Читать книгу GEFANGEN in der Gesetzesmühle - Sabine Grimm - Страница 4

Wie alles begann!

Оглавление

Deutschland 2012. In der kleinen Stadt Kiepenburg, am Rande des Münsterlandes, begann so langsam für die Bewohner der Feierabend.

Silke Behring, eine taffe Mittvierzigerin, hatte einen arbeitsreichen, aber schönen Tag hinter sich. Sie saß in ihrem kleinen Auto und sang aus Leibeskräften zur Musik im Radio mit. So richtig konnte sie der Musik jedoch nicht folgen, da ihre Gedanken immer wieder zu ihrem Freund schweiften. Maximilian spielte im Moment eine sehr große Rolle in ihrem Leben. Heute Abend würde sie, so hatte sie es sich vorgenommen, mit ihm ein langes Telefonat führen. Maximilian war der Besitzer eines Gutes und trug den Titel Maximilian Alexander Freiherr von Brühl. Die Beziehung der beiden hatte gerade erst einen romantischen Anfang genommen und keiner wusste, wo es mal enden würde.

Silke war eine Frau, die so leicht nichts erschüttern konnte. Sie stand mit beiden Beinen im Leben und meisterte dies bisher allein. Ihr Auto schnurrte wie ein Kätzchen vor sich hin, als Silke in die Zufahrtsstraße zu ihrem kleinen Häuschen einbog. Sie freute sich schon auf einen gemütlichen Feierabend auf dem Sofa vor dem Fernseher, in der einen Hand ein Glas Rotwein und in der anderen eine Tafel Schokolade.

Da ist er ja endlich, dachte sie, als sie den Parkplatz gegenüber ihrem Häuschen erreichte. Silke parkte ein, stellte den Motor ab und suchte ihre Habseligkeiten zusammen. Sie griff nach ihrer großen Tasche auf dem Beifahrersitz, ihrem Mantel und dem Schal, stieg aus und blickte in Richtung Zuhause.

„Was ist denn da los?“ fragte sie sich, als sie zu ihrem Haus hinübersah und direkt am Gartentor eine Gruppe Jugendlicher erblickte, die sich daran zu schaffen machten. Silke sah, wie ein Torbogen umknickte und die Holzreiter herabfielen. Jetzt kam Bewegung in sie. Mit großen Schritten eilte sie auf die Jugendlichen zu und rief mit tief klingender Stimme: „Was macht ihr denn da? Ich bin sofort bei euch!“

Ertappt blickte die kleine Bande von Möchtegernrockern zu ihr herüber. Sie ahnten nichts Gutes und rannten in die andere Richtung davon und die Straße hinunter. Silke sah ihnen mit großen Augen nach und konnte in der einbrechenden Dunkelheit erkennen, dass sie in einen Hauseingang hineinliefen und hinter einer Tür verschwanden. Nach Luft schnappend war sie mittlerweile vor ihrem Haus angekommen. Oje, der schöne hölzerne Torbogen war kaputt. Nur noch der Rosenbewuchs hielt ihn einigermaßen davon ab, total zusammenzustürzen. Silke machte das traurig, denn sie liebte ihren Garten, und sie liebte auch ihre Rosen. Die Jungs können froh sein, dass ich keinen von ihnen erwischt habe, dachte sie bei sich und verzog ärgerlich das Gesicht. Sie überlegte einen kurzen Moment, die jugendlichen Imitationen der Hells Angels anzuzeigen. Aber was sollte das bringen? Womöglich würden die sich nach einer Anzeige an ihr rächen und ihr das Auto zerkratzen. Silke wollte keinen weiteren Ärger und dachte schon daran, wie sie am Wochenende das Holztor reparieren und die Rosen, so hoffte sie, noch retten könnte.

Das Wochenende war vorüber, ohne das Silke etwas getan hatte, was mit Arbeit verbunden war. Die neue Woche begann und Silke ging ihrem Schichtdienst wieder nach.

Am Donnerstag nach Feierabend, als sie schon Zuhause war und sich aus Paprika, Nudeln und Tomaten ein Mittagessen zauberte, klingelte es an der Haustür. Ihr Nachbar, Felix Heinze, stand da und wirkte ziemlich fahrig, nervös und aufgeregt.

