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ee) Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts (Art. 23 Abs. 1 S. 2 und S. 3 GG)
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Den besonderen Gesetzesvorbehalt des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG für die Übertragung von Hoheitsrechten hat das BVerfG im Lissabon-Urteil „zur Wahrung der Integrationsverantwortung und zum Schutz des Verfassungsgefüges“ dahingehend ausgelegt, „dass jede Veränderung der textlichen Grundlagen des europäischen Primärrechts erfasst wird“. Das BVerfG erfasst damit auch das vereinfachte Änderungsverfahren (Art. 48 Abs. 6 und 7 EUV), ferner bereits in den Verträgen angelegte, aber der Konkretisierung durch weitere Rechtsakte bedürftige Zuständigkeitsveränderungen und Änderungen der Vorschriften, die Entscheidungsverfahren betreffen[222], schließlich auch Vertragsabrundungen (Art. 352 AEUV) und benennt die Fälle, in denen ein solches Gesetz zur Ermächtigung des deutschen Vertreters im Rat bzw Europäischen Rat erforderlich ist[223]. Soweit spezielle Brückenklauseln sich auf Sachbereiche beschränken, die durch den Vertrag von Lissabon bereits hinreichend bestimmt sind, genügt ein Beschluss von Bundestag bzw Bundesrat[224]. Die Vorgaben des BVerfG wurden in §§ 2–4, 7–8 IntVG bzw § 5–6 IntVG umgesetzt.
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Strittig ist das Verhältnis von Art. 23 Abs. 1 S. 2 zu S. 3 GG. Während Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG wie bereits zuvor Art. 24 Abs. 1 GG für die Übertragung von Hoheitsrechten ein einfaches (jetzt in jedem Fall zustimmungsbedürftiges) Gesetz genügen lässt, verlangt Satz 3 für die Begründung und jede Änderung des Unionsvertrags, durch die das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder durch die dieses ermöglicht wird, ein verfassungsänderndes Gesetz gemäß Art. 79 Abs. 2 GG. Problematisch ist, dass jede Kompetenzübertragung bereits durch sich selbst inhaltlich die Verfassung berührt. Daher wird gefordert, Satz 3 restriktiv so zu interpretieren, dass ein Übertragungsakt nur dann der verfassungsändernden Mehrheit bedürfe, wenn er über die Übertragung hinaus Verfassungsinhalte betrifft; denn andernfalls liefe Satz 2 leer. Dagegen spricht aber, dass einer am materiell-rechtlichen Gehalt der jeweiligen Hoheitsrechtsübertragung orientierten Abgrenzung die hinreichende Bestimmtheit fehlt[225]. Das BVerfG hat sich im Lissabon-Urteil in der entscheidenden Frage des ordentlichen Vertragsänderungsverfahrens (Art. 48 Abs. 2–5 EUV) und des vereinfachten Änderungsverfahrens gemäß Art. 48 Abs. 6 EUV auch nicht präzise festgelegt, wann ein Gesetz im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 2 oder S. 3 GG erforderlich ist[226].