Читать книгу Maminkas Sommerküche - Rumjana Zacharieva - Страница 11

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Das Weib, das das Wort »verwöhnt« hatte fallenlassen, war längst weg. Das hatte ich schon mehrere Male gehört, fast immer, wenn mich meine Eltern an der Bushaltestelle abküssten. Ich mochte keine nassen Küsse und ließ sie nur zu, wenn es unumgänglich war.

Der Bus fährt ab.

Mich packt etwas an der Gurgel, so fest, als würde mir eine Schlinge umgelegt. Man zieht zwar nicht zu, aber die Angst vor der Schlinge reicht. Dann klammere ich mich an Mutters Hals fest. Der Schaffner blickt finster drein, es eilt ... Die nassen Küsse machen mir nichts mehr aus, mir läuft es gleichermaßen aus Nase und Augen. Meine Lippen schwellen an, die Haut spannt sich.

Der Bus fährt ab.

Ich klammere mich an Maminkas Hals fest, so fest, als würde ich selbst die Schlinge zuziehen, doch nicht mehr um meinen eigenen Hals. Ein unsichtbarer Scheibenwischer verschmiert meine Sicht.

Der Bus fährt ab.

Ich rieche ihn, ich höre ihn, ich fühle die Schwingungen des großen Körpers, vollgestopft mit neugierigen Blicken. Maminka und ich schreiten ganz langsam, als würden wir eine riesige Glaskugel zwischen uns tragen, als hätten wir Angst, sie würde beim ersten unvorsichtigen Wort oder Schritt einfach zerspringen. Mein Blick klärt sich mit jedem Schritt mehr; die Häuser sind wieder da, den Bordstein kann ich am Rande erkennen. Meine Muskeln werden auf einmal locker, fast weich, in mir breitet sich ein weiches, weißes Kissen aus. Das Kissen ist so groß, dass ich ganz darauf passe. Eingerollt in mir selbst, ruhig und frei‚ werde ich da liegen bis zum nächsten Mal.

In zwei Wochen besuchen uns Mutter und Vater wieder.

Nie wusste ich, wann der Bus ankam. Nie wusste ich, mit welchem Bus sie fuhren. Ich wusste nur, dass es heute sein sollte. So bestand Heute aus lauter ineinander verwobenen Spannungsmustern, die mit jeder vergangenen Stunde lichter und greller wurden: das Hinaufklettern auf die Fensterbank, das Überblicken des Dorfplatzes mit der Wasserstelle und dem langen, schmalen Trauerweidenschatten, der bis zum Mittag schrumpfte und den Platz freigab, dafür aber dicker wurde, um gegen Abend wieder lang und schmal zu werden ... Das Verharren mit Blick auf die Straße, das Steifwerden, das Ausmachen des ersten Staubwölkchens, das aus Richtung Stadt aufflammte ...

Erst waren es die Pferde der Kooperative, die zum Grasen getrieben wurden, die die Straße mit der zähen Masse ihrer Leiber überfluteten und unter meinem Fenster aus dem Nebel flossen. Ihr Fluss, aus bräunlich-glänzenden Wellen getrieben, verzweigte sich an der Wasserstelle, überquerte das Schattenfeld der Trauerweide, dröhnte mit tausend Hufen und mächtigem Schnauben, kehrte zur Straße zurück, floss weiter, zäh und gewaltig. Jetzt war das Flussbett der Straße trocken, besät mit Pferdemist, der in der Sonne dampfte und glänzte, bis sich die Staubwolken über ihn legten.

Wieder steif werden, warten.

Aus der schmalen, hohen Staubwolke taucht der Laster auf, der die Frauen der Siebten Brigade zur Arbeit fährt, ein uraltes, klappriges Dorftier, das einige Minuten im Schatten verschnauft und dann wieder losfährt, beladen mit Harken, Decken und Frauengeschwätz. Dann kommen die Schafe. Sie folgen ihrer eigenen breiten Spur aus Glockenklang und Hundegebell, aus klagendem »Bäääh«, durchstochen vom scharfen Pfeifton des Schäfers, der, vier Finger in den Mund gesteckt, die Herde treibt. Der niedrigen, wolligen Wolke folgt der erste Bus. Er kommt im langsamen Schafschritt heran, erst das Dach mit den Koffern, dann die steile, in der Sonne blinkende Glasfront, kommt die Biegung der unsichtbaren Straße heraufgezogen. Der Bus fährt langsam, zu langsam und zu gemütlich, der Bus treibt die Schafe vor sich her, als wäre er der Schäfer.

Manchmal hatte ich Glück und meine Eltern kamen schon mit dem ersten Bus an.

Dann war Heute schon am Vormittag vorbei, und wir drei suchten den ganzen Hof nach Überraschungen ab, die ich vorbereitet hatte: das neuentdeckte Taubennest im Geäst des Nussbaumes, das Mauseloch hinter dem Hühnerstall, das sich später als das Loch eines Marders entpuppte – aber erst, als Maminkas Hühner reihenweise erdrosselt gefunden wurden –, die im »anderen Zimmer« stehende Kiste mit den abgeschnittenen, langen braunen Zöpfen, zwanzig Jahre lang ...

Dann zeigten sie mir ihre Überraschungen, die so schön nach Stadt rochen: backsteinähnliche Marzipanwürfel, goldfarbene Äpfel, die mehlig waren und das ganze Zimmer mit ihrem Duft beherrschten, steinharte Brezeln, luftgetrocknet, die ich den ganzen Tag als Kette um den Hals trug und beknabberte, und zwei bis drei Liter Bosa, jenes beigebraune, dicke und aus Weizen gebraute Getränk, das süß und sehr nahrhaft war und nicht so sauer wie die abgestandene Bosa im dörflichen Süßwarengeschäft ...

Lange wurde gegessen und gesprochen. Es wurde nur Schönes gesprochen: Wir waren immer gesund gewesen, auch wenn ich gerade die Masern hinter mich gebracht hatte; Maminka und Djado hatten sich immer prächtig verstanden, auch wenn er sie gerade am Tag davor verprügelt hatte ...

Dann gingen meine Eltern und ich spazieren.

Ich gehe zwischen den beiden, halte ihre Hände fest, balanciere die riesige Schleife auf meinem Kopf, bin rot bis zum Haaransatz. Sie sind da ... Gelegentlich küsse ich Vaters Hemdsärmel, der so schön nach Waschpulver und Staub riecht, streichele Mutters Ellenbogen, der so komisch runzelig und hilflos an ihrem dunklen glatten Arm klebt.

Das ist es wohl, was die Bauern meinen, wenn sie mich anstarren. Das ist es, wenn sie denken, dass ich verwöhnt bin: »Verwöhnt«. Ein schönes Wort war das nicht, und ich trug es wie einen Stempel auf der Stirn. Was war es, das mir dieses Wort eintrug? Etwas mit mir schien nicht in Ordnung. Ich musste unbedingt dahinterkommen!

Maminkas Sommerküche

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