Читать книгу Maminkas Sommerküche - Rumjana Zacharieva - Страница 16

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So wie es ein »anderes Zimmer« gab, gab es auch die »andere Großmutter«, Vaters Mutter, zu der ich in den Sommerferien fuhr.

»Da war die Sache mit den Pilzen«, fing ich eines Tages an, »die ich niemandem erzählen werde, noch nicht mal, wenn mich die Faschisten auf den elektrischen Stuhl fesseln würden, würde ich darüber reden.«

Und Mara lächelte spöttisch:

»Warum sprichste denn davon, wenn du es mir doch gar nicht sagen willst ...?«

Und ich schwieg.

Es geschah in den ersten Schulferien, die ich bei Baba Dotschka, der »anderen Großmutter«, verbrachte. Ich wurde von unserer Nachbarin Kaka Welitschka zum Abendbrot eingeladen. »Du kannst auch bei mir schlafen«, und ich war überglücklich. Mir war, als würde ich bei Mutter schlafen. Kaka Welitschka war eine schöne, schwarzhaarige junge Frau mit ganz heller Haut und pechschwarzen Augen. Sie ähnelte meiner Mutter erstaunlich in ihrer ganzen Erscheinung, in ihrer zärtlichen Art. Bloß die Augen waren anders. Mutters Augen waren hell wie Honig. Kaka Welitschka war für mich an jenem Abend meine Mutter, die ich seit einem Monat nicht mehr gesehen hatte, und ich war bereit, alles für sie zu tun, alles, wozu sie mich nur aufforderte, ich wollte nur brav und glücklich sein.

Ihr Haus war für mich jahrelang der Inbegriff eines großen städtischen Hauses, obwohl es im Dorf stand. Es war sauber, kühl, ordentlich, mit einer Freitreppe, Kacheln davor, und mit einer richtigen Holztreppe innen, die zum Obergeschoss führte. Es gab dort große Schränke mit dunkler Politur und winzigen gehäkelten Deckchen darauf, es gab sogar Blumen in Blumentöpfen, die ich kaum kannte. An unseren Fensterbänken in der Stadt würde nicht mal Unkraut gedeihen, seitdem uns das neue Wohnhaus vors Fenster gebaut worden war und uns den letzten Rest Sonne wegnahm, und bei Maminka wuchs nur Tomaten- und Paprikasaat an den Fenstern. Hin und wieder gab es dort eine Geranie, die aber schnellstens in den Garten verpflanzt wurde, sobald die Sonne warm genug war. So wuchsen Blumen und Gemüse nebeneinander, und das Blumenzüchten wie in Kaka Welitschkas Haus war mir unbekannt. Welch einen Aufwand sie beim Tischdecken trieb! Weiße Tischdecke, ein großer flacher Teller vor mir, darauf eine kleine hübsche Porzellanschüssel für die Suppe.

»So eine Verschwendung«, sagte ich, »du hast wohl viel Zeit!«

Bei uns zu Hause in der Stadt wurde der Tisch nur am Sonntag auf diese Weise gedeckt. Sonst wurde ein Papierbogen oder eine Zeitung auf dem Tisch ausgelegt. Das Papier fing die Suppentropfen und die Brotkrümel auf. Das Tuch blieb sauber, und die zusammengeknüllte Zeitung wanderte in den Mülleimer. Diese weiße Decke, das feine Geschirr, das viele Geschirr für das bisschen Essen ... So ein Unterschied zu dem Henkelmann, den meine Eltern aus der Schulmensa mit nach Hause brachten! Ich hätte Kaka Welitschka gerne gefragt, was sie eigentlich war, was für einen Beruf sie hatte, aber ich konnte es nicht. Die Bäuerinnen mit ihrer ledernen Haut und die Frauen aus der Stadt mit ihrem gehetzten Blick ... Kaka Welitschka schien ganz anders zu sein mit ihren ruhigen Bewegungen, mit ihrem Blick, der »Ich habe viel Zeit!« zu sagen schien. Ich wollte sie nicht fragen, und ich fragte sie doch.

»Ich bin das, was du hier siehst, Kleines ... das hier ...«, und sie schaute sich um und schwenkte den Arm durch den Raum. Der Bogen umfasste nicht nur das Wohnzimmer samt den Blumentöpfen, der geschwungenen Holztreppe und den gehäkelten Deckchen, sondern das ganze Haus von innen und außen samt Garten und Hof. »Ich bin eine Domakinja, eine Hausfrau, das bin ich!« Sie zuckte mit den molligrunden Schultern, als wären ihr Ameisen den Rücken hinaufgelaufen. Das Wort »Domakinja« kam mir immer fremd und geziert vor, es war mir immer peinlich, es auszusprechen.

