rücken. Wie stehen wir denn da, wenn wir es ihr nicht gleichtun!“

„Keine Sorge“, entgegnete Küzürtüsi. „Sie wird bald ganz andere Gedanken haben.“

Der neue Tag hatte für die Arwenacks mit der Bordroutine begonnen. Abermals zeigte sich der Himmel von seiner strahlendsten Seite, und das geschäftige Treiben im Hafen unterschied sich wenig von dem Geschehen an den Tagen zuvor.

Es war am späten Vormittag, als die Söhne des Seewolfs mit Plymmie, der finnischen Wolfshündin, von einem Landgang zurückkehrten. Plymmie flitzte als erste an Bord, als wollte sie es sein, die hechelnd die Neuigkeit kundtat.

Der Seewolf, der sich mit Ben Brighton auf dem Achterdeck aufhielt, strich der Hündin über den Kopf, und sie schmiegte sich an seine Stulpenstiefel.

Sekunden später waren auch Philip und Hasard junior zur Stelle. Keuchend verharrten sie vor ihrem Vater. Der Seewolf wechselte einen Blick mit dem Ersten Offizier.

„Da scheint sich ja eine Sensation anzubahnen“, sagte Hasard lächelnd. „Oder weshalb seid ihr so aus dem Häuschen?“

„Da wird eine Sänfte getragen!“ rief Philip, der als erster wieder zu Atem gelangt war. „Sie nähert sich unserer Pier.“

„Wir glauben, daß es der Besucher ist, der sich für heute vormittag angesagt hat“, fügte Hasard junior keuchend hinzu.

„Durchaus möglich“, erwiderte der Seewolf. „Aber ihr solltet euch doch langsam daran gewöhnt haben, wie sich reiche Leute hierzulande fortbewegen.“

„Das schon“, sagte Philip. „Aber in diesem Fall ist es etwas ganz Besonderes. So eine kostbare Sänfte hat nämlich noch keiner von uns gesehen. Da sind Hasard und ich völlig sicher.“

Der Seewolf zog in gespielter Ehrfurcht die Augenbrauen hoch. „Nun, dann werden wir uns mal gehörig überraschen lassen, denke ich.“ Er klopfte seinen Söhnen auf die Schultern. „Gut, daß ihr uns vorgewarnt habt. Dann fallen wir wenigstens nicht vor Respekt auf die Knie.“

„Dad, du nimmst uns nicht ernst!“ rief Hasard junior empört.

„So viel Reichtum auf einmal ist wirklich ungewöhnlich“, fügte sein Bruder im gleichen Tonfall hinzu.

„Ich glaube, eure Ehrenrettung vollzieht sich ganz von selbst“, ließ sich Ben Brighton vernehmen. Er wies mit ausgestrecktem Arm zum Kai, wo der Hafenbetrieb plötzlich ins Stocken geriet.

Lastenträger blieben stehen, wichen zur Seite und ließen Kisten und Ballen zu Boden sinken. Handwerker hielten mit ihrer Arbeit inne und hoben die Köpfe. Ein Frachtfuhrmann beeilte sich, sein Pferdegespann aus dem Weg zu treiben, und Kinder erschienen lärmend in der Einmündung einer Gasse, die auf den Kai hinausführte.

Auch die Arwenacks, auf der Kuhl der Dubas, waren jetzt aufmerksam geworden. Da ihr Zweimaster die kleineren Schiffe in der Umgebung überragte, hatten sie keine Mühe, das Geschehen auf dem Platz am Kai zu beobachten.

Hinter dem Pulk von Kindern tauchten gemessenen Schrittes die beiden vorderen Sänftenträger auf. Ihre Kleidung war uniformartig und hatte doch zugleich den Schnitt eines außergewöhnlichen Kostüms – mit silbern durchwirktem Stoff, silberfarbenen Schnabelschuhen und einem edelsteinbesetzten Turban.

Gleich darauf schob sich die Sänfte ins Blickfeld, und sie bildete einen wirkungsvollen Kontrast zur silbern schimmernden Kleidung ihrer Träger.