„Silke, haben sie bei dir auch eingebrochen? Bei mir sind sie donnerstagnachmittags vor einer Woche von deinem Grundstück aus eingestiegen und haben meine Bude leer geräumt.“

In Silkes Gehirn fing es an zu rattern. Das muss zu dem Zeitpunkt gewesen sein, als ich die Jugendlichen an meinem Tor erwischt habe, dachte sie. Das war doch auch am Donnerstag. Sie wollte gerade etwas erwidern, da fiel ihr Nachbar ihr ins Wort und teilte ihr mit, dass er die Polizei sofort gerufen habe, die den Diebstahl aufnahm.

„Felix“, sagte Silke, „ich habe vergangenen Donnerstag Jugendliche vor meinem Gartentor gesehen. Das Tor ist seitdem zerbrochen.“

Felix nickte daraufhin und erzählte ihr, dass er von Nachbarn aus dem gegenüberliegenden Haus erfahren hatte, dass sie die Chaoten von ihrem Dachfenster aus dabei beobachtet hatten, wie sie in Silkes Garten eingedrungen waren. „Sie liefen in deinem Garten herum, Silke. Die Nachbarn von gegenüber haben genau mitbekommen, wie die Rowdys über den Zaun zurück auf die Straße kletterten und dabei ohne Rücksicht auf Verluste das Tor beschädigten. Es störte sie auch nicht weiter, dass es fast umfiel“, berichtete er.

„In dem Moment, als sie schon über den Zaun drüber waren, bin ich nach Hause gekommen. Sie befanden sich schon wieder auf der Straße und die Holzreiter kullerten einer nach dem anderen herunter.“ Silke biss sich missmutig auf die Unterlippe.

„Verdammt noch mal!“ folgerte Felix dann laut in Rage: „Dann sind die Spinner wohl von deinem Hof aus in meine Wohnung eingebrochen?“

„Nichts ist unmöglich“, meinte Silke wissend. „So wird es wohl gewesen sein.“

Felix wollte von Silke hören, ob sie ihre Beobachtungen und das kaputte Tor der Polizei gemeldet hatte.

„Nee“, sagte Silke. „Das war mir irgendwie nicht ganz geheuer. Ich wollte weiteren Ärger vermeiden.“

„Du könntest mir wahnsinnig helfen, wenn du das jetzt noch der Polizei mitteilen würdest. Vielleicht hilft es denen, den Einbruch in meine Wohnung aufzuklären.“

„Natürlich mache ich das“, sagte Silke. Sie ließ ihre grauen Zellen rotieren. Sie wusste nun, dass sich plötzlich ein ganz anderer Sachverhalt darstellte, dass es nicht mehr allein die brutale Sachbeschädigung ihres Tores war, sondern offensichtlich die schlimme Straftat eines Eigentumsdeliktes und offenbar alles in einem Zusammenhang stand. Jetzt erklärten sich einige Dinge für sie von selbst. Silke strich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und versicherte Felix, dass sie sobald sie gegessen hätte, sich noch einmal aufmachen, und zur Polizei fahren würde. Felix roch den appetitanregenden Duft, der vom Herd aus der Küche zu ihm herüberströmte, und so brachen sie das Gespräch ab. Silke ahnte, wie sich ihr Nachbar nun fühlen musste. Vor einigen Monaten hatte man bei ihr auch eingebrochen. Damals war bei ihr ein erheblicher Schaden entstanden, der nicht wieder gutzumachen war. Wenn auch die Hausratversicherung einen Teil des Schadens reguliert hatte, so waren die entwendeten Erbstücke für immer verloren. Mistkerle, dachte sie bei sich und runzelte die Stirn. Nichtsdestotrotz ließ Silke es sich schmecken. Nachdem sie aufgegessen hatte, stand sie langsam auf und räumte das beschmutzte Geschirr in die Spülmaschine. Dann zog sie ihren Mantel an, nahm ihre Tasche und fuhr zur Polizeiwache.

Irgendwie war ihr nicht wohl bei der Sache. Nicht, dass diese Bande noch auf dumme Gedanken kam und ihr die Autoreifen zerstechen würde, sorgte sie sich. Andererseits war ihr klar, dass es jetzt ihre Pflicht war, die Sache mit dem beschädigten Holztor und ihre Beobachtungen der Polizei zu melden. Also setzte sie ihre Informationspflicht über ihre eigenen Belange.

