Читать книгу Verlorenend Band III - S. G. Felix - Страница 10
Der Blick hinter den Schleier
ОглавлениеDie ersten Meter versuchte Antilius den Gräbern auszuweichen, da er nicht einfach so darauf herumtrampeln wollte. Es war ohnehin schwierig zu sagen, wo sich genau ein Grab unter einem Stein befand. Alles war von tristen, braunen Gräsern bedeckt. Aber vor ihnen lag regelrecht ein Labyrinth aus Steinen und Stelen. Sie waren überall in scheinbar loser Anordnung, sodass man gar nicht verhindern konnte, über ein Grab zu laufen.
Als sie endlich an der Ruine der Kapelle ankamen, hatte er das Gefühl, über hunderte Gräber gelaufen zu sein. Zu allem Überfluss scherzte Tirl noch darüber, dass es Unglück brächte, über die letzten Ruhestätten der Toten zu laufen.
Die verbliebenen Reste der Kapellenwände hoben sich wie ein riesiges Rechteck vom Erdboden ab. Eine verdorrte Eiche stand in der Mitte. Antilius schätzte, dass sie mindestens siebenhundert Jahre alt gewesen sein musste. Die Tatsache, dass sie mitten in der Ruine der Kapelle gewachsen war, deutete daraufhin, dass dieses Gebäude schon lange vorher zerfallen war.
»Auch das noch!«, klagte Tirl und schaute zum Himmel. Vereinzelte Schneeflöckchen rieselten herab. Selbst für diese Gegend war das schon sehr früh.
»Es wird bald dunkel, Meister. Sieh mal, ob du die Siobsistin entdecken kannst, ansonsten solltet ihr euch ein Lagerfeuer machen, damit ihr heute Nacht nicht erfriert«, schlug Gilbert vor.
Antilius hatte seine neue Gabe bisher nur ein einziges Mal angewendet, als er in der Dunkelheit nach dem Gorgen Ancrus Ausschau gehalten hatte.
Er sah zur toten Eiche und verstellte seinen Blick. Die Umgebung wurde in seinen Augen heller, die Kontraste schärfer. Gegenstände wie der Baum oder die Felssteinwände waren von einer dunklen Aura umgeben. Tirl und Gilberts Spiegel hingegen hatten eine helle Aura.
»Bisher kann ich nichts Auffälliges sehen«, sagte Antilius. Er schritt die verfallene Wand ein Stück ab. Nichts. Aber in dem Moment, in welchem er seinen Blick verstellt hatte, um den Schleier zu überwinden, überkam ihn das sichere Gefühl, dass sie nicht allein auf dem Kayen waren. Irgendjemand war noch hier.
Er ließ sich von seinem Instinkt leiten und gelangte an einen großen Steinhaufen, der womöglich einmal ein Nebengebäude der Kapelle gewesen sein musste. Ein rötlicher Schein drang zwischen den Steinen hervor. Ein Schein, den nur Antilius sehen konnte. Etwas war in diesem Haufen. Er konnte es sehen, und er wusste, dass auch er gesehen wurde.
»Wer immer du bist, zeige dich!«, sprach Antilius. Das leuchtende Innere wurde schlagartig heller und schoss plötzlich wie ein roter Kugelblitz aus dem Steinhaufen heraus. Steine flogen heraus, und Antilius wäre beinahe von einem davon getroffen worden.
»Was war das?«, stieß Tirl erschreckt aus.
»Ich glaube, wir haben sie gefunden.«
Das leuchtende Ding versteckte sich hinter der Mauerruine im früheren Inneren der Kapelle. Antilius rannte hinterher und blieb vor der Ruine stehen.
»Hab keine Angst!«, beschwichtigte er das Wesen. »Du musst dich nicht vor uns verstecken. Wir wollen dir nichts tun. Wir sind nur auf der Suche nach ein paar Antworten. Zeige dich uns! Ich bitte dich!«
Ein Weile passierte gar nichts. Dann erstarb der rote Schein. Antilius stellte seine Augen wieder auf normal und erblickte ebenso wie der verdutzte Tirl eine große dunkle Gestalt, die hinter der Wand aufragte.