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Der Rat von Arcanum

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Die Gemeinschaft von Antilius, Haif Haven, Pais Ismendahl, Tirl und Gilbert, dem Spiegelgefangenen, hatte das Angebot der Präfektin der Ahnenländer angenommen und sich zwei Tage Ruhe gegönnt. Man hatte ihnen in Arcanum, der wunderschönen Stadt im Inneren eines erloschenen Vulkankraters, eine Unterkunft zur Verfügung gestellt.

Xali war vernichtet, aber Gorgus, der Weise, hatte es geschafft, dem Dunkelträumer eine entscheidende Hürde auf dem langen Weg nach Hause zu nehmen. Er hatte dafür gesorgt, dass soviel des wundersamen Avioniumgesteins entstanden war, dass dessen Energie für die bevorstehende Rückkehr mehr als ausreichend sein würde.

Haif schlief während dieser Zeit fast durchgehend und erholte sich vollständig von seinem 'Besuch' in Argusa Gigantulas ätzendem Inneren.

Tirl nutzte die Zeit und durchforstete sämtliche Aufzeichnungen seiner Forschungsreisen, um auch keine noch so unbedeutend erscheinende Information zu übersehen, die ihnen in dieser gefährlichen Zeit von Nutzen sein könnte.

Pais beriet sich mit seinem Bruder und ließ sich alles erzählen, was er in den letzten Jahren auf den Ahnenländern verpasst hatte.

Jeder fand ein wenig und auf seine Weise Ruhe. Nur nicht Antilius. Er konnte während dieser Tage kaum schlafen. Am Morgen des dritten Tages, den sie in Arcanum verbrachten, trat er auf den Balkon seines Zimmers, das sich auf der obersten der ringförmigen Terrassen befand. Von dort aus hatte er einen fantastischen Blick auf die weiße Stadt im grünen Vulkantrichter. Der Herbst war nun da. Die Natur bereitete sich allmählich auf den Winter vor. Alles wurde ein wenig stiller und kälter. Das Laub der Bäume in den Parkanlagen hatte seine Farbe verändert. Die ersten Blätter fielen bereits herab und wirbelten umher. Und die Schatten wurden länger.

Der Anblick machte Antilius einfach nur traurig. Er konnte aus der ihn umgebenden Ruhe keine Kraft schöpfen, weil er wusste, dass die Ruhe trügerisch war. Es waren einfach zu viele Dinge, die ihm schwer auf dem Herzen lasteten. Und dabei war die Erkenntnis, dass sein Bildnis auf einem fast tausend Jahre alten Gemälde zu finden war, nicht einmal das Schlimmste.

Die Rückkehr des Dunkelträumers war nicht mehr zu verhindern. Das Avionium, das dieser dafür brauchte, war durch die Sprengung des Berges bei Gorgonia freigesetzt worden. Das Einzige, was dem Dunkelträumer noch fehlte, war der spirituelle Führer, der sogenannte Transzendente, der ihn zurück lotsen würde. Diesen zu finden, war vermutlich nur noch eine Frage der Zeit.

Was Antilius aber noch viel mehr Sorgen bereitete, war die Neuigkeit, die ihm der Vergessene in der versunkenen Stadt Eventum enthüllt hatte. Nämlich die Tatsache, dass Verlorenend zerfiel. Ilbétha hatte - soviel wusste Antilius durch den Vergessenen bereits - Verlorenend stabilisieren können, bevor sie sich versteckt und zur Ruhe begeben hatte. Aber anscheinend war das nicht ausreichend gewesen. Alle, die in Verlorenend lebten, würden sterben, wenn man den Zerfall nicht aufhalten würde. Auch Tahera, die Frau, die Antilius in Verlorenend getroffen hatte, würde sterben. An sie musste er in der letzten Zeit besonders oft denken. Je mehr er über sie nachdachte, und je mehr Zeit seit seinem Aufenthalt in Verlorenend verging, desto mehr fühlte er sich zu ihr hingezogen. Er konnte es sich nicht erklären, aber seine Begegnung mit ihr konnte kein Zufall gewesen sein. Er spürte, dass es eine Vertrautheit zwischen ihnen gab, die ihm mit jedem Tag, der verging, offensichtlicher wurde.

