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Der Friedhof des Kayen

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Wegen ihrer verspäteten Ankunft auf Panthea war die Nacht zum Schlafen kurz ausgefallen. Weder Antilius noch Tirl konnten zur Ruhe kommen. Statt in dem Gästezimmer der Herberge zu schlafen, starrten sie beide nur aus dem Fenster, um auf die Dämmerung zu warten.

Mit dem ersten Licht des Tages brachen sie schließlich auf. Es war ein nebelverhangener Morgen, durchzogen von der frostigen Kälte der Nacht.

Der Pferdestallbesitzer hatte ihnen zwei alte Gäule angedreht, nachdem er erfahren hatte, dass sie den Friedhof der Hoffnungslosen besuchen wollten. Seine besten Pferde hätte er ihnen angesichts ihres Reiseziels niemals überlassen.

»Dass ihr sie mir ja wieder gesund und munter zurückbringt!«, ermahnte er die beiden Reisenden.

»Keine Sorge, wir werden auf Ihre Pferde genauso gut aufpassen und uns um sie kümmern, wie Ihr Euch um Alte Schwinge kümmern werdet, solange wir fort sind«, entgegnete Tirl schlagfertig.

Die Flugsaurierdame konnte sie nicht zu ihrem endgültigen Ziel bringen, da diese Gegend viel zu kalt für sie war. Da sie nicht vorhersagen konnten, wie lange ihr Aufenthalt auf dem Friedhof dauern würde, wollten sie kein Risiko eingehen. Alte Schwinge brauchte Ruhe, Wärme und etwas zu fressen. Diese Voraussetzungen waren nur in Telandir gewährleistet. Sie musste bei guter Gesundheit sein, wenn sie zurück nach Truchten fliegen sollte.

Als sie sich von ihr verabschiedeten, bildete Antilius sich ein, dass sie fast ein wenig traurig dreingeschaut hatte. Aber es war keine Einbildung. Alte Schwinge hoffte inständig, dass Tirl und Antilius bald wieder zurückkommen würden. Sie war zwar ein Tier, aber sie hatte ein feines Gespür für Gefahr. Und sie spürte die extrem beängstigende Macht, welche sich auf dieser Inselwelt verbarg.

Der Ritt auf den alten Pferden war alles andere als angenehm. Aber immerhin streikten die Gäule nicht und trabten stoisch den ganzen langen Weg hinauf zum Ziel.

Gegen Mittag ließ sich sogar die Sonne blicken. Die Temperatur stieg und der Nebel lichtete sich, sodass es zumindest in dieser Hinsicht nichts zu beanstanden gab.

War der Süden der Inselwelt Panthea - ihrem Startpunkt - noch überwiegend grün und bewaldet, veränderte sich die Landschaft mit jedem Schritt, den sie nach Nordwesten kamen, mehr und mehr zum einem beinahe gänzlich kahlen Ödland. Erst kurz vor ihrem Ziel breitete sich vor ihnen eine schier endlose Grassteppe aus, wie sie ganz typisch war für diese Region.

»Wir sind fast da«, sagte Tirl.


Antilius atmete erleichtert auf. Sie hatten es geschafft. Doch wusste er auch, dass der Tag schon weit fortgeschritten war. Die Sonne war inzwischen hinter einer geschlossenen grauen Wolkendecke verschwunden. Sie würden nicht um die Notwendigkeit herumkommen, auf dem Friedhof oder in dessen Nähe die Nacht zu verbringen.

Kurz darauf erreichten sie die Eingangspforte des Friedhofes der Hoffnungslosen. Und das war eine Pforte! Es war ein aus Felssteinen gemauerter, wuchtiger Torbogen, der mindestens zwanzig Meter in der Breite und zehn Meter in der Höhe maß. Die Mauer, welche den gesamten Friedhof umschloss, und in welche der Torbogen eingefasst war, ragte nur kniehoch aus dem Erdboden. Sie war an vielen Stellen schon völlig zerfallen. Der klägliche Rest von ihr, der noch aus der Erde ragte, war mit Gras und Moos bedeckt. Bald würde man die Außengrenze des Friedhofes gar nicht mehr erkennen können.

Im Torbogen waren zwischen den zahllosen Felsbrocken kleine weiße Steine eingemauert, welche aus hinreichendem Abstand Symbole bildeten. Es waren Worte, geschrieben in einer Schrift, die heute zusammen mit der zugehörigen Sprache niemand mehr kennt. Es handelte sich um die Sprache der Ahnen, die in Vergessenheit geraten war.

»Was steht da?«, fragte Gilbert verwundert, dessen Spiegel wieder in Antilius' Brusttasche steckte, sodass er an dem Geschehen beteiligt werden konnte. Er kannte zwar einige der alten Sprachen, diese hier aber war ihm völlig fremd.

