Читать книгу Maminkas Sommerküche - Rumjana Zacharieva - Страница 18
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ОглавлениеDer Sommer ist lang. Jede Geschichte ist lang. Und am Anfang jeder Geschichte, die Großvater oder Großmutter erzählen, befindet sich etwas Bestimmtes, ein Ding, das man anfassen und sehen kann: ein Kinderzeh, ein Knopf, ein verstümmelter Zeigefinger, eine Stricknadel, eine Goldsuchuhr, ein besoffenes Huhn sogar!
Da ist sie, »die goldene Truhe«, wie ich sie immer nenne. Jedes Mal wird mir ein wenig unheimlich, wenn wir uns dieser Truhe nähern. Sie ist mit blaugoldgrünem Blech beschlagen. Auf der Vorderseite entfalten zwei prächtige Pfauen ihre Flügel. Durch das Oberlicht linst ein Sonnenstrahl und verfängt sich in einem Auge der Federpracht; ich bin geblendet und glaube an irgendeine magische Kraft, die durch die geschlossene Truhe herüber zu mir dringt, und ich kann mich dagegen gar nicht wehren. Maminka streichelt den hübschen Deckel.
»Hast du Angst, Mila?«
»Ich habe keine Angst, ich nicht, nur meine Knie und mein Bauch haben Angst, nicht ich!« Und ich berühre das Blech, ahme ihre Berührung nach.
»Klack«, meldet sich die rostige Stimme des Verschlusses, und Maminkas Hände heben vorsichtig den gewölbten Deckel hoch. Ich atme den Geruch des Mottenpulvers ein. Großmutter hebt eine seit ewigen Zeiten nicht mehr getragene Bauerntracht heraus. Der schwarze Plisseerock, Karljanka genannt, fällt schwer unter dem Gewicht der roten Stickerei. Ich fahre mit erregten Fingern über den rauen, handgewebten Stoff.
»Sag bloß, ihr habt das auch im Sommer getragen!«
Sie holt das weiße Leinenhemd heraus. »Na klar! Wir haben ja höchstens zwei Röcke gehabt!« Reichlich weinrotschwarz bestickt ist das Hemd, und sie legt es vorsichtig an. »Nur das Hemd wurde öfter gewechselt, Mila.« Sie legt die Taille des Hemdes an ihre eigene, über der nicht allzu frischen Schürze ...
Und was war mit der Buxe?, will ich fragen, aber Maminka errät meine Gedanken.
»Und wenn es ganz heiß wurde, haben wir eben die Buxe ausgelassen! Aber wollten wir nicht den schönsten Knopf der Welt sehen?« Großmutter wechselt das Thema schneller, als mir lieb ist.
Ich würde sie gerne fragen, ob sie wie Urgroßmutter im Stehen gepinkelt hat ...
Der Mantel. Er ist schöner, als ich gedacht hatte. Ich kannte ihn nur aus Maminkas Erzählungen von der 1. Mai-Manifestation, wegen der Großvater meine Mutter fast umgebracht hätte ... Und da geht so ein Mädchen durch die Straßen und marschiert mit den Roten, während die Roten seinem Vater zu Hause alles unterm Hintern wegtragen, weil ihm nichts mehr gehört, weil alles dem Staat gehört, die Krempel und die Kneipe, der Traktor und die Mähmaschine und das ganze Land. Und die Kleine, die fast zwanzig ist, singt die Internationale, eine Aktivistin, hübsch wie ein Tautropfen, die dunklen Haare in zwei dicken Zöpfen – und der Mantel ... Sie sieht nicht nach Arbeiterklasse aus, da sie den Mantel trägt, den grünen Zaubermantel, der ihren verschlissenen Rock versteckt.
»Sieh dir das mal an! Die ist bestimmt aus Amerika angereist! Eine Dame ist das!«
»Ach was! Das ist doch die Tochter von Iwan Djulgerov ... die haben die Tante in Amerika ...«
Ich schaue mir den Mantel an, ich möchte meine Mutter sein, meine Mutter mit neunzehn, ich möchte eine Heldin sein, die weiß, dass sie zu Hause umgebracht wird, wenn sie mit den Roten marschiert und die Internationale singt, aber der Knopf, der Knopf ist am schönsten! Er ist fast so groß wie meine Handfläche, bloß die Finger ragen darüber hinaus. Er ist durchsichtig und sieht aus wie eine runde Blume, bloß die Spitzen der Blüte sind schwarz. Der olivfarbene Wollstoff schimmert hindurch, und der Knopf sieht grün aus.
Maminka legt den Mantel vorsichtig in die Truhe zurück.
»Daraus machen wir einen tollen Mantel für dich, Mila, so wie ich früher die Röcke deiner Mutter aus Djados Hosen genäht habe, es gab ja nichts!«
Ich würde gern den Mantel tragen, ich möchte auch, dass sich die Leute nach mir umdrehen, ich möchte auch die Internationale lauthals singen, nur: Auf mich wartet niemand zu Hause, der mich umbringen will ... Und egal, was ich tue, es ist nie eine Heldentat! Ich möchte Soja Kosmodemjanskaja, Rajna die Königin und meine Mutter zugleich sein, ich möchte für die Freiheit sterben, den schicken Mantel an.
»Was hat denn Djado eigentlich getan, als er erfahren hatte, dass Mutter ...«
»Was soll er schon getan haben?« Maminka klappt den Deckel zu. »Er ist aus Protest gegen die Mai-Manifestation in die Kneipe gegangen. Am anderen Morgen fand man ihn unter einem der Tische wieder, und deine Mutter war schon längst in die Stadt gefahren. Das waren Zeiten!«