Читать книгу Maminkas Sommerküche - Rumjana Zacharieva - Страница 10
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ОглавлениеMaminka kochte die beste Brennnesselsuppe, die ich je gegessen habe. Im Frühjahr, ehe der Spinat noch ans Wachsen dachte, war sie schon da. Wir alle, geplagt vom grünen Hunger, konnten das erste Grün nicht abwarten. Unsere Bäuche, verwöhnt, gereizt und einen Winter lang geplagt durch das sauer eingelegte Gemüse, »den Wintersalat«, wie man es nannte, und durch das Sauerkraut, sehnten uns nach einem frischen Blatt. Und das erste Essbare, das man entlang der Steinmauern und unter den Holzstapeln fand, war die Brennnessel. Wir bereiteten daraus den ersten Frühlingssalat, die erste Frühlingssuppe und sogar den ersten grünen Auflauf mit Reis, Zwiebeln und Eiern. Die Brennnessel gab es fast das ganze Jahr über bis zum späten Herbst, doch sie verlor ihre Anziehungskraft, sobald der Kopfsalat, die Radieschen und die Lauchzwiebeln geerntet wurden. Im Sommer kam es höchst selten vor, dass man eine Brennnesselsuppe vorgesetzt bekam; die gab es nur dann, wenn Großvater großen Hunger hatte und es nicht abwarten könnte, dass das eigentliche Essen auf dem Herd fertig war.
Wir gehen durch das leere Dorf. Es ist heiß und staubig. Wir nähern uns der Blindengasse und ziehen unsere Schuhe aus. Der Staub glüht – ein vertrautes Gefühl. Ich beobachte Großmutters Füße.
»Warum hast du nur vier Zehen, Maminka?«
»Djado Minko, dein Urgroßvater, hat mir den einen Zeh abgeschnitten, als ich klein war ...«
Die Sonne prallt auf meinen Kopf.
»So klein wie du, Mila.«
Und während ihre dünnen Lippen die einzelnen Worte formen, schaudert es mich; sie ist es nicht, die spricht, ich bin es, die von damals ausrückt, und während ich dies heute erzähle, werden die Mila und die Maminka eins. Djado Minko nähert sich, mit dem Taschenmesser in der Hand, dem Kind.
»Es tut nicht weh, pass auf, es tut nicht weh ... Der Zeh muss weg, sonst stirbst du ... mit einem blauen Pickel ist nicht zu spaßen!«
Da schreit ein Kind durch die Blindengasse, der Schmerz zerschellt an den Fensterscheiben, die Fensterscheiben sind mit Reispapier versperrt. Das Dorf ist leer, und der Schrei verdampft an den Wänden der heißen Häuser. Da brüllt ein Kind vierzig Jahre zurück in der Zeit und fast dreißig Jahre vorwärts, bis der Klageton eins wird und zu Buchstaben erstarrt. Da tritt plötzlich die alte Frau aus dem Kind heraus, setzt sich an den Rand der staubigen Straße, aus der einen werden zwei.
»Ist ja gut, mein Kind, es hat nur ganz kurz wehgetan ... hast du denn schon wieder kein Taschentuch? Mila! Wie oft soll ich dir das sagen, der Djado Minko hat es richtig gemacht! Er hat das Messer vorher in den Schnaps getaucht, und wie du siehst, lebe ich noch!«
Ich stand auf. Meine Handflächen waren feucht geworden, und ich merkte, dass ich vor Angst einen steifen Hals bekommen hatte. Maminka zog die Gummigaloschen wieder an, holte die Lederhandschuhe aus dem bunten Säckchen heraus, zog sie an und trat in die Brennnesseln hinein. Sie suchte die jüngsten Pflanzen, die an den Wurzeln seitwärts sprossen, und verstaute sie in ihrem Wollsäckchen. Ich zog meine Schlappen auch an. Die durchgeschwitzten Socken ließ ich in der Sonne lüften. Dann nahm ich den Holzkamm und beugte mich über das kleine Meer Kamille, das die Brennnesseln umgab. Der Kamm hatte vierundzwanzig Zähne; es passten genau dreiundzwanzig Kamillenblüten hinein. Ein Schwung mit dem Kamm durch die Kamille und hochziehen, als würde ich die Blüten kämmen. Die Hälfte fiel sofort wieder auf den Boden. Der Grund meiner Tasse wurde mit dem Rest der Blüten kaum bedeckt. Ob ich schon zehn Gramm gepflückt habe? Ich muss unbedingt einen richtigen Kamillenpflücker haben, sonst bin ich erledigt, dachte ich unentwegt.
Nach einer halben Stunde war meine Tasse fast voll, Maminkas Wollsäckchen mit den Brennnesseln auch, und wir machten uns auf den Weg nach Hause.
»Wie viel hab’ ich denn wohl gepflückt, Maminka?«, versuchte ich das Gewicht in der vollen Tasse zu schätzen. »100 Gramm vielleicht?«
»Höchstens fünfzig, Mila ... doch bis Montag sind es nur noch 25 Gramm.« Maminkas Antwort traf mich völlig unvorbereitet. Die Kamille trocknete schnell aus, das war es! Ich schaute sie verzweifelt an. »... wir packen das schon!«, klang Großmutter sicher, aber ich war untröstlich. Später erfuhr ich, dass man uns drei Kilo getrocknete oder sieben Kilo frische Kamille als erfüllte Norm anerkannte.
Aber erst viel später.