Nur Ilbétha würde wissen, wie man den Zerfall von Verlorenend aufhalten konnte. Doch von ihr fehlte jede Spur. Sie auf konventionellem Wege zu suchen, wäre aussichtslos. Ihr Versteck auf Thalantia war so außergewöhnlich, dass niemand es von sich aus finden würde. Antilius hatte der Präfektin und den anderen von seiner Überzeugung, dass Ilbétha noch lebendig war, berichtet. Zunächst hatte er es für sich behalten, doch jetzt hielt er es für ratsam, keine Geheimnisse vor der Präfektin mehr zu haben. Sie hatte zwar trotz gegenteiliger Überlieferung schon geahnt, dass Ilbétha noch lebte. Aber nach dem Bericht von Antilius bekam die Bedrohung, die von ihrer Macht ausging, eine neue Qualität, die auch der Präfektin Angst machte.

Heute war der Tag, an dem über die Bedrohung durch den Dunkelträumer und das weitere Vorgehen beraten werden sollte. Neben Antilius und seinen Gefährten wurden Avest, der Hüter der letzten Relikte aus der Zeit der Könige, geladen, sowie drei weitere Vertraute der Präfektin.

Der Rat sollte an einem besonderen Ort zusammenkommen und zwar im höchsten Zimmer in der Spitze des schmalen Turms, der aus der Mitte der Stadt, vom tiefsten Punkt des Kraters aus, aufragte.

Gilbert in seinem Spiegel musste Antilius mehrfach auffordern, an dem Rat teilzunehmen, denn sein Meister driftete mit seinen Gedanken immer weiter weg. Außerdem wusste Antilius ohnehin, was er jetzt zu tun hatte. Weiteres Gerede erschien ihm wenig zweckmäßig.

Er blieb aber vernünftig und nahm an dem Treffen teil. Der Raum an der Spitze des Turms war kreisrund und hatte eine lückenlose Fensterfront, sodass man einen atemberaubenden Rundumblick auf die riesige Terrassen-Stadt hatte.

Nachdem die Präfektin die Anwesenden kurz begrüßt hatte, kam sie auch gleich zur Sache:

»Die Ereignisse der letzten Tage haben sich überschlagen und entziehen sich mehr und mehr unserer Kontrolle.« Die Frau mit den langen grauen Haaren seufzte. Sie wirkte müde. »Wir müssen uns wohl eingestehen, dass wir die Rückkehr des Dunkelträumers nicht mehr verhindern können. Besonders nach dem, was in Gorgonia geschehen ist.

Egal, was wir beschließen, zu unternehmen, wir müssen uns beeilen. Die Zeit rennt uns davon.

Als erste Maßnahme habe ich das Gebiet rund um Gorgonia von meinen Leuten bewachen lassen, soweit das überhaupt möglich ist. Auf diese Weise will ich verhindern, dass sich jemand an dem freigesetzten Avionium zu schaffen macht. Der Dunkelträumer wird es für seine Rückkehr brauchen.«

»Ich will nicht respektlos erscheinen«, wendete Pais Ismendahl ein, »aber wenn der Dunkelträumer an das Avionium heran will, dann wird er sich nicht von ein paar Wachen aufhalten lassen.«

»Vergesst nicht, Herr Ismendahl, dass der Dunkelträumer sich das Avionium nicht selbst holen wird, sondern jemand, der von Thalantia stammt. Jemand, der als Transzendenter in Erscheinung treten wird.«

»Und was sollen wir jetzt tun? Sollen wir jetzt einfach dasitzen und abwarten, was passiert? Schließlich wissen wir doch gar nichts über die Pläne des Feindes, oder irre ich mich?«, fragte Haif, dessen beigefarbenes Fell in der Morgensonne glänzte.

»Bis zum gestrigen Tage glaubte ich, dass wir zur Untätigkeit verdammt wären, Herr Haven«, antwortete die Präfektin. »Aber vielleicht haben wir ein wenig Glück.« Sie wies per Handbewegung einen Diener an, jemanden in den Raum zu bringen.

Alle Anwesenden schauten gespannt und misstrauisch den zerlumpten Mann an, der kurz darauf eintrat. Ihm wurde kein Stuhl zum Sitzen angeboten.

»Wer ist das?«, wollte Tirl wissen.

Es war der Waldläufer, der Calessia bei ihrem Gespräch mit dem Dunkelträumer beobachtet und danach die Flucht angetreten hatte.

Die Präfektin nickte dem Mann zu und bedeutete ihm, sich zu erklären.

»Mein Name ist Endras. Ich komme von Fahros.

