Читать книгу Verlorenend Band III - S. G. Felix - Страница 15
Der Abschied
ОглавлениеAntilius hätte sich vor Schreck beinahe an seinem Stück Brot verschluckt. Ja, er erinnerte sich wieder. Terius war sein älterer Bruder. Ihm war, als würde eine Mauer in seinem Kopf einstürzen und ein paar alte Erinnerungen freilegen. Er erinnerte sich. Endlich!
Terius war verheiratet, und seine Frau hieß Sivela. Auch die anderen Gesichter kannte er. Er konnte ihnen noch keine Namen zuordnen, aber er wusste, dass sie Freunde waren und keine Verwandten.
Gilbert trat an die Gruppe heran und beugte sich zu Antilius vor. Immer noch schenkte ihm niemand Beachtung.
»Was geht hier vor?«
Antilius drehte sich zu ihm um und sah, dass sich eine andere Frau auf seinen Freund zubewegte. Sie schien Gilbert aber nicht wahrzunehmen und würde ihn umstoßen, wenn sie ihre Richtung nicht änderte. Er wollte Gilbert warnen, doch es war schon zu spät. Die Frau ging - ohne von Gilbert Notiz zu nehmen - einfach durch ihn hindurch.
»Huch!«, schrie Gilbert.
Die Frau war einfach durch ihn hindurchgefahren, als wäre er ein Geist.
»Was war das denn?« Gilbert sah der Frau hinterher, die nichts mitbekommen hatte.
»Sie können dich nicht wahrnehmen«, erklärte Antilius. »Weil das meine Vergangenheit ist und nicht deine. Niemand außer mir kann dich sehen. In dieser Realität bist du gewissermaßen ein neutraler Beobachter.«
Gilbert atmete einmal tief durch. »Von mir aus. Ist vielleicht auch besser so. Wie hättest du ihnen auch erklären sollen, wer ich bin? Aber nochmal möchte ich das nicht erleben. Als die Frau durch mich hindurchging, das war einfach nur unheimlich. Als würde man über sein eigenes Grab laufen. Anders kann ich es nicht beschreiben.«
Gilbert schaute zu Terius hinüber. »Das ist also dein Bruder. Erinnerst du dich an ihn?«
»Ja. Aber ich weiß immer noch nicht, was an diesem Tag hier auf Eventum geschehen wird. Es ist ein ganz besonderer Tag, das weiß ich genau.«
Sie verfolgten die Gespräche der Männer und Frauen am Picknickplatz, um mehr herauszufinden, aber es waren nur belanglose Unterhaltungen. In ihren Gesichtern konnte man aber erkennen, dass sich alle ganz bewusst bemühten, über das Thema Krieg nicht zu sprechen.
Da fiel Gilbert noch etwas auf, das ihm Kopfzerbrechen bereitete. »Sag mal Antilius, warum sprechen alle unsere Sprache?«
»Was meinst du?«
»Na, die Präfektin hat doch erklärt, dass unsere Vorfahren nach dem Krieg die alte Sprache nach und nach aufgegeben und sie irgendwann nicht mehr gesprochen haben. Die Leute hier müssten sich demnach noch in dieser alten Sprache unterhalten. Sie sprechen aber unsere Sprache, die erst spätere Generationen gelernt haben. Das ist doch unmöglich.«
»Vergiss nicht, dass dies hier eine andere Realität ist. Das hier ist eine Vergangenheit, die von der Siobsistin geschaffen wurde. Ich denke, die Leute sprechen sehr wohl ihre alte und gewohnte Sprache, aber für uns ist es unsere Sprache. Die Siobsistin wird dafür gesorgt haben, genauso wie sie dafür gesorgt hat, dass du für die anderen unsichtbar bist, und ich mich mit dir ungestört unterhalten kann, ohne dass jemand etwas merkt. Es würde uns ja auch nichts bringen, in die Vergangenheit zu reisen und kein Wort zu verstehen, das gesprochen wird.«
»Stimmt. Ganz schön raffiniert. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Es kommt einem wirklich so vor, als wäre es real.«
Das Picknick neigte sich bereits dem Ende zu. Terius wies immer wieder darauf hin, dass sie sich nicht verspäten dürften. Es begann ein langer Abschied mit vielen Umarmungen und auch einigen Tränen. Offenbar mussten Antilius, sein Bruder und acht andere (drei Frauen und fünf Männer) sich von Verwandten, Freunden und Bekannten trennen. Bei genauerer Betrachtung ihrer Gesichter erinnerte sich Antilius, wer diese Personen waren. Es waren die Adepten von Terius. Doch worin hatte er sie unterrichtet? Darauf wusste er noch keine Antwort.
