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Die Auserwählten

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Terius, den sonst nichts so leicht aus der Fassung brachte, stand der Angstschweiß auf der Stirn. Mit vielem hatte er gerechnet, aber nicht mit so etwas Unmöglichem.

»Meine Adepten und ich sind nur zu zehnt. Wie sollen wir jemanden töten, ohne zu wissen, wer oder was er ist?«

»Glauben Sie mir, Herr Terius, ich würde Ihre Gruppe nicht auf diese Mission schicken, wenn es keine Aussicht auf Erfolg gäbe. Jeder Feind hat einen Schwachpunkt. Der sogenannte Imperator bildet da keine Ausnahme. Er ist ein großer Stratege, aber er ist körperlich schwach. Ein einziger Hieb mit einem Schwert könnte ihn töten. Das Problem ist nur, dass man ihm nicht so nahe kommt, da er das Feuer beherrscht und Gedanken manipulieren kann.

Aber wir haben Glück. Der Imperator scheint sich in einem regelmäßigen Zyklus regenerieren zu müssen. Mit anderen Worten: Er muss längere Zeit schlafen. Es wäre nicht ganz falsch zu sagen, dass er eine Art Winterschlaf halten muss. In jenem Schlaf befindet er sich jetzt und ist deshalb angreifbar.«

»Verzeiht, mein Herr, aber woher wollt Ihr wissen, dass der Imperator schläft?«, fragte Antilius, der die Geschichte vom Winterschlaf nicht so recht glauben wollte.

»Ich weiß es, weil Ilbétha es uns verraten hat. Wir baten sie, uns alles über die Invasoren zu erzählen, was sie weiß, und diese Information gab sie uns. Ilbétha verabscheut Gewalt. Wenn sie nicht so geschwächt wäre, dann hätte sie niemals zugelassen, dass so viele Thalantianer sterben mussten. Sie will uns helfen, diesen Krieg zu beenden. Ich glaube, wir können ihr vertrauen.«

Terius war auch skeptisch, aber er wollte diese Mission unbedingt zum Erfolg führen. »Hoffen wir, dass Ilbétha sich nicht irrt. Wir sollen den Imperator also im Schlaf töten. Das sollte wohl machbar sein.«

»Leider ist es nicht so leicht, wie es sich anhört«, mahnte der König. »Der Imperator hat für die Sicherheit seiner Schlafphase Vorkehrungen getroffen. Er befindet sich im Einsamen Turm im Nordosten von Brigg.«

»Ihr meint den Turm, den die Releganer den Mandra nennen?«, fragte Terius.

»Ja. Es ist der höchste Turm Thalantias und wurde vor Jahren weit ab von der nächsten Siedlung vom Rätselmacher für die Releganer gebaut. Dort schläft jetzt der Imperator. Es heißt, dass jeder Eingang zum Turm versiegelt wurde. Der Turm selbst wird nach unseren jüngsten Erkenntnissen von drei Verteidigungslinien beschützt. Die äußerste Linie besteht aus mehreren Außenposten, die von Uworen besetzt sind.

Die mittlere Verteidigung wird von Wesen gestellt, die wir als Embrassen bezeichnet haben. Der Imperator hat sie aus seiner Heimatwelt mitgebracht. Embrassen sind riesige Kreaturen, die hoch oben in Luft scheinbar schwerelos gleiten. Lange Tentakel hängen von den Wesen bis zum Boden herab, mit denen sie Feinde abfangen können, so wie bei einer Qualle. Eine dieser Embrassen wurde vor der Nordküste Briggs gesichtet. Sie hatte eines der Althane, also eines unserer größten Baum-Schiffe in ihren Fängen und brachte das Schiff zum Sinken. Und das innerhalb von Sekunden. Dieser Vorfall verdeutlicht die Größe und Kraft dieser Kreaturen.

Die innerste Verteidigung ist die schwerste und die rätselhafteste. Ein breiter Wassergraben säumt den Einsamen Turm. In dem Wasser sollen jetzt spukhafte Gestalten leben, die sich selbst die Emers nennen. Sie bestehen größtenteils aus Wasser, und sie beherrschen das Wasser, so wie der Imperator das Feuer beherrscht. Leider wissen wir nicht mehr über diese Rasse. Der Imperator wird sie nicht ohne Grund als letzte Verteidigung ausgewählt haben.«

Gilbert, der alles mitangehört hatte, blies die Backen auf und pustete aus. »Und da will der König euch hinschicken? Entweder ist der Mann ein Genie oder komplett verrückt.«

Antilius griff unbewusst die Bemerkung seines Freundes auf: »Mein Herr König, nicht einmal eine Armee würde diese Verteidigung durchbrechen können. Wie sollen wir es dann schaffen?«

»Indem wir für eine Ablenkung sorgen werden«, antwortete Artorius prompt.

