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In der Nacht war ich wieder Soja Kosmodemjanskaja. Die Faschisten hatten »Du und Ich« im Strohkissen gefunden und rissen mir die Zähne aus, einen nach dem anderen. Dann zogen sie mir die Haut ab und machten aus ihr Lampenschirme. Zum Schluss hielten sie mir die Riesenzeichnung mit dem männlichen Geschlecht vor Augen und fragten: »Haben Sie?« – »Ja«, antwortete ich, »ich habe«, und einer von ihnen führte mich an Kaka Donka vorbei – »Abführen! Heil!« –, die mir mit nassen Haaren nachlief und mir unbedingt die selbstgekochte Schweineschwartenseife zustecken wollte, »nimm sie mit, im Lager gibt es nichts zu essen!« Die ganze Nacht hatte ich eine einzige Aufgabe zu erfüllen, die ich mir irgendwann einmal selbst gestellt zu haben schien: schweigen, die Schmerzen lautlos ertragen, ein Beispiel für die Nachwelt werden, ein Denkmal bekommen, mich im Kalten Krieg bewähren.

Ich öffnete die Augen und war enttäuscht, dass ich geträumt hatte. Ich beneidete Soja Kosmodemjanskaja und setzte auf den Kalten Krieg. Vielleicht war es mir beschieden, mich im Kalten Krieg zu beweisen. Und wieder dachte ich an die Kamille. Die Kamille war lächerlich als Bewährungsprobe, auch wenn der Organisationsleiter die Erfüllung der Norm als Heldentat pries. Alles Ersatz, dachte ich: statt Heldentod im Partisanenkrieg oder an der Front – Kalter Krieg im Radio! Statt Untergrundkampf – Kamille! Ich beneidete Soja Kosmodemjanskaja und Mitko Palausov, den jüngsten bulgarischen Partisanen im antifaschistischen Kampf, für ihre heldenhafte Kindheit und wollte für die Freiheit sterben; aber ich starb nicht, nicht mal im Traum. Stattdessen plagte ich mich mit Gedanken an Kamille und Pflichtlektüre und suchte mir alle möglichen Beschäftigungen. Mich an etwas erinnern war schön. An unser Schaf zum Beispiel.

Das alte Schaf Wakla gebar ein Lämmchen, ein schwarzes, ein wunderbares. Im Februar, ungewöhnlich genug, war sie soweit, wie mir Maminka anvertraute. Großmutter setzte voraus, dass ich wusste – oder auch nicht – wie es dorthin, in ihren Bauch nämlich, gelangt war. Wakla hatte unseren Stall und Hof noch niemals verlassen. Daher dachte ich mir, dass es bei den Schafen anders sein müsse als bei den Hennen, die Eier legten. Darauf sagte Mara, meine Freundin, dass ich dumm sei:

»Wir haben drei Schafe und ganze vier Lämmer, ich weiß Bescheid!«

Und ich wusste, dass sie Bescheid wusste.

»Unauffällig, vielleicht sogar in der Nacht, muss dein Großvater das Schaf an den Mann gebracht haben.«

Und ich wusste nicht, an welchen Mann.

Mara empörte sich über mein Unwissen:

»Na so was! Doch nicht an einen Mann, sondern zu einem männlichen Schaf natürlich! Es hat sie bestiegen«, so sagte sie, »bestiegen!« – und das hörte sich an nach »Einen-Berg-besteigen« –, »und sie ist trächtig geworden, so wie die Frauen schwanger werden. Klar?«

»Alles klar!«

»Oder ... Wakla war es schon, als sie gekauft wurde«, meinte Mara, was mir persönlich realistischer erschien.

An einem verschneiten Abend, ganz spät, hörte ich, dass man nebenan flüsternd irgendwelche Vorbereitungen traf.

»Leise, das Kind wird wach!«

Das Kind sprang aus dem Bett und zitterte am ganzen Leib vor Aufregung. Der Holzofen war längst ausgegangen, und die Fensterscheiben waren vereist.

»Ich komme mit!«

Djado blickte mich zornig an.

»Du bleibst hier und wartest!« Er nahm einen Eimer mit warmem Wasser, zog seine alte Lammfelljacke an und lief zum Stall.

Ich bekam Angst.