Silke kam an der Wache an und wartete, bis man ihr öffnete. Sie ging mit eiligem Schritt die Treppe hoch und betrat die Wachstube. Dort empfing sie der diensthabende Polizeibeamte und fragte freundlich: „Was kann ich denn für Sie tun, junge Frau?“

Silke erzählte dem netten Beamten, was sie donnerstagnachmittags gesehen und beobachtet hatte. Ihren und den Verdacht ihres Nachbarn, dass die Sachbeschädigung bei ihr und der Einbruch bei ihm in einem Zusammenhang stehen könnten, vergaß sie nicht zu erwähnen. Sie teilte ihm auch die Beobachtungen der Zeugen aus dem Haus gegenüber mit, die diesen Verdacht bestärkten. Der Beamte hörte sich alles an, machte sich Notizen, kratzte sich am Kopf und meinte: „Von hier aus kann ich jetzt nicht viel machen. Aber ich würde Ihnen gerne zwei Kollegen vorbeischicken, die dann die Ermittlungen vor Ort aufnehmen. Wäre ihnen 18.00 Uhr genehm?“

Silke bejahte, verabschiedete sich und machte sich auf den Weg nach Hause.

Kurz vor 18.00 Uhr erreichte sie wieder ihren Parkplatz vor ihrem kleinen Häuschen und wartete vor dem Gartentor auf die Polizeibeamten. Der Frühling hatte gerade begonnen, und es war noch ein bisschen frisch abends. Gegen 18.30 Uhr hielt ein Polizeiwagen auf der anderen Straßenseite vor ihrem Eckhaus. Zwei Polizisten stiegen aus. Der Fahrer schlug die Tür zu und tönte lauthals über die komplette Straßenbreite: „Wo ist denn hier der Eingang, äey?“

Silke fand das ziemlich rüpelhaft, doch sie blieb ganz ladylike, wie es ihre Art war. Höflich ging sie auf die Beamten zu, begrüßte sie und stellte sich vor. Sie schloss das Gartentor auf und betrat mit ihnen ihr Grundstück. Hinter dem kaputten Tor stellte sich die kleine Gruppe auf. Die Beamten wollten nun wissen, was geschehen war und was sie hier sollten. Silke begann, ihnen zu erzählen, was sie auch schon auf der Wache gesagt hatte. Doch sobald sie einen Satz begonnen hatte, unterbrach sie einer der Beamten immer wieder mit störenden Fragen, die er, obwohl sie antwortete, auch noch mehrmals wiederholte, scheinbar um zu keinem Ende zu kommen. Der andere Beamte, der Fahrer, der auf der Straße so laut war, schwieg nun, lehnte lässig am Brunnen und starrte demonstrativ Löcher in die Luft, so als ob ihn das Ganze nichts anginge. Hin und wieder schüttelte er auch mal seinen Kopf. Silke fiel das auf. Sie wunderte sich über seine Teilnahmslosigkeit und dachte bei sich, der denkt sicher an das nächste Fußballspiel. Irgendwie kam sie sich vor, als ob sie der Besatzung vom Raumschiff Enterprise Rede und Antwort stehen sollte, mit der sie sich auf einem anderen Planeten befand. Der fragende Beamte, ein großer, schlanker, gegelter Adonis, wollte die Sache auf seine Art und Weise regeln, ohne dass er auf Silkes Schilderungen einging. Dabei versuchte sie, das Ganze auf eine Schiene zu bringen, die wahrheitsgetreu und eigentlich für jeden verständlich war. Es war ihr wichtig, den Beamten zu vermitteln, dass es ihr nicht um eigene Schadensersatzansprüche wegen der Sachbeschädigung des Holztores ging. Der Wachhabende in der Polizeidienststelle hatte sie darum gebeten, mit ihrer Zeugenaussage dazu beizutragen, den Einbruch bei ihrem Nachbarn schneller aufzuklären. Doch trotz mehrerer Anläufe kam sie nicht dazu, den Beamten dies zu verdeutlichen. Immer wieder meinte dieser Adonis, Silkes Zeugenaussage unterbrechen zu müssen. Er ließ Silke nicht aussprechen und fragte schon wieder nach der Schadenshöhe des Tores. Scheinbar begriff er nicht, dass Silke zu der Aufklärung des Einbruchs beim Nachbarn eine wichtige Zeugenaussage zu machen hatte und nicht an der Schadensaufnahme durch die Polizei interessiert war. Sie dachte hilflos: „Erde an Mr. Spock!“ So eine Art der Befragung war ihr fremd, denn seit dem Einbruch bei ihr, wusste sie, dass die Kommunikation mit den Polizeibeamten, die damals in ihrer Wohnung waren, ganz anders war. Auch der Beamte bei der Kriminalpolizei, der später die Anhörung vornahm, hatte sie erst einmal ausreden lassen, um sich einen Überblick zu verschaffen, um dann gezielt anzusetzen, seine Fragen zu stellen. Es war für Silke auch schon ohne Unterbrechungen nicht einfach, chronologisch in aller Sachlichkeit den Fall zu schildern.

