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Der Kataklyst

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Der Kataklyst war einst ein König, gefürchtet und zugleich geliebt von seinem Volk. Viele Jahrhunderte ist das nun her, bevor er eins wurde mit dem Moor, in dem er bis zum heutigen Tage unbehelligt geruht hatte.

Um zu verstehen, wer und vor allem was der Kataklyst ist, und warum er im Besitz des sprechenden Steins ist, müssen wir zurückgehen zu der Zeit vor tausend Jahren, als Ilbétha auf Thalantia gestrandet war.

Durch die Berichte der Vergessenen in der versunkenen Stadt Eventum wissen Antilius und seine Gefährten bereits, was sich im Wesentlichen zu der damaligen Zeit zugetragen hat.

Ilbétha, ein schöpferisches Wesen, das älter als das Universum selbst ist, hatte versucht, eine neue Welt zu erschaffen, parallel zu der bereits existierenden. Verlorenend haben die Thalantianer einst diese Parallelwelt genannt. Bei ihren Reisen durch den Äther dieses Universums und zu den zahllosen anderen Welten eignete sich Ilbétha die Fähigkeit an, Welten zu erschaffen, allein durch die Kraft ihrer Gedanken.

Die unvorstellbare Macht, die sie bei ihren Schöpfungen entfaltete und stetig fortentwickelte, war beispiellos.

Ihr Schöpfungsdrang wurde getrieben durch ihre Suche nach einer perfekten Welt. Einer Welt, in der Kummer und Schmerz, ja sogar auch der Tod überwunden waren. Doch fand sie so eine Welt bei ihren Reisen nicht vor, selbst in den noch so fremdartigsten und entferntesten Gegenden. Egal, zu welcher Zeit, egal, in welcher Dimension sie auch suchte, bei all den Wundern und Schönheiten, die sie vorfand, waren Verfall, Zerstörung und die allgegenwärtige Bedrohung durch das launische Schicksal immer allgegenwärtig. Und das machte sie traurig.

Daher beschloss sie, ihre Fähigkeit zu nutzen und eine Welt zu kreieren, die es noch nicht gegeben hatte. Sie wollte eine Welt erschaffen, welche von all den üblen Dingen befreit war, die sie immer und immer wieder vorfand. So erschuf sie Verlorenend.

Doch was nutzt die perfekte Welt, wenn sie nicht mit Leben erfüllt war? Denn bei aller Macht, über die Ilbétha verfügte - Leben zu erschaffen, das vermochte sie nicht zu tun. Noch nicht.

Deshalb musste sie einen bereits bewohnten Planeten auswählen, den sie für würdig erachtete, ihre neu geschaffene Welt zu bevölkern. Verlorenend existierte zwar in einer anderen Realität, brauchte aber für eine Besiedlung einen Ankerpunkt in dieser Welt. Und als diesen Ankerpunkt wählte sie Thalantia aus.

Keine andere Welt schien Ilbétha besser geeignet als jener kleine Planet, dessen Bewohner ohne kriegerische Auseinandersetzungen lebten und sich der Forschung und eigenen Weiterentwicklung widmeten. Ein Volk, das die geistige Reife und die moralische Integrität besaß, um für Verlorenend würdig zu sein.

Zu der damaligen Zeit, vor tausend Jahren, war Thalantia einer der schönsten und friedfertigsten Orte, die sie je gesehen hatte. Sicher, auch Thalantia war nicht perfekt. Aber es war in jeder Hinsicht geeignet für ihr Vorhaben.

Lange hatte sich Ilbétha auf den Moment der ersten Kontaktaufnahme vorbereitet, kurz nachdem sie ihre neue Welt Verlorenend vollendet glaubte. Doch dann geschah das große Unglück. Vielleicht war es auch Bestimmung, wer kann das schon wissen?

Verlorenend wurde von einer Welle der Zerstörung erschüttert. Weite Teile von Verlorenend wurden vernichtet oder auseinandergerissen. Die Verwüstung war so gewaltig, dass sie sogar Ilbétha schwer verletzte, denn sie war auf vielen Ebenen mit Verlorenend verbunden. Ihre eigene Lebensenergie war an die von ihr geschaffene Welt geknüpft.

Woher die Zerstörung kam, oder was sie ausgelöst hatte, das konnte Ilbétha nie in Erfahrung bringen. Ihrer neuen Welt, die sie vor eben genau jener Zerstörung befreit geglaubt hatte, drohte nun die Vernichtung.