»Worauf soll ich denn warten, Maminka?«

»Wakla kriegt ein Lämmchen«, nahm mich Großmutter in den Arm; dann schob sie mich plötzlich weg: »Du musst nur schön hier warten! Wenn sie es hat, dann zeige ich es dir, und du darfst mit ihm spielen, aber erst morgen früh!«

Wer bringt es ihr denn?, wollte ich fragen, aber ich schwieg, da ich ahnte, dass Wakla das Lämmchen doch von niemandem gebracht kriegte, sondern ... sondern was? Maminka guckte mich besorgt an:

»Ich muss jetzt aber wirklich gehen, sonst wird Djado schimpfen«, und verließ die Wohnstube, eingemummt in ein Wolltuch, mit einer alten Decke im Arm.

Ich fühlte mich, als hätte ich hohes Fieber, als würde ich von etwas schrecklich Aufregendem träumen. Ich war nahe daran, ein fürchterliches Geheimnis aufzudecken. Hier sitzen und warten? Nein! Ich zog meine Stiefel an, Maminkas Strickjacke, setzte irgendetwas auf den Kopf und lief zum Stall. Ein Windstoß warf eine ganze Lawine Schnee über mich. Ich schloss meinen Mund fest, ging zum Stall, wo zwei Laternen brannten, doch traute ich mich zuerst nicht, hineinzugehen. Durch den Spalt zweier Bretter sah ich Großmutter und Großvater, die mit Wakla zu kämpfen schienen. Was machen die denn bloß mit ihr?

»Ist schon gut, gut so ... jaja ... noch ein bisschen ...«, hörte ich Maminkas liebevolle Stimme.

Plötzlich nahm Djado die Laterne vom Balken herunter und stellte sie auf den Boden; ich sank automatisch auf die Knie, tief in den Schnee, presste mein Gesicht zwischen die wackeligen Bretter und schaute gebannt in den Lichtkreis, und was ich da sah ... Ich war entsetzt. Maminkas Hand zog Wakla mit aller Kraft am Schwanz und massierte ihren runden Leib. Djado war irgendwie mit ihren Beinen beschäftigt, und dann auf einmal kam unter dem Schwanz der Kopf eines Lämmchens hervor. Ich biss mir in die Faust, um festzustellen, ob ich wachte oder träumte, und sah, wie ganz schnell im Lichtkreis aus Waklas Leib das ganze Lämmchen fluppte, blutbedeckt. Ich fror. Djado und Maminka freuten sich, Wakla drehte sich wohlig um, und ihre raue Zunge leckte das Kleine ... Plötzlich fiel es mir ein, dass ich hier erfrieren könnte, dass ich hier gar nicht sein durfte und dass ich etwas Fürchterliches gesehen hatte.

Ich stand auf, kämpfte mit dem Schnee und konnte meinen Mund nicht schließen. Der Weg zur Wohnstube schien mir unendlich. Wenn es bloß aufhören würde zu schneien! Dann weinte ich los, laut, so laut ich nur konnte, ich wollte sterben, ich starb nicht, Maminka kam, nahm mich an die Hand, und weiter wusste ich nicht mehr.

Als ich erwachte, war ich krank. Neben mir auf dem Boden, eingewickelt in die alte Decke, lag das schwarze Lämmchen, sauber, so glänzend und sauber, dass ich meinen Augen nicht trauen wollte. Mir wurde ein scheußliches Pulver gegeben. Es klebte am Gaumen und war bitter. Ich musste es hinunterschlucken. Erst dann durfte ich das Lämmchen streicheln. Dann schlief ich wieder ein. Zwei Wochen lang blieb ich im Bett. Draußen hörte es gar nicht mehr auf zu schneien.

»Sämtliche Bahnlinien in unserem Bezirk sind eingeschneit«, Maminka beugte sich über mich, »daher können deine Eltern nicht kommen. Die Donau ist zugefroren, die Wölfe vom anderen Ufer gehen auf dem Eis spazieren ... am helllichten Tage haben sie einen Mann und ein Kind gerissen, und das in der Stadt!«

Ich musste Maminka in die Hand versprechen, dass ich meinen Eltern nichts von der Krankheit sagen würde, wenn sie wieder da waren.

Maminkas Sommerküche

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