Da ich weiß, dass Eile geboten ist, werde ich mich kurz fassen. Calessia, die Gefährtin des Todes, heuerte mich und ein paar andere Männer für eine Expedition in das weite Moor von Elend-Uhn an. Als wir nach einer beschwerlichen Reise am Ziel ankamen, erweckte Calessia etwas, das aus dem Moor emporstieg.«

»Erweckte?«, fragte Tirl argwöhnisch.

»Ja, wir auf Fahros nennen ihn den Kataklysten. Ein Moor-Golem, der laut unserer Legenden eines Tages dem Moor entsteigen und den Untergang Thalantias prophezeien würde.«

»Ich habe von diesen Erzählungen gehört. Aber es sind doch nur Legenden. Das ist einfach nur Fiktion. Endras, seid Ihr Euch sicher, dass Ihr Euch nicht geirrt habt? Dass das, was Ihr gesehen haben wollt, nicht doch etwas anderes war?«, hakte Tirl nach. Es fiel ihm immer noch schwer zu glauben, dass sich die Legenden versunkener Städte und in der Dunkelheit ruhender Wesen nach und nach als wahr herausstellten. Und das, obwohl er eine dieser lebendig gewordenen Legenden vor Kurzem erst selbst gesehen hatte, nämlich den Leviathan.

»Ich weiß, was ich gesehen habe«, antwortete Endras. »Es war der Kataklyst. Er überreichte Calessia einen Stein, mit dessen Hilfe sie jemanden anrief, den sie als Dunkelträumer bezeichnete.«

Antilius wurde ganz blass, und auch den anderen Anwesenden stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben. »Sie hat mit dem Dunkelträumer gesprochen?«

»Ja. Aber ich weiß nicht, wer der Dunkelträumer sein soll.«

»Das tut hier nichts zur Sache. Fahrt fort!«, forderte die Präfektin Endras auf. Er sollte nicht noch mehr erfahren, als er ohnehin schon wusste.

»Calessia bot dem Dunkelträumer ihre Dienste an, woraufhin dieser ihr auftrug, nach denkenden Steinen auf der Inselwelt Brigg zu suchen. Mithilfe dieser Steine will der Dunkelträumer - so sagte er es jedenfalls - die ruhenden Sieben als Verbündete wecken.

Ich habe zwar keine Ahnung, worum es dabei geht, aber während ich die furchtbare Stimme des Dunkelträumers aus dem Stein hörte, überkam mich eine große Angst. Ich floh heimlich und wurde schließlich von einem eurer Agenten der Ahnenländer aufgegabelt und hierher gebracht, um meine Geschichte zu erzählen.«

»Danke. Das war es fürs Erste, Endras. Lasst uns bitte wieder allein«, sagte die Präfektin.

Nachdem Endras den Raum hoch oben über Arcanum wieder verlassen hatte, sagte zunächst niemand etwas.

»Wir haben noch ein viel größeres Problem, als wir dachten«, durchbrach Avest Dremor das Schweigen, während er ins Leere starrte.

»Dann klärt uns auf! Wer sind die Sieben?«, forderte ihn Pais auf.

»Die Sieben waren während des großen Krieges auf Thalantia eine Art Waffe, die auf Truchten im Kampf gegen die fremden Invasoren, insbesondere die Uwore, eingesetzt wurde. Es waren steinerne Riesen. Jeder dieser Titanen muss wenigstens hundert, vielleicht sogar dreihundert Meter groß gewesen sein. Sie bestanden aus einer besonderen Gesteinsart, die mit der Energie des Schwerkraft verringernden Avioniums versetzt war. Die denkenden Steine, von denen Endras gesprochen hat, sind so etwas wie das Gehirn der Titanen. Wer die denkenden Steine kontrolliert, der kontrolliert die Titanen.«

Haif verbarg sein Gesicht hinter seinen kleinen Händen. »Dieser Stress nimmt ja gar kein Ende!«

»Wenigstens wissen wir jetzt, was der Dunkelträumer vorhat. Er will eine Armee aufbauen, ohne die er anscheinend nicht seine Ziele erreichen kann, worin auch immer diese liegen. Unsere Aufgabe besteht nun darin, die denkenden Steine zu finden, bevor Calessia und ihr Freund aus dem Moor es tun.