Als sie Verlorenend erschuf, hatte sie alles Negative dermaßen naiv ignoriert, dass es sich unbemerkt im Schatten ihrer Schöpfung sammelte und in einer brachialen Welle der Vernichtung entlud; wie ein Vulkan, der dem Druck des Magma nicht mehr standhalten konnte.

Das war die bitterste Erkenntnis in Ilbéthas langem Leben. Nämlich, dass trotz aller Wunder, die sie in Verlorenend verwirklicht hatte, sie blind gewesen war für die zerstörerischen Urgewalten, die ihrer neuen Welt inhärent waren. Urgewalten, die jeder Welt inhärent waren. Verlorenend bildete trotz größter Mühen hier keine Ausnahme.

Nun war das Undenkbare geschehen und Ilbétha hätte schnell handeln müssen, denn Verlorenend begann unmittelbar nach der Welle zu zerfallen. Doch die Weltenerschafferin war viel zu geschwächt, da das Schicksal Verlorenends an ihr eigenes gekoppelt war. Es erging ihr so schlecht, dass ihre Präsenz auf Thalantia für jedermann sichtbar wurde. Ihr wahres Antlitz konnte sie zwar verbergen, nicht jedoch ihre Anwesenheit. Und so nahm sie die Gestalt eines humanoiden Wesens an, während sie trotz ihrer Verletzungen einen Plan entwickelte, Verlorenend und damit auch sich selbst wieder zu heilen.

Aber als wäre das Geschehene nicht bereits furchtbar genug, taten sich zu allem Überfluss auch noch Risse in Verlorenend auf. Diese Risse waren Durchgänge, mithilfe derer jedermann auf Thalantia in Verlorenend eindringen konnte. Doch waren die Durchgänge nicht nur auf Thalantia beschränkt. Überall im Universum taten sich die Risse auf, die direkt in das Raumzeitgefüge von Verlorenend führten. Viele Völker im Universum, die dazu fähig waren, konnten nun einen Blick in die von Ilbétha erschaffene und aus den Fugen geratene Welt erhaschen. Verlorenend war so für jeden sichtbar geworden, auch für diejenigen, für deren Augen es nicht bestimmt war. Und noch mehr als das: Weil Ilbétha und Verlorenend eng miteinander verwoben waren, schimmerte durch jeden Riss, der sich im Universum auftat, ihre schöpferische Macht hindurch. Sie war wie ein goldenes Licht, dem jeder, der es sah, folgen und seinen Ursprung finden wollte.

Die Fremden mussten nur durch die Risse, die sich in ihren Welten aufgetan hatten, hindurch schreiten und kamen so über Verlorenend schließlich nach Thalantia. Und weil Ilbétha, die gescheiterte Weltenerbauerin, auf Thalantia geschwächt gestrandet war, dauerte es nicht lange, bis die ersten Fremden dort eintrafen, um nach der grenzenlosen Macht der Schöpfung zu greifen. Verlorenend war so etwas wie eine gigantische Kreuzung im Raum geworden, welche die vielen verschiedenen Welten im Universum miteinander verband.

Ehe man auf Thalantia begriffen hatte, was geschehen war, rutsche die einst so friedvolle Welt auch schon in einen Krieg. Viele der fremden Invasoren waren aggressiv und glaubten, dass die Thalantianer Ilbéthas Macht für sich beanspruchen wollten, obwohl sie zu Beginn noch gar nicht wussten, womit sie es zu tun hatten. Es waren Jahre des Chaos, in denen viele ihr Leben ließen und beinahe alles zerstört wurde.

Erst als die Thalantianer mit Ilbétha kommunizieren konnten, gelang es ihnen durch eine List, die Invasoren davon zu überzeugen, dass Ilbétha verstorben war. Der Krieg war damit nach vielen Jahren beendet.

Die stolzen fünf Königreiche lagen zu diesem Zeitpunkt aber bereits größtenteils in Trümmern. Für die Invasoren gab es danach auf Thalantia nichts mehr von Interesse. Die meisten von ihnen kehrten der Siebeninselwelt wieder den Rücken, auf dem gleichen Wege, auf dem sie sie gefunden hatten. Ilbétha verschloss die Risse, die von Verlorenend ausgingen, und stabilisierte ihre fragile Welt bis auf Weiteres.

Seit jenem Tage am Ende des schrecklichen Krieges ruht Ilbétha an einem geheimen Ort und erholte sich von ihren Strapazen - bis zum heutigen Tag.