»Welche Art Ablenkung?«

»Wir werden einen Teil unserer Flotte des Peneplain von Westen her Kurs auf den Einsamen Turm nehmen lassen.«

Flotte des Peneplain? Antilius konnte zunächst nichts mit diesem Begriff anfangen. Aber dann fiel es ihm wieder ein. Es handelte sich um eine Flotte von Schiffen, die in der Luft schwebten, ähnlich wie ein Heißluftballon. Der Unterschied nur war, dass diese Schiffe das schwebende Avionium verwendeten, also jenes Mineral, das zu dieser Zeit auf Thalantia noch reichlich vorhanden war.

»Von wie vielen Schiffen sprechen wir?«, fragte Terius.

»Sieben Schiffe. Mehr kann ich nicht entbehren. Aber mehr werden auch nicht notwendig sein. Wir brauchen sie nur, um die Uwore und die Embrassen aus ihren Stellungen wegzulocken, sodass der Weg zum Einsamen Turm frei wird. Wenn alles klappt, dann bleiben nur die Emers übrig.«

»Diese Wasserwesen werden sich wohl kaum mit konventionellen Waffen überwältigen lassen«, sagte Antilius.

»Nein. Auch der Einsame Turm wird nicht durch zehn Menschen gestürmt werden können. Dazu wurde er zu gut befestigt. Deshalb kommt an dieser Stelle Ilbétha noch einmal ins Spiel. Sie hat angeboten, dass sie Terius und seine Schüler mit einer besonderen Gabe ausstatten wird. Ja, meine Damen und Herren, sie haben richtig gehört. Sie sind die Auserwählten.«

»Eine Gabe?«

»Mit Ilbéthas Hilfe werden Sie in der Lage sein, in Materie hineinzusehen und sie zu verändern.

Ich kann es nur unzureichend erklären, da noch niemandem diese Gabe zuteil geworden ist. Aber was ich sagen kann, ist, dass Sie mit der Macht, Materie zu verändern, die Emers besiegen und den Einsamen Turm zu Fall bringen können, wenn sie nahe genug herangekommen sind.

Noch am heutigen Tage wird Ilbétha diese Macht an die Auserwählten weitergeben, bevor sie nach Finfin in Sicherheit gebracht wird.«

»Warum gerade wir? Was ist an uns anders als bei anderen Menschen?«, fragte Antilius.

»Weil Sie die Einzigen sind, die von unseren Vorfahren etwas vererbt bekommen haben, das Sie dazu befähigt, Ilbéthas Kräfte in sich aufzunehmen. Deshalb haben Sie die letzten Wochen ein intensives mentales Training durchlaufen. Es diente einzig und allein dazu, mit der Macht von Ilbétha umzugehen und sie kontrollieren zu können. Doch seien Sie gewarnt: Die Macht über die Materie darf ausschließlich nur gegen den Feind eingesetzt werden. Ilbétha hat darauf bestanden. Sie müssen immer und zu jeder Zeit die Kontrolle über sich bewahren. Wut, Trauer oder Angst könnten eine negative Auswirkung auf die Gabe haben. Sie darf niemals unkontrolliert entfesselt werden. Mentale Disziplin ist daher für Sie alle das oberste Gebot.«

Gilbert runzelte die Stirn. »Antilius, was meint er denn mit dem Erbe der Vorfahren?«

»Ich glaube, mein Bruder und ich sind Nachkommen einer Art von Menschen, die vor Urzeiten auf Thalantia gelebt hat. Ich erinnere mich, dass wir mit Telekinese und Gedankenübertragung experimentiert haben. Vermutlich hat Ilbétha uns aus diesem Grunde ausgewählt, weil wir keine gewöhnlichen Menschen sind.«

Terius gefiel der Gedanke, mit einer unerforschten Gabe ausgestattet und anschießend in den Kampf geschickt zu werden, überhaupt nicht. »Ich widerspreche nur äußerst ungern, mein Herr König. Aber das kommt doch alles sehr plötzlich. Wir sollen doch noch heute nach Brigg aufbrechen. Wir werden ja gar keine Zeit haben, Ilbéthas Fähigkeit zu erlernen.«

»Keine Sorge, Herr Terius. Sie brauchen nichts zu lernen. Wenn Ilbétha ihre Gabe mit Ihnen teilt, dann werden Sie es sofort verstehen. Wir konnten nicht riskieren, die Auserwählten früher mit dieser Gabe auszustatten, da wir nicht Gefahr laufen durften, dass der Feind davon erfährt. Alles muss jetzt sehr schnell gehen. Die Macht anzuwenden wird ein Kinderspiel sein. Sie aber zu kontrollieren wird am schwierigsten werden. Das mentale Training, das sie durchlaufen haben, wird aber für Letzteres garantieren. Alles, was Sie also lernen mussten, haben Sie bereits gelernt.