Da kam es schon wieder zur Sprache, das Tor! Adonis fragte: „Wie kaputt ist denn nun das Tor?“ Silke hätte sich am liebsten die Haare gerauft.

„So, wie Sie es da stehen sehen. Die Balken sind herausgebrochen, die Reiter ebenfalls und dann sind sie hinuntergefallen. Mir geht es jedoch nicht um das Tor. Mir ist es wichtig, darzustellen, dass Fremde auf meinem Grundstück waren, wofür es Zeugen gibt. Die Zeugen haben die Eindringlinge, zur Zeit des Einbruchs beim Nachbarn, in meinem Garten gesehen."

Der Adonis besah sich das Tor, ohne näher darauf zuzugehen und meinte dann zu Silke: „Das Tor ist doch gar nicht kaputt.“

Der bizarre Film, in dem sich Silke fühlte, lief weiter vor ihr ab. Das Tor war nach außengeneigt, Ein Bogen mit sämtlichen Reitern war abgefallen, lag am Boden und war an den Gartenzaun angelehnt. Die Reiter lagen davor im Gras, ein Bogen befand sich gekrümmt am Tor und wurde durch die Rosen gehalten, dass er nicht auch abstürzte. Der Polizist aber sagte tatsächlich, das Tor sei nicht kaputt. Silke fragte ganz ruhig: „Wie bitte? Das Tor ist nicht kaputt? Glauben Sie, das sieht immer so aus? Die Teile liegen hier völlig auseinandergebrochen auf dem Boden.“

„Das kann man doch reparieren“, meinte Adonis völlig desinteressiert, ohne sich dem Tor einen Schritt zu nähern.

Silke antwortete: „Was repariert werden muss, ist in der Regel vorher kaputt. Wie auch immer, die Sachbeschädigung des Tores möchte ich nicht zur Anzeige bringen.“

Ihr kam es so vor, als ob den Polizisten alles zu viel war. Der Adonis fragte nun den Luftgucker gelangweilt: „Was meinst du denn? Schadenshöhe 50.00 Euro?“

Der Luftgucker blickte schweratmend zum Himmel hoch, als ob ihm von dort eine Antwort zugeflüstert werden könnte, und blies die Luft durch die Nasenlöcher nach oben, um gleich darauf mit dem Kopf zu schütteln. Silke war nun endlich klargeworden, dass sie mit diesen beiden Polizisten nicht weiterkam. Ein Gespräch mit ihnen kam nicht zustande. Sie versuchte noch einmal, ihre Zeugenaussage an den Mann zu bringen, und wieder unterbrach sie dieser Adonis. Silke wurde es langsam zu bunt. „Entschuldigen Sie bitte“, sprach sie den Beamten dennoch ruhig und gefasst an. „Warum unterbrechen Sie mich eigentlich immer?“

Jetzt mischte sich der Luftgucker ein. Wütend, mit ungehaltener Stimme, keifte er Silke an: „Sie wollen wissen, warum wir Sie immer unterbrechen? Weil wir unsere Vernehmungen so durchführen, wie es uns passt und nicht wie Sie wollen!“

Damit hatte er bei Silke den richtigen Knopf gedrückt.