Nicht alle der Fremden aber haben Thalantia wieder verlassen. Dafür gab es die unterschiedlichsten Gründe. Einige hatten schlicht nicht genug Zeit, um den Riss nach Verlorenend zu finden, durch den sie gekommen waren. Andere wollten gar nicht wieder zurück in ihre Heimat und hofften, sich auch auf Thalantia ein neues Leben aufbauen zu können. Denn nicht alle Lebewesen, die zur Siebeninselwelt kamen und nach Ilbétha suchten, taten das, um mit kriegerischen Mitteln nach der schöpferischen Macht zu streben. Viele sind einfach, getrieben von einer Mischung aus Neugier und Abenteuerlust, gekommen und führten nichts Böses im Schilde.

Aber da so viele verschiedene und fremdartige Völker auf Thalantia plötzlich aufgetaucht waren, war es für die hiesigen Bewohner unmöglich, Feinde und Freunde zu unterscheiden. In den Wirren des jahrelangen Krieges waren die Thalantianer in ihrer Not auch gezwungen gewesen, Allianzen mit einigen gemäßigten Kräften einzugehen, die aber schnell wieder aufgekündigt wurden. Und deshalb vertraute man nach dem Krieg niemandem mehr, sodass diejenigen Fremden, die geblieben waren, - freiwillig oder nicht - verfolgt und getötet wurden. Selbst dann, wenn die Verfolgten stets pazifistisch gewesen waren und sich während des Krieges nie etwas zu Schulden hatten kommen lassen.

Diejenigen Thalantianer, die sich zu Lebzeiten noch an die Jahre der Verfolgung erinnerten, beschrieben diese Zeit oft als den Sündenfall ihrer Generation.

Einer dieser Verfolgten war der Kataklyst, den man auf seiner fernen Heimatwelt Panton nannte. Er war einem Menschen nicht unähnlich gewesen, bevor er im Moor versank. Er und seinesgleichen waren von größerer und kräftigerer Statur als die Menschen.

Auf seiner Welt, von der er gekommen war, war Panton das, was man hierzulande als König oder Monarch bezeichnen würde. Viele Millionen Lichtjahre von Thalantia entfernt befand sich seine Heimatwelt, welche im Sterben lag. Es war eine große Dürre, die seinen Planeten heimgesucht hatte, und die sein Volk langsam aber sicher aussterben ließ. Panton war der einzige König, der es verstand, seinen Untertanen durch Geschick und manchmal auch durch List und auf Kosten anderer am längsten das Überleben zu sichern und mit dem verbliebenen Süßwasser hauszuhalten. Aber der Untergang seines Volkes und letztlich auch der seiner ganzen Spezies war dennoch nur noch eine Frage der Zeit.

Alle Hoffnung schien bereits verloren, als sich eines Tages ein Riss in seiner Welt öffnete. Ein Durchgang, der nach Verlorenend und von dort nach Thalantia führte. Und genauso wie durch die vielen anderen Risse, die sich im Universum aufgetan hatten, schimmerte Ilbéthas schöpferische Macht hindurch.

Panton war der Einzige, dem zugetraut wurde, die rätselhafte Macht aus dem Riss zu entschlüsseln und sie zum Wohle seines Volkes einzusetzen, um es vor der Ausrottung zu bewahren. Es war die eine Chance, die man nicht verstreichen ließ. Die eine Chance, die man kein zweites Mal erhielt.

Panton durchschritt den Riss im Raumzeitgefüge, folgte der Spur Ilbéthas und erreichte alsbald Thalantia, ohne zu wissen, ob er je wieder zurückkehren würde. Das Schicksal seiner Spezies lag nun in seinen Händen.

Schon als Panton die ersten Schritte auf Thalantia machte, begann er zu ahnen, wie naiv er doch gewesen war. Thalantia lag bereits weitgehend in Trümmern. Der erstickende Rauch von tausenden Bränden machte das Atmen schwer. Der König stolperte entsetzt und verstört über brennende Ruinen, die einmal große Städte gewesen waren. Leid und Tod waren allgegenwärtig.

War er in eine Falle gelockt worden? War Ilbétha in Wirklichkeit keine Weltenerschafferin, sondern war sie das Verderben höchstselbst? Wie sonst konnte man das, was Panton auf der anderen Seite des Risses vorfand, anders erklären?

