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Jeden Abend saßen die Frauen der Nachbarschaft auf der Straße. Manche auf dem Bürgersteig, andere auf der Bank vor unserem Haus. Es wurde gesponnen, gestrickt, aufgeribbelt, genäht; Kirschen wurden entsteint, Marmeladenrezepte besprochen, Hochzeiten geplant. Dabei beobachtete man uns Kinder, wie wir in den Eingängen verschwanden, tuschelten, einander jagten und den Tag hinausschoben bis in die Nacht hinein.

Am Ende des Dorfplatzes, vor Lelja Petras Haus, versammelten sich die Brigadiere, planten das Bestellen der Felder, zankten sich um nicht korrekt aufgeschriebene Arbeitstage, die sogenannten Trudodni, und verließen den provisorischen Klub mit dem Auftrag, jeden an die nächste Volksfrontversammlung zu erinnern. Langsam dunkelten ihre Arbeitsjacken und -hosen nach, schemenhaft blieb nur ihre Bewegung übrig, die Umrisse der einzelnen Gestalten wurden gegen den Himmel schwarz gestanzt, hin und wieder glühten die von den Zigaretten erleuchteten Gesichter auf. Die Brigadiere verließen den Dorfplatz, während die Dorfgrillen um die Wette zirpten. Da zirpten die Sterne mit und zitterten, und vor lauter Zittern verloren sie hin und wieder den Halt und stürzten ab über der Wasserstelle. Da kehrten die Schafe zurück und die Pferde und die Frauen der Siebten Brigade, und das Weiß ihrer Augen und ihrer Kopftücher beunruhigte das Abendblau und die Männer auf dem Weg nach Hause.

Zu Hause folge ich Maminka in die Sommerküche.

»Wissen meine Eltern eigentlich, dass ich für die neuen Schulbücher sieben Kilo Kamille pflücken muss?«

Maminka zündet das Feuer an.

»Woher soll ich das denn wissen, Mila? Hast du es ihnen schon gesagt?« Das Grün ihrer Augen sieht gefährlich und fremd aus.

»Nein ... ich habe es ihnen noch nicht gesagt, aber ich dachte, du ...«

Großmutter legt einige grüne Paprikaschoten ins Feuer. Auf der Oberfläche der Schoten bilden sich Blasen, die Hautblasen blähen sich auf, werden schwarz, platzen auf.

»Lass es lieber sein, Mila.« Sie fasst die ersten heißen Paprikaschoten an, dreht sie um. »Deine Eltern machen sich nur Sorgen, und helfen können sie dir ja doch nicht!«

Und ich fürchte mich vor den Feuerzungen, die ihre Hand lecken, aber es macht ihr nichts aus. Mutters Hände würden das nicht aushalten. Die Haut der ersten Paprikaschote platzt auf, platzt laut, ein harmloses Geschoss in der Nacht.

»Ich weiß, Maminka ... ich tue es nicht ...«, und im nächsten Moment platzen die anderen Paprikaschoten auf.

Mit der Zeit lernte ich die feinen Abstufungen von Schweigen, Verschweigen und Lügen kennen und ertappte mich oft bei dem Versuch, mein Verhalten in diesem magischen Dreieck so unauffällig wie möglich Wurzeln schlagen zu lassen, und es gelang mir ausgezeichnet. Maminka und ich waren zwei Verbündete. Unsere Losung hieß: Die Eltern dürfen nicht aufgeregt werden! Also verschwieg sie ihnen fast alle meine Anginen und Kinderkrankheiten und erzählte davon erst hinterher, wenn alles längst vorbei und überstanden war. Und ich schob meinen Felsen von schlechtem Gewissen vor mir her.

»Du sollst ja nicht lügen, das hat sogar Gott befohlen ... aber er hat nicht gesagt, dass wir nicht schweigen dürfen ... nicht wahr, Mila?« Und Maminka schwieg.

Nein, lügen wollte sie nicht, und so verschwieg sie vor meinen Eltern alles, was ihre Vorstellung von unserem harmonischen Landleben trüben konnte: Großvaters Sauforgien in seiner ehemaligen, schon längst verstaatlichten Kneipe, die Prügel, die er ihr – auch in meinem Beisein – regelmäßig verabreichte, den Zank und den Streit um Geld, wie sie ihn immer tot wünschte, wenn er ihr mal wieder kein Geld gab ... Nie hatte sie eigenes Geld gehabt, nie hatte sie etwas kaufen dürfen ohne seine Erlaubnis, nicht mal Zucker und Salz. Er versoff es in regelmäßigen Abständen, dann blieb Djado tagelang weg, arbeitete Tag und Nacht, machte Überstunden mit dem Traktor, der ihm längst auch nicht mehr gehörte, fuhr plötzlich nach Devnja ans Meer und brachte Delphinfilet, schwarz und luftgetrocknet, in süßer Paprika und schwarzem Pfeffer gewälzt, mit.