Während also Sie, die Auserwählten, mit der Tötung des Imperators beauftragt sind, werden wir an anderer Stelle zuschlagen. Auf Bétha werden wir mit der Flotte des Peneplain einen Gegenangriff auf die Uwore und das große Schlachtschiff der Gestaltwandler starten. Mehr als dreihundert Schiffe stehen uns zur Verfügung. Wenn wir Erfolg haben, wird die Flotte weiter nach Fahros fliegen, um dort die Versorgungslager der Uwore zu zerstören.

Auf Truchten werden wir unterdessen versuchen, den eingekesselten Largonen zu helfen, indem wir die Sieben entsenden werden.«

»Die Sieben? Das sind doch die Titanen, oder?«, sprach Gilbert zu seinem Meister. Der nickte nur.

»Die Titanen sind vollendet?«, fragte Terius erstaunt. »Ich dachte, ihre Konstruktion sei fehlgeschlagen.«

»Auch das ist eine Falschmeldung, die der Feind glauben soll. Das Titanen-Projekt ist nicht gescheitert. Ganz im Gegenteil. Der erfindungsreiche Rätselmacher hat es irgendwie geschafft, die Steine zum Denken zu bringen. Die Fertigstellung der Sieben liegt schon eine Weile zurück, aber erst jetzt sind wir in der Lage, sie auch für unsere Zwecke mittels der denkenden Steine einzusetzen. Die Titanen werden den Feind zertrampeln.

Es ist ein riskanter Plan mit vielen Unwägbarkeiten. Aber wenn wir siegreich sind, stehen die Inselwelten Bétha, Truchten, Fahros und Brigg wieder unter unserer Kontrolle. Danach werden wir uns darauf konzentrieren, die Sortaner auf Panthea von den Schattengeistern zu befreien.«

»Und was ist mit dieser Inselwelt? Was ist mit Arbrit und all den Menschen und Arboranern, die hier leben?«, wollte Terius wissen. Eine Antwort auf diese Frage war ihm am wichtigsten, schließlich lebten hier seine Frau und seine Freunde, von denen er und sein Bruder sich gerade verabschiedet hatten.

»So wenig es Ihnen und mir gefallen wird, aber die Stadt Eventum wird als Köder herhalten müssen. Der Feind glaubt, dass Ilbétha hier ist. Also gilt es, diesen Bluff solange aufrecht zu erhalten wie nötig. Doch keine Sorge: Sollte die Lage zu brenzlig werden, wird der Vogt die Stadt rechtzeitig evakuieren.«

Der König schaute in sorgenvolle Mienen, die so gar keine Zuversicht erkennen lassen wollten.

»Ich verstehe Ihre Sorgen. Ich teile sie. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass unser Plan funktionieren wird. Und ich kann Ihnen nicht versprechen, dass Sie alle überleben werden. Aber wir sind jetzt gezwungen, etwas zu tun, da wir mit dem Rücken zur Wand stehen. Wir sind es unseren Angehörigen schuldig. Wir sind es all denen, die dem Feind zum Opfer fielen, schuldig. Wir dürfen Thalantia nicht aufgeben. Wir werden siegreich sein und diese Welt wieder von Neuem aufbauen. Ich glaube daran.«

Terius sah in die Runde und nickte seinen Schülern aufmunternd zu. »Wir glauben auch daran. Wir werden Euch nicht enttäuschen, mein Herr.«

Antilius erinnerte sich, dass auch er an einen Sieg geglaubt hatte. Aber aus heutiger Sicht kamen ihm die Worte von Artorius bloß wie Durchhalteparolen vor.

»So sei es«, sagte der König. »Der Vogt wird Sie jetzt zu Ilbétha führen. Weitere Auserwählte warten dort bereits.«

»Weitere Auserwählte?«

»Ja, aber die anderen werden wir auf den übrigen Inselwelten einsetzen, wenn es denn notwendig werden wird. Sie sind quasi unsere Geheimwaffe.«

Terius und die Adepten folgten dem Vogt zur Tür. Antilius blieb hintenan, um sich mit Gilbert über das Erlebte zu besprechen.

»Äh, Meister? Sag mal, sind wir nicht eigentlich hier in der Vergangenheit, um etwas über den Dunkelträumer und dich zu erfahren? Dieser Imperator jedenfalls, den ihr töten sollt, ist kein Uwor. Der Dunkelträumer dagegen schon. Warum hat uns die Siobsistin also hierher geschickt? Ich sehe da keinen Zusammenhang.«

»Oh doch! Es gibt einen Zusammenhang. Am Einsamen Turm wird die Wahrheit ans Licht kommen. Ich ahne, was geschehen wird. Ich fürchte mich davor, wenn ich ganz ehrlich bin. Aber endlich ist es soweit, Gilbert. Wir werden die Wahrheit über den Dunkelträumer erfahren.«

Verlorenend Band III

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