Unsere Agenten haben Calessias Spur verloren. Sie versteht es, sich zu verstecken. Endras sagte zu mir, dass sie lediglich weiß, dass sich die denkenden Steine irgendwo auf Brigg befinden. Aber jene Inselwelt ist groß. Wenn wir Glück haben, sucht sie an der falschen Stelle. Wir werden versuchen, ihr eine Falle zu stellen, indem wir ihr falsche Informationen über das mögliche Versteck der denkenden Steine zukommen lassen. Wir aber haben den Vorteil, zu wissen, wo die Steine sein könnten.«

»Ach ja? Und wo?«, fragte Antilius.

»Wir wissen, wer die denkenden Steine und die Titanen erschaffen hat«, sagte Avest. »Es war der Rätselmacher. So jedenfalls wurde er genannt. Nach den uns überlieferten Informationen muss der Rätselmacher ein Genie im Erfinden gewesen sein. Es heißt, dass er, nachdem die Titanen ihren Zweck erfüllt hatten, die denkenden Steine mit zu sich in sein Grab genommen hat. Genaugenommen in seine Gruft, die sich am selben Ort wie seine Werkstatt befindet. Sie liegt tief in der Höhle eines Berges auf Brigg. Tirl ist bei einer seiner Reisen schon einmal dort gewesen.«

Der Arboraner fühlte sich ein wenig überrumpelt. »Ich habe den Berg damals gefunden, das ist richtig. Aber der Höhleneingang war durch tonnenschweres Geröll versperrt, wenn denn das, was ich gesehen habe, ein Eingang war. Vermutlich entstanden durch ein Erdbeben. Ich konnte nicht hineingelangen. Ich kann weder bestätigen, noch kann ich verneinen, dass die denkenden Steine dort sind.«

»Das ist der einzige Anhaltspunkt, den wir haben«, ergriff die Präfektin wieder das Wort. Ihre ruhige und besonne Art war in dieser angespannten Lage wohltuend. »Herr Ismendahl, ich möchte Euch mit der Suche nach den denkenden Steine betrauen. Nehmt Euch mit, wen Ihr braucht. Ich werde Euch Spezialisten zur Verfügung stellen, welche die Sprengung des Höhleneingangs vornehmen werden.«

»In Ordnung«, sagte Pais. »Ich hoffe, dass eine Sprengung ausreichen wird, um hineinzugelangen.«

»Da ist noch etwas, das Ihr wissen solltet, Herr Ismendahl«, sprach Avest.

»Jeder Hinweis ist mir willkommen.«

»Der Rätselmacher war nicht nur für seine Erfindungen berüchtigt. Sein Name rührt von der Tatsache her, dass er offenbar ein fanatischer Rätselliebhaber war und die Leute von damals mit kuriosen Rätseln irgendwie unterhalten hat.«

»Ja, und?«

»Was ich damit sagen will, ist, dass man an das Vermächtnis des Rätselmachers mit Sicherheit nicht ohne Weiteres herankommen wird.«

»Ihr meint, es wird ein Rätsel zu lösen geben, um die denkenden Steine zu finden?«

»Ja. Und es wird bestimmt nicht einfach sein.«

»O, ich liebe Rätsel!«, rief Haif begeistert und richtete sich auf seinem Stuhl auf. »Ich bin ein Meister im Lösen von Rätseln.«

»Ach ja?«, zweifelte Pais.

»Und wie! Ich werde mit dir gehen. Zusammen werden wir die denkenden Steine finden, Präfektin. Ihr könnt Euch auf uns verlassen.«

Die Präfektin lächelte. Ein seltener Anblick. »Dann wäre das geklärt.

Jetzt aber kommen wir noch zu Antilius.«

Auch wenn es keinen Grund gab, so fühlte sich Antilius in diesem Moment wie ein Aussätziger, denn als alle Blicke auf ihn gerichtet wurden, kam es ihm vor, als stimme etwas nicht mit ihm.

»Das Bild in unserer Pinakothek zeigte jemanden, der genauso ausgesehen hat wie Antilius. Jemanden, der aber vor etwa tausend Jahren gelebt hat. Wir haben lange diskutiert, aber wir haben dafür bisher keine Erklärung gefunden«, gestand Avest.

»Kann es sich nicht um einen entfernten Verwandten von Antilius handeln? Manchmal kommt es doch zu großen Ähnlichkeiten innerhalb einer Blutsverwandtschaft«, mutmaßte Pais, der sich an seinem Bart kratzte.