Die Sänfte, das konnte man selbst von der Dubas aus einwandfrei erkennen, war rundum mit Blattgold belegt. Die Sonne verursachte einen rötlich-goldenen Glanz auf den gerundeten Dachkanten und den kunstvoll gedrechselten Säulen. Die Seidenvorhänge waren zurückgezogen.

Der Mann in der Sänfte trug ein Gewand, das mindestens so kostbar war wie das Blattgold, mit dem er sich umgab. Seine Statur war imposant, doch konnte man ihn nicht als massig bezeichnen.

Was den Seewolf und seine Gefährten am meisten erstaunte, war die Tatsache, daß der Mann in der Sänfte mit keinem einzigen feindseligen Blick betrachtet wurde. Im Gegenteil, jene, die ihm auf seinem Weg zuschauten, bedachten ihn mit begeisterten Rufen. Und die Art, wie er ihnen zuwinkte, hatte nichts Herablassendes oder gar Blasiertes.

Dieser Kemal Yildiz mußte ein überaus beliebter Mann sein.

Nur um ihn konnte es sich handeln, denn seine Träger hielten auf die Pier zu, an der die Dubas vertäut lag.

„Auf den Mann bin ich ehrlich gespannt“, sagte Ben Brighton leise.

„Dann geht es dir nicht anders als mir“, entgegnete der Seewolf. Er wollte weitersprechen.

Ein greller Blitz verhinderte es.

Der Blitz zuckte aus der Sänfte, gut zweihundert Yards entfernt, und er wurde im winzigsten Bruchteil einer Sekunde vom Donner der Explosion gefolgt.

Das schimmernde Gold der Sänfte wurde vom Gleißen des Detonationsfeuers verschlungen. Die Körper der Träger wirbelten durch die Luft. Von Kemal Yildiz war nichts mehr zu sehen. Es war, als hätte ihn das Zentrum der Detonation ebenso verschlungen wie seine kostbare Sänfte.

Arbeiter und Handwerker, die in der Nähe gestanden hatten, wurden von der Druckwelle zu Boden geschleudert. Kisten und Ballen fielen durcheinander. Erst im Nachhall der Explosion waren die gellenden Schmerzensschreie von Verwundeten zu hören. Durcheinander entstand. Jene, die unverletzt geblieben waren, schrien ebenfalls und rannten nach allen Seiten auseinander. Einige sprangen ins Wasser, wo sie sich vor möglichen weiteren Explosionen sicher glaubten.

In Sekundenschnelle war der Platz am Kai wie leergefegt.

Nur die zerfetzten Leiber der Sänftenträger lagen noch dort. Die Verwundeten, die in unmittelbarer Nähe der Sänfte gestanden hatten, wälzten sich in ihrem Blut. Ihre Schreie wollten nicht enden.

Der Seewolf überwand den Moment des fassungslosen Entsetzens als erster. Er stürmte los und war im nächsten Moment bereits an der Verschanzung.

„Kutscher!“ brüllte er. „Mister Pellew!“ Die beiden Kombüsenmänner fungierten zugleich als Feldschere, wenn es erforderlich sein sollte.

Und jetzt wurden ihre medizinischen Künste verdammt nötig gebraucht, wie es schien.

Sie packten ihre Tragekisten mit den Instrumenten zusammen und eilten hinter dem Seewolf her.

Die übrigen Arwenacks hielten sich zurück. Sie gehörten nicht zu jener Sorte, die als Gaffer immer und überall zur Stelle war, wenn sich blutiges Geschehen abgespielt hatte.

Der Seewolf ging auf die Stelle zu, an der die Explosion stattgefunden hatte. Aus einiger Entfernung war Befehlsgebrüll zu hören. Entweder hatten sie es bei der Stadtwache selber gehört, oder ein erster Augenzeuge war bereits dort eingetroffen und hatte Alarm geschlagen.

Die zerborstenen Bestandteile der Sänfte waren dreißig bis vierzig Yards weit auseinandergeflogen, an den Köpfen der Träger vorbei. Kemal Yildiz indessen existierte nicht mehr.