»Heißt du denn so, weil du eine Frau bist, die bloß zu Hause sitzt: Haus-Frau?«

Kaka Welitschka schlug sich mit den Händen auf die Oberschenkel, genauso wie es die Bäuerinnen taten, wenn sie plötzlich erfreut oder überrascht waren, und ich wurde dieses peinliche Gefühl, das mir dieses fremde Wort verursachte, auf einmal los.

»Weißt du eigentlich, wie viel Arbeit es in einem Haus wie diesem gibt, Kind? Nimm doch nur den Abwasch ...« – sie füllte mir die Schüssel mit Suppe – »... wir sind ja vier Personen!«

Und auf meine Bemerkung: »Du hast aber auch viele Teller auf dem Tisch, kein Wunder, dass du so viel spülen musst«, lächelte sie nur.

»Hier, nimm von den Pilzen!«

Ich bekam einen Klacks Sauce mit Pilzen, dazu frisches Brot. »Der Schwiegervater hat sie in der Frühe selbst gesammelt.« Ich probierte vorsichtig das unbekannte Essen. Ich wusste nur: Pilze waren Mutters Lieblingsessen. Also schmeckten sie mir. Da ich die Hühnersuppe vorher gegessen hatte, probierte ich nur und ließ alles stehen.

Danach brachte Kaka Welitschka eine Schüssel voll Kirschen, klein und schwarz. Ich sah durch die offene Tür hinaus: Auf den Kacheln platzten bei jedem leichten Windstoß die kleinen schwarzen, überreifen Kirschen und hinterließen dunkelrote, fast blaue Kränze. Bienen und Wespen stürzten sich gierig darauf.

Die Schatten im Zimmer dehnen sich, werden schräger. Die Wände leuchten abendlich rot. Die Sonne platzt hinter dem Kirschbaum und hinterlässt rotblaue Kränze am Himmel. Die dunklen, süßen Früchte der Erwartung in mir sind auch zum Platzen reif. Mutter, die ich so lange nicht gesehen habe, lauert irgendwo in der Nähe, Kaka Welitschka reicht mir die Hand, jetzt ist es soweit, und wir steigen die Holztreppe hinauf. Durch das Treppengeländer sehe ich, wie die Schatten der Topfpflanzen mit den Schatten der Stuhllehnen eins werden: Das ist die Nacht.

Kaka Welitschka machte nur ein winziges Lämpchen an, streifte die Decke zurück und fing an, sich auszuziehen. Ich schämte mich wegen der Brüste, doch ich blickte hin und stellte fest, dass sie fast keine Warzen besaß. Mutters Brüste dagegen waren anders: Die Brustwarzen waren groß und braun. Vielleicht waren Mutters Brüste auch mal so rosig, so anders ... In ihrem weißen Nachthemd und mit den schulterlangen schwarzen Haaren sah ich Schneewittchen und Mutter zugleich. Mich fror es, und ich schlüpfte in die kühlen Laken, legte mich auf die Seite, machte mich klein und dachte, dass ich sie gar nicht berühren sollte, damit der Zauber nicht verging. Sie nahm mich aber in den Arm, küsste mich auf die Stirn:

»Gute Nacht, mein Kleines«, und ich sank in ihren Duft und schlief ein.

Ich sinke in eine Flut aus Haut und regelmäßigen Atemzügen. Ich sehe das Meer, spiegelglatt. Ich schwebe auf einer unsichtbaren Luftmatratze, schwebe über dem grünen Wasser und schlafe. Ich sehe, wie sich die Oberfläche des Meeres kräuselt, die Luftmatratze wird von einer Welle erfasst und beinahe umgeschmissen. Ich spüre die Welle von innen, in mir selbst, obwohl ich gleichzeitig sehe, wie sie aufsteigt und mich umzureißen droht. Da kommen neue Wellen auf mich zu, ich verliere das Gleichgewicht und werde irgendwohin geschleudert.

Mein Kopf dröhnt – werde wach – und tut weh, ich schreie, und übergebe mich.

Kaka Welitschka sprang auf, hielt mich fest. »Die Pilze! Die Pilze!« Ich zitterte am ganzen Leib. »Schwöre mir, dass du es niemandem sagst, Kleines!«, und mich schüttelte es, dass mir die Zähne klapperten. »Beim Leben deiner Mutter, sag nichts, bitte! Sag nichts, Kleines!« Meine Zähne klapperten weiter, und ich übergab mich mehrmals, bis ich völlig erschöpft ins Bett zurücksank.

Als ich die Augen endgültig aufschlug, massierte mich Kaka Welitschka mit einem heißen nassen Leinentuch. Sie bekreuzigte mich ein paarmal, und ich schämte mich wegen dieser Bewegung und wunderte mich, dass sie mich bekreuzigte, da ich doch nie im Leben mit Gott zu tun gehabt hatte.

»Ich sag’ wirklich nichts, ich schwöre es dir!« Später kam die Angst.

Heute weiß ich, dass es nicht die Angst vor dem Sterben war. Es war die Angst vor dem Umsonststerben.

Maminkas Sommerküche

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