Читать книгу Ambulante Pflege in der modernen Gesellschaft - Ruth Ketzer - Страница 13
2.3 Ort, Heimat, Wohnung – da wo wir leben
ОглавлениеDie Globalisierung unserer Welt das scheinbare Zusammenwachsen von Kulturen, Wirtschaftssystemen, Politiken fördert das Interesse der Menschen an heimatlichen und regionalen Bezügen. In diesem Kapitel sollen zunächst die Begriffe Heimat und Ort näher betrachtet werden. Im Anschluss daran werden am Fallbeispiel der Meiers die Bezüge zum Arbeitsbereich der ambulanten Pflege mit seinen Besonderheiten vorgestellt.
Die Begriffe Ort und Heimat werden in der Literatur oft synonym verwendet, eine klare Trennung der Begriffe wird in diesem Kapitel nicht vorgenommen.
Der Begriff »Heimat« taucht erstmal im 16. Jhd. auf und bedeutete das Land in dem geboren ist und war eng verknüpft mit Besitz von Haus und Hof. Menschen, die keinen Besitz hatten waren in diesen Zeiten heimatlos. Im 19. Jahrhundert veränderte sich das Verständnis von Heimat, hin zu einer Abgrenzung zu dem Anderen, dem Fremden und Heimat war demzufolge eine eigenständige Lebenseinheit (vgl. Klose 2013, S. 25). Heimat ist allgemeinbegrifflich der Ort, der Herkunft, der Beziehungen zu Menschen, eine spezielle Sprache (Dialekt), landschaftliche Topographien beinhaltet. Heimat bietet Vertrautes und Geborgenheit. In diesem Sozialraum entwickeln sich gemeinsame Geschichten, Ereignisse und Begebenheiten, Gerüchte oder Wahrheiten. Heimat ist aus der anthropologischen Perspektive kein statischer Ort, sondern sie kann sich auch an zunächst fremden Orten neu entwickeln. Mitzerlisch (2000) entwickelte drei Grundbedürfnisse von Menschen, die den Begriff Heimat konturieren:
1. Das Bedürfnis nach sozialer Einbindung, Zugehörigkeit, Anerkennung ist das psychologische Konzept des »Sense of Community«.
2. Das Bedürfnis nach Gestaltung, Beeinflussung und Handlungsfähigkeit, »Spuren hinterlassen« der »Sense of control«.
3. Das Bedürfnis nach Sinnstiftung Vertrautheit, Erzählungen, die mir die Welt erklären der »Sense of Coherence«.
»Das Bedürfnis zu wohnen und die Suche nach Heimat sind dem Menschen eigen und verwandt mit dem Bedürfnis nach Anerkennung und Teilhabe. So gehört die Überwindung von Entfremdung, Ausgrenzung und Isolation, und die umfassende Teilhabe am sozialen Leben unmittelbar zur Beheimatung.« (Klose 2013, S. 28)
Der Philosoph Martin Heidegger bringt diese Grenze in Bezug auf das Dasein des Menschen. Das Seiende, also der Mensch, impliziert das Entfernte und das bedeutet, dass in dem Dasein des Menschen immer auch das Entfernende und im weiteren Gedankengang die Abstände zu dem Entfernten enthalten sind. Dabei ist es unerheblich ob diese Abstände mit mathematischen Methoden gemessen werden können, sondern wichtig ist das, was in der subjektiven Wahrnehmung das Nächste ist. Das Nächste ist nicht unbedingt das, was einen kleinen Abstand zu der Person hat. Hierzu ein kleines Beispiel aus der Pflegepraxis; die Schwiegertochter, die täglich bei dem pflegebedürftigen Herrn Meier vorbeischaut, ist für ihn nicht unbedingt die Nächste, sondern dies ist vielleicht der eher weiter weg wohnende Freund aus der Schulzeit.
»Weil das Dasein wesenhaft räumlich ist in der Weise der Ent-fernung, hält sich der Umgang immer in einer von ihm je in einem gewissen Spielraum entfernten ›Umwelt‹ daher sehen wir über das abstandmäßig Nächste immer weg« (Heidegger 2016, in Mugerauer S. 57). Die Nähe, die der Begriff Heimat beinhaltet, vermittelt die Tendenzen, die in diesen Zeiten in der Gesellschaft von Bedeutung sind.
