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2.5.1 Bedeutung von Fürsorge für das Ehepaar Meier am Beispiel der Care-Ethiken

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Im Folgenden wird der Begriff der Fürsorge in Bezug auf die Care-Ethiken näher betrachtet. Dabei werden in einem ersten Schritt in Kurzform ausgewählte Philosophinnen und Pflegeethikerinnen vorgestellt und in einem weiteren Schritt die Konsequenzen aus den Konzepten und Gedanken für das Ehepaar Meier gezogen.

Die Autoren Uzarewicz/Uzarewicz (2005) setzen sich in ihren Ausführungen mit dem modernen deutschen Sprachgebrauch des Wortes Pflege auseinander. So bilden sich um das Wort Pflege die Begriffe Sorge, Obhut, Betreuung, Pflicht. Die Autoren übersetzen diese Begrifflichkeiten »mit dem Einsatz für jemand Anderen«. »In der reflexiven Wendung ›sich für […] einsetzen‹ bleibt die Richtung offen; zum einen kann der Rückbezug auf sich selbst gemeint sein im Sinne für sich selbst einsetzen […] für jemanden oder etwas sorgen, sich für jemand anderen einsetzen.« (vgl. Uzarewicz & Uzarewicz 2005, S. 37).

Seit den frühen 1980iger Jahren hat sich in den USA eine breite Diskussion um die Care-Ethiken aus der feministischen Forschung heraus in der Pflegewissenschaft entwickelt, welche in Deutschland erst ansatzweise in der Pflege bekannt sind. In diesem Beitrag werden ausgewählte Dimensionen der Care-Ethiken dargestellt.

Worum geht es? In allen Care-Ethiken geht es um die Beziehung von Menschen zueinander und die fürsorgliche Haltung gegenüber Menschen. Patienten werden dabei als Individuen betrachtet und nicht in anonyme Gruppen klassifiziert. Dabei geht es in dieser Forschungsperspektive nicht ausschließlich um den Wettbewerbsgedanken zwischen Mann/Frau, sondern vorwiegend um die Sichtbarmachung von Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten sowie die Ausgestaltung von der Fürsorge schwacher und vulnerabler Menschen.

Nach Nel Noddings14 ist die individuelle Erfahrung, die jeder Mensch mit Pflege, z. B. in der Beziehung zwischen Mutter und Kind gemacht hat, prägend. Sie bezeichnet die Beziehung in einer Care-Interaktion als nicht rational. Die Natur von Pflege lässt sich nicht verallgemeinern und in Institutionen pressen (Noddings 1984, 1992). Dieser Ansatz ist nicht kritikfrei, so wird z. B. in der Kinderkrankenpflege die Mutter-Kind-Beziehung einseitig idealisiert, ohne die Rolle der professionellen Pflege in pflegerischen Arbeitsbereichen mit zu betrachten. Die Verschmelzung der Sorge um den Patienten mit der Sorge um sich selbst führt nach Hilde Nelson zum Selbst-Verlust der professionell Pflegenden (Nelson 1992).

Andere Sichtweisen auf den Begriff Care als Fürsorge entwickelte die Politikwissenschaftlerin Joan Tronto zusammen mit Berenice Fisher. Sie entwickelten zunächst vier Phasen, dann in 2013, die fünfte Phase zu der Bedeutung des Begriffes Care als Dimensionen für die Pflege:

1. Caring about: bedeutet »sich kümmern um« oder Anteilnahme und Aufmerksamkeit für den Pflegebedürftigen und dessen Angehörige. Caring about umfasst demnach die Anteilnahme und die Fähigkeit zu erkennen, wenn jemand Hilfe benötigt und in welcher Form genauso wie sich in die Lage des Anderen hineinzuversetzen (Empathie).

2. Taking care of: Übernahme von Verantwortung und Unterstützung. Es ist auch die Erkennung von den eigenen Grenzen notwendig, wenn es um die Aufmerksamkeit für Andere geht. Professionelle Pflege muss beurteilen können, welche Art der Unterstützung oder ob jemand die Expertise anderer Professionen benötigt.