Dort, wo ihn die Explosion zerrissen hatte, befand sich lediglich ein rußartiger Fleck auf den Pflastersteinen.

Hasard betrachtete die Steine mit gefurchter Stirn.

Schritte näherten sich aus einer der Gassen. Der Kutscher und Mac Pellew waren zur Stelle und kümmerten sich um die Verwundeten. Nur noch deren Schmerzenslaute waren zu hören. Die Angstschreie der Fliehenden waren verstummt. Aus der nächstgelegenen Gassenmündung erschienen Wachsoldaten im Laufschritt. Ein Offizier lief an der Spitze der Gruppe.

Hasard konnte den Blick nicht von jenem Punkt wenden, an dem sich das Zentrum der Detonation befunden haben mußte. Dann, nach kurzem Überlegen, drehte er sich zu den Arwenacks um, die in Steinwurfweite entfernt auf der Pier ausharrten.

„Al!“ rief der Seewolf. „Mister Conroy!“ Mit einer Handbewegung forderte er ihn auf, näherzutreten.

Als der schwarzhaarige Stückmeister zur Stelle war, verlangsamten auch die Soldaten ihre Schritte. Der Offizier ließ sie Aufstellung nehmen und wandte sich den Engländern zu.

„Was hältst du von der Sache?“ fragte der Seewolf seinen Stückmeister.

Al Conroy begriff sofort, auf was Hasard hinauswollte. Er zeigte auf die geschwärzten Steine. „Ich nehme an, es ist das, worüber du dich wunderst.“

Hasard nickte. „Ich vermisse einen Explosionstrichter. Oder liegt es daran, daß die Pflastersteine zu hart sind?“

Al Conroy schüttelte den Kopf. „Kaum.“

Der türkische Offizier verfolgte das Gespräch der beiden Männer mit interessierter Miene. Hasard bemerkte es und folgerte daraus, daß der Mann offenbar die englische Sprache verstand.

„Hast du eine Erklärung?“ fragte er den Stückmeister.

„Plausibel wird es nur folgendermaßen“, erwiderte Al Conroy, „wir gehen mit unseren Überlegungen von falschen Voraussetzungen aus. Du vermutest, daß jemand einen Sprengsatz unter die Sänfte geworfen hat. Stimmt’s?“

„Richtig.“

„Deshalb deine Folgerung.“

„Auch richtig.“

„Davon mußt du dich lösen“, sagte Al. „Der Sprengsatz oder die Bombe, was immer es war; wurde nicht unter die Sänfte geworfen, sondern hinein.“

Hasard furchte die Stirn. „Daß es keine Wurfbombe war, erscheint mir plausibel. Der Rest deiner Erklärung aber nicht. Gerade der Boden der Sänfte muß aus so starkem Material gefertigt gewesen sein, daß es diese Spuren kaum gegeben haben dürfte.“

„Einverstanden“, sagte der Stückmeister und nickte. „Daraus folgt aber, daß sich der Sprengsatz unter der Sänfte befunden haben muß. Und wie, bitte sehr, soll so etwas möglich sein? Der Mörder hätte sich heranschleichen müssen, um die Ladung unter dem Boden zu befestigen und die Lunte zu zünden. Das hätte er niemals schaffen können.“

„Aber die Ladung muß unter dem Boden geklebt haben“, sagte der Seewolf beharrlich. „Anders sind die Explosionsspuren beim besten Willen nicht zu erklären.“

Der Offizier räusperte sich. „Bevor Sie sich weiter den Kopf zerbrechen, Gentlemen, sage ich Ihnen lieber, womit wir es zu tun haben. Dies dürfte eindeutig das Werk des Höllenfürsten gewesen sein.“

Hasard und Al starrten den Offizier an. Hatten sie es hier mit einer türkischen Ausgabe des alten O’Flynn zu tun? Mit einem, der auch gleich behaupten würde, das Zweite Gesicht zu haben?

