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Geleitwort Lukas Slotala

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Die häusliche Versorgung pflegedürftiger Menschen hat sich in der Bundesrepublik Deutschland zu dem bedeutsamsten Leistungsbereich der Pflegeversicherung entwickelt. 2018 lebten mit 2,87 Millionen Menschen rund 80 % aller Leistungsempfänger der Pflegeversicherung zu Hause – mehr als je zuvor. Die Ausgaben für ambulante Leistungen beliefen sich im Jahr 2018 auf 23,5 Milliarden Euro und sind in den zurückliegenden Jahren doppelt so schnell gestiegen als im stationären Bereich. Auch die Anzahl der ambulanten Pflegedienste und insbesondere der darin Beschäftigten hat außerordentlich stark zugelegt. Der rapide Ausbau pflegerischer Infrastruktur scheint jedoch noch lange nicht an Grenzen zu stoßen. Bedingt durch den demografischen Wandel ist zukünftig mit einem noch höheren Bedarf an ambulanten Pflegeangeboten und dafür benötigten Pflegefachpersonen zu rechnen.

Die Vorstellung von der gegenwärtigen ambulanten Pflege als wohltätige bedarfsentsprechende Hilfestellung für Menschen, die trotz gesundheitlicher Einschränkungen daheim und selbstbestimmt leben wollen, davon, dass die Inanspruchnahme der einzelnen häuslichen Pflegeleistungen, der regelmäßige Besuch durch eine Pflegefachperson, ergänzende materielle, beratende und entlastende Angebote für zu Hause lebende Pflegebedürftige und ihre Angehörigen entscheidend zur Verwirklichung des Credos »ambulant vor stationär« beitragen, und davon, dass die heute existierenden ambulanten Pflegeversorgungsstrukturen die beste Antwort auf einen stetig wachsenden Pflegebedarf sind, ist hierzulande im Bewusstsein der Bevölkerung und Politik tief verankert. Aber stimmt das?

Wie könnten ambulante Pflegeleistungen weiterentwickelt werden, wie könnte die häusliche Pflege als heil- und hilfstätige sowie präventive Versorgungsform besser gestaltet werden? Wie steht es denn eigentlich mit der Organisation und Finanzierung der täglich inzwischen millionenfach erbrachten Leistungen – ist das angemessen und zielführend?

Die kritischen Nachfragen sind berechtigt. Darüber darf das stetige Wachstum der Branche nicht hinwegtäuschen. Die Pflegeversicherung, vor 25 Jahren von Vielen als ein »großer Wurf« zur Absicherung von Pflegebedürftigkeit gefeiert, ermöglicht tatsächlich nur eine rationierte Unterstützung. Die Lücke zwischen dem realen Bedarf der Menschen und dem formalrechtlichen Leistungsumfang der Pflegeversicherung, häufig als Teilkasko-Charakter umschrieben, tritt in Form von steigenden Zuzahlungen mehr und mehr offen zu Tage. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Die beispiellose Mittelverknappung durch den Gesetzgeber im Rahmen der Gesundheitsversorgung hat zur Folge, dass die Pflegedienste unter einem dauerhaft massiven Kosten- und Spardruck stehen. Überraschend ist, dass die Auswirkungen dieser für das Gesundheitswesen einmaligen Konstruktion als »rationierte Sozialversicherungsleistungen« auf die Versorgungsqualität, die Versorgungsabläufe, Arbeitsbedingungen und die Angebotsstrukturen der Pflege kaum Eingang in die Debatte finden.

Gewiss, Kritik an den Bedingungen der Pflege ist zusehends sichtbar. Doch die Diskussion verläuft allzu oft oberflächig. Die Anerkennung der Brisanz und Gefahren rund um den Begriff des »Pflegenotstandes« ist neuerlich zwar wieder gewachsen und hat zu ersten politischen Korrekturen geführt.

Bei den in der Diskussion befindlichen Lösungsvorschlägen, die beispielsweise auf eine Erhöhung der Gehälter in der Pflege, der Sonderfinanzierung zusätzlicher Pflegestellen oder effektiveren (Qualitäts-)Kontrollen abstellen, handelt es sich um wichtige, jedoch zugleich weitgehend auch strukturimmanente Lösungsansätze. Die negativen Konsequenzen eines wohlfahrtsstaatlich stark limitierten Engagements für die Absicherung der Pflegerisiken und Gestaltung der Versorgung werden zwar moderiert, abgemildert oder zeitweise aufgehoben, nicht jedoch die dahinterliegenden fiskal- und pflegepolitischen sowie gesellschaftlichen Widersprüche. Das »Teilkasko-Konzept« der Pflegeversicherung wird nicht nachhaltig hinterfragt. Insoweit muss das Risiko als groß bemessen werden, dass die beabsichtigten Wirkungen »gut gemeinter« Einzelmaßnahmen größtenteils doch wieder verpuffen bzw. in der Umsetzung durch raffinierte und in der Binnenlogik auch legitime Gegenstrategien umgangen werden können.

Der vorliegende Band verdeutlicht die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer dezidiert kritischen wissenschaftlichen Strukturanalyse, die in ihrer Praxis die Perspektiven einer klinischen Pflegeforschung substantiell zu ergänzen und erweitern vermag. Es ist ein fundierter Beitrag zu einer längst fälligen sozial- und pflegewissenschaftlichen Diskussion über die derzeitigen Grundlagen der häuslichen Pflege, die Rahmenbedingungen dieses Arbeitsbereiches, die in diesem Zusammenhang stehenden Problematiken in der Versorgung durch Pflegefachpersonen – und damit zur Zukunft unseres Pflegesystems.

Lukas Slotala Würzburg, im Mai 2020
Ambulante Pflege in der modernen Gesellschaft

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