Читать книгу Verlorenend Band III - S. G. Felix - Страница 18

Stimmen

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»Glaubst du, dass wir Ilbétha zu Gesicht bekommen werden?«, fragte Gilbert.

»Ihr wahres Antlitz wird sie nicht preisgeben«, sagte Antilius nachdenklich. Und er sollte recht behalten. Sie wurden in eine große dunkle Halle geführt. Er, sein Bruder und die Adepten sollten einen Kreis bilden, die Augen schließen und einander die Hände reichen.

»Konzentriert euch alle auf ihre Stimme. Mehr müsst ihr nicht tun«, sprach der Vogt und verließ die Halle.

Gilbert sah mit einiger Verwunderung dem Treiben zu. Er schaute um sich, konnte aber niemanden außer den Auserwählten sehen. Antilius wollte er jetzt nicht schon wieder mit Fragen löchern, da dieser Moment offenbar für ihn sehr wichtig war, und er ihn nicht unnötig stören wollte.

Wo steckt sie bloß?, fragte er sich. Er konnte nicht sagen, ob Ilbétha hier in dieser Halle war oder nicht. Er vermutete daher, dass sie sich ähnlich wie die Siobsistin hinter dem ominösen Schleier, der die verschiedenen Dimensionen voneinander trennte, verbarg.

Antilius spürte, wie eine Stimme aus der Ferne zu ihm und den anderen Auserwählten sprach. Es war mehr wie ein Flüstern. Erst nach einer Weile bemerkte er, dass er zwar die Worte hören, sie aber nicht in seinem Gedächtnis abrufen konnte. Ein äußerst verstörendes Gefühl. Dann war ihm, als wenn sich fremde Gedanken mit seinen Gedanken vermischten. Es waren die Gedanken der Weltenerschafferin Ilbétha und die Gedanken seiner neun Mitstreiter. Ihre Gedanken bildeten eine Art Kollektiv. Und plötzlich, wie aus dem Nichts, war alles vorbei. Die Auserwählten öffneten die Augen und sahen aneinander an. Ihre Blicke verrieten, dass sie verstanden hatten, was Ilbétha ihnen übermittelt hatte. Alle sahen die Welt nun mit anderen Augen. Sie alle waren nun fähig, hinter den Schleier zu blicken. Es war ganz schnell gegangen. Unmöglich aber dennoch real. Hier an diesem Tag also hatte Antilius jene Fähigkeit erlernt. Und Xali war es, die kurz vor ihrem Tod genau das erkannt und ihn wieder an diese Fähigkeit herangeführt hatte.

Aber die Gruppe um Terius hatte heute noch mehr gelernt: Ein Blick unmittelbar hinter den Schleier offenbarte das Geheimnis hinter der Materie. Diese zu beherrschen war von nun an mit bloßen Gedanken machbar. Es fühlte sich für sie an, als wenn es sich um einen sechsten Sinn handelte, über dessen Anwendung man nicht nachdenken musste. Man konnte ihn automatisch einsetzen, wenn es erforderlich war.

»Das ist unheimlich«, sagte Antilius, und sein Bruder pflichtete ihm bei.

»Und?«, fragte Gilbert. »Hat es funktioniert?«

»Ich glaube schon.«

Der Vogt betrat wieder die Halle. »Sie werden jetzt sofort aufbrechen. Das Schiff wartet.«

Die Umgebung verdunkelte sich. Nach einem kurzen Moment der Verwirrung begriffen Antilius und Gilbert, dass für sie beide dieses Kapitel der Reise in die Vergangenheit schon abgeschlossen war. Die Siobsistin schickte sie nun in die Schlacht zum Einsamen Turm. Dorthin, wo der Dunkelträumer erscheinen würde.

Der Transfer zog sich hin. Beide standen sie harrend in absoluter Finsternis, in der es kein Oben und kein Unten gab. Gilbert achtete darauf, sich nicht von Antilius zu entfernen. Er fühlte sich äußerst unwohl.

»Warum dauert das so lange?«

»Bleib ruhig. Es wird gleich vorbei sein.«

»Die Leere und diese Stille sind einfach unerträglich!«

Gilbert schaute ständig über die Schulter, weil ihn das ungute Gefühl beschlich, beobachtet zu werden.

