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Das Reich des Totenbeschwörers

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»Aber bevor ich euch helfe, müsst ihr mir etwas versprechen.«

»Alles, was du willst«, sagte Antilius.

»Ihr müsst euch strikt an meine Anweisungen halten, damit eure Reise in die Vergangenheit nicht in einem Desaster endet. Ferner dürft ihr nicht vergessen, mich nach allem, was ich euch an Wissen auf euren Weg mitgeben werde, nicht anzusehen. Mein Anblick würde euch töten, und eure Reise wäre vorbei, bevor sie begonnen hat.

Und als Letztes müsst ihr mir schwören, dass ihr, wenn ich euch geholfen habe, diesen Ort verlasst und nie wieder zurückkehrt. Und ihr werdet niemandem von meiner Existenz berichten.«

»In Ordnung. Wir versprechen es dir.« Tirl nickte und Gilbert stimmte auch zu.

»Gut. Zuallererst solltet ihr ein Lagerfeuer entzünden. Am besten inmitten der Ruine. Ihr werdet es aus mehreren Gründen noch brauchen.«

Gesagt, getan. Immer darauf bedacht, nicht aus Versehen die Siobsistin ins Blickfeld zu bekommen, sammelten der kleine, flinke Tirl und Antilius Holz und schichteten es zu einem großen Stapel auf. Mit einem Feuerstein zündeten sie einen kleinen Haufen aus Stöckchen und trockenem Moos an und legten das brennende Material dann in den großen Stapel. Für ausreichend Holznachschub war auch gesorgt, da die verdorrten Äste der alten Eiche genügend hergaben.

Dankbar für ein wenig Wärme standen Antilius und Tirl am Feuer und wärmten sich die Hände. Die Siobsistin stand wieder hinter ihnen und starrte gebannt auf die lodernden Flammen. Ihre zahllosen Traumfänger, die sie mit sich herumtrug, warfen tanzende Schatten auf die Grundmauer der Kapelle.

»Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal die Wärme eines Feuers gespürt habe«, sagte sie.

»Was bezweckt das Feuer?«, wollte Gilbert wissen. »Ich dachte, wir reisen in die Vergangenheit.«

»Niemand von euch wird diesen Ort physisch verlassen. Um in der Vergangenheit zu existieren, die ich erschaffen werde, braucht ihr nur euren Geist. Allein dieser wird auf die Reise geschickt.«

»Und wie soll das genau funktionieren? Werden wir träumen? Wird die Vergangenheit eine Art Illusion sein?«, hakte Gilbert nach, der sich nicht im Entferntesten vorstellen konnte, was ihn und seine Freunde erwartete.

»Ihr werdet nicht träumen, und die Vergangenheit wird auch keine Illusion sein. Das, was ich erschaffen werde, ist die reale Vergangenheit, so wie sie sich abgespielt hat. Doch wird sie keinen Einfluss auf die Zukunft, also auf das Heute haben. Ich werde Antilius an die Orte bringen und die Erlebnisse durchleben lassen, die er vergessen hat. Er wird das Vergangene nicht nur sehen, sondern noch einmal durchleben, so wie es sich zugetragen hat, vor langer Zeit. Aber nichts von dem, das er dort tut, wird die Zukunft verändern. Denn die Vergangenheit ist bereits geschehen. Und er wird jederzeit den Fortgang objektiv beurteilen können. Ihr werdet die Vergangenheit erleben wie in einem bewussten Traum, nur mit dem Unterschied, dass es kein Traum ist.«

»Wird denn mein Spiegelgefängnis mich nicht daran hindern, meine Freunde in die Vergangenheit zu begleiten?«

»Nein, dort, wo ihr hingehen werdet, wirst du von deinem Spiegel befreit sein.«

Gilbert machte große Augen und freute sich bei dieser Vorstellung.

»Ich verstehe das nicht. Wie soll es möglich sein, die Vergangenheit zu erschaffen?«, stieß Tirl hervor. Er fürchtete, dass es sich um einen Trick handeln könnte, der ihnen falsche Informationen zuspielen würde.

»Ich werde mir die Kräfte von einem Multiversum zunutze machen, das ihr unter dem Namen Verlorenend kennt.«

»Verlorenend?«, wiederholten Tirl und Antilius wie aus einem Munde.

»Ja. An diesem Ort hier ist die Verbindung zu Verlorenend sehr nahe. Ich kann es fühlen. Mithilfe der schöpferischen Möglichkeiten Verlorenends kann ich eine reale Vergangenheit kraft meiner Gedanken erzeugen. Solange ich mich auf diesen Prozess konzentriere, solange wird die Vergangenheit ein realer Bestandteil Verlorenends werden. Genaugenommen ist alles, was war, in Verlorenend gespeichert. Ich hole es nur aus dessen tiefsten Ebenen hervor und mache es sichtbar und greifbar.«

Antilius musste wieder an Tahera denken. »Verlorenend zerfällt. Weißt du davon?«, fragte er.

»Ja, ich spüre, dass die Kraft im Inneren dieses Multiversums nachlässt. Die Kraft, die alles zusammenhält, schwindet unwiederbringlich. Nach und nach löst sich Verlorenend auf und wird bald ins Reich des Vergessens verschwinden. Ein Grund mehr, warum wir uns beeilen sollten. Ich werde Antilius daher auch nur diejenigen Abschnitte seines Lebens erleben lassen, die für ihn von unverzichtbarer Bedeutung sind.«

»Worauf warten wir dann noch?«

»Zwei Dinge müsst ihr noch wissen: Wenn ihr in der Vergangenheit seid, werde ich nicht in der Lage sein, euch vor fremden Blicken beschützen zu können.«

»Was soll das bedeuten?«, fragte Antilius.