„Nichts für ungut“, entgegnete der Seewolf. „Aber Schauermärchen sind keine Erklärung.“

Der Offizier schüttelte den Kopf, und er wirkte absolut ernst dabei. „Seit einiger Zeit passieren in Istanbul immer wieder Fälle dieser Art. Immer sterben einflußreiche Persönlichkeiten dabei, und immer explodiert eine Ladung, ohne daß jemand in der Nähe ist, der sie gezündet haben könnte. Der Täter ist unbekannt. Er wird der Höllenfürst genannt, weil er offenbar die Fähigkeit hat, Sprengladungen hochgehen zu lassen, wann immer und wo immer er will, ohne selbst dabeizusein.“

„Das hört sich in der Tat teuflisch an“, sagte Hasard. „Aber Hexerei kann es nicht sein. Es muß eine Erklärung dafür geben. Hast du eine, Al?“ Er blickte den Stückmeister an.

Al Conroy rieb sich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger. „Ich bin mir nicht sicher. Ich erinnere mich an Berichte über einen deutschen Schwarzpulverfachmann, der Knochenbomben gebaut haben soll. Die Dinger sollen wie von selbst explodiert sein. Ich habe das bislang immer für eine Legende gehalten.“

Jetzt war selbst der türkische Offizier überrascht. „Knochenbomben?“ rief er. „Was heißt das – Knochen?“

„Ich kenne keine Einzelheiten“, antwortete der Stückmeister. „Nur so viel, daß Schwarzpulver in einen hohlen Knochen und in einer abgeteilten Kammer mit einer brennenden Lunte versehen wurde. Die Brenndauer soll dann für eine bestimmte Zeit genau berechnet worden sein. Ich konnte mir aber nie erklären, wie so was funktionieren soll. In dem geschlossenen Knochen, habe ich mir gedacht, muß die Zündflamme doch ersticken.“

„Vielleicht funktionierte es mit winzigen Luftlöchern“, sagte der Seewolf. „Und Knochen hat dein deutscher Pulverkollege wahrscheinlich deshalb verwendet, weil man sie in Speisezimmern oder Speisesälen unauffällig auf den Fußboden plazieren kann.“

Al Conroy nickte. „Trotzdem hat es für meine Begriffe immer sehr unwahrscheinlich geklungen.“

„Aber es wäre eine Erklärung!“ rief der Offizier. „Vielleicht hat der Höllenfürst solche Methoden verfeinert und bietet nun seine Dienste an.“

„Interessenten dafür gibt es in Istanbul genug, nehme ich an.“ Hasard blickte den Offizier fragend an.

Der Türke nickte. „Die Machtverhältnisse in unserer Stadt werden immer unklarer. Teilweise finden bereits offene Kämpfe zwischen verfeindeten Gruppen statt. Und dieser Mann“, er deutete auf die Reste der Sänfte, „hatte eine Menge Feinde.“

„Kemal Yildiz“, sagte der Seewolf. „Er wollte mich zu einer Besprechung aufsuchen. Er hatte vor, Handelsbeziehungen mit England aufzunehmen.“

Der Offizier sah ihn überrascht an. „Dann sind Sie ein wichtiger Zeuge, Sir. Ich muß Sie bitten, sich zu meiner Verfügung zu halten.“

Hasard hatte nichts dagegen einzuwenden. „Unser Schiff bleibt an seinem Liegeplatz. Ich nehme aber an, daß wir uns innerhalb der Stadt frei bewegen können, sofern wir immer wieder auf die Dubas zurückkehren.“

„Selbstverständlich, Sir.“

Der Kutscher und der Feldscher hatten ihr möglichstes für die Verwundeten getan. Sie wurden in ein Lazarett abtransportiert. Der Offizier ließ die Soldaten am Ort des grausigen Geschehens aufräumen. Schon eineinhalb Stunden nach der Explosion erinnerte nichts mehr an den Tod des Kemal Yildiz und seine Sänftenträger.

Hasard und seine Gefährten hatten sich unterdessen vorgenommen, diese Angelegenheit nicht auf sich beruhen zu lassen. Schließlich war der Kaufmann auf dem Weg zu ihnen umgebracht worden. Fast waren sie es ihm schuldig, die Umstände seines Todes aufzuklären.

Seewölfe Paket 29

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