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Wer wird nächstes Opfer?

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Unter dieser Voraussicht, wenn die Verhältnismäßigkeit der Mittel durch Polizeibeamte anders bewertet, und Waffen riskanter eingesetzt würden, fragten sich Silke und ihre Freundinnen, wer in schuldloser Situation das nächste Opfer sein würde. Sie kannten die Geschichte von Piper.

Piper war ein unschuldiger Hund. Ein Auto hatte ihn ca. 50 Meter von seinem Zuhause entfernt angefahren und verletzt. Der am Unfall beteiligte Autofahrer rief die Polizei. Ein hinzukommender Polizeikommissar erschoss das Tier bedenkenlos und vergrub es kurzerhand unter der Grasnarbe.

Die veterinärmedizinische Stellungnahme fordert ganz klar, dass ohne vorliegenden

tierärztlichen Befund ein Hund nicht „erlöst“ werden darf - auch nicht von der

Polizei. § 4 Tierschutzgesetz und die allgemeinen Verwaltungsvorschriften

(Tötung von Tieren).

Der am Unfall beteiligte Autofahrer gab später an, dass er keine Verletzung an Piper

hätte erkennen können, dass das Tier lebte und vielleicht durch den Schock einen

etwas irritierten Eindruck machte.

Anstatt locker die Waffe zur Tötung des Tieres einzusetzen, hätten die Polizisten

lebenserhaltende Möglichkeiten ergreifen können, um Piper zu retten, wie bspw:

 das nächste Haus aufzusuchen, um den Hundebesitzer ausfindig

 zu machen. Die Nachbarn von Pipers Familie hätten sie auf

 diese hingewiesen. Pipers Familie hätte sich unverzüglich um

 Piper gekümmert und sie zum Tierarzt gebracht.

 Die Polizeibeamten hätten Pipers Chip lesen und bei Tasso

 anrufen können. Von dort aus wäre Pipers Familie verständigt

 worden, die sich um ihr verletztes Tier hätte kümmern können.

 Die Polizeibeamten hätten die Tierrettung oder die Feuerwehr

 zu Hilfe rufen können, um Piper lebensrettend zu helfen.

Anstatt eine oder mehrere dieser verhältnismäßigen Möglichkeiten zu ergreifen, entschied der Polizist am Unfallort, Pipers Leben auszulöschen, ohne dass beweisermöglichende medizintechnische Geräte, Pipers Verletzungen transparent gemacht hätten. Danach schnitt er ihr die Ohren ab und verscharrte das tote Tier neben der Straße. Pipers Ohren blieben nachher verschwunden.

Für die Aufklärung des Falles „Piper“ fühlten sich sämtliche Behördenteile nicht zuständig. Sowohl der Polizeichef als auch der Innenminister zeigten ebenfalls kein Interesse an der Aufhellung der Missstände dieses dubiosen und im Weiteren schrecklichen Falles.

Im Nachhinein hilft es keinem Opfer, zu wissen, dass es eine andere Lösung gegeben hätte. Deshalb ist eine von Justizwegen wichtige Nichtakzeptanz solcher verfehlten unverhältnismäßigen Polizeihandlungen die absolute Voraussetzung für Veränderungen und dafür, dass so etwas zukünftig nicht mehr geschieht.

Piper steht stellvertretend für viele dieser unverständlichen Tötungsfälle, in denen unschuldige, spielende oder einfach nur anwesende Hunde exekutiert wurden, so dass Augenzeugen sogar von einer vorsätzlichen Hinrichtung sprachen. Häufig fanden derartige Vorfälle vor Passanten statt, die die Schuldlosigkeit der betroffenen Tiere bezeugten. In vielen dieser Fälle geschah es dann, dass der Staatsanwalt den, die Erschießung vorgenommenen Polizisten verteidigte und unbedingt bestrebt war, das Verfahren gegen ihn einzustellen.

Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass Staatsanwälte, die eigentlich sinngemäß anklagen sollten, immer wieder dazu bereit sind, überreagiert und unverhältnismäßig tätlich gewordene Polizisten zu verteidigen und nachträglich von der Verantwortung zu befreien. Ihre Aufgabe, strafbare Handlungen unbefangen und unvoreingenommen aufzuklären und zu verfolgen, wird dann dabei vollkommen außer Acht gelassen.

In Pipers Fall führte der, „den Polizisten verteidigende“, Staatsanwalt die Einstellung des Verfahrens wegen Verbotsirrtum und Tatbestandsirrtum an, was dann anzuwenden ist, wenn sich jemand nicht darüber im Klaren ist, was er tut. Eine Schuld des Täters entfiele nur dann, wenn der Irrtum seiner Tat für ihn unvermeidbar war. Als vermeidbar gilt, wenn das Unrecht allgemein erkennbar oder bekannt ist, oder der Täter sich aufgrund der Umstände hätte informieren können und müssen. In der Praxis kommt eine Nichtstrafbarkeit des Verbotsirrtums allerdings nur sehr selten vor, da eine Unvermeidbarkeit nur für die allerwenigsten Fälle zu bejahen ist. Ein Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn der Begehende einer Straftat den Tatumstand nicht kennt und. sich darüber irrt. Dementsprechend könnte man daraus entnehmen, dass ein Bevollmächtigter der Deutschen Polizei – nicht einer Bananenrepublik oder einer Diktatur – nicht weiß, was er tut, wenn er seine Waffe, mit der Absicht zu schießen, zieht. Ein höchst beunruhigender Umstand, der die Frage aufwirft, wie sich das schlimmstenfalls weiterentwickeln könnte.

Heute ist wegen irriger Annahme das getötete Opfer ein Hund – im Übrigen ein Lebewesen, das auch heute immer noch als Sache behandelt wird –, morgen wird vielleicht ein Mensch der Geschädigte sein. Da die Überbelastung der Polizei, die von der Bundesregierung jahrzehntelang kaputtgespart und personell abgebaut wurde, bekannt ist, der Stresspegel der Polizisten in der Regel sehr hoch anzusetzen ist, und die Frustrationstoleranz tief sein dürfte, würde es immer häufiger zu Eskalationen kommen, die mit Einsatz einer Waffe tödlich ausarten könnten.

Der Leser mag sich fragen, warum hier ein Hund erwähnt ist, der zum Opfer wurde. Weil er gelebt hat und unter Umständen hätte gerettet werden können. Durch Gewaltbereitschaft und Anwendung von Gewalt, eine geringe oder gar fehlende Hemmschwelle durchbrechend, wurde der Gedanke an Rettung des Tieres, das auch ein Familienmitglied war, noch nicht einmal erwogen und das Tier getötet. Zuerst opfert man die Tiere, wen opfert man dann, weil man es kann?

Leben ist erhaltenswert und bedarf des unbedingten Schutzes. Für Silke ging es dabei um jedes Leben, auch um das eines Tieres. Niemand hat das Recht einem anderen sein Leben zu nehmen.

Anmerkung: Nach § 285a ABGB sind Tiere keine Sachen und werden durch besondere Gesetze geschützt. Dennoch werden für Sachen geltende Vorschriften auf Tiere angewendet, wenn keine abweichenden Regelungen bestehen. (§ 90a BGB, TierVerbG ) ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) TierVerbG (Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres).

Diese Regelung soll ausdrücken, dass Tiere als Mitgeschöpfe wenigstens gedanklich von Sachen zu unterscheiden sind, was jedoch des wichtigen rechtlichen Inhaltes entbehrt.

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