»Nun ja, die Ähnlichkeit zu der Person auf dem Gemälde ist schon frappierend. Sie sieht Antilius zum Verwechseln ähnlich.«

»Sie können doch unmöglich annehmen, dass es sich bei dieser Person um Antilius handelt«, mischte sich Gilbert ein, dessen Spiegel auf dem Tisch lag. »Wenn ich mir meinen Meister so ansehe, dann glaube ich kaum, dass er tausend Jahre alt ist.«

»Ich fühle mich auch nicht wie ein Tausendjähriger«, meinte Antilius und rang sich ein kurzes, verbittertes Lächeln ab. Er schwieg einen Moment und blickte dann ernst in die Runde. So ernst, dass keiner der Anwesenden an seinen folgenden Worte zweifelte.

»Der scheinbaren Unmöglichkeit, dass ich derjenige auf dem tausend Jahre alten Gemälde sein kann, ungeachtet, fühle ich, dass ich es doch bin.«

»Kannst du das näher erläutern?«, bat ihn Tirl.

»Ich kann es nicht beweisen, aber es sind einfach zu viele Dinge in den letzten Tagen passiert, die alle darauf hindeuten. Da wären zum Beispiel diese Flashbacks, die mich manchmal befallen. Ich hörte eine Stimme in meinem Kopf, die sehr vorwurfsvoll klang und mich fragte: 'Wie konntest du nur?' Ich weiß, dass es sich dabei um Erinnerungsfetzen aus meiner Vergangenheit handelt, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Aber diese Vergangenheit kommt mir so unendlich fern vor.

Dann war da noch der Leviathan auf Arbrit, der mich zu kennen schien und mir sagte, dass ich alles, was einst war, vergessen hätte. Ähnlich war es auch, als ich Gorgus, dem Vater der Gorgens, gegenüberstand. Er nannte mich 'Freund'.

Es gibt daher nur eine logische Schlussfolgerung: Ich muss zu dieser Zeit gelebt haben und in die Ereignisse verwickelt gewesen sein.«

»Hmm. Nehmen wir mal an, du hast recht, dann ergibt das, was wir auf dem Gemälde gesehen haben, auch einen Sinn«, sagte Pais.

»Inwiefern?«

»Auf dem Bild sieht man, wie Antilius und andere den Dunkelträumer von Thalantia verbannen, richtig?«

Avest Dremor nickte. Er hatte sein ganzes Leben der Erhaltung der letzten Zeugnisse der Vergangenheit gewidmet und kannte jeden Quadratmillimeter des riesigen Gemäldes auswendig.

»Dann erklärt das auch, warum das Flüsternde Buch bis zum Schluss versucht hat, Antilius aus dem Weg zu räumen. Denn nur er weiß, wie man den Dunkelträumer aufhalten kann. Aber genau das hat Antilius vergessen. Sein Gedächtnisverlust kann also kein Zufall sein.«

Antilius seufzte einmal kurz und sagte: »Alles Spekulieren bringt uns jetzt nicht weiter. Es gibt nur einen Ort, an dem ich Antworten finden kann. Auf Panthea.«

»Warum dort?«, fragte Haif.

»Der Vergessene in der versunkenen Stadt sagte mir, dass es auf Panthea einen großen alten Friedhof geben solle, auf dem ein Wesen lebt, das er die Siobsistin nannte. Dieses Geschöpf soll über die Fähigkeit verfügen, die Vergangenheit wiederaufleben zu lassen, sodass ich mich wieder erinnern kann.«

»Ich kenne den Friedhof. Man nennt ihn den Friedhof der Hoffnungslosen. Die Einheimischen nennen ihn auch den Friedhof des Kayen«, murmelte die Präfektin nachdenklich. »Von einer Siobsistin habe ich aber noch nie etwas gehört. Was meint Ihr dazu, Tirl?«

»Ich war schon einmal auf diesem Friedhof. Und ich kenne die Legende, nach der sich dort ein Wesen aus den verlorenen Seelen der Toten heraus manifestiert haben soll. Ich habe aber bei meinem Aufenthalt dort nichts Ungewöhnliches gesehen.«

»Antilius, habt Ihr Vertrauen in die Worte des Vergessenen?«

»Ja. Er offenbarte mir dieses Geheimnis im Angesicht seines Todes. Ich muss nach Panthea.«

»Also gut«, sprach die Präfektin. »Tirl, ich möchte, dass Ihr Antilius begleitet.«

»Wenn Ihr das wünscht. Aber wären meine Kenntnisse nicht sinnvoller eingesetzt, wenn ich Pais Ismendahl nach Brigg begleite? Ich kenne die Gegend sehr gut und weiß, an welcher Stelle der Zugang in den Berg am einfachsten wäre.«

Die Präfektin war schon geneigt, sich anders zu entscheiden, als sie merkte, dass Tirl seinen Kopf zur Seite drehte und aufmerksam jemandem zuzuhören schien. Doch keiner der anderen sagte zu diesem Zeitpunkt etwas.

