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Der Wunsch, etwas länger zu schlafen, war jeden Morgen unwiderstehlich. Wie lange hielt ich es mit geschlossenen Augen aus? Das Zittern der eigenen Wimpern war ein Zeichen des Wachseins, aber solange die Lider geschlossen blieben, war der Tag noch nicht da. Und er blieb draußen, vor dem Tor der Augen, sandte kleine Zeichen an mein Ohr, immer wieder die gleichen Zeichen: das Krähen der Hähne in Baba Penas Hof; das Gurren der Tauben im Geäst des wilden Nussbaumes unterm Fenster; die Stimmen der Frauen der Siebten Brigade, die sich im kurzen Schatten der Trauerweide mitten im Dorf – wie jeden Tag – versammelten, um mit Pferdekarren oder mit einem Laster aufs Feld gefahren zu werden; die Pfeife der Tante Mita, die wieder einmal ihre einzige Milchkuh zum Grasen trieb ... Dann sandte der Tag, jeder Tag von Neuem, seine Gerüche aus. Durch das offene Fenster drang Palatschinkenduft, gemischt mit Rauch und kühler Luft. Dann roch es nach gebranntem Zucker. Ich öffnete die Augen jedes Mal mit dem Gefühl, betrogen zu sein: die Hähne, die Tauben, die Frauen, die Pferdekarren, der Laster, die Mita Maneva mit der Milchkuh ... All das wurde immer zu einem Stück gekalkter Decke über meinem Kopf, wenn ich die Augen öffnete. Die Gewissheit jedoch, dass die Palatschinken noch da waren, ließ mich die Treppe hinuntersausen.

Die Sommerküche war ein dunkles, aus Lehmwänden und zwei winzigen Fenstern bestehendes, viereckiges Loch. Eine Höhle, in der die Gerüche meiner Kindheit dicht aufeinanderprallten, einander bekämpften und durchdrangen: heißes Sonnenblumenöl, Bohnenkraut, Vanille und gebrannter Zucker; Duft nach getrocknetem Mischobst aus Aprikosen, Quitten, Äpfeln und Pflaumen; Duft nach trocknenden Wollsocken und Lindenblüten, Knoblauch und frischgeschnittenen Zwiebeln, brennendem Holz und Essig. Maminka wusch ihr Haar ausschließlich mit Regenwasser und spülte es zum Schluss mit einer dünnen Essiglösung nach. Einmal in der Woche sah ich ihre Haare offen und berührte sie. Sie glänzten, gelöst, in regelmäßigen Wellen.

Ich betrat die Sommerküche. Meine Haut, gespannt von der Kälte der Morgenluft während des kurzen Laufs die offene Treppe hinunter an den Quittenbäumen vorbei, fühlte sich feucht und fast süßklebrig an, sobald mir die mit so vielen Gerüchen getränkte Wärme entgegenschlug. Maminkas Gesicht, verjüngt und gerötet vom Feuer, leuchtet im Halbdunkel der Sommerküche, heute noch, genau wie damals. Maminka schiebt mir gleich zwei Palatschinken auf den Teller. »Iss!«

Ich esse. Ich schaue ihr zu, wie sie die Haare löst, wie sie mit den flinken Bewegungen ihrer Finger die zwei langen Seile von Zöpfen löst und sich in eine Königin verwandelt. Mit dem Holzkamm kämmt sie das fließende Haar, das Haar aus Kupfer.

»Iss weiter, ich muss das ja auch mal machen, später hab’ ich keine Zeit«. Sie fühlt sich schuldig, dass sie die Pracht vor mir ausbreitet, Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter! Ich schaue ihr wie gebannt zu. Ist sie es, die kleine flinke Frau, die immer dem Wind Schulter und Stirn bietet, wenn sie mit leeren Händen den Hof durchquert oder Schweres die Kellertreppe hinaufschleppt, abgearbeitet und überwiegend schweigsam, dem Suff, dem Zorn, der Tyrannei Großvaters ausgesetzt? Ist sie es, meine Maminka, oder ist sie die Loreley oder Rapunzel, oder irgendeine Prinzessin, eine Königin aus den slawischen oder deutschen Märchen, die ich so gern lese?

Die Verwandlung Maminkas verzaubert mich, ich wage es nicht, den Tisch mit den Palatschinken zu verlassen, zu ihr zu gehen und mich umarmen zu lassen, die langen Haare im Gesicht zu spüren, nein, da darf nur die Sonne hin, die den Quittenbaum verlässt, das Fensterglas in tausend Kristallen bricht und in den Kupferhaaren meiner Maminka schwelgt. Ich schaue ihr zu, und mir wird bewusst, wie jung sie ist. Sie ist meine Großmutter, aber sie hätte meine Mutter sein können, denn Maminka ist jung und hübsch mit ihren Kupferhaaren und grünen Augen, mit ihrem schmalen Körper; aber vor lauter Arbeit und Kummer merkt keiner, wie hübsch sie ist. Nur ich.

Ich kaue langsam die Palatschinken mit der doppelt gekochten Quittenmarmelade. So treibt Maminka ihr den Schimmel aus: gekocht, verkocht, bis sie tot wird und von der ganzen Marmelade nichts als Zucker und ein köstlicher Geschmack übrigbleibt. Ich kaue, schaue ihr zu, und erst, wenn es anfängt, nach Essig zu riechen, bleibt vom Zauber nichts mehr übrig, nur zwei Seile von nassen Kupferzöpfen.

Die Sonne kehrt in den Quittenbaum zurück, kittet beim Hinausschlüpfen das Fensterglas; mich erfüllt ein bekanntes Gefühl: Ich habe viel Zeit vor mir, ich habe viel zu tun und weiß nicht, was ich zuerst tun soll. Maminka meint, ich soll zuerst spielen gehen.

»Und die Kamille?«

»Es braucht ja nicht gleich am ersten Tag zu sein«. Sie nippt an ihrem schwergesüßten Lindenblütentee.

Sie weiß, wie unglücklich ich bin, da es Sonntag ist und ich mir keinen Kamillenpflücker ausleihen kann. Beim Abräumen des Tisches verspricht sie mir, mit mir in die Blindengasse zu gehen und dort etwas Brennnesseln zu pflücken, während ich Kamille pflücke. Maminka steht langsam vom Tisch auf. Ihre Hand verselbstständigt sich, greift in die Tasche der ausgebleichten Schürze.

»Nimm ihn ...«, reicht mir ihren Holzkamm, der breite und dicke Zähne hat, »damit kannst du bis morgen Kamille pflücken, dann sehen wir weiter! Verlier ihn bloß nicht, ich habe keinen anderen!«

Ich laufe hinaus, ein letztes Bild im Kopf: Maminka gegen die Tür, im Gegenlicht, ruhig, undurchsichtig. Ein Schatten.

Maminkas Sommerküche

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