»Da steht: Hier ist Ruhe. Gönnet sie den Müden«, antwortete Tirl, der als einer von sehr Wenigen in die Sprache der Ahnen eingeweiht war.

Sie saßen von ihren immer unruhiger werdenden Pferden ab, leinten sie am Torbogen an und durchschritten die Eingangspforte. Ein dahinter gelegener Hügel verbarg zunächst den Blick auf den Friedhof. Auf der Kuppe der Erhebung aber angekommen, offenbarte sich ihnen das ganze Ausmaß des Kayen. Antilius verschlug es den Atem: Er und Tirl erblickten ein Feld aus Grabsteinen und Stelen, soweit das Auge reichte. Manche standen gerade, andere schief, wieder andere waren zerbrochen. Dazwischen verstreut lagen kleine Mausoleen und Sarkophage aus Stein. Auch von diesen waren nur noch die wenigsten intakt. Doch den Löwenanteil des Friedhofes machten die Grabsteine aus. Es mussten zehntausende oder hunderttausende sein. Auf Nachfrage von Gilbert, der nicht weniger geplättet war, schätze Tirl die Zahl der Gräber auf eine halbe Million.

»Wenn ich es nicht sehen würde, dann würde ich es nicht glauben. Der Wirt hatte recht, als er sagte, dies sei der größte Friedhof des Universums«, sprach Antilius voller Ehrfurcht. Auf einmal bekam er ein flaues Gefühl im Magen. Er fürchtete sich vor diesem Ort und bereute es, hierher gekommen zu sein.

»Du brauchst keine Angst zu haben, Antilius«, hörte er eine Stimme sagen. Aber es war nicht die Stimme von Tirl und auch nicht die von Gilbert. Oder doch?

Er drehte sich verdutzt um und sah Tirl fragend an. »Hast du das gerade gesagt?«

»Nein, aber Mila hat gerade gesagt, dass du keine Angst haben brauchst. Du... du hast sie gehört?«, fragte Tirl mit großen Augen und einem Anflug von Begeisterung.

»Ich weiß nicht. Ich bin mir nicht sicher.« Antilius war so überrascht, dass er nicht wusste, was er denken oder sagen sollte. Er wollte es darauf schieben, sich geirrt zu haben. Dass ihm seine Fantasie einen Streich gespielt hatte, weil er lange über Milas Geheimnis nachgedacht hatte. Aber er fühlte, dass es keine Einbildung war.

Tirl winkte ab: »Ist ja auch egal. Jedenfalls hat Mila völlig recht. Hier gibt es nichts, vor dem man sich fürchten muss. Als ich hier vor Jahren war, habe ich nichts Unheimliches gesehen. Wenn die Siobsistin hier ist, dann hat sie sich verdammt gut versteckt.«

»Du glaubst immer noch nicht, dass es die Siobsistin gibt, oder?«, fragte Gilbert.

»Es fällt mir schwer, an etwas zu glauben, das ich nicht mit eigenen Augen gesehen habe.«

Antilius ließ den Blick über das Meer von Gräbern schweifen. »Du hast sie nicht gesehen, weil du nicht hinter den Schleier geblickt hast.«

»Hinter den Schleier?«

»Ja. Als Xali in meinen Armen starb, da hat sie mir gesagt, dass ich hinter den Schleier blicken müsse, um die Siobsistin zu finden. Xali übertrug diese Fähigkeit auf mich.«

»Was bitte soll denn der Schleier sein?«, wollte Gilbert wissen, der so wie seine Freunde den Blick von den Stelen und Grabsteinen nicht abwenden konnte.

»Das weiß ich nicht genau. Es scheint aber so zu sein, dass der Schleier eine Art Vorhang ist, der unsere Welt von anderen Welten trennt. Je tiefer man hinter den Schleier blickt, desto fernere Welten, desto mehr Dimensionen kann man sehen. Es gibt Dinge und Lebensformen, die unter uns sind, die wir aber nicht bemerken können, weil unsere Wahrnehmungsfähigkeit auf unsere Dimensionen von Raum und Zeit beschränkt ist. Ich glaube zum Beispiel, dass die Späher zu diesen Lebewesen gehören. Sie können sich hinter dem Schleier verstecken und können deshalb nicht von uns gesehen werden, wenn sie es nicht wollen.

Wenn Xali die Wahrheit gesprochen hat, dann versteckt sich die Siobsistin hinter jenem Schleier. Der Wirt hat ja auch davon gesprochen. Ich muss nur meinen Blick darauf richten, auch wenn ich noch keine Übung darin habe. Die Frage ist nur, wo sie sich versteckt. Das Gelände des Friedhofes ist gigantisch. Wo sollen wir anfangen?«

Tirl überlegte nicht lange. »Im Zentrum gibt es eine verfallene Ruine. Sie muss einmal eine prachtvolle Kapelle gewesen sein. Vielleicht beginnen wir dort mit der Suche.«

»Dann los!«

Verlorenend Band III

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