„Entschuldigen Sie“, sagte sie ruhig zu dem ungehaltenen Polizeibeamten. „Ich möchte hier meine Aussage machen, wie es meine Bürgerpflicht ist, und Ihnen vermitteln, was hier womöglich in Zusammenhang mit dem Einbruchdiebstahl bei meinem Nachbarn passiert ist, deswegen sind Sie übrigens hergeschickt worden, und ich werde ständig unterbrochen.“

„Was Sie hier erzählen, interessiert uns sowieso alles nicht!“ rief der Beamte erregt und seine Stimme überschlug sich.

Mittlerweile waren zwanzig Minuten vergangen, ohne dass die beiden Beamten, wie es eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre, den Tatort besichtigt, sich Stichpunkte zum Einbruchdiebstahl, zu den Zeugen und zu Silkes Aussage gemacht hätten. Vom Fleck weg hatten sie sich auch noch nicht gerührt. Außer dass der Luftgucker wahrscheinlich schon ein schwarzes Loch in die Luft gestarrt hatte, war noch nichts wirklich Effektives passiert. Für Silke war jetzt der Punkt gekommen, an dem sie für sich selbst handeln musste. Sie machte den Beamten den Vorschlag: „Wir kommen hier nicht weiter. Da Sie sagten, dass Sie an meinen Schilderungen nicht interessiert sind, wäre es wohl besser, wenn Sie mir andere Kollegen schicken, die sich dafür interessieren, was ich zu sagen habe.“

Der Luftgucker war jetzt beleidigt. „Wir schicken gar keinen mehr! Für uns ist das jetzt hier erledigt!“ schrie er Silke an.

„Wie bitte?“ fragte Silke ihn erstaunt. „Hier wurde bei meinem Nachbarn eingebrochen, es sind Zeugen bekannt, von denen ich Ihnen erzählt habe, und Sie möchten nicht ermitteln?“

Der Luftgucker erwiderte felsenfest: „Wir sind fertig hier.“

Silke wollte sich sowieso mit diesen ungehobelten „Gesetzeshütern“ nicht länger auseinandersetzen und sagte in ruhigem Ton: „Geben Sie mir bitte Ihre Namen, ich möchte sie mir gern aufschreiben.“

„Können Sie machen, Pappulski ist mein Name“, tönte der Luftgucker angriffslustig. „Ich gehe jeden Weg mit Ihnen! Selbst bis zum Gericht!“

Silke fand diesen grundlos aggressiven Ton unangemessen und eines Polizeibeamten nicht würdig. Wie konnte dieser Pappulski nur so freimütig sagen, er ginge mit ihr vors Gericht? Welches Fass wollte er denn wohl aufmachen und warum? Sie benötigte Papier und Kugelschreiber aus ihrer Handtasche, die sie über der rechten Schulter trug. Um dranzukommen, brauchte sie zwei freie Hände, die linke zum Öffnen der Tasche, die rechte zum Entnehmen der Utensilien. Sie hielt in ihrer rechten Hand immer noch den Schlüssel, mit dem sie das Gartentor aufgeschlossen hatte. Den musste sie nun loswerden um ihre Hand freizubekommen, und steckte ihn kurzerhand ins Schloss des Tores, vor dem sie stand.

Dort war er gut aufgehoben, dachte sie. Die Idee, ihn in ihre Tasche zu werfen, kam ihr nicht. Denn wie das bei Frauen bekanntermaßen so ist, war die Tasche nicht gerade leer und aufgeräumt, und sie hätte später lange nach dem Schlüssel suchen und kramen müssen. Aus diesem Grund steckte sie ihn direkt in das dazugehörige Schloss. Im Übrigen würde sie mit ihm, nachdem die Polizisten fort waren, das Tor ohnehin sofort wieder abschließen.

