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c) Beeinträchtigung durch die Europäische Union
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Da sich die Verpflichtungen aus dem Unionsrecht an den Gesamtstaat ohne Rücksicht auf dessen innerstaatliche Verfassungsstruktur richten, werden autonome Gemeinschaften dadurch insoweit tangiert, als ihre innerstaatlich begründeten Kompetenzen betroffen werden.
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Unionsrechtliche Kompetenznormen schließen in ihrer Reichweite und Intensität auch die Gesetzgebungszuständigkeit von Gebietskörperschaften aus. Bei den deutschen Bundesländern ist dadurch zB die Agrarstrukturpolitik betroffen.
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Unionsrechtliche Sachnormen beschränken die Möglichkeit der Gebietskörperschaften zu eigenverantwortlicher Politikgestaltung. So setzen zB Art. 107 ff AEUV der Wirtschaftsförderung Schranken (vgl Fall 3, Rn 194). Auch die Bereiche Bildung und Kultur sind davon betroffen (vgl Rn 391). Die unionsrechtliche Kontrolle kann sich ebenfalls auf die Aufgabenerfüllung der Kommunen auswirken (zB Umweltrecht, Vergabe öffentlicher Aufträge[124]).
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Beispiel (nach EuGH, Rs 103/88, Fratelli Costanzo/Stadt Mailand, Slg 1989, 1839):
Die RL 71/305 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge[125] bestimmt, wann Angebote bei öffentlichen Ausschreibungen auszuschließen sind. 1987 erließ Italien ein Gesetz, das für die Vergabe von Aufträgen zum Bau von Fußballstadien für die Weltmeisterschaft 1990 Bestimmungen enthielt, die von der Richtlinie abwichen. Als eine Firma von der Stadt Mailand auf Grund dieser Bestimmungen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde, erhob sie dagegen Klage.
Das zuständige italienische Gericht legte im Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV (vgl Rn 700 ff) dem EuGH eine Reihe von Fragen zur Auslegung dieser Richtlinie vor. Der EuGH entschied ua, dass die fraglichen Bestimmungen der Richtlinie unmittelbare Wirkung entfalteten (vgl dazu Rn 493 ff). Wenn sich die Einzelnen unter den dafür geltenden Voraussetzungen auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen könnten, so deshalb, weil die Verpflichtungen, die sich aus diesen Bestimmungen ergeben, für alle Behörden der Mitgliedstaaten gelten. Es wäre widersprüchlich, diese Berufung zuzulassen, die Verpflichtung der Verwaltung aber zu verneinen, die Bestimmungen der Richtlinie dadurch einzuhalten, dass sie die Vorschriften des nationalen Rechts, die damit nicht im Einklang stehen, unangewendet lässt. Folglich seien alle Träger der Verwaltung einschließlich der Gemeinden und der sonstigen Gebietskörperschaften verpflichtet, die Bestimmungen von Richtlinien, die unmittelbare Wirkung entfalten, anzuwenden. Zum Problem der Pflicht nationaler Behörden, unionsrechtswidriges nationales Recht nicht anzuwenden, s. Rn 267.
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Soweit Gebietskörperschaften an der Gesetzgebung des Zentralstaats mitwirken (zB die deutschen Bundesländer über den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes, Art. 50 GG), werden diese Kompetenzen auch durch dessen Kompetenzverlust berührt.
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Soweit Gebietskörperschaften für den Vollzug des Unionsrechts zuständig sind (zB die deutschen Bundesländer einschließlich der Kommunen), haftet dafür der Zentralstaat, weshalb sie dazu verfassungsrechtlich verpflichtet werden (in Deutschland durch den Grundsatz der Bundestreue iVm Art. 23 Abs. 1 GG, vgl dazu Rn 599; für die neuen Bundesländer vgl Art. 10 Abs. 3 Einigungsvertrag[126]). Dadurch wird Verwaltungs- und Finanzkapazität gebunden.