Menschen verlassen ihren Herkunftsort, weil der Aufbruch in die Ferne faszinierend erscheint. Der Mensch ist ein Reisender und ein ortsgebundenes Individuum zugleich. Im globalisierten Raum kann er keine Heimat finden, die Lebenswelten werden größer unübersichtlicher und kälter (vgl. Barlmeyer 2013, S. 115). Für Joachim Klose ist das emotionale Beziehungsfeld Heimat eine Voraussetzung für gesellschaftlich verbindliche Normen. Gerade in Zeiten wachsender Globalisierungsprozesse mit den einhergehenden Modernisierungsprozessen, Entwurzelungen und Entfremdung wächst der Wunsch nach Regionalisierung. Unterschiedliche Entwicklungsgeschichten- und Geschwindigkeiten moderner Gesellschaften sowie die Individualisierung der Lebensbereiche lassen den Wunsch nach einer Bezogenheit auf einen Ort verständlich werden5. (vgl. Klose 2013, S. 12)
Martin Drenthen bezeichnet diese Tendenzen als »sentimentalen Rückzug aus der globalisierten Welt« hin zu einem neuen Regionalismus (vgl. Drenthen 2016, S. 147). Es geht um die Besonderheiten, die ein Ort zu bieten hat und in der aktuellen Umweltethik werden die Verwurzelungen, die Verbundenheit und Geborgenheit, die der Ort, an dem Menschen leben, diskutiert. Dabei ist der Begriff Ort (place) ein zentraler Begriff der Sozialgeologie, der in 1970er Jahren im Wesentlichen von Yi-Fu Tuan geprägt wurde. Ihm ging es um die Unterscheidung des abstrakten Begriffes Raum (space) zu dem persönlich erfahrenen und erlebten Ort (place). Der Ort umfasst nicht nur geografische Merkmale, sondern er beinhaltet auch die Wertvorstellungen, Gefühle, Lebensweisen und Identitäten der einzelnen Menschen.
»Space is abstract. It content; it is broad, open, an empty. Inviting the imagination to fill it with substance and illusion; it is possibility and beckoning future. Place by contrast is the past and the present stability and achievement« (Tuan 1975, S. 164).
Die Ethik des Ortes ist lange Zeit in der Umweltethik vernachlässigt worden. Man beschäftigte sich eher mit den Konsequenzen der Globalisierung für die Menschen. Es wird davon ausgegangen, dass der »globalisierte« Mensch eher eine abstrakte und objektive Einstellung zum Leben einnehmen soll. Dies bedeutet in der Folge, dass der Mensch ein universales Wesen ist, das eher körperlos und abstrakt nirgendwo in der Welt zuhause ist. Schaut man konkret in die heutige Arbeitswelt so wird deutlich, dass sich dieser Ansatz häufig im Bereich der Arbeitsplatzflexibilität, verbunden mit häufigen Ortswechseln, wiederfindet. Man kann von einer Art Entwurzelung und Trennung von Lebenswelten (privat/beruflich) des Menschen sprechen. Diese Denkweise vernachlässigt das Ortsgefühl (sense of place), das Menschen zu Orten aufbauen. Eine wesentliche Bedeutung, ob jemand sich wohlfühlt oder nicht, hängt davon ab wie sich das Ortsgefühl entwickelt. Der Ort als jeweils spezifische Topografie ist nicht von außen verhandelbar, er lässt sich nur schwer in politischen und gesetzlichen Prozessen abbilden. Dabei gibt es Einflussfaktoren, wie Landschaften, Nachbarschaft, Freundschaften, personengebundene geschichtliche Bezüge und damit verbunden eine tiefe Verwurzelung, die Jim Cheney als »storied residence« bezeichnet (Cheney 1989).
Untermauert wird obiger Ansatz der Bedeutung des Ortes für den Menschen mit der Aussage des Biologen Humberto Maturana: »Lebende Systeme sind Interaktionseinheiten. Sie existieren in einer Umgebung. Von einem biologischen Standpunkt aus können sie nicht unabhängig von jenem Teil der Umgebung verstanden werden, mit dem sie interagieren […]« (vgl. Maturana 2000, S. 26).
Die Bezogenheit des Menschen auf seine direkte Umwelt ist ebenso lebensnotwendig und zwar nicht nur im Sinne der somatischen Komponente, sondern auch gerade auf sein näheres Umfeld. Es geht hier um die Mensch-Umwelt- und im Folgenden weiter ausgeführt, die Mensch-Wohnung- und Umwelt-Passung.