Es war Mila, die gerade zu Tirl sprach. Mila, seine Frau, die nur er sehen konnte. Die meisten hielten sie für ein Produkt seiner Fantasie, für eine imaginäre Person. Nur Antilius nicht. Er war sich sicher, dass hinter Mila mehr steckte als bloße Einbildung.

»Wenn du meinst, Mila«, sagte Tirl schließlich.

Die Präfektin bedeute ihm mit einem Blick, sich zu erklären.

»Mila sagte, es wäre notwendig, dass ich mit Antilius gehe. Also werde ich das auch tun.«

»Na, wenn Mila das sagt, muss es ja stimmen«, lästerte Pais gereizt.

Antilius warf ihm ein finsteren Blick zu. Er hatte ihm schon einmal gesagt, dass er Tirl so akzeptieren sollte, wie er war. Es war nicht so, dass Pais den Arboraner Tirl nicht leiden konnte. Was ihn störte, war, dass sich Tirl in seinen Augen kindisch benahm, wenn er weiterhin an der Illusion festhielt, dass seine Frau noch lebte, anstatt sich der Wahrheit zu stellen. Aber Antilius wusste es besser: Mila war real, auch wenn niemand außer Tirl sie sehen und hören konnte.

»Dann weiß jetzt jeder, was er zu tun hat«, fasste die Präfektin zusammen. »Antilius, ich werde Euch wieder Alte Schwinge zur Verfügung stellen. Sie hat sich von den Strapazen der letzten Tage erholt und wird Euch auf dem schnellsten Wege nach Panthea bringen.«

»Und womit sollen wir nach Brigg reisen? Mit einem Schiff dauert das ewig!«, intervenierte Haif.

»Eure Reise nach Brigg wird viel kürzer sein, als Ihr denkt. Ich habe eine Überraschung für Euch, Ihr werdet sehen.«

Haif kratzte sich am Fell auf seinem Bauch und rätselte, was die Präfektin als Reisegefährt für ihn und Pais parat hatte. Etwa noch einen Flugsaurier?

O, bitte nicht! Da wird mir schon schwindelig, wenn ich nur daran denke, dachte er.

»Und was werdet Ihr tun, Präfektin?«, fragte Pais.

»Ich habe eine besonders unangenehme Aufgabe zu erfüllen. Da wir die Ereignisse und die Gefahr, die uns allen auf Thalantia droht, nicht länger geheim halten können, werde ich Boten in alle Städte und Dörfer aller sieben Inselwelten aussenden lassen und die dortigen Regierenden hierher zu einem Treffen einladen. Ich werde reinen Tisch machen und ihnen alles erzählen, das wir jetzt wissen.«

»Was ist daran so unangenehm?«, wollte Haif wissen.

»Nun, ein solches Treffen aller Volksvertreter von Thalantia hat es seit dem Fall der fünf Königreiche nicht mehr gegeben. Ich weiß weder, ob ich Gehör noch ob ich Unterstützer für den Ernstfall finden werde.«

»Lasst uns alle das Beste hoffen. Noch ist nichts zu spät. Und wer weiß, vielleicht haben wir auch etwas Glück. Wir könnten jedenfalls ein wenig davon gut gebrauchen«, sprach Pais.

Damit war die Besprechung auch schon beendet. Wieder einmal mussten sich ihre Wege trennen. Jeder von ihnen hatte die Hoffnung noch längst nicht aufgegeben. Aber die bisherigen Erlebnisse hatten sie gelehrt, dass jeder nächste Schritt gefährlicher sein würde als der vorherige. Und dass der Tod im wahrsten Sinne des Wortes hinter jeder Ecke lauern konnte. Das, was sie als Nächstes erwartete, machte keine Ausnahme von dieser Regel.

Verlorenend Band III

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