Sie hatte die Hand noch am Schlüssel, der gerade steckte, da stürzte sich ohne Vorwarnung, völlig unerwartet, der Luftgucker auf die zierliche Silke und drehte ihr ohne Vorankündigung den rechten Arm auf den Rücken. Dabei quetschte er ihre beiden Oberarme mit festem Griff zusammen und schrie, wie von der Tarantel gestochen: „Sie schließen uns hier nicht ein!“

Erschrocken, mit schmerzverzerrtem Gesicht und rauer Stimme wimmerte Silke nach diesem unerwarteten Angriff: „Ich will Sie doch nicht einschließen.“

Unbeeindruckt verstärkte der Luftgucker seinen Griff, drehte Silkes Schulter abermals brutal nach hinten und rief, während er noch einmal kräftig zudrückte: „Sie schließen uns hier nicht ein! Das ist Widerstand gegen die Staatsgewalt!“

Silke glaubte nicht, was mit ihr geschah. Was geht hier vor, dachte sie. Der Polizist krümmte ihren Körper unter sich. Unter starken Schmerzen schaute sie ihn an und fragte: „Wie gehen Sie mit mir um?“

Sein Gesicht war direkt über ihrem. Sein wütend funkelnder Blick war auf sie gerichtet.

Silke sah direkt in seine Augen. Dabei fiel ihr auf, dass er stecknadelkopfgroße, stark verengte Pupillen hatte. Aus ihrem beruflichen Leben als Krankenschwester und Justizvollzugsbeamtin hatte sie jahrelange Erfahrung, Zeichen eines möglichen Drogenkonsums zu erkennen. Diese unwillkürlich aufkommende Erkenntnis ließ sie instinktiv fragen: „Haben Sie Drogen genommen?“

„Nee, Sie haben vielleicht Drogen genommen!“ brüllte der Luftgucker, offenbar nicht ganz bei Sinnen, und hielt Silke immer noch im Polizeigriff fest.

„Jetzt lassen Sie mich los und gehen Sie. Ich wollte nur den Schlüssel ins Tor stecken und sie nicht einschließen.“ Silke wurde wieder stärker.

Der Polizeibeamte Pappulski ließ Silke noch immer nicht los und hielt sie weiter ungerührt mit stählernem Griff umklammert. Sie hatte starke Schmerzen. Dabei durfte sie noch nicht einmal versuchen, sich aus der Zwangslage zu befreien, denn das wäre dann tatsächlich Widerstand gegen Polizeibeamte gewesen. Wer wusste schon, wozu dieser Pappulski noch fähig wäre, um sie zu erniedrigen, dachte Silke erschaudernd.

So etwas Grobes war ihr noch nie zuvor passiert. Sie verlor den Glauben an die Polizei, zumal der Adonis mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund mit seinem Notizblock in der Hand daneben stand und ihr nicht zur Hilfe kam.

Ganz langsam lockerte der Luftgucker seinen Griff und ließ Silke endlich los. Für sie war die Situation unerträglich. Durch ihren Kopf gingen die wildesten Gedanken. Wie weit hätte die Sache noch gehen können?

Wenn der Luftgucker, weil sie den Schlüssel ins Tor steckte, glaubte, sie wolle ihn einschließen, was für ein Gedanke wäre ihm in den Sinn gekommen, wenn ihre Hand frei gewesen wäre und sie sofort in die Tasche gegriffen hätte, um das Schreibzeug herauszuholen? Hätte er dann etwa geglaubt, sie wolle eine Waffe ziehen?

Womöglich hätte er dann seine Dienstwaffe gezogen und auf sie geschossen. Sie ahnte, er sei nicht ganz bei Sinnen und dass die Situation sehr böse hätte ausgehen können. Für Silke war die Angelegenheit aussichtslos. Ihr war angst und bange, doch sie bemühte sich, Haltung zu bewahren und sagte zu den beiden Polizeibeamten: „Gehen Sie bitte.“

Der Adonis, der die ganze Zeit wortlos und untätig daneben gestanden hatte, anstatt seinen Kollegen zurückzuhalten, war durch die Situation scheinbar selbst überrascht. Silke empfand die Untätigkeit dieses Beamten als unterlassene Hilfeleistung. Doch jetzt besann er sich hastig darauf, warum er an Ort und Stelle war und machte Silke klar, dass er noch gar nichts von ihr erfahren hatte.

„Sie haben uns doch noch nichts erzählt. Wir wissen ja noch gar nicht, ob jemand bei Ihnen auf dem Grundstück war“, wandte er ein.