Es war ihm, als wäre er in einem Albtraum, aus dem es kein Erwachen gab. Wie schön und begehrenswert diese Welt, die er unwissend betreten hatte, auch einmal gewesen sein mochte, nichts davon war mehr übrig geblieben. Dieser Welt erging es nicht besser als der seinen.

In all dem Chaos begegnete Panton plötzlich einem sehr alten Mann, einem Menschen. Er war klein und ging an einem Stock. Er hatte einen für Pantons Auffassung merkwürdigen zylindrisch geformten schwarzen Hut auf und war ordentlich gekleidet. Er wirkte fast, als gehöre er nicht hierher in dieses Elend.

Er kam Panton, der um soviel größer war als er selbst, mit kleinen mühevollen Schritten entgegen.

»Und wer bist du?«, fragte ihn der alte Mann mit brüchiger Stimme, den man auf Thalantia den Rätselmacher nannte. »Bist du gekommen, um auch mich zu vernichten?«

»Wovon sprecht Ihr? Ich will Euch kein Leid zufügen.«

Der alte Mann lächelte nur müde und schien Schwierigkeiten zu haben, sich auf den Beinen zu halten.

Er verdrehte leicht die Augen, begann ins Wanken zu geraten und wäre einfach hingefallen, wenn ihn Panton nicht aufgefangen hätte. Er beugte sich zu dem Mann herab und hielt ihn fest.

»Geht es Euch nicht gut?«, fragte Panton bestürzt.

»Ich bin zu alt für solche Tage, an denen die Dunkelheit über uns gekommen ist. Und es werden noch viele weitere Tage kommen, die so dunkel sein werden wie dieser. Ich bin müde. Ich habe keinen Hunger und keinen Durst mehr. Meine Zeit ist bald abgelaufen. Aber es gibt noch etwas, das ich tun muss, bevor ich nicht mehr bin.«

»Sagt mir, guter Mann, was ist hier geschehen?«

Der alte Mann schnaufte verächtlich: »Wenn ich ehrlich bin, ich weiß ich es nicht. Selbst heute nicht. Eine Invasion von fremden Wesen ist über uns gekommen. Ihr seid auch ein Fremder. Aber Ihr seid zu spät gekommen. Alles, was einmal gut gewesen ist auf unserer Welt, ist bereits vernichtet. Ihr könnt Euch nur noch an den Trümmern ergötzen. Der Krieg ist zu Ende, aber ich sehe keinen Stein mehr, der auf dem anderen steht.«

»Ihr schätzt mich falsch ein, guter Mann. Ich bin nicht gekommen, um Krieg gegen Euer Volk zu führen. Ich bin dem Licht gefolgt. Dem Licht einer mächtigen Kraft, von der ich glaubte, ich könnte sie für mein Volk zum Guten einsetzen.«

Der alte Mann nickte schwach. »Ja, alle sind wegen ihr gekommen. Ilbétha haben wir sie genannt. Sie kam auf unsere Welt, schwer verletzt.«

»Was ist mit ihr geschehen?«

»Sie sagen, sie sei gestorben.

Ich habe schon viele Dinge in meinem Leben erfunden. Darunter auch Dinge, die dabei geholfen haben, den Krieg zu beenden. Aber ich konnte offensichtlich nichts erfinden, das Ilbétha das Leben rettet. Sie ist tot. Und mit ihr ihre Macht, die alle blind gemacht hat vor Gier.« Der Rätselmacher glaubte wirklich, dass Ilbétha es nicht geschafft hatte. Er war einer Lüge aufgesessen, so wie viele andere auch. Denn diejenigen, die Ilbétha in ihr Versteck gebracht hatten, wollten sicherstellen, dass niemand je wiederkommen und nach ihr suchen würde. Das galt in erster Linie für die Invasoren. Aber auch Verbündeten, wie dem Rätselmacher, traute man nicht genug, um ihnen die Wahrheit anzuvertrauen.

»Und wo sind die Invasoren hin?«, fragte Panton.