Terius hatte Antilius nebenbei anvertraut, dass er sich schon vor dem Picknick von seiner Frau verabschiedet habe, um sich keine Blöße vor den anderen geben zu müssen und seine wahren Gefühle zu zeigen. Er beschränkte sich daher darauf, Sivela noch einmal kurz zu umarmen.
Am Ende hielt er noch eine knappe Rede.
»An diesen Tag heute, an dem wir gelacht, gegessen und getrunken haben, werden wir uns immer erinnern, ganz egal, was morgen geschehen wird.
Die Welt da draußen versinkt im Chaos. Unser Land blieb bislang verschont, doch wird es nicht mehr lange dauern, bis die Schatten auch über unsere Stadt ziehen werden.
Meine Adepten, mein Bruder und ich werden im Dienste Eventumiens nach der Einsatzbesprechung beim Vogt noch heute aufbrechen, um das zu verhindern. Unser Beitrag wird nur einer von vielen anderen sein. Aber er soll sich lohnen. Und er wird sich lohnen, das verspreche ich euch.
Ich möchte nicht, dass dies ein Abschied ist, bei dem wir Lebewohl sagen. Ich sage zu euch auf Wiedersehen, denn wir werden uns wiedersehen.«
Antilius beobachte, wie es Sivela schwerfiel, ihre Tränen zurückzuhalten. Er konnte ihre Furcht nachfühlen, denn er ahnte, dass nicht alle von ihnen zurückkehren würden. Eine entscheidende Schlacht stand bevor, und Antilius, sein Bruder und die acht Adepten würden darin eine wichtige Rolle spielen. Er erinnerte sich wieder genau daran, welche Emotionen während dieses Momentes in ihm wühlten. Er fühlte sie jetzt genauso wie damals.
Terius wandte sich an seine Gefolgschaft. »Es ist Zeit. Lasst uns zum Vogt gehen. Wir sind schon spät dran.«
Sie verließen den Park, und Antilius trottete unentschlossen hinterher. Gilbert folgte ihm. Nur wenige Schritte hatte er gemacht, als Antilius noch einmal von Sivela aufgehalten wurde. Sie versicherte sich, dass Terius sich nicht nach ihnen umgedreht hatte und sagte: »Versprichst du mir, dass du ihn mir zurückbringst? Versprichst du mir das? Wenn er stirbt, dann habe ich auch keinen Grund mehr zu leben, das weißt du doch, oder?«
»Mach dir nicht so viele Sorgen. Ich verspreche dir, dass er zurückkommt«, sagte Antilius automatisch. Es wiederholte nur das, was er damals in der echten Vergangenheit gesagt hatte.
Sie gab sich mit diesem Versprechen zufrieden, nickte energisch mit erschöpften Augen und ließ ihn ziehen.
»Was ist das für eine Einsatzbesprechung? Was passiert jetzt?«, fragte Gilbert, während er und sein Meister wieder zu den anderen aufschlossen.
»Wir werden in die Schlacht gerufen. Die fünf Königreiche bündeln ein letztes Mal ihre Kräfte, um den Feind zu besiegen. Es ist der letzte Versuch, Thalantia vor dem Untergang zu bewahren.«