Silke fühlte sich durch diese Ereignisse total erledigt. Ungläubig rieb sie sich ihre schmerzenden Gliedmaßen und wollte nur noch, dass die beiden Beamten sie endlich in Ruhe ließen. Trotzdem antwortete sie ihm: „Wenn Sie mir zugehört hätten und mich hätten ausreden lassen, wüssten Sie nun, dass diejenigen, die das Tor überwanden, tatsächlich auf meinem Grundstück waren. Sie sind von anderen Zeugen aus dem Haus gegenüber dabei beobachtet worden. Von meinem Grundstück aus wurde bei meinem Nachbarn eingebrochen, was ich Ihnen schon zu Anfang sagte, was aber auch schon Ihre Kollegen am Einbruchstag ermittelt hatten. Sie und Ihr Kollege sind lediglich hierher beordert worden, um die Schnittstellen zusammenzufügen, Zeugen zu befragen, nach Spuren in meinem Garten zu suchen und den Tatort nochmal zu besichtigen. Das hat Ihr Kollege auf der Wache mir so mitgeteilt. Jetzt bitte ich Sie, zu gehen.“

Der Luftgucker hatte Silke verletzt. Mit ihren schmerzenden Gliedern hatte sie keine Kraft und Lust mehr, sich mit diesen zwei Vertretern des deutschen Staates auseinanderzusetzen. Sie fotografierten noch das kaputte Tor. Dann verließen die beiden mürrischen Staatsdiener ihr Grundstück.

Sie hatten nichts zur Aufklärung des Wohnungseinbruchs bei Felix beigetragen. Silke schlich sich mit den schmerzenden Verletzungen ins Haus hinein.

Völlig ungläubig dachte sie, dass es so etwas nicht geben dürfe.

Sie wollte doch nur helfen und sich nicht mit zwei Beamten, die meinten, die Sache ginge sie nichts an, anlegen. Innerlich kochte sie vor Wut, weil sie sich nicht hatte wehren können. Sie überlegte hin und her, wie sie ihre Situation wieder in die richtige Lage bringen konnte. Die beiden Beamten sollten nicht so einfach davonkommen, das war ihr klar. Durch den festen Griff Pappulskis schmerzte ihre gesamte rechte obere Körperhälfte. Der Oberarm war regelrecht taub geworden. Silke zog ihren Pullover aus und besah sich im Spiegel.

Beide Arme waren stark geschwollen und gerötet, rechts mehr als links. Sie sahen aus, wie in die Brennnesseln gefallen. Darüber hinaus zeichnete sich jeder einzelne Finger von Pappulski auf ihrer Haut ab. Sie fühlte sich wie nach einer Folterung im Mittelalter. Obwohl sie diesem Pappulski gesagt hatte, dass sie ihn nicht einschließen wollte, hatte er ihr exzessiv mit hartem Griff noch weitere Schmerzen zugefügt.

Es schien ihm Spaß gemacht zu haben, sie zu verletzen. Silke fühlte sich erniedrigt.

Sie verstand einfach nicht, warum dieser Mensch, in der Position eines Staatsdieners, sie brechen wollte. Er konnte doch nicht allen Ernstes geglaubt haben, sie wolle sich mit zwei Polizisten in ihrem Garten einschließen, um so zum Stadtgespräch zu werden?

So eine unangenehme Beeinträchtigung, mit solch ungehobelten Leuten eingesperrt zu sein, hätte sie sich wahrhaftig niemals freiwillig angetan. Daran konnte man doch schon erkennen, dass dieser Pappulski nicht ganz klar im Kopf war, dachte Silke. Ihr fielen seine stecknadelkopfgroßen Pupillen ein, und sie fragte sich allen Ernstes, was er sich eingeworfen hatte.

Silke zitterte noch immer am ganzen Körper. Der rechte Arm pochte. Das rechte Schulterblatt fühlte sich an, als würde jemand mit dem Messer darin bohren. Sie holte Kühlakkus aus dem Eisfach, wickelte sie in Geschirrtücher und legte sie auf die schmerzenden Stellen. Doch sie waren schwer und es brannte nur noch mehr. Silke war so sehr von Schmerzen geplagt, dass sie sich aufraffte, frisch machte und nochmal das Haus verließ. Sie stieg in ihr Auto und schlug den Weg zum ortsansässigen Krankenhaus ein.


GEFANGEN in der Gesetzesmühle

Подняться наверх