»Wer weiß? Vermutlich dorthin, wo sie hergekommen sind. Aber nicht alle sind fort.«

Der alte Mann packte Panton an seinem mächtigen Arm und sah ihn eindringlich an. »Ihr scheint mir ein ehrbarer Mann zu sein, der zu falschen Zeit am falschen Ort ist. Ihr müsst diese Welt schnell wieder verlassen und in die Eure zurückkehren.«

»Warum?«

»Weil sie Jagd auf Euch machen werden. Sie jagen alle, die nicht von unserer Welt sind.«

Der alte Mann kramte etwas aus seiner Jackentasche. Es war ein Stein. »Hier nehmt ihn an Euch! Verwahrt ihn gut.«

»Was ist das?«

»Es ist ein sprechender Stein. Niemand weiß davon. Nehmt ihn mit in Eure Welt! Wenn eines Tages die Zeit gekommen ist, soll er benutzt werden. Es wird aber viel Zeit vergehen, bis er wieder Verwendung finden wird. Ich habe es vorausgesehen, in meinen Visionen.«

Panton verstand nicht, was der alte Mann anzudeuten versuchte. »Erklärt mir, was Ihr damit meint!«

Der alte Mann seufzte und sah über die Schulter, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtete.

»Ich habe Dinge tun müssen, auf die ich nicht besonders stolz bin«, begann er. »Ihr werdet das nicht verstehen, aber früher, da habe ich die Leute unterhalten, mit dem, was ich gemacht habe. Den Rätselmacher hat man mich genannt, weil ich Rätsel so gerne habe. Und große Dinge habe ich gebaut, die sich bewegt haben, von ganz allein. Aber als der Krieg über uns hereinbrach, da musste ich meine Fähigkeiten dafür einsetzen, den Feind zurückzuschlagen, weil ich ein Meister im Erfinden bin. Und ja, ich habe meine Pflicht getan, das kann ich wohl sagen. Ich habe etwas erschaffen, das so groß und furchtbar war, dass es die entscheidende Wende brachte.

Aber dann, als der Krieg vorbei war, wurde mir aufgetragen, noch ein letztes Werk zu vollbringen.«

»Was für ein Werk?«

Der alte Mann schüttelte nachdenklich den Kopf. »Es würde zu weit führen, das zu erklären. Ich habe etwas gebaut, das dazu diente, jemanden von dieser Welt zu verbannen. Jemanden von uns. Doch als ich sah, für wen ich es gebaut hatte, wusste ich, dass es falsch war. Aber ich konnte nichts mehr tun. Es war bereits zu spät. Jemand von uns wurde zu Unrecht vertrieben, und ich habe dabei geholfen.

Ich kann es nicht wiedergutmachen, aber mit diesem Stein, den ich dir anvertraue, wird es eines Tages möglich sein, dass der Verbannte eine zweite Chance bekommt. Ich habe es gesehen in einer Vision.

Geht jetzt! Geht, bevor sie Euch finden und auch auf Euch Jagd machen!«

Panton nahm den sprechenden Stein in die Hand und betrachte ihn nachdenklich.

»Ich habe zwar nicht verstanden, was Ihr mir erzählt habt. Aber wenn es Euch so viel bedeutet, werde ich den Stein aufbewahren, solange es notwendig ist. Doch sagt mir, wann soll der Stein seinem Zweck dienen?«

»Das Schicksal wird entscheiden, wann die Zeit für den sprechenden Stein gekommen ist. Ich weiß zwar nicht, was die Zukunft bringt, doch ich bin davon überzeugt, dass sie besser sein muss als heute. Und wenn diese Zeit gekommen ist, dann soll der Stein dazu dienen, dem Verbannten seine Rückkehr zu ermöglichen. Denn eine Entscheidung muss dann getroffen werden«, sprach der Rätselmacher. »Geht jetzt und beeilt Euch!«

Panton vertraute dem Rätselmacher und machte sich wieder auf den Weg in seine eigene sterbende Heimat. Ohne Hoffnung und mit der Gewissheit, dass er nur zurückkehrte, um sein Volk in den Tod zu begleiten.

Aber Panton kehrte nie wieder zurück. Der Weg, der ihn über Verlorenend zurück in seine Heimat führen sollte, war bereits versperrt, und die Thalantianer hatten damit begonnen, jeden Fremden aufzuspüren und zu verfolgen.

Panton floh vor dem auf Rache sinnenden Mob. Er hatte keine Ahnung, wo er Schutz finden konnte. Seine planlose Flucht führte ihn schließlich auf die Inselwelt Fahros im Nordwesten von Truchten, die auch als das Land der vielen Moore bezeichnet wurde. Immer tiefer drang er in die unwegsamen Moorebenen vor. Seine Verfolger trieben ihn immer weiter und ließen sich nicht abschütteln.

Die Strapazen der Flucht forderten irgendwann ihren Tribut, und so geschah es, dass Panton in einem der Moortümpel stecken blieb und sich nicht mehr ohne Hilfe befreien konnte.