Dann glaubte er, etwas gehört zu haben. Eine Stimme.

»Hast du das gehört? Was war das?«

»Ich habe nichts gehört. Deine Fantasie hat dir nur einen Streich gespielt«, sagte Antilius, dem das beklemmende Gefühl der Leere nicht weniger zu schaffen machte.

Doch Gilbert war sich sicher, eine Stimme gehört zu haben.

»Wo warst du die ganze Zeit?«, hörte er. Es war wieder dieselbe Stimme. Dieses Mal klar und deutlich.

»Da! Hast du es jetzt gehört?«

»Da ist nichts, Gilbert. Entspann dich. Gleich ist es vorüber.«

»Wo warst du? Hast du mich nicht vermisst?« Gilberts Herz begann zu rasen. Panik stieg in ihm hoch. Er konnte die Stimme glasklar hören. Sie war ganz in seiner Nähe. Aber Antilius hörte rein gar nichts.

»Hast du mich vergessen?« Es lag weniger an dem, was die Stimme zu Gilbert sagte, sondern vielmehr daran, wem die Stimme gehörte, weshalb sie ihn in Panik versetzte.

»Hast du mich denn wirklich vergessen?«, fragte die Stimme anklagend und nach einer Antwort verlangend. »Ich habe dich nie vergessen.«

Gilbert raufte sich verzweifelt die Haare. »Das darf nicht sein!«

»Was ist los? Gilbert, sag schon! Was hast du?«

Gilbert antworte nicht, sondern kniff die Augen zusammen und hielt sich die Ohren zu.

»Gilbert! Was ist mit dir?«

»Ich höre ihre Stimme.« Er konnte nicht anders und begann zu schluchzen.

»Wessen Stimme?«

»Die Stimme meiner toten Frau. Sie ist hier, Antilius. Sie ist hier.«

Jetzt bekam es auch Antilius ernsthaft mit der Angst zu tun, denn er wusste um die Gefahr, in der Gilbert jetzt schwebte.

»Du hast mir nie etwas von deiner Frau erzählt.«

»Ich weiß, ich weiß. Ich wollte es ja immer tun, aber ich habe den Mut dazu nicht aufgebracht.«

»Jetzt hör mir ganz genau zu, Gilbert! Und sieh mich an! Diese Stimme gehört nicht deiner toten Frau. Das ist nur eine Illusion. Jemand will dich von mir weglocken. Denk daran, was die Siobsistin gesagt hat: Wir dürfen uns nicht in anderen Erinnerungen verlieren. Du musst dich jetzt auf mich konzentrieren. Ignoriere die Stimme!«

»Ich habe dich nie vergessen, und ich werde dich immer lieben, Gilbert«, sagte die Stimme.

»Das darf nicht wahr sein! Es ist nicht real! Es ist nicht real!«, rief Gilbert in die Leere.

»Du musst der Versuchung widerstehen, der Stimme zu antworten, hörst du?«, sagte Antilius.

»Ja, aber es fällt mir so schwer!«

Lange würde Gilbert das nicht durchstehen. Aber zum Glück begann sich die Umgebung zu erhellen. Eine neue Landschaft formte sich um sie herum. Die Inselwelt Brigg erwachte vor ihren Augen zum Leben.

Ein letztes Mal wiederholte die Stimme von Gilberts Frau den letzten Satz, bevor sie allmählich erstarb.

»Ich habe dich nie vergessen, und ich werde dich immer lieben...«

»Ist sie jetzt weg?«

»Ich hoffe es«, sagte Gilbert und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Du kannst dir nicht vorstellen, welche Anziehungskraft ihre Stimme hatte. Ich wollte ihr antworten. Es war, als wenn sie direkt neben mir stand. Bist du sicher, dass sie es nicht doch war?«

»Sie war es nicht. Wer immer es war, er will dich verwirren, um dich von mir zu trennen. Die Siobsistin hat uns gewarnt, dass unsere Reise in die Vergangenheit nicht unbemerkt bleiben würde. Wir haben offenbar das Interesse von jemandem geweckt, der uns zusieht. Wir müssen jetzt noch vorsichtiger sein.«

Verlorenend Band III

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