3. Care giving: Pflege, die direkt auf den Bedarf eingeht und die Versorgung mit der notwendigen Kompetenz durchführt. Dabei sollte der Wissenstand immer aktuell sein.

4. Care receiving: die Pflege sollte vom Patienten und dessen Angerhörigen angenommen werden. Dabei ist es wichtig die Reaktion des Patienten auf die Pflege zu beachten und die Resonanz auf die Pflegemaßnahmen zu beurteilen.

5. Caring with: die Pflege mit Solidarität und Vertrauen unter den heutigen Rahmenbedingungen in der ambulanten Pflege, als ein wichtiger Faktor für die Betroffenen – hier das Ehepaar Meier. Fürsorge ist nach Tronto/Fisher immer die Suche und das Engagement nach den bestmöglichen Handlungen für die Betroffenen.

Tronto/Fisher sehen gerade in dem Bereich von taking care of die Bereitschaft und das Engagement der Pflegenden, deren Belange und Interessen auch in politische Debatten hinein zu tragen. Tronto blickt kritisch auf das Verhältnis zwischen Pflege und Demokratie, die beiden Systeme scheinen sich zu widersprechen. Demokratie strebt die Gleichberechtigung aller Bürger an, während in der Pflege die Asymmetrie in der Beziehung abhängig/unabhängig in der täglichen Praxis deutlich wird (Tronto 2000, 2014).

Elisabeth Conradi (2001) analysierte die Care-Ethiken und fasste die Erkenntnisse in neun Thesen:

1. Care bezeichnet menschliche Interaktionen.

2. Im Verlauf der Care-Interaktion entstehen Beziehungen.

3. Care ist gesellschaftliche Praxis und umfasst Bezogenheit und sorgende Aktivitäten.

4. Care umfasst das Zuwenden und die Annahme von Zuwendung.

5. Bei Care-Interaktionen gibt es eine Dynamik der Macht und sie sind oft asymmetrisch.

6. Achtung beruht nicht auf Autonomie, die an Care-Interaktionen Beteiligten sind unterschiedlich autonom.

7. Care-Verhältnisse sind in der Regel nicht reziprok. So ist das Schenken von Achtsamkeit nicht an Reziprozität gebunden.

8. Care-Interaktionen können auch nonverbal sein und sich etwa in körperlichen Berührungen ausdrücken.

9. Fühlen, Denken und Handeln sind in Care-Interaktionen ineinander verwoben.

Care hat für Conradi verschiedene Dimensionen, so kann der Begriff Tätigkeiten umfassen, die dann eine aktive und handelnde Seite zutage fördert, wie z. B. in These 3 und 9 beschrieben. Der interaktive Aspekt von Care ist für die beteiligten Patienten, pflegende Angehörige, Freunde, Nachbarn oder andere Professionen ein wichtiges Arbeitselement. (s. Thesen 1, 2, 5, 8) In den Interaktionen zwischen den Beteiligten der Pflege können Machtverhältnisse unterschiedlicher Art entstehen. Dies kann zur Folge haben, dass pflegende Angehörige und professionell Pflegende nicht genügend Anerkennung und Wertschätzung von Pflegebedürftigen oder der Gesellschaft bekommen. Das kann vielleicht daran liegen, dass der Pflegebedürftige nicht in der Lage ist sich adäquat auszudrücken oder kulturell bedingte Gründe vorliegen. Pflegende müssen damit rechnen, dass die angebotene Pflege zwar angenommen wird, jedoch nicht zwingend eine Antwort in Form von Anerkennung oder Wertschätzung erfolgt. Dieser Aspekt sollte mehr in das Bewusstsein der Akteure rücken, weil eine Überbewertung und Idealisierung von Anerkennung und Wertschätzung in Pflegebeziehungen zum Verlust der Berufsidentität führen kann.

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