Die mit der Verfolgung beauftragten Thalantianer berieten, was sie mit Panton tun sollten, als sie ihn gestellt hatten. Sollten sie ihn töten oder ihn im Moor seinem Schicksal überlassen?

»Lasst mich hier nicht zurück!«, flehte Panton sie an. »Ich habe niemandem von euch ein Leid zugefügt. Ich bin nur auf der Suche nach Hilfe für mein Volk gewesen.«

»Selbst wenn Ihr die Wahrheit sprecht«, entgegnete einer seiner Verfolger, »so spielt es jetzt keine Rolle mehr. Wir haben Befehl, jeden, der nicht einer von uns ist, zu eliminieren. Unsere Welt muss wieder von neuem aufgebaut werden. Ihr habt darin keinen Platz.«

Panton wäre bereit gewesen, beim Wiederaufbau zu helfen, auch um seinem Leben einen Sinn zu geben, nachdem es für ihn kein Zurückkommen zu seinem Volk mehr gab.

Die Thalantianer ließen sich aber nicht erweichen und entschieden, Panton dem Moor zu überlassen und dem, was sich in dem Moor befand. Sie drehten ihm den Rücken zu und verließen ihn.

»Ihr Narren!«, schrie Panton ihnen hinterher. »Eure Wut und euer Schmerz über die Vernichtung eurer Städte hat euch blind gemacht für diejenigen, die euch wohlgesonnen sind. Wenn ihr euch eurer Angst hingebt und alles vernichtet, das ihr nicht versteht und jeden tötet, den ihr nicht kennt, dann wird eure Welt eines Tages endgültig untergehen.«

Die Thalantianer antworteten nicht mehr, aber sie hatten sehr wohl Panton gehört. Wie durch einen Zauber hallten seine Worte in ihren Köpfen wider. Immer und immer wieder.

Sie erzählten von ihrer Begegnung mit Panton und gaben seine warnenden Worte weiter. So wurde im Lauf der Jahre, trotz des Verbots, über die vergangenen Ereignisse zu sprechen, Panton, das Wesen aus dem Moor, der Kataklyst genannt, der den Untergang von Thalantia prophezeit hatte.

So paradox es klingen mag, es wäre ein Akt der Gnade gewesen, hätten sich Pantons Verfolger dazu entschieden, ihm einen schnellen Tod zu bereiten. Stattdessen ließen sie ihn im Moor zurück, in dem er langsam aber sicher immer tiefer versank. In diesem Moor, so erzählte man sich, gab es etwas, das nur darauf wartete, Beute zu machen. Es lebte schon seit Jahrhunderten dort. Die Einheimischen nannten es 'Das Wispern' und mieden die immerfeuchten Moore von Fahros. Schon oft hatte man von Männern und Frauen gehört, die sich in den Weiten von Elend-Uhn verirrt hatten und nie wieder zurück fanden.

»Das Wispern hat sie sich geholt«, sagte man und überließ es der Fantasie, was damit gemeint war.

Panton musste am eigenen Leib erfahren, dass die Geschichten über das Wispern im Moor nicht erfunden waren.

Von der Welt allein gelassen, vernahm er zuerst ein unheilvolles Gemurmel aus dem Tümpel, der ihn gefangen hielt. Blasen stiegen auf und schließlich quoll ein grünliches Leuchten aus der Tiefe empor. Es wurde immer intensiver. Panton, der einst so stolze König, schrie vor Angst, aber niemand hörte ihn.

Kälte umfing ihn. Das Wispern zog ihn langsam und unbarmherzig zu sich hinab in das Moor.

Ja, ein schneller Tod wäre eine Gnade gewesen, verglichen mit dem, was Panton widerfuhr.

Über die Jahrhunderte hinweg wurde er, den man den Kataklyst nannte, vom Wispern umgewandelt in ein Wesen, das halb lebendig und halb tot war. Ein Ding, das aus den Ingredienzien des Moores bestand und nur noch entfernt einen eigenen Willen, oder gar eine Seele besaß.

Panton wurde als der Kataklyst wiedergeboren, von dem die Einheimischen stets munkelten und sich insgeheim fürchteten. Er wurde zu einer Art Golem, der nur darauf wartete, dass er eines Tages aus dem Moor gerufen werden würde, um den ahnungslosen Thalantianern zu beweisen, dass ihr endgültiger Untergang längst besiegelt war.

Und dass der Rätselmacher sich geirrt hatte, als er Panton im guten Glauben den sprechenden Stein überließ.

Verlorenend Band III

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