»Dort, wo ich euch hinschicke, werdet ihr nicht alleine sein. Ich kann nicht verhindern, dass andere Wesen auf die Realität, die ich erzeugen werde, aufmerksam werden. Bedenkt, dass eure Reise in die Vergangenheit eine von unzähligen Ausgestaltungen von Verlorenend sein wird. Das bedeutet, dass theoretisch jeder, der sich in Verlorenend aufhält, euch sehen könnte, wenn er weiß, wo er hinschauen muss.

Während ich die vergangene Realität aufrecht erhalte, werde ich selbst dort keine physische Gestalt annehmen können. Ich kann euch währenddessen also nicht beschützen. Ihr müsst aufeinander aufpassen. Außerdem darf sich Antilius in dieser Vergangenheit nicht verlieren, da sie absolut real sein wird. Ihr müsst euch auf euer Ziel konzentrieren. Ihr dürft euch keinesfalls ablenken lassen, sonst könnte es auch passieren, dass ihr in eine andere Erinnerung von einem von euch abgleitet.«

Bei dem letzten Satz wurde Gilbert ganz blass. In eine andere Erinnerung von mir abgleiten? Gilbert trug eine Menge schwerer Erinnerungen mit sich. Erinnerungen an seine verstorbene Gefährtin. Es gab Tage, da konnte er an nichts anderes denken als an sie. Er musste sich zusammenreißen und tun, was die Siobsistin ihnen aufgetragen hatte. Am liebsten hätte er einen Rückzieher gemacht, aber er konnte Antilius nicht im Stich lassen. Nicht jetzt.

Antilius nickte nach den Ausführungen der Siobsistin, aber nicht deshalb, weil er verstanden hatte, welche Risiken letztlich auf ihn und seine Freunde lauerten, sondern weil er sich durch nichts mehr aufhalten lassen und endlich beginnen wollte.

»Und was ist das Zweite, das wir noch beachten sollen?«, fragte er ungeduldig, ahnend, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde.

»Einer von euch muss hierbleiben, um das Feuer zu hüten und Wache zu halten.«

»Aber das bedeutet, dass nur ich das sein kann«, stellte Tirl enttäuscht fest. Antilius muss in die Vergangenheit reisen, und Gilbert kann sich aus offensichtlichen Gründen nicht um das Feuer kümmern.«

»Ich fürchte, er hat recht«, sagte Gilbert.

Die Siobsistin schwieg für einen Moment.

»Na schön, es geht ja nicht anders. Ich bleibe hier«, sagte Tirl, immer noch tief enttäuscht darüber, nicht mit eigenen Augen sehen zu dürfen, was vor tausend Jahren geschehen war.«

»Du musst dafür sorgen, dass Antilius warm gehalten wird, während sein Körper wie im Schlaf liegen wird«, sagte die Siobsistin. »Aber es gibt noch ein anderes Problem, aufgrund dessen Tirl bleiben muss. Etwas, von dem die meiste Gefahr für unser Vorhaben ausgehen wird.«

»Was denn noch?« Tirl verlor langsam die Nerven.

»Ich bin nicht die Einzige, die sich hier auf dem Friedhof versteckt hält«, fuhr die Siobsistin fort. »Es gibt noch jemanden, der zwischen den Gräbern umhergeht.«

»Nun sagt schon, wer ist es?«

»Der Totenbeschwörer. Er ist der Namensgeber dieses Ortes. Er ist der Kayen.«

Totenbeschwörer. Schon bei dem Namen verschlug es den Dreien die Sprache. Gerade, als sie guter Dinge waren, die ihnen bevorstehenden Gefahren bewältigen zu können, schien ihre positive Einstellung auch schon wieder wie eine Seifenblase zu zerplatzen.

»Wer ist das?«

»Er ist der Fürst der Toten. Seit ich an diesem Ort bin, hält sich der Totenbeschwörer bedeckt, da er gegen meine Macht nichts ausrichten kann. Aber wenn ich Antilius und Gilbert in die Vergangenheit schicke, dann werde ich in Trance sein und ihm nichts anhaben können. Er wird sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen und erscheinen. Der Kayen hasst die Lebenden. Es gibt nichts, das er mehr verachtet als die Lebenden. Er wird erscheinen und seine Gefolgschaft an Geistern aus ihren Gräbern heraufbeschwören, um seinen lange geplanten Feldzug gegen die Lebenden zu beginnen. Und mit Tirl wird er beginnen.«

Der kleine Arboraner schluckte einen Kloß herunter und bekam kein Wort mehr heraus.

Für Antilius brach gerade eine Welt zusammen. »Na, großartig! Das war es dann wohl. Dann können wir ja die ganze Sache abblasen. Ich kann doch Tirl unmöglich mit dem Totenbeschwörer alleine lassen.«

»Er wird nicht allein sein«, sprach die Siobsistin geheimnisvoll und blickte neben Tirl. »Er hat eine mächtige Verbündete an seiner Seite. Mächtiger und weiser, als ich es je sein könnte.«

Tirl war fassungslos und erfreut zugleich. »Du meinst doch nicht Mila?«

»Doch, ich meine Mila, deine Gefährtin.«

Verlorenend Band III

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