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Calessias Schicksal
ОглавлениеWährend der Kataklyst vor Calessia kniete und ihr seine Treue schwor, gingen ihr viele Gedanken durch den Kopf. Bevor sie hier ankam, war sie ein wenig über sich selbst überrascht, dass die Nachricht, die sie kurz vor ihrer Abreise erhalten hatte, sie nicht schockierte. Die Nachricht über den Tod ihrer Schwester Xali.
Irgendwie hatte sie es schon geahnt. Und als sie über das Schicksal ihrer geliebten Schwester endlich Gewissheit hatte, empfand sie insgeheim Erleichterung. Denn sie wusste, dass Xali nicht mehr die gewesen war, die sie gekannt hatte.
Xali war zuletzt kein Mensch mehr gewesen, sondern hatte sich in ein Geschöpf verwandelt, das irgendwo zwischen Leben und Tod existierte, ganz ähnlich wie der Kataklyst. Banshee hatte man ihre Schwester genannt. Eine Vorbotin des Todes. Und in gewisser Weise hatte diese Beschreibung zugetroffen.
Ihre Schwester, die sich zuletzt stets als entflammt beschrieben hatte, hatte nach ihrer Verwandlung vom Menschen hin zur todbringenden Banshee die Fähigkeit entwickelt, durch die Projektion der Gedanken anderer auf sich selbst, ihre eigene Existenz zu erhalten. Und wenn ihr das zum Weiterleben nicht ausgereicht hatte, dann saugte sie ihrem Opfer das Herz aus. Wie sie das gemacht hatte, darüber wollte Calessia gar nicht erst nachdenken, denn es war erst einige Tage her, als Xali ihr selbst, ihrer eigenen Schwester, mit dem Tod gedroht hatte. Nein, sie hat ihr den Tod natürlich nicht wörtlich angedroht. Vielmehr war es ihr erschreckend eisiger Blick gewesen, der in Calessia die Erkenntnis reifen ließ, dass sich ihre geliebte Schwester in ein spukhaftes Monster verwandelt hatte, das tötete, um zu überleben - ganz gleich, wann und ganz gleich, wen.
Ja, in gewisser Weise war Calessia erleichtert, dass Xali nun endgültig gestorben war. Sie würde nun den Frieden finden, der ihr als Banshee verwehrt geblieben war. Xali würde niemandem mehr Leid zufügen können und würde auch selbst nicht mehr leiden müssen. Dies war für Calessia ein tröstender Gedanke, als sie sich per Segelschiff aufgemacht hatte, die Südküste von Fahros, der sechsten Inselwelt, zu erreichen.
Zwei Tage hatte die Überfahrt gedauert. Die Inselwelt Fahros lag nordwestlich von Truchten, der Fünften Inselwelt. Der Wind hatte günstig gestanden. Das Schicksal war ihr gewogen.
Große Pläne hatte Calessia, die Frau, über die merkwürdige Dinge gemunkelt wurden. Sie stünde mit dem Tod höchstpersönlich im Bunde, sagte man. Das hatte ihr den Spitznamen 'Gefährtin des Todes' eingebracht. In der Tat hatte sie sich jahrelang intensiv mit dem Tod beschäftigt. Nichts ängstigte sie mehr als jene Vorstellung, eines Tages ihm anheimfallen zu müssen. Die Leute hielten sie für verrückt, denn der Tod behandelt doch alle gleich. Er holt sich jeden. Den einen früher, den anderen später. Aber Calessia war davon überzeugt, eines Tages einen Weg zu finden, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Der Schlüssel zu diesem Vorhaben lag in der Vergangenheit. Und heute glaubte sie, ihn gefunden zu haben. Es war der Dunkelträumer, der vor über tausend Jahren von dieser Welt verbannt worden war.
Die genauen Umstände seiner Zwangs-Exilierung waren Calessia unbekannt, und sie würde sie auch nie in Erfahrung bringen. Es geschah während des großen Krieges vor tausend Jahren, über den fast niemand heute mehr etwas zu sagen wusste, soviel war ihr bekannt.
Einzig und allein der merkwürdigen Unwissenheit der heutigen Bewohner über Thalantias Vergangenheit war es zu verdanken, dass niemand außer Calessia ahnte, welches Schicksal allen drohte, sollte der Dunkelträumer je wieder zurückkehren.
Sie hatte sich ihr halbes Leben mit den Mythen und Legenden rund um den Dunkelträumer beschäftigt und wusste, dass er sich eines Tages für seine Verbannung rächen würde. Eines Tages würde er zurückkehren und die Welt Thalantia in Schutt und Asche legen, um auf den Ruinen eine neue Welt zu erbauen. Und nur die Auserwählten würden ihm in diese neue, von ihm kreierte Zukunft folgen dürfen.
Calessia war davon überzeugt, dass sie eine von jenen Auserwählten sein würde, wenn sie sich die Gunst des Dunkelträumers verdienen würde. Ihr Name sollte jedenfalls ganz oben auf der Liste stehen. Sie würde alles dafür tun. Seine Rückkehr stand unmittelbar bevor.
Das Flüsternde Buch hatte ihr den Weg hierher tief in das Moorland gewiesen. Der sprechende Stein sollte sich an diesem Ort befinden, bewacht von einem Wesen aus der alten Zeit, dem Kataklysten. Das Buch hatte nicht gelogen. Sie hatte nun bekommen, wonach sie gesucht hatte. Sie drehte den sprechenden Stein in ihrer Hand und konnte ihr Glück kaum fassen.
Es war nicht so, dass sie die Vorstellung von der Vernichtung Thalantias kaltlassen würde. Und dass die Zukunft, die der Dunkeltäumer - mit welchen geheimnisvollen Kräften auch immer - erschaffen wollte, völlig ungewiss war; dieser Gedanke erfüllte sie insgeheim sehr wohl mit Sorge. Aber sie war jetzt schon viel zu weit gegangen, als dass sie jetzt umkehren wollte.
Dem Schicksal konnte man sich ohnehin nicht entgegenstellen. All die Narren, die in Unwissenheit auf Thalantia lebten, würden sich ihrer eigenen naiven Dummheit bewusst werden, wenn sich die Dunkelheit über diese Welt legen würde. Die Tage der Unbeschwertheit auf Thalantia waren gezählt. Diese Welt würde untergehen, und niemand würde den Dunkelträumer aufhalten können. Niemand.