»Esst, esst, damit ihr seht, was für eine Delikatesse das ist, das ist eine De-li-ka-tes-se, sag’ ich euch. Esst, sowas gibt’s nur einmal im Jahr!«

Später gab es das schwarze Delphinfilet nicht mehr; dann brachte er Mispeln, die wir länger als drei Tage auf einer Zeitung liegen ließen, bis sie braun wurden und ich sie zwischen den Zähnen ausquetschen und aussaugen und das weiche Fruchtfleisch von den Fingern ablecken durfte.

Maminka und ich waren Verbündete. Das Schweigen übte ich, das Verschweigen kam von selbst, und ich verfolgte mit Neugier Großmutters Hinübergleiten zum Lügen: mühelos und unbeschwert. Es kam mir vor, als ginge sie auf einer Hängebrücke, auf der sie schwebte, einem unsichtbaren Ufer entgegen, auf dem alles nur noch ihrer eigenen Vorstellung von Harmonie entsprach. Das Fesselnde daran war, dass diese Brücke mit einem Fuß in der Gegenwart ruhte, aber, irgendwelchen unglaublichen Gesetzen folgend, ohne einen zweiten Stützpunkt auskam: Maminka ging und knüpfte stets einen neuen Schritt, während sie mir die fertiggeknüpfte Brücke anbot. Ich schwebte zwischen Realität und Wunschvorstellung, und jeder Schritt war eine Bestätigung von ihrem Seiltanz zwischen Schweigen und Lügen. Manchmal drohte da etwas in mir zu reißen. Ich empfing Schläge, die mir von innen versetzt wurden, und ich übte mich, sie aufrecht zu empfangen. Niemals fragten meine Eltern, ob etwas schlecht gewesen sei, sondern immer nur, ob es gut gewesen sei.

Vater schneidet hauchdünne Scheiben von der luftgetrockneten Lukanka-Wurst ab. Wir sitzen draußen am Tisch, es ist ein warmer Sommerabend, Djado hat den Pflaumenschnaps in die Schnapsgläser eingefüllt.

»Wie war es denn vorige Woche?« Vater steckt beiläufig eine hauchdünne Scheibe in den Mund. Mit »vorige Woche« meint er den Geburtstag von Djado Ilija, einem Verwandten.

»Schön war das.«

»Schön war das«, wiederholt auch Maminka, »es war wirklich schön«, bestätigt sie sogar und schon hat sie mir einen Blick zugeworfen. Und ich sehe meinen Großvater mit blutunterlaufenen Augen zum Messer greifen, das Messer dicht vor dem Gesicht seines Schwagers schwenken.

»Es war eine schöne Geburtstagsfeier.« Großmutter richtet die Zwiebeln und die Gurken und die Tomaten auf dem Teller an. »Mamka wi!«, dieser obszöne Fluch ... und das Messer steckt mit der Spitze in der Tischplatte dicht vor dem Teller des Schwagers, der, blass vor Angst, mit offenem Mund zittert und es nicht wagt, aufzustehen. Maminka bricht das selbstgebackene Fladenbrot an.

»Eine schöne Feier war das! Eine schöne Feier!«, wiederhole ich, ruhig wie sie, und ich erinnere mich nicht mehr an den Grund dieses Ausbruchs. Die »roten Ärsche« waren sicherlich schuld daran, und die roten Ärsche sind die Kommunisten, das weiß ich mit Sicherheit; aus Djados Flüchen geht immer hervor, dass es die Kommunisten sind. Etwas in mir zieht mich gewaltig zum Boden hinab, etwas möchte reißen und mir einen befreienden Schrei bescheren, aber der Schrei bleibt aus. Nur mein schlechtes Gewissen hält sich die Ohren zu und kauert sich unter den Tisch. Beiläufig versetze ich ihm einen knappen Fußtritt in den Hintern.

»Alles war schön, nur Baba Minka, die Schwägerin, hatte zu viele Peperoni ins Essen gegeben ... ihr wisst ja, wie scharf sie kocht!«

Maminkas Sommerküche

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